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17 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZR 89/99
  4. in dem Rechtsstreit
  5. Verkündet am:
  6. 26. September 2001
  7. Küpferle,
  8. Justizamtsinspektorin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. Nachschlagewerk: ja
  12. BGHZ:
  13. nein
  14. EuGVÜ Art. 5 Nr. 2
  15. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft wird die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob sich die öffentliche Hand auf den Gerichtsstand der Unterhaltssachen des Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ berufen kann, wenn sie gesetzlich auf sie übergegangene Unterhaltsansprüche im Wege des Regresses gegen den Unterhaltspflichtigen geltend macht.
  16. BGH, Beschluß vom 26. September 2001 - XII ZR 89/99 - OLG München
  17. AG München
  18. -2-
  19. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. September 2001 durch
  20. den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die Richter Sprick, WeberMonecke, Fuchs und Dr. Ahlt
  21. beschlossen:
  22. I. Die Entscheidung über die Revision des Klägers wird ausgesetzt.
  23. II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird gemäß Art. 3 des Protokolls vom 3. Juni 1971 betreffend die
  24. Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968
  25. über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch
  26. den Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
  27. Kann ein Kläger, dessen Behörden einem Auszubildenden
  28. nach öffentlichem Recht für eine bestimmte Zeit Ausbildungsförderung bezahlt haben, sich auf die besondere Zuständigkeitsregel
  29. des
  30. Art. 5
  31. Nr. 2
  32. des
  33. Übereinkommens
  34. vom
  35. 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die
  36. Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 26. Mai
  37. 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik berufen, wenn er aus gesetzlich übergegangenem Recht den bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch des Auszubildenden gegen dessen Eltern für die Zeit
  38. -3-
  39. der Zahlung der Ausbildungsförderung als Regreß geltend
  40. macht?
  41. Gründe:
  42. I.
  43. Sachverhalt
  44. Der Kläger macht gegen den Beklagten aus übergegangenem Recht
  45. Unterhaltsansprüche für die am 6. Juni 1975 geborene Julia B.
  46. im
  47. Wege des Regresses geltend.
  48. Der Beklagte ist Niederländer und wohnt in E.
  49. /Niederlande. Er
  50. war mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet und hat durch
  51. Vertrag vom 8. Juli 1976 zusammen mit seiner Ehefrau das Kind Julia adoptiert. Das Bezirksgericht L. /Österreich bewilligte die Kindesannahme durch
  52. gerichtlichen Spruch vom 30. Juli 1976.
  53. Julia B.
  54. begann im Schuljahr 1993/1994 eine Ausbildung als
  55. pharmazeutisch-technische Assistentin an einer privaten Lehranstalt in M. . Der Kläger gewährte ihr über das Landratsamt M.
  56. ab September
  57. 1993 Vorausleistungen zur Ausbildungsförderung.
  58. Wegen dieser Zahlungen machte der Kläger für die Zeit vom 1. September 1993 bis 28. Februar 1994 gegen den Beklagten vor dem Amtsgericht M. einen Regreßanspruch in Höhe von insgesamt 1.980 DM zuzüglich Zinsen
  59. geltend. Dieser Rechtsstreit endete mit der rechtskräftigen Verurteilung des
  60. Beklagten.
  61. -4-
  62. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es um die Zeit vom 1. November 1994
  63. bis 31. Juli 1995 und vom 1. September 1995 bis 31. Juli 1996. In diesem Zeitraum hat Julia B.
  64. vom Landratsamt M.
  65. monatliche Förderlei-
  66. stungen in einer Gesamthöhe von 6.795 DM erhalten. Der Kläger macht geltend, der Unterhaltsanspruch der Auszubildenden gegen den Beklagten sei
  67. nach § 37 Abs. 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) auf ihn übergegangen, weshalb der Beklagte ihm die verauslagten Beträge zu ersetzen
  68. habe. Der Beklagte rügt vorweg die internationale Zuständigkeit der deutschen
  69. Gerichte. Darüber hinaus macht er geltend, Julia B.
  70. nicht zum Unterhalt
  71. verpflichtet zu sein. Denn die 1976 erfolgte Adoption sei nach niederländischem Recht ungültig. Außerdem könne er schon deswegen keinen Unterhalt
  72. leisten, weil er nur das Existenzminimum verdiene. Auch sei er nie gemahnt
  73. worden, den geltend gemachten Unterhalt zu bezahlen. Das Amtsgericht verurteilte den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 6.765 DM zuzüglich der
  74. geltend gemachten Zinsen in Höhe von 6 %.
