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627 lines
36 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XII ZR 134/08
  5. Verkündet am:
  6. 21. April 2010
  7. Küpferle,
  8. Justizamtsinspektorin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in der Familiensache
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB §§ 1570, 1573 Abs. 2, 1577 Abs. 2, 1578 b; ZPO § 559 Abs. 1 Satz 1
  19. a) Der Anspruch auf Betreuungsunterhalt aus elternbezogenen Gründen nach
  20. § 1570 Abs. 2 BGB besteht nur, solange der betreuende Elternteil das Kind
  21. auch tatsächlich betreut.
  22. b) Ob das Einkommen des gemäß § 1570 BGB unterhaltsberechtigten Elternteils, das dieser neben der Kindesbetreuung erzielt, nach § 1577 Abs. 2 BGB
  23. bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen ist, hängt davon ab, in welchem Maße er nach § 1570 BGB von der Erwerbsobliegenheit befreit ist. Der
  24. pauschale Abzug eines Betreuungsbonus von seinem Einkommen kommt
  25. dagegen nicht in Betracht (im Anschluss an Senatsurteil vom 15. Dezember
  26. 2004 - XII ZR 121/03 - FamRZ 2005, 442, 444 zu § 1615 l BGB).
  27. -2-
  28. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  29. vom 21. April 2010 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter
  30. Weber-Monecke, Dose, Schilling und Dr. Günter
  31. für Recht erkannt:
  32. Auf
  33. die
  34. Revisionen
  35. der
  36. Parteien
  37. wird
  38. das
  39. Urteil
  40. des
  41. 18. Familiensenats in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe
  42. vom 5. August 2008 aufgehoben.
  43. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das
  44. Oberlandesgericht zurückverwiesen.
  45. Von Rechts wegen
  46. Tatbestand:
  47. 1
  48. Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt.
  49. 2
  50. Sie schlossen im Jahre 1990 die Ehe, aus der drei Söhne hervorgegangen sind, geboren im Februar 1992, im Dezember 1993 und im August 1997.
  51. Die Kinder leben bei der Antragstellerin. Die Parteien trennten sich im Jahr
  52. 2004. Die Ehe ist seit dem 12. Februar 2008 rechtskräftig geschieden.
  53. 3
  54. Die Parteien sind Ärzte. Beide hatten bereits bei Eheschließung ihr Medizinstudium beendet und im Zeitpunkt der Geburt ihres ersten Sohnes jeweils
  55. ihr "AiP" (Arzt im Praktikum) absolviert. Nach der Geburt des ersten Kindes
  56. -3-
  57. pausierte die Antragstellerin sechs Monate, um anschließend halbtags ihre Tätigkeit als Ärztin wieder aufzunehmen. Auch nach der Geburt des zweiten Sohnes setzte die Antragstellerin sechs Monate aus und arbeitete danach mit einer
  58. Drittelstelle weiter. Nach der Geburt des dritten Sohnes arbeitete sie zunächst
  59. vertretungsweise und ab 2001 mit einer Drittelstelle. Seit Oktober 2006 ist die
  60. Antragstellerin halbtags tätig. Derzeit befindet sie sich in ihrer Facharztausbildung, während der Antragsgegner als Leitender Arzt tätig ist.
  61. 4
  62. Das Familiengericht hat den Antragsgegner verurteilt, an die Antragstellerin ab Rechtskraft der Scheidung nachehelichen Unterhalt in Höhe von
  63. 1.183 € Elementarunterhalt zzgl. 349 € Altersvorsorgeunterhalt monatlich zu
  64. zahlen. Auf die hiergegen eingelegte Berufung des Antragsgegners hat das Berufungsgericht bei einem von ihm zugrunde gelegten Jahresbruttoeinkommen
  65. des Antragsgegners von 77.943,80 € die Unterhaltsrente auf 289,25 € Elementarunterhalt und 73,78 € Altersvorsorgeunterhalt reduziert und die Berufung im
  66. Übrigen sowie die Anschlussberufung zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich
  67. die Revisionen der Antragstellerin und des Antragsgegners, mit denen sie ihre
