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416 lines
25 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XII ZR 166/04
  5. Verkündet am:
  6. 17. Januar 2007
  7. Küpferle,
  8. Justizamtsinspektorin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in der Familiensache
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. ja
  17. BGB § 1612 b Abs. 5
  18. a) § 1612 b Abs. 5 BGB ist auf privilegierte volljährige Kinder (§ 1603 Abs. 2
  19. Satz 2 BGB) weder direkt noch entsprechend anwendbar.
  20. b) Die mit dieser Bestimmung bezweckte Sicherung des Existenzminimums ist
  21. für volljährige Kinder durch eine entsprechende Bemessung des nach der
  22. ersten Einkommensgruppe in der 4. Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle zu
  23. zahlenden Unterhalts sicherzustellen.
  24. BGH, Urteil vom 17. Januar 2007 - XII ZR 166/04 - OLG Nürnberg
  25. AG Nürnberg
  26. -2-
  27. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  28. vom 17. Januar 2007 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter
  29. Sprick, Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz und Dose
  30. für Recht erkannt:
  31. Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats und Senats für
  32. Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 29. Juli
  33. 2004 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
  34. Von Rechts wegen
  35. Tatbestand:
  36. 1
  37. Die Parteien streiten um rückständigen und laufenden Kindesunterhalt
  38. für die Zeit ab Oktober 2003.
  39. 2
  40. Der am 9. September 1985 geborene Kläger ist der eheliche Sohn des
  41. Beklagten; seine Eltern leben getrennt. Der Kläger ist Schüler, erzielt kein eigenes Einkommen und lebt - wie seine am 15. September 1988 geborene
  42. Schwester - im Haushalt seiner Mutter.
  43. 3
  44. Der Beklagte erzielt ein bereinigtes Nettoeinkommen in Höhe von monatlich 1.487 €, die Mutter des Klägers ein solches in Höhe von 1.177,81 €. Die
  45. Parteien gehen davon aus, dass der Beklagte dem Kläger Kindesunterhalt nach
  46. der 4. Altersstufe der 2. Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle schuldet.
  47. Entsprechend hat sich der Kläger in einer Jugendamtsurkunde zur Zahlung die-
  48. -3-
  49. ses Unterhalts, abzüglich des hälftigen Kindergeldes (350 € - 77 € = 273 €),
  50. verpflichtet. Seit Oktober 2003 zahlt er an den Kläger entsprechenden Unterhalt
  51. in Höhe von monatlich 273 €.
  52. 4
  53. Das Amtsgericht hat die Klage auf weiteren Unterhalt in Höhe des abgesetzten hälftigen Kindergeldes von monatlich 77 € für die Zeit ab Oktober 2003
  54. abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision begehrt der
  55. Kläger weiterhin zusätzlichen Unterhalt in dieser Höhe.
  56. Entscheidungsgründe:
  57. 5
  58. Die Revision ist nicht begründet.
  59. I.
  60. 6
  61. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Beklagte dem
  62. Kläger lediglich Kindesunterhalt abzüglich hälftigen Kindergeldes schulde. Eine
  63. (anteilige) Verrechnung des Kindergeldes nach § 1612 b Abs. 5 BGB scheide
  64. aus, weil diese Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht auf privilegierte
  65. volljährige Kinder im Sinne des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB anwendbar sei. Das
  66. ergebe sich schon daraus, dass § 1612 b Abs. 5 BGB sich an einem Vomhundertsatz nach der Regelbetrag-Verordnung orientiere. Diese gelte nach
  67. § 1612 a Abs. 1 und 3 BGB allerdings ausschließlich für minderjährige Kinder.
  68. An dieser eindeutigen gesetzlichen Regelung ändere sich auch nichts dadurch,
  69. -4-
  70. dass die Düsseldorfer Tabelle neben den in § 1612 a Abs. 3 BGB geregelten
  71. drei Altersstufen eine vierte Altersstufe für die Zeit ab dem 18. Lebensjahr vorsehe.