  75. Auf die Berufung des Beklagten änderte das Oberlandesgericht [M. ] das Urteil des Amtsgerichts ab und wies die Klage als unzulässig ab.
  76. Denn der Beklagte könne nach Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ nur an seinem Wohnsitzgericht verklagt werden. Die Vorschrift des Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ sei nicht anwendbar, da sie auf die Begünstigung des typischerweise sozial schwächeren
  77. Unterhaltsberechtigten zugeschnitten sei. Diese Voraussetzungen lägen aber
  78. beim Kläger nicht vor.
  79. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die
  80. Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erstrebt. Der Unterhaltsberechtigte bedürfe auch dann des Schutzes des Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ, wenn er
  81. nicht Partei des Rechtsstreits sei, sondern der Unterhaltsanspruch von einem
  82. -5-
  83. öffentlichen Leistungsträger im Wege des Regresses geltend gemacht werde.
  84. Außerdem sei das Gericht am Wohnsitz des Unterhaltsberechtigten auch in
  85. diesen Fällen am besten in der Lage, den Unterhaltsbedarf festzustellen. Unterhaltsregreßansprüche
  86. unterfielen
  87. unabhängig
  88. von
  89. ihrer
  90. Rechtsnatur
  91. - selbständig oder abgeleitet - dem EuGVÜ. Folgerichtig müßte dann auch
  92. Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ angewendet werden. Auch das zum EuGVÜ geschlossene
  93. Rechtshilfeabkommen vom 6. November 1990 setze die Anwendung dieser
  94. Vorschrift voraus.
  95. II.
  96. Zum geltend gemachten Anspruch
  97. Nach § 1602 BGB, sind Eltern ihren Kindern zum Unterhalt verpflichtet.
  98. Dieser umfaßt nach § 1610 Abs. 2 BGB den ganzen Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf. Nach dem
  99. Bundesausbildungsförderungsgesetz hat ein Auszubildender gegen den zuständigen öffentlichen Leistungsträger Anspruch auf Ausbildungsförderung,
  100. wenn die ihm für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen
  101. Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Bei der Berechnung der Höhe
  102. der Ausbildungsförderung werden die Unterhaltspflichten der Eltern eines Auszubildenden berücksichtigt. Macht ein Auszubildender glaubhaft, daß die Eltern
  103. ihren Unterhaltsbeitrag nicht leisten und ist die Ausbildung gefährdet, so wird
  104. ihm auf Antrag nach § 36 Abs. I Satz 1 BAföG nach Anhörung der Eltern Ausbildungsförderung ohne Anrechnung des an sich von den Eltern zu leistenden
  105. Unterhaltsbeitrags gewährt. Zu dem dann in Betracht kommenden Übergang
  106. -6-
  107. seines Unterhaltsanspruches bestimmt § 37 Abs. 1 BAföG in der für den maßgebenden Zeitraum gültigen Fassung:
  108. (1) Hat der Auszubildende für die Zeit, für die ihm Ausbildungsförderung
  109. gezahlt wird, nach bürgerlichem Recht einen Unterhaltsanspruch
  110. gegen seine Eltern, so geht dieser ... mit der Zahlung bis zur Höhe
  111. der geleisteten Aufwendungen auf das Land über, jedoch nur soweit
  112. auf den Bedarf des Auszubildenden das Einkommen und Vermögen
  113. der Eltern nach diesem Gesetz anzurechnen ist ... .
  114. III.
  115. Zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof
  116. Die Frage, ob sich der Kläger auf Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ berufen kann, ist
  117. entscheidungserheblich. Nur wenn diese Vorschrift eingreifen sollte, wären die
  118. deutschen Gerichte international zuständig und die Revision begründet. Ansonsten wäre sie als unbegründet zurückzuweisen.