  68. Berufungsanträge weiterverfolgen und die sie vor allem auf den Umfang der
  69. Erwerbsobliegenheit der Antragstellerin im Rahmen des § 1570 BGB stützen.
  70. 5
  71. Nach Verkündung seines Urteils hat das Berufungsgericht mit einstweiliger Anordnung vom 15. April 2009 dem Antragsgegner aufgegeben, ab Januar
  72. 2009 an die Antragstellerin monatlichen Ehegattenunterhalt in Höhe von
  73. 1.033 € Elementarunterhalt und 310 € Altersvorsorgeunterhalt zu zahlen. Dies
  74. hat das Berufungsgericht damit begründet, inzwischen stehe das von den Parteien im Jahr 2008 tatsächlich erzielte Einkommen fest. Nach den von ihm vorgelegten Unterlagen habe der Antragsgegner im Jahr 2008 einen Bruttoarbeitslohn von 167.544,12 € erhalten. Damit sei sein Einkommen wesentlich höher,
  75. als vom Berufungsgericht aufgrund des Einkommens des Antragsgegners im
  76. -4-
  77. Jahr 2007 und der von diesem zu seiner künftigen Einkommensentwicklung
  78. abgegebenen Erklärung angenommen worden sei. Die Antragstellerin meint,
  79. diese Entscheidung sei im Revisionsverfahren zu berücksichtigen.
  80. Entscheidungsgründe:
  81. 6
  82. Die Revisionen führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  83. I.
  84. 7
  85. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Belang - wie folgt begründet:
  86. 8
  87. Die Antragstellerin habe gegen den Antragsgegner einen Anspruch auf
  88. Betreuungsunterhalt nach § 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3 bzw. Abs. 2 BGB. Zu den
  89. kindbezogenen Gründen habe die Antragstellerin ausführlich dargelegt, in welchem Umfang die Kinder nachmittags Schulunterricht bzw. Sporttraining hätten.
  90. Zu den konkreten Betreuungsmöglichkeiten habe die Antragstellerin ausgeführt,
  91. dass sie regelmäßig ein Zimmer an eine Studentin vermiete, die dafür im zeitlichen Rahmen von fünf Stunden wöchentlich Fahrdienste für die Kinder übernehme und im Haushalt helfe. Selbst bei Berücksichtigung dieser Betreuungsmöglichkeit könne eine Obliegenheit für die Ganztagstätigkeit derzeit noch nicht
  92. angenommen werden. Schon allein wegen des Mittagessens und der Hausaufgabenbetreuung werde eine Obliegenheit zur Ganztagstätigkeit, soweit keine
  93. Ganztagschule oder geeignete Horteinrichtung vorhanden sei, wie bisher erst in
  94. Betracht kommen, wenn das jüngste Kind zumindest die siebte oder achte
  95. -5-
  96. Klasse erreicht habe. Außerdem sei zu sehen, dass das derzeitige Schulsystem
  97. in Baden-Württemberg mit dem G 8-Zug die Förderung des Kindes im wesentlichen Umfang den Eltern überlasse.
  98. 9
  99. Weiter seien elternbezogene Gründe zu berücksichtigen. Denn vor der
  100. Trennung seien sich die Parteien offenbar einig gewesen, dass die Kinder in
  101. erheblichem Umfang und mit großem zeitlichem Einsatz der Eltern sportlich
  102. gefördert würden. Tatsächlich sei dies auch jahrelang so praktiziert worden,
  103. wobei die Antragstellerin mit ihrer reduzierten Erwerbstätigkeit die Hauptlast
  104. getragen habe. Das gewachsene Vertrauen der Antragstellerin in die vereinbarte und praktizierte Rollenverteilung bei der Ausgestaltung der Kinderbetreuung
  105. sei zu schützen.
  106. 10
  107. Angesichts des Alters und der Zahl der Kinder, der von der Antragstellerin dargelegten bestehenden Betreuungsmöglichkeiten und der bisherigen Rollenverteilung und einvernehmlichen Gestaltung der Kindesbetreuung erscheine
  108. es angemessen, dass die Antragstellerin lediglich mit 75 % ihrer Arbeitskraft
  109. erwerbstätig sei und sich im Übrigen weiterhin der sportlichen und sonstigen
  110. Förderung der Kinder widme.
  111. 11
  112. Soweit der Betreuungsunterhalt nicht ausreiche, um den Bedarf der Antragstellerin nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu decken, habe sie
  113. außerdem einen ergänzenden Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gemäß
  114. § 1573 Abs. 2 BGB.
  115. 12
  116. Eine Herabsetzung und/oder zeitliche Begrenzung des Unterhalts wegen
  117. Unbilligkeit nach § 1578 b BGB komme jedenfalls derzeit nicht in Betracht. Eine
  118. zeitliche Befristung scheide wegen der Betreuungsbedürftigkeit der Kinder aus.