  72. 7
  73. Soweit dies zur Folge habe, dass das im Haushalt der Eltern lebende
  74. Kind in den ersten fünf Einkommensstufen der Düsseldorfer Tabelle mit der
  75. Vollendung seines 18. Lebensjahres weniger Unterhalt erhalte als zuvor, ergebe sich daraus keine Rechtfertigung, von dem insoweit klaren und eindeutigen
  76. Wortlaut des Gesetzes abzuweichen. Soweit dem entgegengehalten werde,
  77. dass der Gesetzgeber eine solche Beschränkung des § 1612 b Abs. 5 BGB
  78. nicht beabsichtigt habe, überzeuge dies ebenfalls nicht. Aus § 1603 Abs. 2
  79. Satz 2 BGB könne kein umfassendes gesetzliches Gleichstellungsgebot für privilegierte volljährige Kinder entnommen werden. Denn der Gesetzgeber habe
  80. damit gerade keine generelle Bestimmung geschaffen, wonach volljährige Kinder unter bestimmten Voraussetzungen minderjährigen Kindern stets gleichzustellen seien. Die Gleichstellung sei nach dem Gesetz vielmehr nur für die gesteigerte Erwerbsobliegenheit (§ 1603 Abs. 2 BGB) und für den Rang des Unterhaltsberechtigten (§ 1609 Abs. 1 BGB) angeordnet. Eine analoge Anwendung des § 1612 b Abs. 5 BGB auf privilegierte volljährige Kinder scheide deswegen aus.
  81. II.
  82. 8
  83. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revision
  84. im Ergebnis stand.
  85. -5-
  86. 9
  87. 1. Der Unterhaltsanspruch des Klägers gegen den Beklagten ist zur Höhe jedenfalls auf den sich aus der 4. Altersstufe der 2. Einkommensgruppe der
  88. Düsseldorfer Tabelle ergebenden Betrag begrenzt.
  89. 10
  90. a) Mit dem Eintritt der Volljährigkeit endet die elterliche Sorge im Rechtssinne und als Teil hiervon die - insbesondere die Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes umfassende - Personensorge (§§ 1626, 1631 BGB). Zugleich
  91. tritt an die Stelle des entfallenen Betreuungsbedarfs ein erhöhter Barunterhaltsbedarf. Damit entfällt nach dem Gesetz die Grundlage für eine Berücksichtigung
  92. des Betreuungsunterhalts und zugleich für eine Gleichbewertung von Betreuungs- und Barunterhalt (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB) ohne Rücksicht darauf, ob
  93. im Einzelfall etwa ein volljähriges Kind weiter im Haushalt eines Elternteils lebt
  94. und von diesem noch gewisse Betreuungsleistungen erhält. Vom Eintritt der
  95. Volljährigkeit an besteht nach dem Gesetz kein rechtfertigender Grund, weiterhin nur den bisher allein barunterhaltspflichtigen Elternteil mit dem nunmehr
  96. insgesamt in Form einer Geldrente zu entrichtenden Unterhalt zu belasten,
  97. wenn auch der andere Elternteil über Einkünfte verfügt, die ihm die Zahlung von
  98. Unterhalt ermöglichen. Zugleich bestimmt sich damit die Lebensstellung des
  99. unterhaltsberechtigten Kindes, also sein angemessener Unterhaltsbedarf, nicht
  100. mehr allein nach dem Einkommen des früher allein barunterhaltspflichtigen Elternteils, sondern nach den zusammengerechneten Einkünften beider Eltern,
  101. die anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen für den Unterhalt
  102. aufzukommen haben (Senatsurteil vom 26. Oktober 2005 - XII ZR 34/03 FamRZ 2006, 99, 100 m.w.N. = BGHZ 164, 375, 378). Diesen Anspruch des
  103. volljährigen Klägers auf Barunterhalt hat das Berufungsgericht nicht ermittelt, da
  104. es das Einkommen der Mutter unberücksichtigt gelassen hat.
