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- BUNDESGERICHTSHOF
- IM NAMEN DES VOLKES
- URTEIL
- 2 StR 404/10
- vom
- 20. Oktober 2010
- in der Strafsache
- gegen
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- wegen schwerer Vergewaltigung u. a.
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- Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Oktober
- 2010, an der teilgenommen haben:
- Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
- Prof. Dr. Rissing-van Saan
- und die Richter am Bundesgerichtshof
- Prof. Dr. Fischer,
- Prof. Dr. Schmitt,
- Prof. Dr. Krehl,
- Dr. Eschelbach,
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- Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
- als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
- Rechtsanwältin
- für den Angeklagten
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- als Verteidigerin,
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- Justizangestellte
- als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
- für Recht erkannt:
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- 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
- Landgerichts Darmstadt vom 11. Januar 2010, soweit es den
- Angeklagten M. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben,
- a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist,
- b) im Strafausspruch, insoweit zugunsten des Angeklagten.
- 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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- Von Rechts wegen
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- Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen schwerer Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit Körperverletzung,
- wegen Vergewaltigung in acht Fällen, wegen sexueller Nötigung sowie wegen
- Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Es hat
- dabei eine Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bensheim vom
- 17. November 2008 sowie unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
- Jahren aus einem Urteil des Amtsgerichts Offenbach vom 12. Januar 2009 die
- darin gebildeten Einzelstrafen einbezogen. Außerdem hat es den Angeklagten
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- wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer weiteren Freiheitsstrafe von acht
- Monaten verurteilt. Die Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich mit der
- Sachrüge allein dagegen, dass die Strafkammer die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht geprüft habe. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg. Wegen der hier zu bejahenden inneren
- Abhängigkeit der Sicherungsverwahrung von der Strafzumessung ist es jedoch
- nicht auf die Entscheidung der Maßregelfrage beschränkbar, sondern erfasst
- zugleich zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) den Strafausspruch.
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- 1. Das Landgericht hat folgendes festgestellt:
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- Der Angeklagte M. weist zahlreiche Vorstrafen auf - u. a. wegen Raubes und gefährlicher Körperverletzung - und befand sich zur Tatzeit aufgrund
- einer Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung unter laufender Bewährung. Er kannte die Geschädigte bereits seit Mitte der 80er Jahre flüchtig. Nach
- einem Kneipenbesuch in der Zeit zwischen Mitte und Ende April 2008 ließ sich
- die angeheiterte Geschädigte bei einem zufälligen Zusammentreffen mit dem
- Angeklagten M.
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- auf der Straße dazu überreden, mit ihm und seinem Sohn,
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- dem Mitangeklagten H.
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- , in seiner Wohnung weiter zu trinken. Gegen Mitter-
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- nacht befand sich die Geschädigte aufgrund des Konsums des Alkohols und
- möglicherweise auch aufgrund der unbemerkten Verabreichung eines Medikamentes oder Betäubungsmittels in einem so bewusstseinsgetrübten Zustand,
- dass ihr Erinnerungsvermögen aussetzte. Die Angeklagten M. und H.
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- fass-
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- ten den Entschluss, diesen Zustand dazu auszunutzen, sich die Geschädigte
- sexuell gefügig zu machen. Nachdem sie wieder zu Bewusstsein gekommen
- war, vermittelten sie ihr glaubhaft, dass sie mit beiden Geschlechtsverkehr gehabt habe und sie kompromittierende Fotos gemacht hätten. Der Angeklagte
- M. drohte der stark übergewichtigen, sich ihres Körpers schämenden Geschädigten, die Fotos an Personen in ihrem privaten und beruflichen Umfeld zu
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- versenden, wenn sie ihm und seinem Sohn nicht sexuell zur Verfügung stehen
- sollte. Die Geschädigte sah in der Folgezeit aus Scham und weil sie aufgrund
- ihres Erscheinungsbildes daran zweifelte, dass ihr die Polizei Glauben schenken würde, von einer Strafanzeige ab. In der Zeit von Mai bis September 2008
- zwang der Angeklagte M. die Geschädigte teilweise unter Ausnutzung einer
- schutzlosen Lage, teilweise mit Drohungen, aber auch durch die Anwendung
- von Gewalt in 11 Fällen zu sexuellen Handlungen, die sich regelmäßig über
- Stunden hinzogen. Dabei kam es zu Oral- und Geschlechtsverkehr sowie in
- einzelnen Fällen zu weiteren, das Opfer in ganz besonderem Maße erniedrigenden sexuellen Handlungen. In neun Fällen beteiligte sich der Mitangeklagte
- H.