  119. Im Übrigen bestehe auf Seiten der Antragstellerin ein fortwirkender ehebedingter Nachteil. Schon ein Vergleich mit der Karriere des Antragsgegners ergebe,
  120. -6-
  121. dass die Antragstellerin im beruflichen Bereich gravierende ehebedingte
  122. Nachteile habe. Der Vorhalt des Antragsgegners, das Karrieregefälle beruhe
  123. auf der Bequemlichkeit und persönlichen Unstrukturiertheit der Antragstellerin,
  124. sei nicht ausreichend substantiiert.
  125. II.
  126. 13
  127. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revisionen nicht in allen
  128. Punkten stand.
  129. 14
  130. 1. Allerdings sieht sich der Senat daran gehindert, seiner Entscheidung
  131. die neuen Tatsachen, namentlich die geänderten Einkommensverhältnisse,
  132. zugrunde zu legen, die sich ausweislich der einstweiligen Anordnung des Berufungsgerichts vom 15. April 2009 nach Abschluss des Berufungsverfahrens ergeben haben.
  133. 15
  134. a) Nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO unterliegt der Beurteilung des Revisionsgerichts nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil und
  135. dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung
  136. des Bundesgerichtshofs § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO einschränkend dahin auszulegen, dass in bestimmtem Umfang auch Tatsachen, die sich erst während der
  137. Revisionsinstanz ereignen, in die Urteilsfindung einfließen können, soweit sie
  138. unstreitig sind oder ihr Vorliegen in der Revisionsinstanz ohnehin von Amts wegen zu beachten ist. Der Gedanke der Konzentration der Revisionsinstanz auf
  139. die rechtliche Bewertung eines festgestellten Sachverhalts verliert nämlich an
  140. Gewicht, wenn die Berücksichtigung von neuen tatsächlichen Umständen keine
  141. nennenswerte Mehrarbeit verursacht und die Belange des Prozessgegners ge-
  142. -7-
  143. wahrt bleiben (vgl. Senatsurteil vom 14. Oktober 2009 - XII ZR 146/08 - FamRZ
  144. 2009, 1990 Tz. 26 f. m.w.N.).
  145. 16
  146. b) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dabei kann dahinstehen,
  147. ob die vom Berufungsgericht in dem Beschluss vom 15. April 2009 zum Einkommen des Antragsgegners getroffenen Feststellungen unstreitig sind. Denn
  148. es fehlt jedenfalls an belastbaren Feststellungen zum Einkommen der Antragstellerin, das sich ausweislich des Beschlusses aufgrund einer neu hinzugekommenen Funktionszulage ebenfalls erhöht habe. Der in dem Beschluss enthaltenen Einkommensberechnung für die Antragstellerin lässt sich eine solche
  149. Funktionszulage nicht entnehmen. Vielmehr kommt der Beschluss ebenso wie
  150. das Urteil auf Seiten der Antragstellerin zu einem bereinigten Gesamtnettoeinkommen von rund 1.793 €. Hinzu kommt, dass sich der Antragsgegner nunmehr im einstweiligen Anordnungsverfahren auf einen Karrieresprung beruft
  151. und er die Auffassung vertritt, die Antragstellerin habe ihren Unterhaltsanspruch
  152. verwirkt, weil sie ihn wegen seiner Angaben zum Einkommen wegen Prozessbetruges angezeigt habe. Auf beide Einwände ist das Berufungsgericht im
  153. Rahmen des von ihm geführten einstweiligen Anordnungsverfahrens nicht abschließend eingegangen. Am Ende darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die
  154. neue Einkommenssituation auch im Rahmen der Billigkeitsprüfung gemäß
  155. § 1578 b BGB von Bedeutung sein kann (vgl. Senatsurteil vom 14. Oktober
  156. 2009 - XII ZR 146/08 - FamRZ 2009, 1990 Tz. 29).
  157. 17
  158. Um die nunmehr aufgeworfenen Fragen einer abschließenden Beurteilung zuführen zu können, bedarf es mithin noch umfassender Feststellungen,
  159. die dem Tatrichter vorbehalten bleiben müssen.