  105. 11
  106. b) Das Berufungsgericht hat die Unterhaltspflicht des Beklagten für die
  107. hier relevante Zeit ab Oktober 2003 (Volljährigkeit des Klägers) aber im Ergeb-
  108. -6-
  109. nis zu Recht auf höchstens 350 € monatlich begrenzt. Denn nach ständiger
  110. Rechtsprechung des Senats schuldet ein seinem volljährigen Kind unterhaltspflichtiger Elternteil trotz eines auf der Grundlage des Einkommens beider Eltern gegebenenfalls höheren Unterhaltsbedarfs höchstens den Unterhalt, der
  111. sich allein auf der Grundlage seines Einkommens aus der 4. Altersstufe der
  112. Düsseldorfer Tabelle ergibt (Senatsurteil vom 26. Oktober 2005 - XII ZR 34/03 FamRZ 2006, 99, 100 = BGHZ 164, 375, 378; vgl. dazu auch Ziff. 13.1.1 der
  113. unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte). Entsprechend sind sich
  114. die Parteien darüber einig, dass der Beklagte auf der Grundlage seines Einkommens lediglich Unterhalt nach der 2. Einkommensgruppe der 4. Altersstufe,
  115. also in Höhe von monatlich 350 €, schuldet.
  116. 12
  117. 2. Soweit das Oberlandesgericht nur das hälftige Kindergeld auf den Unterhaltsanspruch des Klägers gegen den Beklagten angerechnet hat, lässt auch
  118. dies keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers erkennen.
  119. 13
  120. Das staatliche Kindergeld nach den Vorschriften des BKGG und den
  121. §§ 62 ff. EStG dient dem allgemeinen Familienleistungsausgleich. Es ist eine
  122. öffentliche Sozialleistung, die den Eltern gewährt wird, um ihnen die Unterhaltslast gegenüber den Kindern zu erleichtern. Nach dem Grundgedanken der gleichen Beteiligung beider Eltern an der Unterhaltspflicht gegenüber ihren Kindern
  123. steht grundsätzlich auch das Kindergeld beiden Eltern anteilig zu. Lediglich aus
  124. Gründen der Verwaltungsvereinfachung wird das Kindergeld gemäß § 64
  125. Abs. 1 EStG nur an einen Berechtigten ausgezahlt. Der interne Ausgleich unter
  126. den Eltern erfolgt im Rahmen des Kindesunterhalts oder, sofern ein solcher
  127. nicht geschuldet ist, mittels eines familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs (Senatsurteil vom 26. Oktober 2005 - XII ZR 34/03 - FamRZ 2006, 99, 100, 101 =
  128. BGHZ 164, 375, 382).
  129. -7-
  130. 14
  131. Da mit dem Kindergeld die Unterhaltslast im Ganzen, also die Unterhaltslast aller Unterhaltspflichtigen erleichtert werden soll, muss das Kindergeld
  132. dann, wenn mehrere Personen zu Unterhaltsleistungen verpflichtet sind, unterhaltsrechtlich allen Unterhaltspflichtigen zugute kommen, ohne Rücksicht darauf, wer öffentlich-rechtlich als Empfangsberechtigter bestimmt ist und wem das
  133. Kindergeld ausbezahlt wird. Wegen der grundsätzlichen Gleichwertigkeit des
  134. Bar- und Betreuungsunterhalts (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB) führt dies beim Unterhaltsanspruch minderjähriger Kinder regelmäßig zur hälftigen Aufteilung des
  135. Kindergeldes auf die Eltern. Ist hingegen nur ein Elternteil einem volljährigen
  136. Kind (bar-)unterhaltspflichtig, widerspräche es dem Zweck des Kindergeldes als
  137. einer Erleichterung der Unterhaltslast im Ganzen, wenn das Kindergeld ihm
  138. - jedenfalls bis zur Höhe seiner Unterhaltsleistung - nicht allein zugerechnet
  139. würde. Auch wenn die Eltern ihren volljährigen Kindern unterschiedliche Anteile
  140. auf den Barunterhalt schulden, kommt eine Aufteilung des Kindergeldes nur im
  141. Verhältnis des anteilig geschuldeten Barunterhalts in Betracht. Um den unterschiedlichen Beiträgen der Eltern zum Barunterhaltsbedarf des volljährigen Kindes gerecht zu werden, ist das Kindergeld deswegen vorab bedarfsdeckend auf
  142. den gesamten (Bar-)Unterhaltsbedarf anzurechnen. Das führt dazu, dass beide
  143. Elternteile entsprechend der jeweils geschuldeten Quote vom Barunterhalt entlastet werden (Senatsurteil vom 26. Oktober 2005 - XII ZR 34/03 - FamRZ
  144. 2006, 99, 101 f. m.w.N. = BGHZ 164, 375, 383; vgl. auch den Entwurf eines
  145. Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 15. Juni 2006 BT-Drucks.