  119. Das EuGVÜ in der Fassung des Beitrittsübereinkommens von 1989 ist
  120. nach seinem Art. 1 Abs. 1, Satz 1 anwendbar.
  121. Zwar haben die Behörden des Klägers Julia B.
  122. Ausbildungsför-
  123. derung nach sozialrechtlichen Vorschriften gewährt. Macht jedoch ein Leistungsträger, wie hier, im Wege des Regresses den auf ihn übergegangenen
  124. bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch gegen den Unterhaltsverpflichteten
  125. geltend, so liegt zweifellos und, soweit ersichtlich, nach allgemeiner Meinung
  126. eine Zivil- und Handelssache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 EuGVÜ vor, so daß
  127. -7-
  128. der sachliche Anwendungsbereich des Übereinkommens eröffnet ist (vgl.
  129. Schlosser-Bericht,
  130. Amtsblatt
  131. der
  132. Europäischen
  133. Gemeinschaften
  134. 1979,
  135. Nr. C/71, Rdn. 97; Bülow/Böckstiegel/Auer, Internationaler Rechtsverkehr in
  136. Zivil- und Handelssachen, Art. 1 EuGVÜ, Rdn. 21; Zöller-Geimer, ZPO,
  137. 22. Aufl., Art. 1 EuGVÜ, Rdn. 15).
  138. Nach der Grundregel des Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ, auf der die Zuständigkeitsregelung des Abkommens beruht, wäre daher der Beklagte in den Niederlanden zu verklagen, da er dort seinen Wohnsitz hat. Etwas anderes gilt
  139. nur, wenn eine Vorschrift des Titels II des EuGVÜ anwendbar ist, die die Zuständigkeit ausdrücklich anders regelt (vgl. EuGH, Urteil vom 13.7.2000, Rs. C412/98, Group Josi, Slg. 2000, I-5925, Rdn. 34 ff.).
  140. Eine von Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ abweichende Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich vorliegend jedenfalls nicht aus Art. 18 EuGVÜ. Denn
  141. der Beklagte hat sich zwar auf das Verfahren vor den deutschen Gerichten
  142. eingelassen. Er hat jedoch vorweg deren internationale Zuständigkeit gerügt.
  143. Damit aber ist die in Art. 18 Satz 1 EuGVÜ enthaltene Zuständigkeitsregel nicht
  144. anwendbar, ohne daß es auf die hilfsweise Einlassung des Beklagten zur Sache ankommt (vgl. EuGH, Urteil vom 24.6.1981, Rs. 150/80, Elefanten Schuh,
  145. Slg. 1981, 1671, Rdn. 14).
  146. Zweifelhaft ist jedoch, ob Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ zur Anwendung kommt, der
  147. ebenfalls eine von Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ abweichende Zuständigkeitsregel enthält.
  148. Die genannte Sondervorschrift wäre dann anwendbar, wenn Julia B. ein ihren Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten selbst geltend machte. Für die Zuständigkeit würde es dann auch keine Rolle spielen, daß der Be-
  149. -8-
  150. klagte die Wirksamkeit der Adoption bestreitet und die Unterhaltsberechtigung
  151. Julias für den streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach nicht festgestellt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 20.3.1997, Rs. C-295/95, Farrell, Slg. 1997, I1683, Rdn. 22 ff.).
  152. Ungeklärt und streitig ist jedoch, ob eine öffentlich-rechtliche Einrichtung
  153. sich gleichfalls auf Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ berufen kann, wenn sie aus übergegangenem Recht die Unterhaltsansprüche des Berechtigten gegen den Verpflichteten geltend macht.