  160. 18
  161. 2. Der Anspruch der Antragstellerin auf Betreuungsunterhalt richtet sich
  162. nach § 1570 BGB in der seit 1. Januar 2008 geltenden Fassung. Danach kann
  163. -8-
  164. ein geschiedener Ehegatte von dem anderen wegen der Pflege und Erziehung
  165. eines gemeinschaftlichen Kindes für mindestens drei Jahre nach der Geburt
  166. Unterhalt verlangen. Die Dauer des Unterhaltsanspruchs verlängert sich, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht. Dabei sind die Belange des Kindes
  167. und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen
  168. (§ 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB). Die Dauer des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt verlängert sich darüber hinaus, wenn dies unter Berücksichtigung der
  169. Gestaltung von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit in der Ehe sowie der
  170. Dauer der Ehe der Billigkeit entspricht (§ 1570 Abs. 2 BGB). Im Rahmen dieser
  171. Billigkeitsentscheidung sind nach dem Willen des Gesetzgebers kind- und elternbezogene Verlängerungsgründe zu berücksichtigen (Senatsurteile BGHZ
  172. 180, 170 = FamRZ 2009, 770 - Tz. 18 f. und zuletzt vom 17. Juni 2009
  173. - XII ZR 102/08 - FamRZ 2009, 1391, Tz. 16 f. m.w.N.).
  174. 19
  175. § 1570 BGB verlangt regelmäßig keinen abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit (BT-Drucks. 16/6980 S. 9).
  176. Nach Maßgabe der im Gesetz genannten kindbezogenen (§ 1570 Abs. 1 Satz 3
  177. BGB) und elternbezogenen Gründe (§ 1570 Abs. 2 BGB) ist nach dem neuen
  178. Unterhaltsrecht vielmehr ein gestufter Übergang bis hin zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit möglich (Senatsurteile BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770
  179. - Tz. 22 und zuletzt vom 17. Juni 2009 - XII ZR 102/08 - FamRZ 2009, 1391
  180. Tz. 19 m.w.N.), wobei der Gesetzgeber die Darlegungs- und Beweislast für die
  181. Voraussetzung einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Dauer
  182. von drei Jahren hinaus dem unterhaltsberechtigten Elternteil auferlegt hat (Senatsurteile BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 - Tz. 23 und zuletzt vom
  183. 17. Juni 2009 - XII ZR 102/08 - FamRZ 2009, 1391 Tz. 20 m.w.N.).
  184. 20
  185. a) Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung unter anderem auf das
  186. Vorliegen kindbezogener Gründe im Sinne des § 1570 Abs. 1 Satz 3 gestützt.
  187. -9-
  188. 21
  189. aa) Kindbezogene Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts entfalten im Rahmen der Billigkeitsentscheidung das stärkste Gewicht und
  190. sind deswegen stets vorrangig zu prüfen. Allerdings hat der Gesetzgeber mit
  191. der Neugestaltung des nachehelichen Betreuungsunterhalts in § 1570 BGB für
  192. Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahres den Vorrang der persönlichen
  193. Betreuung gegenüber anderen kindgerechten Betreuungsmöglichkeiten aufgegeben (Senatsurteil BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 - Tz. 25 m.w.N.). Die
  194. Obliegenheit zur Inanspruchnahme einer kindgerechten Betreuungsmöglichkeit
  195. findet erst dort ihre Grenze, wo die Betreuung nicht mehr mit dem Kindeswohl
  196. vereinbar ist, was jedenfalls bei öffentlichen Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten, Kindertagesstätten oder Kinderhorten regelmäßig nicht der Fall ist
  197. (Senatsurteile BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009 770 - Tz. 26 und zuletzt vom
  198. 17. Juni 2009 - XII ZR 102/08 - FamRZ 2009, 1391 Tz. 22 m.w.N.).
  199. 22
  200. In dem Umfang, in dem das Kind nach Vollendung des dritten Lebensjahres eine kindgerechte Einrichtung besucht oder unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse besuchen könnte, kann sich der betreuende Elternteil
  201. also nicht mehr auf die Notwendigkeit einer persönlichen Betreuung des Kindes
  202. und somit nicht mehr auf kindbezogene Verlängerungsgründe im Sinne von
  203. § 1570 Abs. 1 Satz 3 BGB berufen. Das gilt sowohl für den rein zeitlichen Aspekt der Betreuung als auch für den sachlichen Umfang der Betreuung in einer
  204. kindgerechten Einrichtung. Umfasst etwa die Betreuung von Schulkindern in
  205. einem Hort auch die Hausaufgabenbetreuung, bleibt auch insoweit für eine persönliche Betreuung durch einen Elternteil kein unterhaltsrechtlich zu berücksichtigender Bedarf (Senatsurteil vom 17. Juni 2009 - XII ZR 102/08 - FamRZ
  206. 2009, 1391 Tz. 23).