  146. 16/1830 S. 9, 28 ff.). Dabei macht es auch keinen Unterschied, ob ein volljähriges unverheiratetes Kind bis zum 21. Lebensjahr noch eine allgemeine Schulausbildung absolviert und deswegen nach § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB privilegiert
  147. ist, oder ob ein volljähriges unterhaltsberechtigtes Kind während der Ausbildung
  148. eine eigene Wohnung unterhält. Denn in beiden Fällen soll das Kindergeld nur
  149. den (bar-)unterhaltspflichtigen Elternteil entlasten.
  150. -8-
  151. 15
  152. Im Rahmen der Bedürftigkeit des Klägers hätte das Berufungsgericht
  153. deswegen von einem nach dem Einkommen beider Eltern ermittelten Unterhaltsbedarf des Klägers das volle Kindergeld absetzen müssen. Für den
  154. verbleibenden Unterhaltsbedarf haften dann beide Eltern entsprechend ihrer
  155. Einkommens- und Vermögensverhältnisse nach Abzug des (hier: notwendigen)
  156. Selbstbehalts (Senatsurteil vom 13. April 1988 - IVb ZR 49/87 - FamRZ 1988,
  157. 1039, 1041; Wendl/Scholz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 6. Aufl. § 2 Rdn. 440 ff., 447).
  158. 16
  159. 3. Selbst im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung des Einkommens der Mutter des Klägers würde der Beklagte dem Kläger
  160. somit jedenfalls keinen höheren Barunterhalt schulden, als sich allein aus seinem Einkommen nach der Altersstufe 4 der Düsseldorfer Tabelle ergibt. Das
  161. wäre ein Unterhalt nach der 2. Einkommensgruppe, der sich für die hier relevante Zeit ab Oktober 2003 auf monatlich 350 € belief. Weil die Unterhaltslast
  162. des Beklagten wegen seiner höheren Einkünfte jedenfalls diejenige der Mutter
  163. des Klägers übersteigt, wirkt sich die anteilige Entlastung durch das Kindergeld
  164. mindestens hälftig zugunsten des Beklagten aus. Der monatliche Unterhaltsanspruch des Klägers gegen den Beklagten übersteigt deswegen - vorbehaltlich
  165. einer Anrechnung des Kindergeldes dem Grunde nach - die anerkannten und
  166. gezahlten 273 € (350 € - 77 €) jedenfalls nicht. Der Kläger ist durch die rechtsfehlerhafte Unterhaltsberechnung des Oberlandesgerichts deswegen jedenfalls
  167. nicht beschwert.
  168. 17
  169. 4. Schließlich ist das Berufungsgericht allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass das Kindergeld ungekürzt auf den Unterhaltsbedarf des Klägers
  170. anzurechnen ist. Dem steht § 1612 b Abs. 5 BGB nicht entgegen.