  154. Dies wird einerseits mit dem Argument verneint, daß in diesen Fällen der
  155. Schutzzweck des Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ, dem Unterhaltsberechtigten als der generell schwächeren Partei die Verfolgung seiner Ansprüche zu erleichtern,
  156. nicht erfüllt sei (Schlosser-Bericht, aaO; MünchKomm-ZPO/Gottwald, 2. Aufl.,
  157. Art. 5 EuGVÜ, Rdn. 32; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht,
  158. Art. 5 EuGVÜ, Rdn. 111). Darüber hinaus wird auf das Urteil des Europäischen
  159. Gerichtshofs vom 19.1.1993 in der Rechtssache C-89/91, Shearson Lehman
  160. Hutton, Slg. 1993, I-139, verwiesen, wonach ein Kläger, der aus abgetretenem
  161. Recht die Forderung eines Verbrauchers einklagt, sich nicht auf die besondere
  162. Zuständigkeitsregeln der Art. 13, 14 EuGVÜ für Verbraucher berufen kann.
  163. Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ sei entsprechend auszulegen (Schlosser, EuGVÜ, Art. 5,
  164. Rdn. 13; Kropholler, EuGVÜ, 6. Aufl., Art. 5 Rdn. 48). Andererseits wird die
  165. Anwendung der Vorschrift unter Hinweis auf ihren Wortlaut und darauf bejaht,
  166. daß sich durch den Rechtsübergang die Rechtsnatur des Anspruchs nicht ändere (vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Art. 5 EuGVÜ, Rdn. 7; Kaye, Civil Jurisdiction and Enforcement of Foreign Judgments, 542; Hartley, Civil Jurisdiction and Judgments, 50 N.32). Weiter wird auf das Übereinkommen zwischen
  167. den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vereinfa-
  168. -9-
  169. chung der Verfahren zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen vom
  170. 6. November 1990 (im folgenden "Übereinkommen 1990") hingewiesen, das in
  171. seinem Art. 5 Abs. 1 die Anwendbarkeit des Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ für Regreßansprüche öffentlicher Einrichtungen voraussetze (vgl. Brückner, Unterhaltsregreß im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 154 ff., 180 ff.).
  172. Der Senat neigt der letztgenannten Ansicht zu.
  173. Allerdings dürfte sich eine solche Auslegung des Art. 5 Nr. 2 des EuGVÜ
  174. schwerlich aus dem nicht in Kraft getretenen Übereinkommen 1990 ergeben,
  175. auch wenn dessen Art. 5 Abs. 1 für öffentliche Einrichtungen nur dann praktische Bedeutung hätte, wenn sie sich bei Klageerhebung auf Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ berufen könnten. Denn daraus kann nicht geschlossen werden, daß die
  176. Verfasser des EuGVÜ Art. 5 Abs. 2 auch auf Regreßansprüche der öffentlichen
  177. Hand angewandt wissen wollten. Deren Wille ergibt sich vielmehr aus dem
  178. Schlosser-Bericht, der die Anwendung des Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ für öffentliche
  179. Einrichtungen verneint (vgl. Schlosser-Bericht, aaO).
  180. Ebensowenig ist dem Beklagten nach Übergang des Unterhaltsanspruchs auf die öffentliche Hand der in der Grundregel des Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ verankerte Schutz, grundsätzlich nur vor den Gerichten seines Wohnsitzstaates verklagt werden zu können, allein mit der praktischen Erwägung zu
  181. versagen, die Gerichte am Wohnsitz des Unterhaltsberechtigten seien am besten in der Lage, dessen Unterhaltsbedarf festzustellen.
  182. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bei der
  183. Auslegung des EuGVÜ vielmehr in erster Linie seine Systematik und Zielsetzung zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Urteil Shearson Lehman Hutton, aaO,
  184. Rdn. 13).
  185. - 10 -
  186. Deshalb kann Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ als Ausnahme vom allgemeinen
  187. Grundsatz des Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ zwar nicht erweiternd ausgelegt werden.
  188. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn sich auch öffentliche Einrichtungen zur
  189. Geltendmachung ihrer Regreßforderungen auf Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ berufen
  190. können. Denn diese Vorschrift spricht allgemein von Klagen in Unterhaltssachen und fordert ihrem Wortlaut nach nicht, daß der Unterhaltsberechtigte
  191. selbst Kläger sein muß. Die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs durch
  192. einen Dritten, auf den der Anspruch übergegangen ist, ist ohne weiteres autonom als Unterhaltssache zu qualifizieren.