  207. 23
  208. Ein Billigkeitsanspruch auf Betreuungsunterhalt aus kindbezogenen
  209. Gründen scheidet freilich auch dann aus, wenn das Kind ein Entwicklungsstadi-
  210. - 10 -
  211. um erreicht hat, in dem es in dem - für den Betreuungsunterhalt regelmäßig
  212. bedeutsam werdenden - Zeitraum zwischen Schulschluss und Beendigung der
  213. Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils sich selbst überlassen werden
  214. kann und deswegen auch keiner durchgehenden persönlichen Betreuung durch
  215. einen Elternteil mehr bedarf (vgl. Senatsurteil BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009,
  216. 770 - Tz. 27).
  217. 24
  218. Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über die Verlängerung des
  219. Betreuungsunterhalts ist mithin zunächst zu prüfen, ob und welche persönliche
  220. Betreuungsleistungen im Ergebnis für das Kind überhaupt noch erforderlich
  221. sind und - soweit dies der Fall ist - ob und in welchem Umfang die begabungsund entwicklungsgerechte Betreuung des Kindes auf andere Weise gesichert ist
  222. oder in kindgerechten Einrichtungen gesichert werden könnte. Dabei sind alle
  223. Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, auch das konkrete Betreuungsangebot der kindgerechten Einrichtung (vgl. Senatsurteil vom 17. Juni 2009
  224. - XII ZR 102/08 - FamRZ 2009, 1391 Tz. 24).
  225. 25
  226. Soweit demgegenüber in Rechtsprechung und Literatur zu der seit dem
  227. 1. Januar 2008 geltenden Fassung des § 1570 BGB abweichende Auffassungen vertreten werden, die an das frühere Altersphasenmodell anknüpfen und
  228. eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts allein vom Kindesalter abhängig
  229. machen, sind diese im Hinblick auf den eindeutigen Willen des Gesetzgebers
  230. nicht haltbar (Senatsurteile BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 - Tz. 28 und
  231. zuletzt vom 17. Juni 2009 - XII ZR 102/08 - FamRZ 2009, 1391 Tz. 25 m.w.N.).
  232. Die Betreuungsbedürftigkeit ist vielmehr nach den individuellen Verhältnissen
  233. des Kindes zu ermitteln.
  234. 26
  235. bb) Gemessen hieran hält die Entscheidung des Berufungsgerichts, das
  236. die einschlägige Senatsrechtsprechung bei Verkündung seiner Entscheidung
  237. - 11 -
  238. freilich noch nicht kennen konnte, einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
  239. stand. Denn es fehlt an den hierzu erforderlichen bzw. verfahrensrechtlich belastbaren Feststellungen.
  240. 27
  241. (1) Das Berufungsgericht ist zunächst im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass es für den Anspruch nach § 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB
  242. maßgeblich auf die konkrete Betreuungsbedürftigkeit und die bestehenden
  243. Betreuungsmöglichkeiten ankommt. Die Revision des Antragsgegners rügt allerdings zu Recht, dass die Ausführungen des Berufungsgerichts hierzu im Ergebnis lediglich auf allgemeinen Erwägungen beruhen. Es hat zu dem Betreuungsbedarf der Kinder in seinem Urteil keine konkreten Feststellungen getroffen. Vielmehr hat das Berufungsgericht sich darauf beschränkt, auf die - vom
  244. Antragsgegner teilweise bestrittenen - Darlegungen der Antragsstellerin zum
  245. Umfang des nachmittäglichen Schulunterrichts und Sporttrainings der Kinder zu
  246. verweisen. Das Berufungsurteil enthält im Übrigen keine Feststellungen dazu,
  247. ob und in welchem Umfang die Kinder überhaupt noch einer persönlichen
  248. Betreuung bedürfen bzw. die Betreuung der Kinder in kindgerechten Einrichtungen gesichert werden könnte, etwa weil im näheren Einzugsbereich eine
  249. kindgerechte Einrichtung existiert, die die Betreuung der Kinder nach ihrem
  250. Schulbesuch einschließlich der Hausaufgabenhilfe ganztags übernehmen könnte. Das Berufungsgericht hat demgegenüber pauschal ausgeführt, es könne
  251. eine Obliegenheit zur Ganztagstätigkeit derzeit noch nicht angenommen werden. Schon allein wegen des Mittagessens und der Hausaufgabenbetreuung
  252. werde eine solche Obliegenheit, soweit keine Ganztagsschule oder geeignete
  253. Horteinrichtung vorhanden sei, wie bisher in Betracht kommen, wenn das jüngste Kind zumindest die siebte oder achte Klasse erreicht habe. Allein der allgemeine Verweis auf das Mittagessen, die Hausaufgabenbetreuung und das Alter
  254. der Kinder vermag entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts eine
  255. Betreuungsbedürftigkeit im Sinne von § 1570 BGB nicht zu begründen. Denn
  256. - 12 -
  257. ein Anknüpfen an das frühere Altersphasenmodell kommt - wie oben bereits
  258. ausgeführt - nicht, auch nicht in abgeschwächter Form, in Betracht (vgl. Senatsurteile BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Tz. 28 und zuletzt vom 17. Juni
  259. 2009 - XII ZR 102/08 - FamRZ 2009, 1391 Tz. 25 m.w.N.). Ebenso wenig vermag der generelle Hinweis auf das Schulsystem in Baden-Württemberg (G8)
  260. konkrete Feststellungen zum Betreuungsbedarf zu ersetzen.