  171. -9-
  172. 18
  173. a) Zwar unterbleibt nach § 1612 b Abs. 5 BGB eine Anrechnung des Kindergeldes, wenn das Existenzminimum des Kindes gefährdet ist. Die Vorschrift
  174. schrieb in der von Juli 1998 bis Dezember 2000 geltenden Fassung vor, Kindergeld nicht anzurechnen, soweit der Unterhaltspflichtige außerstande war,
  175. Kindesunterhalt in Höhe des Regelbetrags nach der Regelbetrag-Verordnung
  176. zu zahlen. Durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur
  177. Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2. November 2000 (BGBl. I 1479)
  178. hat der Gesetzgeber diese Vorschrift mit Wirkung zum 1. Januar 2001 dahin
  179. geändert, dass Kindergeld schon insoweit nicht auf den geschuldeten Kindesunterhalt angerechnet wird, als der Unterhaltsschuldner nicht in der Lage ist,
  180. 135 % des Regelbetrags (abzüglich des hälftigen Kindergeldes, vgl. Wendl/
  181. Scholz aaO § 2 Rdn. 509) zu leisten. Das dem barunterhaltspflichtigen Elternteil
  182. zustehende hälftige Kindergeld ist somit vorrangig zur Sicherung des Existenzminimums eines minderjährigen Kindes zu verwenden, bevor es ihm für andere
  183. aus der Elternpflicht hervorgehende Kosten (z.B. für die Ausübung eines Umgangsrechts, Geschenke oder sonstige besondere Ausgaben) verbleibt.
  184. 19
  185. b) In Rechtsprechung und Literatur ist streitig, ob diese Vorschrift stets
  186. auch auf den Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder oder jedenfalls auf den
  187. Anspruch privilegierter Volljähriger im Sinne von § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB anwendbar ist.
  188. 20
  189. aa) Teilweise wird vertreten, der Anwendungsbereich der Vorschrift des
  190. § 1612 b Abs. 5 BGB könne nicht auf den Unterhaltsanspruch minderjähriger
  191. Kinder beschränkt werden. Sonst verringere sich der Unterhaltsanspruch im
  192. Mangelfall mit Vollendung des 18. Lebensjahres sogar, weil dann das Existenzminimum nicht mehr durch vorrangige Verwendung des Kindergeldes gesichert werde. Solches habe der Gesetzgeber nicht beabsichtigt; für privilegierte
  193. volljährige Kinder laufe eine Begrenzung des Anwendungsbereichs auf den Un-
  194. - 10 -
  195. terhaltsanspruch minderjähriger Kinder sogar dem gesetzlichen Gleichstellungsgebot aus § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB offenkundig zuwider. Mit der Neufassung des § 1612 b Abs. 5 BGB zum 1. Januar 2001 habe der Gesetzgeber
  196. nur eine Änderung bezüglich der Höhe des zu berücksichtigenden Regelbetrages vornehmen und nicht die Anwendbarkeit dieser Vorschrift beschränken wollen
  197. (Weinreich/Klein
  198. Familienrecht
  199. 2. Aufl.
  200. § 1612 b
  201. Rdn. 74;
  202. Eschen-
  203. bruch/Klinkhammer/Wohlgemuth Der Unterhaltsprozess 4. Aufl. Rdn. 3393;
  204. Luthin/Schumacher Handbuch des Unterhaltsrechts 10. Aufl. Rdn. 3265;
  205. Schwab/Borth Handbuch des Scheidungsrechts 5. Aufl. Teil IV Rdn. 1112; Göppinger/Wax/Häußermann Unterhaltsrecht 8. Aufl. Rdn. 797; Johannsen/Henrich/Graba Eherecht 4. Aufl. § 1612 b BGB Rdn. 14 a; Kalthoener/Büttner/Niepmann Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts 9. Aufl. Rdn. 834;