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- , in einem Fall der Mitangeklagte W. , der mit dem Angeklagten M. be-
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- kannt war, an den sexuellen Übergriffen.
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- Bei der Geschädigten entwickelte sich infolge des Geschehens eine
- posttraumatische Belastungsstörung, die stationärer Behandlung bedurfte. Weil
- sie der Belastung durch die laufende Hauptverhandlung nicht mehr gewachsen
- war, trank sie in Suizidabsicht Alkohol, was zu einer lebensbedrohlichen Blutalkoholkonzentration führte.
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- Darüber hinaus hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte
- M. es am 18. November 2008 unterließ für den
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- D.
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- , der aufgrund des
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- Konsums von Alkohol und Drogen die Besinnung verloren hatte, ärztliche Hilfe
- zu holen, obwohl er erkannt hatte, dass dieser sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befand.
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- D.
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- verstarb im Zeitraum zwischen 18. November
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- 2008, 22.00 Uhr und dem Abend des 19. November 2008 an einer Alkohol- und
- Betäubungsmittel-Mischintoxikation.
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- Die schriftlichen Urteilsgründe enthalten zur Möglichkeit der Anordnung
- der Sicherungsverwahrung keine Ausführungen.
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- 2. Das Urteil hat hinsichtlich der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung keinen Bestand. Das Landgericht hat nicht erkennbar geprüft, ob gegen
- den Angeklagten die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 bzw. § 66 Abs. 3
- StGB angeordnet werden kann. Zwar bestand keine verfahrensrechtliche Pflicht
- zur Erörterung der maßgeblichen Umstände, da die Staatsanwaltschaft - insoweit unverständlicherweise - in der Verhandlung keinen entsprechenden Antrag
- gestellt hat (§ 267 Abs. 6 Satz 1 StPO). Das Schweigen des Urteils zur Sicherungsverwahrung kann jedoch einen sachlich-rechtlichen Mangel darstellen,
- wenn der Tatrichter die Sicherungsverwahrung nicht prüft, obwohl deren formelle Voraussetzungen gegeben sind und die Feststellungen die Annahme nahe
- legen, dass der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die
- Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. BGH NJW 1999, 2606; 3723, 3724). Bei den
- Ermessensentscheidungen nach § 66 Abs. 2 oder § 66 Abs. 3 StGB müssen
- die Urteilsgründe zudem in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren
- Weise erkennen lassen, dass und aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Entscheidungsbefugnis in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat
- (vgl. BGH NJW 1999, 3723, 3724; BGHR StGB § 66 Abs. 2, Ermessensentscheidung 2, fehlende Erörterung).
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- Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Nach den von der Jugendkammer getroffenen Feststellungen liegen die
- formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und Abs. 3 StGB vor. Der Angeklagte M. wurde in dem angefochtenen Urteil wegen 11 Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB zu
- Einzelstrafen zwischen zwei und neun Jahren verurteilt. Die Einzelstrafen betrugen in zehn Fällen mehr als drei Jahre (§ 66 Abs. 3 Satz 2, 66 Abs. 2 StGB).
- Die Umstände des Falles legten auch die Prüfung der Frage nahe, ob der Angeklagte M. infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Dies ergibt sich aus dem jeweils
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- festgestellten Tatbild, den zahlreichen Vorstrafen des Angeklagten, vor allem
- wegen Gewaltdelikten, sowie dem Umstand, dass er sich zu den Tatzeiten unter laufender Bewährung wegen einer Straftat gemäß § 224 StGB befand. Das
- Landgericht hatte deshalb unbeschadet eines insoweit fehlenden Antrags der
- Staatsanwaltschaft sachlichen Anlass, sich mit der Frage der Anordnung der
- Sicherungsverwahrung zu befassen und seine dahin gehenden Überlegungen
- in den Urteilsgründen zu dokumentieren.
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- 3. Der Rechtsfehler führt, insoweit zugunsten des Angeklagten (§ 301
- StPO), zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat kann trotz insoweit an
- sich rechtsfehlerfreier Strafzumessungserwägungen nicht ausschließen, dass
- die den Strafrahmen ausschöpfende Gesamtstrafe von 15 Jahren und die sie
- bildenden Einzelstrafen sowie die Freiheitsstrafe von acht Monaten wegen unterlassener Hilfeleistung niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht
- zugleich auf Sicherungsverwahrung erkannt hätte.
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- Rissing-van Saan
- Krehl
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- Fischer
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- Schmitt
- Eschelbach
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