  261. 28
  262. Zutreffend hat der Antragsgegner mit seiner Revision zudem eingewandt,
  263. dass er im Berufungsverfahren den Umfang der Betreuung bestritten habe. So
  264. hat er dargelegt, dass das Tennistraining der Kinder allein im Winter und dann
  265. auch nur einmal wöchentlich stattfindet. Zudem hat er bestritten, dass die Antragstellerin die Söhne zum Tennistraining fahre und größtenteils wieder abhole. Ferner hat er für den - seinerzeit - 10-jährigen Sohn dargetan, sein Nachmittagsunterricht beinhalte erweiterte Betreuungsmöglichkeiten durch die Schule.
  266. Auf den Vortrag des Antragsgegners ist das Berufungsgericht in seiner Entscheidung indes nicht eingegangen. Zu Recht hat die Revision des Antragsgegners schließlich darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin ihren - damit
  267. streitigen - Vortrag nicht unter Beweis gestellt habe.
  268. 29
  269. (2) Andererseits ist das Berufungsgericht zu Lasten der Antragstellerin
  270. davon ausgegangen, dass sie im Umfang von fünf Stunden in der Woche durch
  271. eine bei ihr wohnende Studentin bei der Betreuung der Kinder entlastet werde.
  272. Hierzu hat die Revision der Antragstellerin zutreffend eingewandt, dass ihr unstreitig seit Oktober 2007 eine Studentin für die Betreuung der Kinder nicht
  273. mehr zur Verfügung gestanden habe.
  274. 30
  275. b) Daneben hat das Berufungsgericht der Antragstellerin aus dem Gesichtspunkt elternbezogener Gründe Betreuungsunterhalt zugesprochen.
  276. - 13 -
  277. 31
  278. aa) Elternbezogene Gründe sind zu prüfen, soweit nicht schon kindbezogene Gründe einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen. Die Berücksichtigung elternbezogener Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts ist
  279. Ausdruck der nachehelichen Solidarität. Maßgeblich ist dabei das in der Ehe
  280. gewachsene Vertrauen in die vereinbarte oder praktizierte Rollenverteilung und
  281. die gemeinsame Ausgestaltung der Betreuung (BT-Drucks. 16/6980 S. 9). Die
  282. Umstände gewinnen durch das Vertrauen des unterhaltsberechtigten Ehegatten
  283. bei längerer Ehedauer oder bei Aufgabe der Erwerbstätigkeit zur Erziehung
  284. gemeinsamer Kinder gemäß § 1570 Abs. 2 BGB an Bedeutung (Senatsurteile
  285. BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 - Tz. 31 f. und zuletzt vom 17. Juni 2009
  286. - XII ZR 102/08 - FamRZ 2009, 1391 Tz. 31 f.).
  287. 32
  288. Ein Anspruch aus § 1570 Abs. 2 BGB kommt namentlich in Betracht,
  289. wenn die Kinder an sich - aus kindbezogenen Gründen - einer persönlichen
  290. Betreuung nicht bedürfen, sich der betreuende Elternteil aber entsprechend der
  291. vereinbarten und praktizierten Rollenverteilung in der Ehe darauf eingerichtet
  292. hat, die Kinder weiterhin persönlich zu betreuen, etwa weil er seine Erwerbstätigkeit dauerhaft aufgegeben oder zurückgestellt hat (vgl. BT-Drucks. 16/6980
  293. S. 9). Der Anspruch aus § 1570 Abs. 2 BGB besteht allerdings nur, solange der
  294. betreuende Elternteil das Kind entsprechend der ursprünglich gemeinsamen
  295. Abrede auch tatsächlich betreut. Ist das nicht der Fall, beruht die Unterhaltsbedürftigkeit vielmehr allein darauf, dass er infolge der Zurückstellung seiner Berufstätigkeit während der Kindesbetreuung eine angemessene Erwerbstätigkeit
  296. nicht zu finden vermag, so ergibt sich der Unterhaltsanspruch insoweit aus
  297. § 1573 Abs. 1 BGB.