  206. Bäumel/Büte/Poppen Unterhaltsrecht § 1612 b BGB Rdn. 9; OLG Bremen
  207. OLGR 2002, 154; OLG Düsseldorf FuR 2002, 331; OLG Hamm [8. Senat für
  208. Familiensachen] FamRZ 2001, 1727).
  209. 21
  210. bb) Andere Stimmen in Rechtsprechung und Literatur stellen demgegenüber entscheidend auf den Wortlaut des § 1612 b Abs. 5 BGB ab. Eine Sicherung des Existenzminimums in Höhe von 135 % des Regelbetrags sei nur bei
  211. minderjährigen Kindern denkbar, weil das Gesetz keine Regelbeträge für volljährige Kinder kenne (vgl. § 1612 a Abs. 1 und 3 BGB). Privilegierte volljährige
  212. Kinder stelle das Gesetz lediglich hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (§ 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB) und der Rangverhältnisse (§ 1609
  213. Abs. 1 BGB) den minderjährigen Kindern gleich. Diese Gleichstellung gelte aber
  214. nicht generell, insbesondere nicht für die anteilige Haftung der Eltern für den
  215. Barunterhalt (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB), für die Verwirkung (§ 1611 Abs. 2
  216. BGB), für die Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens (§ 645 ZPO) und für
  217. die Zwangsvollstreckung (§ 850 d Abs. 2 lit. a ZPO). Auch sei die Vorschrift des
  218. § 1612 b Abs. 5 BGB mit der anteiligen Barunterhaltspflicht beider Eltern ge-
  219. - 11 -
  220. genüber volljährigen Kindern nur schwer vereinbar. Schließlich müsse die Vorschrift aus verfassungsrechtlichen Gründen eng ausgelegt werden, was einer
  221. analogen Anwendung auf den Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder entgegen
  222. stehe (Wendl/Scholz aaO § 2 Rdn. 515 c; Wendl/Gutdeutsch aaO § 5 Rdn. 88;
  223. Palandt/Diederichsen BGB 66. Aufl. § 1512 b Rdn. 13; AnwK-BGB/Saathoff
  224. § 1612 b Rdn. 17; FA-FamR/Gerhardt 6. Kap. Rdn. 152 a; Hoppenz/Hülsmann
  225. Familiensachen 8. Aufl. § 1612 b Rdn. 10 a.E.; JurisPK-BGB/Viefhues § 1612 b
  226. Rdn. 21; OLG Koblenz FamRZ 2004, 1132; OLG Hamm [7. Senat für Familiensachen] OLGR Hamm 2003, 142; OLG Nürnberg FamRZ 2003, 1685 und OLG
  227. Hamburg FamRZ 2003, 180).
  228. 22
  229. c) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an.
  230. 23
  231. aa) § 1612 b Abs. 5 BGB, der eine Gefährdung des Existenzminimums
  232. minderjähriger Kinder verhindern will, ist nach seinem Wortlaut nicht auf den
  233. Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder anwendbar. Denn er stellt als Maßstab
  234. für das Unterbleiben einer Anrechnung des Kindergeldes auf den Unterhalt in
  235. Höhe von 135 % des Regelbetrags nach der Regelbetrag-Verordnung ab. Weder die Regelbetrag-Verordnung noch deren gesetzliche Grundlage in § 1612 a
  236. Abs. 1 und 3 BGB sehen jedoch einen Regelbetrag für volljährige Kinder vor.
  237. Dem steht nicht entgegen, dass die Praxis den Unterhaltsanspruch volljähriger
  238. Kinder, soweit sie noch bei einem Elternteil leben, nach einer eigens geschaffenen 4. Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle bemisst. Wie schon ausgeführt,
  239. geht diese Rechtsprechung darauf zurück, dass sich der Unterhaltsbedarf eines
  240. noch in Ausbildung befindlichen und bei den Eltern wohnenden volljährigen
  241. Kindes nach deren Einkommens- und Vermögensverhältnissen bemisst. Gesetzlich festgesetzte Regelbeträge kann diese Rechtsprechung allerdings nicht
  242. ersetzen, weswegen sie auch nicht für eine Auslegung des Gesetzes herangezogen werden kann.
  243. - 12 -
  244. 24
  245. bb) § 1612 b Abs. 5 BGB ist auf den Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder auch nicht entsprechend anwendbar.
