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- BUNDESGERICHTSHOF
- IM NAMEN DES VOLKES
- URTEIL
- 2 StR 482/02
- vom
- 9. April 2003
- in der Strafsache
- gegen
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- wegen schweren Raubes
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- Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. April 2003,
- an der teilgenommen haben:
- Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
- Dr. Rissing- van Saan
- als Vorsitzende,
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- die Richterin am Bundesgerichtshof
- Dr. Otten,
- die Richter am Bundesgerichtshof
- Rothfuß,
- Prof. Dr. Fischer,
- und die Richterin am Bundesgerichtshof
- Roggenbuck,
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- Bundesanwalt
- als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
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- Justizhauptsekretärin
- als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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- für Recht erkannt:
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- Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 14. Juni 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
- Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
- über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
- des Landgerichts zurückverwiesen.
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- Von Rechts wegen
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- Gründe:
- I.
- Der Angeklagte war durch Urteil des Landgerichts Köln vom 11. Mai
- 1998, das der Senat am 23. September 1998 bestätigt hatte, wegen schweren
- Raubes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden.
- Mit Beschluß vom 17. Januar 2000 hat das Landgericht Aachen die
- Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Angeklagten und die Erneuerung der Hauptverhandlung angeordnet. Das nunmehr zuständige Landgericht
- Aachen hat den Angeklagten freigesprochen. Gegen den Freispruch richtet
- sich die Revision der Staatsanwaltschaft – welche der Generalbundesanwalt
- vertritt – mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat
- Erfolg.
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- II.
- Nach den Feststellungen des Landgerichts überfielen der damals 23
- Jahre alte
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- I.
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- und der damals 21 Jahre alte
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- 7. Mai 1997 gegen 20.10 Uhr die Geldbotin des N.
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- D.
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- am Abend des
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- -Marktes in T.
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- , als sie gerade eine Geldbombe, in der sich 4000 DM befanden, bei der
- Bank einwerfen wollte. I.
- tole, D.
- S.
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- bedrohte die Frau mit einer ungeladenen Gaspis-
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- entriß ihr die Geldbombe. Die Freundin des Angeklagten,
- , hatte I. und D.
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- mit ihrem Pkw zum Tatort gefahren, mit dem alle
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- drei auch nach dem Überfall flüchteten. Da das Kennzeichen von einer Zeugin
- notiert worden war, wurde Frau S.
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- am selben Abend verhaftet. Sie be-
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- zeichnete I. als Mittäter und gab an, den Namen des zweiten Täters nicht zu
- kennen. I. erfuhr vom Angeklagten von der Verhaftung und versteckte sich in
- der Folgezeit. Zwei bis drei Tage nach der Tat brachte der Angeklagte I.
- 2000 DM sowie eine Tageszeitung, in der über den Überfall berichtet wurde.
- I. wurde am 22. Mai 1997 in den Niederlanden verhaftet. Über seinen
- Verteidiger ließ er sich am 20. Oktober 1997 geständig ein, benannte D.
-
- als
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- Mittäter und den Angeklagten als Initiator der Tat. Im wesentlichen schilderte er
- das Vortatgeschehen so, wie es in der diesem Verfahren zugrunde liegenden
- Anklageschrift dargestellt ist. Danach soll sich der Angeklagte am frühen Abend des Tattages in Begleitung der Frau S.
- in R.
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- mit I.
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- und D.
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- auf dem Parkplatz am Bahnhof
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- getroffen und beide zu dem Überfall überredet
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- haben, wobei er ihnen eine Beute von 100.000 DM in Aussicht gestellt und ihnen zur Tatausführung eine nicht geladene Gaspistole, Jogginganzüge, Baseballkappen und Sonnenbrillen ausgehändigt haben soll.
- Am Abend des 30. Oktober 1997 suchte der Angeklagte mit Frau
- S.
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- den D.
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- auf und versuchte ihn dazu zu überreden, I. als Initiator
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- der Tat zu bezeichnen und ihn und Frau S.
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- "rauszuhalten". D.
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- und der
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- Angeklagte wurden am 3. November 1997 aufgrund der Einlassung des I.
- festgenommen. Die geständigen Beteiligten I.
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- , D.
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- und S.
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- wurden
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- am 19. November 1997 vom Landgericht Bonn rechtskräftig wegen Raubes
- verurteilt, wobei der Umstand, daß der Angeklagte der Initiator der Tat war, bei
- allen strafmildernd berücksichtigt wurde.
- Der Angeklagte hat eine Tatbeteiligung bestritten. Es habe Gespräche
- zwischen Frau S.
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- und I.
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- über einen Überfall gegeben und er sei zur
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- Beteiligung aufgefordert worden, habe aber abgelehnt. Nach der Tat habe er
- Frau S.
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- helfen wollen. Das Landgericht geht davon aus, daß der Ange-
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- klagte an Gesprächen im Vorfeld der Tat teilgenommen hat, vermochte sich
- jedoch nicht von einer Tatbeteiligung zu überzeugen.
- III.
- Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft.
- 1. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner
- Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht
- in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des
- Tatrichters. Die revisionsrechtliche Beurteilung ist auf die Prüfung beschränkt,
- ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das
- ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gegen
- gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die zur Verurteilung erforderliche
- Gewißheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr., vgl.