  298. 33
  299. Ein Anspruch auf Billigkeitsunterhalt unter dem Gesichtspunkt der elternbezogenen Gründe kann sich schließlich auch dann ergeben, wenn und soweit
  300. die Erwerbsobliegenheit des Unterhaltsberechtigten unter Berücksichtigung des
  301. - 14 -
  302. konkreten Betreuungsbedarfs trotz der ganztägigen anderweitigen Betreuung
  303. des Kindes noch eingeschränkt ist ("überobligationsmäßige Belastung", vgl.
  304. Senatsurteile BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 - Tz. 32 und zuletzt vom
  305. 17. Juni 2009 - XII ZR 102/08 - FamRZ 2009, 1391 Tz. 32 m.w.N.).
  306. 34
  307. bb) Die zu den elternbezogenen Gründen erfolgten Ausführungen des
  308. Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision des Antragsgegners
  309. gleichfalls nicht stand. Auch sie sind zu allgemein, als dass sie einen Anspruch
  310. aus § 1570 Abs. 2 BGB begründen könnten.
  311. 35
  312. (1) Zwar lässt sich den Gründen des Berufungsurteils entnehmen, dass
  313. die Parteien vor der Trennung offenbar einig gewesen seien, dass die Kinder in
  314. erheblichem Umfang und mit großem zeitlichen Einsatz der Eltern sportlich gefördert werden sollten und dass dies tatsächlich auch jahrelang so praktiziert
  315. worden sei, wobei die Antragsstellerin mit ihrer reduzierten Erwerbstätigkeit die
  316. Hauptlast getragen habe. Inwiefern daraus aber ein über die Scheidung hinausreichendes schutzwürdiges Vertrauen auf Beibehaltung dieser ursprünglichen
  317. Rollenverteilung erwachsen ist, lässt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen.
  318. Zudem ist - wie oben im Rahmen der kindbezogenen Gründe bereits erörtert nicht festgestellt, in welchem Umfang die Antragstellerin die Kinder namentlich
  319. hinsichtlich ihrer sportlichen Aktivitäten entsprechend der ursprünglichen Einigung der Eltern tatsächlich überhaupt noch betreut.
  320. 36
  321. (2) Dem Einwand der Antragstellerin, wonach Kindesbetreuung und Erwerbstätigkeit zusammen nicht über einen Acht-Stunden-Tag hinausgehen dürften, wenn es um die Bemessung der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils gehe, kann nicht gefolgt werden. Ein solcher Automatismus ist dem
  322. Gesetz, das stets eine Überprüfung der individuellen Verhältnisse fordert,
  323. fremd. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Elternteil mit der Summierung von
  324. - 15 -
  325. Erwerbstätigkeit und Betreuung im Einzelfall unzumutbar belastet ist. Im Übrigen verkennt die Antragstellerin, dass zwischen der Obliegenheit, für den eigenen Unterhalt zu sorgen, und der Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind
  326. zu differenzieren ist. Anders als der Barunterhaltsverpflichtete, der einen Teil
  327. seines Erwerbseinkommens für den Kindesunterhalt zu verwenden hat, ist der
  328. Elternteil, in dessen Obhut das Kind lebt, verpflichtet, dem Kind Naturalunterhalt
  329. zu leisten (vgl. § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB). Davon unberührt bleibt die Obliegenheit, für den eigenen Unterhalt zu sorgen, solange keine kind- oder elternbezogenen Gründe im Sinne des § 1570 BGB diese Erwerbsobliegenheit einschränken (vgl. Senatsurteile BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 - Tz. 32 und
  330. zuletzt vom 17. Juni 2009 - XII ZR 102/08 - FamRZ 2009, 1391 Tz. 32 m.w.N.).