  246. 25
  247. Den Gesetzesmotiven lässt sich ein Wille für eine umfassende Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht entnehmen. Die Einführung des § 1612 b Abs. 5
  248. BGB durch das Kindesunterhaltsgesetz zum 1. Juli 1998 ging einher mit der
  249. Streichung des Mindestbedarfs minderjähriger Kinder. Zuvor galt der in § 1615 f
  250. Abs. 1 BGB vorgesehene Regelunterhalt für nicht aus einer Ehe hervorgegangene Kinder nach § 1610 Abs. 3 Satz 1 BGB a.F. zugleich als Mindestbedarf
  251. minderjähriger ehelicher Kinder. Nach Wegfall des Mindestbedarfs minderjähriger Kinder will § 1612 b Abs. 5 BGB der Gefährdung ihres Existenzminimums
  252. entgegenwirken, was für eine Beschränkung auch dieser Vorschrift auf den Unterhaltsanspruch minderjähriger Kinder spricht. Wenn der Gesetzgeber anderes
  253. beabsichtigte, hätte er dies - angesichts der schon zuvor nicht unstreitigen
  254. Rechtslage - jedenfalls in den Motiven zu der am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Änderung des § 1612 b Abs. 5 BGB ausdrücklich ausgesprochen. Das ist
  255. jedoch nicht der Fall.
  256. 26
  257. Gegen eine analoge Anwendung des § 1612 b Abs. 5 BGB auf den Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder spricht auch, dass der Gesetzgeber privilegierte volljährige Kinder im Sinne von § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht vollständig den minderjährigen Kindern gleichgestellt hat. Eine Gleichbehandlung sieht
  258. das Gesetz nur hinsichtlich der gesteigerten Unterhaltspflicht (§ 1603 Abs. 2
  259. Satz 1 BGB) und hinsichtlich des Rangs des Unterhaltsanspruchs (§ 1609
  260. Abs. 1 BGB) vor. Andere Vorschriften, wie insbesondere § 1606 Abs. 3 Satz 1
  261. und 2 BGB zur anteiligen Haftung der Eltern und § 1611 Abs. 2 BGB zum Ausschluss der Verwirkung, sind hingegen ausdrücklich auf den Unterhaltsanspruch minderjähriger Kinder beschränkt. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber
  262. keine vollständige Gleichstellung privilegierter volljähriger Kinder mit minderjäh-
  263. - 13 -
  264. rigen Kindern herbeiführen wollte. Solches lässt sich gegen den Willen des Gesetzgebers auch nicht im Wege der Analogie erreichen.
  265. 27
  266. Eine analoge Anwendung des § 1612 b Abs. 5 BGB auf privilegierte Volljährige würde in Fällen, in denen beide Eltern den Unterhaltsbedarf des volljährigen Kindes anteilig aufbringen, zu Wertungswidersprüchen führen, wenn - mit
  267. dem Oberlandesgericht - auf jeden Unterhaltspflichtigen isoliert abgestellt würde. Weil ein einzelner Elternteil in solchen Fällen regelmäßig weniger als 135 %
  268. des Unterhaltsbedarfs der ersten Einkommensgruppe zahlt, würde das Kindergeld die Eltern selbst dann nicht entlasten, wenn beide Eltern gemeinsam mehr
  269. als 135 % leisten (vgl. OLG Hamburg FamRZ 2003, 180, 183).
  270. 28
  271. Einer analogen Anwendung des § 1612 b Abs. 5 BGB stehen zudem verfassungsrechtliche Bedenken entgegen. Zwar ist die Vorschrift nach der Rechtsprechung des Senats (Senatsurteil vom 29. Januar 2003 - XII ZR 289/01 FamRZ 2003, 445, 447 f.) und des Bundesverfassungsgerichts (FamRZ 2003,
  272. 1371, 1372 ff. = BVerfGE 108, 52) noch verfassungsgemäß. Gegen eine analoge Anwendung über den Wortlaut hinaus spricht allerdings, dass die Regelung
  273. dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden Grundsatz der
  274. Normenklarheit ohnehin immer weniger gerecht geworden ist (BVerfG FamRZ
  275. 2003, 1370, 1375).