- BGHSt 10, 208 f.; BGH StV 1994, 580 m.w.N.; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 22, 25 und Beweiswürdigung 16). Ein Sachmangel kann vorlie-
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- gen, wenn sich das Urteil im Rahmen der Beweiswürdigung nicht mit allen festgestellten Umständen auseinandersetzt, die den Angeklagten be- oder entlasten. Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Auf einzelne Indizien ist der Grundsatz "in dubio pro reo"
- nicht isoliert anzuwenden (BGHSt 25, 285, 286 f.; 35, 308, 316; 36, 286, 289
- ff.; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24). Das einzelne Indiz darf nicht isoliert gewürdigt werden, sondern ist mit allen anderen Beweisanzeichen in eine
- Gesamtprüfung einzubringen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes
- entscheidet darüber, ob der Richter die Überzeugung von der vollen Schuld
- des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn
- keine der jeweiligen Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, daß sie in
- ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2).
- 2. Ein solcher Rechtsfehler liegt hier vor. Nicht nachvollziehbar ist bereits, warum das Landgericht den den Angeklagten belastenden Angaben des
- Zeugen D. , die dieser im wesentlichen konstant bekundet hat, und den die
- Strafkammer nach seiner Person durchaus für überzeugend und glaubwürdig
- hält (UA S. 23), keinen entscheidenden Beweiswert beimißt. Vor allem aber hat
- die Strafkammer es versäumt, eine Gesamtwürdigung der in den Urteilsgründen jeweils einzeln und für sich genommen dargestellten und gewürdigten
- Zeugenaussagen vorzunehmen und sich dabei auch mit den festgestellten belastenden Umständen auseinanderzusetzen. Insbesondere zwei Umstände
- hätte die Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung erörtern und bewerten
- müssen, die im Zusammenhang mit den Aussagen der Belastungszeugen für
- eine Tatbeteiligung des Angeklagten sprechen könnten: Die Strafkammer sieht
- es als erwiesen an, daß der Angeklagte zwei bis drei Tage nach der Tat, ent-
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- sprechend einer mit dem Zeugen I.
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- zuvor telefonisch getroffenen Verabre-
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- dung, mit einem unbekannt gebliebenen Bekannten nach H.
- gekommen ist, wo er in der N.
- D.
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- traf und dem I.
-
- straße die Zeugen I.
-
- und
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- einen Betrag von 2.000 DM sowie eine Tageszeitung
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- übergab, in der über den Überfall berichtet wurde (UA S. 9). Dieser Betrag entsprach genau der Hälfte der Tatbeute, auch wenn die Kammer nicht sicher
- feststellen konnte, daß es sich um einen Teil der erbeuteten 4.000 DM handelte. Das Landgericht hat sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, aus
- welchem Grund der verschuldete und von Arbeitslosenhilfe lebende Angeklagte dem ihm flüchtig bekannten Zeugen I. eine für seine Verhältnisse so
- hohe Geldsumme überbracht hat. Ebensowenig geht die Beweiswürdigung der
- Strafkammer auf den Umstand ein, daß der Angeklagte in Begleitung der Zeugin S.
-
- versucht hat, auf den Zeugen D.
-
- Einfluß zu nehmen, "im Rah-
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- men seiner Zeugenaussage in der anstehenden Hauptverhandlung den Zeugen I. als Initiator der Tat darzustellen und insbesondere ihn, den Angeklagten, und die Zeugin S.
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- ´rauszuhalten´" (UA S. 10 f.). Das ausdrücklich fest-
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- gestellte Anliegen des Angeklagten, auch ihn selbst aus der Sache "rauszuhalten", wird durch die Einlassung des Angeklagten, er habe nach der Tat der
- Zeugin S.
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- helfen wollen, nicht erklärt. Es spricht vielmehr dafür, daß der
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- Angeklagte selbst mit der Straftat sehr wohl etwas zu tun hatte.
- Soweit die Kammer meint, aufgrund der Aussagen der Alibizeugen sei
- nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu widerlegen, daß der Angeklagte am
- Nachmittag des Tattages sein Haus nicht verlassen habe, räumt sie bereits
- selbst den Alibizeugen kein allzu großes Gewicht ein, weil der Angeklagte für
- das Treffen am Bahnhof R.
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- nur eine geringe Distanz von ca. 300 m
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- überbrücken mußte und eine etwa halbstündige Abwesenheit von seinem Besuch möglicherweise gar nicht wahrgenommen worden wäre (UA S. 33). Im
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- übrigen ergeben die Urteilsgründe nicht, daß das von den Zeugen I.
- D.
-
- bekundete Treffen am Hauptbahnhof in R.
-
- und
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- nicht nach 18.30 Uhr
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- stattgefunden haben kann. Zu den einzelnen Zeitpunkten ist lediglich festgestellt, daß die Zeugin S.
- in T.
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- I.
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- und D.
-
- am früheren Abend zum N. -
-
- fuhr (UA S. 7) und der eigentliche Überfall um 20.10
-
- Uhr stattfand. Worauf die Annahme beruht, der Angeklagte habe sich gegen
- 18.00 Uhr mit den Tatausführenden am Bahnhof in R.
-
- getroffen (UA
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- S. 29), erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht.
- 3. Die Sache muß deshalb neu verhandelt werden.
- Rissing-van Saan
-
- Otten
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- Fischer
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- RiBGH Rothfuß ist
- wegen Urlaubs an
- der Unterschrift
- gehindert
- Rissing-van Saan
- Roggenbuck
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