  193. Weiter ist zu berücksichtigen, daß die Sonderregel des Art. 5 Nr. 2
  194. EuGVÜ den Schutzzweck verfolgt, dem Unterhaltsberechtigten als der generell
  195. schwächeren Partei die Prozeßführung zu erleichtern (vgl. EuGH, Urteile Farrell, aaO, Rdn. 19 und Group Josi, aaO, Rdn. 38 f.). Der gesetzliche Übergang
  196. der Unterhaltsforderungen des Berechtigten auf öffentliche Einrichtungen oder
  197. Verwandte (§ 1607 BGB), die anstelle des in erster Linie verpflichteten Schuldners Zahlungen leisten, dient dazu, die Bereitschaft der Leistenden zu fördern,
  198. den Unterhalt vorzuschießen. Wenn diese aber infolge des Forderungsübergangs die Möglichkeit verlören, ihre Regreßansprüche am Wohnsitz des Unterhaltsberechtigten geltend zu machen, minderte dies, zum Nachteil des Unterhaltsberechtigten, ihre Bereitschaft, solche Vorschüsse zu erbringen. Unter
  199. diesem Gesichtspunkt dient es auch dem Schutz des Unterhaltsberechtigten,
  200. wenn Regreßansprüche öffentlicher Einrichtungen unter Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ
  201. fallen, auch wenn diese Einrichtungen selbst des Schutzes des Art. 5 Nr. 2
  202. EuGVÜ offensichtlich nicht bedürfen. Außerdem verfolgt der Mechanismus,
  203. wonach die öffentliche Hand für den säumigen Unterhaltsschuldner den Unterhalt zahlt und der Anspruch des Berechtigten insoweit auf sie übergeht, allgemein das Ziel, den Unterhaltsberechtigten, beziehungsweise seinen gesetzli-
  204. - 11 -
  205. chen Vertreter von der Prozeßführung zu entlasten und die Durchsetzung des
  206. Unterhalts im Interesse des Berechtigten sicherzustellen. Wenn die öffentliche
  207. Hand ihre Regreßklage dann gegebenenfalls aber im Ausland erheben müßte,
  208. könnte dies dazu führen, daß sie ihren Anspruch deswegen auf den Berechtigten zurücküberträgt und diesen zur Klageerhebung drängt. Damit aber entfiele der mit dem genannten Mechanismus verbundene Schutzzweck, was dem
  209. Grundgedanken des Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ widerspräche, dem Unterhaltsberechtigten die Durchsetzung seiner Ansprüche zu erleichtern.
  210. Nach Ansicht des Senats folgt aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Shearson Lehman Hutton, nicht zwingend, daß
  211. Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ im Regreßprozeß der öffentlichen Hand nicht angewandt
  212. werden kann. Vielmehr schützen Art. 13 und 14 EuGVÜ, wie sich insbesondere
  213. aus dem Wortlaut des Art. 14 ("Die Klage des Verbrauchers ... die Klage gegen
  214. den Verbraucher") ergibt, den Verbraucher nur, soweit er persönlich Kläger
  215. oder Beklagter in einem Rechtsstreit ist (vgl. EuGH, aaO, Rdn. 23). Gerade aus
  216. der anders lautenden Formulierung in Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ, die allgemein auf
  217. Unterhaltssachen Bezug nimmt, kann geschlossen werden, daß das EuGVÜ
  218. den Unterhaltsberechtigten hingegen auch dann schützen und die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen auch dann erleichtern will, wenn der Unterhaltsberechtigte den Anspruch nicht selbst einklagt.
  219. Insgesamt gesehen läßt sich die richtige Auslegung des Art. 5 Nr. 2
  220. EuGVÜ nicht aus der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs klar ableiten. Vielmehr bleiben bei der Auslegung der Vorschrift vernünftige Zweifel. Der Senat legt daher dem Europäischen Gerichtshof die im Tenor
  221. formulierte Auslegungsfrage zur Vorabentscheidung vor.
  222. Blumenröhr
  223. Sprick
  224. Weber-Monecke
  225. - 12 -
  226. Fuchs
  227. Ahlt