  276. 29
  277. Schließlich führt die Unanwendbarkeit des § 1612 b Abs. 5 BGB auf den
  278. Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder auch nicht zu unbilligen Ergebnissen,
  279. insbesondere nicht zu einer Verminderung des Unterhaltsanspruchs mit Erreichen der Volljährigkeit. Wenn - wie nach der zitierten neueren Rechtsprechung
  280. des Senats - das Kindergeld auf den Unterhaltsbedarf des volljährigen Kindes
  281. in vollem Umfang anzurechnen ist, geht das einher mit einem Anspruch des
  282. Kindes auf Auskehr des Kindergeldes. Während - vorbehaltlich der Anwendbar-
  283. - 14 -
  284. keit des § 1612 b Abs. 5 BGB - dem minderjährigen Kind neben dem Barunterhalt insoweit nur das (darauf entfallende) hälftige Kindergeld zusteht, kann
  285. das volljährige Kind neben dem Barunterhalt Herausgabe des vollen Kindergeldes verlangen. Der Anspruch auf Auskehr des Kindergeldes stockt deswegen in
  286. beiden Fällen den Barunterhalt wieder auf den Tabellenbetrag auf, der bei volljährigen Kindern höher ist als bei Minderjährigen. Zudem wird mit der neueren
  287. Rechtsprechung des Senats erreicht, dass auch bei volljährigen Kindern das
  288. Kindergeld immer erst für den Unterhaltsbedarf verwendet werden muss und
  289. damit einer Gefährdung des Existenzminimums entgegenwirkt. Nur für den
  290. verbleibenden Unterhaltsbedarf haften die Barunterhaltspflichtigen im Rahmen
  291. ihrer Leistungsfähigkeit. Im Ergebnis ist damit nichts anderes erreicht, als es
  292. §1612 b Abs. 5 BGB nach gegenwärtigem Recht für minderjährige Kinder vorsieht, nämlich die Sicherung des Existenzminimums.
  293. 30
  294. 5. Soll auch für volljährige Kinder das Existenzminimum gesichert werden, wird es entscheidend darauf ankommen, in welchem Verhältnis der Unterhaltsbedarf der ersten Einkommensgruppe (hier: bis zu 1.300 €) in der vierten
  295. Alterstufe der Düsseldorfer Tabelle (hier: 327 €) zu dem in § 1612 a des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts vorgesehenen Mindestunterhalt minderjähriger Kinder, der ebenfalls das Existenzminimum sichern
  296. soll, steht.
  297. 31
  298. Zwar trägt die Düsseldorfer Tabelle dem bislang noch nicht hinreichend
  299. Rechnung, weil der Unterhaltsbedarf privilegierter Volljähriger nach der ersten
  300. Einkommensgruppe der vierten Altersstufe (hier: 327 €) das in § 1612 b Abs. 5
  301. BGB für jüngere Kinder geschützte Existenzminimum (135 % des jeweiligen
  302. Regelbetrags; hier: 384 €) nicht erreicht. Das verhilft dem Kläger hier jedoch
  303. nicht zum Erfolg. Denn nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen
  304. haftet der Beklagte dem Kläger nur auf 66 % seines Unterhaltsbedarfs, weil er
  305. - 15 -
  306. nach Abzug des notwenigen Selbstbehalts über Einkünfte in Höhe von monatlich 647 € (1.487 € - 840 €) verfügt, während sich die Verteilungsmasse der
  307. Mutter des Klägers auf 338 € (1.178 € - 840 €) beläuft. Das - auf der Grundlage
  308. der höchsten Altersstufe der Regelbetrag-Verordnung - geschützte Existenzminimum eines minderjährigen Kindes von monatlich 384 € (135 %) ist durch die
  309. monatlichen Zahlungen des Beklagten zuzüglich des von der Mutter geschuldeten Anteils gedeckt. Denn der Beklagte schuldet davon nur einen Anteil von
  310. 66 %, also monatlich 253 €. Weil der Beklagte auf seinen Anteil des Barunterhalts sogar 273 € anerkannt hat und auch regelmäßig zahlt, ist damit auch
  311. dem ggf. höheren Existenzminimum des bei seiner Mutter lebenden volljährigen
  312. Klägers genügt.
  313. Hahne
  314. Sprick
  315. Zugleich für die urlaubsabwesenden
  316. RiBGH Weber-Monecke und
  317. Prof. Dr. Wagenitz.
  318. Vorinstanzen:
  319. AG Nürnberg, Entscheidung vom 27.05.2004 - 101 F 68/04 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 29.07.2004 - 7 UF 2116/04 -
  320. Dose