  331. 37
  332. Deshalb verbietet es sich entgegen der Auffassung der Antragsstellerin
  333. auch, vom Einkommen des Unterhaltsberechtigten einen pauschalen Betreuungsbonus abzuziehen (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2004 - XII ZR
  334. 121/03 - FamRZ 2005, 442, 444 zu § 1615 l BGB). Die Frage, ob ein eigenes
  335. Einkommen des unterhaltsbedürftigen Elternteils, das dieser neben der Kindesbetreuung erzielt, bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen ist, richtet
  336. sich allein nach § 1577 Abs. 2 BGB. Danach ist stets auf die besonderen Umstände des Einzelfalls abzustellen (Senatsurteil vom 15. Dezember 2004
  337. - XII ZR 121/03 - FamRZ 2005, 442, 444 zu § 1615 l BGB), die im Falle des
  338. Betreuungsunterhalts wiederum dadurch geprägt sind, in welchem Maße der
  339. Unterhaltsberechtigte wegen der Kindesbetreuung nach § 1570 BGB von seiner
  340. Erwerbsobliegenheit befreit ist.
  341. 38
  342. c) Auch wenn die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts im
  343. Ergebnis gerechtfertig sein mag, lässt sich nach dem derzeitigen Verfahrensstand nicht ausschließen, dass das Berufungsgericht bei zutreffender Würdigung der Voraussetzungen des § 1570 BGB und bei Ausschöpfung der prozes-
  344. - 16 -
  345. sual gebotenen Sachverhaltsermittlung zu dem Schluss gekommen wäre, dass
  346. kind- bzw. elternbezogene Gründe einer vollen Erwerbstätigkeit der Antragstellerin nicht entgegen stehen. Genauso erscheint es möglich, dass das Berufungsgericht auf Seiten der Antragsstellerin von einer geringeren Erwerbsobliegenheit als 75 % ausgegangen wäre, wenn es den Wegfall der zusätzlichen
  347. Hilfe durch die Studentin berücksichtigt hätte. Von daher kann die Entscheidung
  348. über eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus Billigkeitsgesichtspunkten keinen Bestand haben.
  349. 39
  350. 3. Schließlich ist der Ansatz des Berufungsgerichts, die Antragstellerin
  351. habe einen ergänzenden Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573
  352. Abs. 2 BGB, soweit der Betreuungsunterhalt nicht ausreiche, um den Bedarf
  353. der Antragstellerin nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu decken, zwar
  354. richtig. Jedoch lässt das Berufungsurteil auch insoweit entsprechende Feststellungen vermissen.
  355. 40
  356. a) Grundsätzlich kann der Unterhaltsberechtigte neben dem Anspruch
  357. auf Betreuungsunterhalt auch einen solchen auf Aufstockungsunterhalt haben.
  358. 41
  359. Der Senat unterscheidet in ständiger Rechtsprechung für die Abgrenzung der Anspruchsgrundlagen wegen eines Erwerbshindernisses aus §§ 1570
  360. bis 1572 BGB und aus § 1573 Abs. 2 BGB (Aufstockungsunterhalt) danach, ob
  361. wegen des vorliegenden Hindernisses eine Erwerbstätigkeit vollständig oder
  362. nur zum Teil ausgeschlossen ist (Senatsurteil BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009,
  363. 406 - Tz. 20 m.w.N.). Wenn der Unterhaltsberechtigte an einer Erwerbstätigkeit
  364. vollständig gehindert ist, ergibt sich der Unterhaltsanspruch allein aus §§ 1570
  365. bis 1572 BGB, und zwar auch für den Teil des Unterhaltsbedarfs, der nicht
  366. durch das Erwerbshindernis verursacht worden ist, sondern auf den den angemessenen Lebensbedarf übersteigenden Bedarf nach den ehelichen Lebens-
  367. - 17 -
  368. verhältnissen (voller Unterhalt) gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB beruht. Bei
  369. einer - wie hier - lediglich teilweisen Erwerbshinderung ist der Unterhalt nach
  370. der Rechtsprechung des Senats allein wegen des durch die Erwerbshinderung
  371. verursachten Einkommensausfalls nach §§ 1570 bis 1572 BGB zu stützen und
  372. im Übrigen auf § 1573 Abs. 2 BGB (Senatsurteile BGHZ 179, 43 = FamRZ
  373. 2009, 406 - Tz. 20 und vom 14. April 2010 - XII ZR 89/08 - zur Veröffentlichung
  374. bestimmt).
  375. 42
  376. b) Demgemäß hätte das Berufungsgericht zunächst feststellen müssen,
  377. welches Einkommen die Antragstellerin bei einer Ganztagstätigkeit hätte erzielen können; die Differenz zu dem tatsächlich erzielten bzw. fiktiv erzielbaren
  378. Einkommen stellt den nach § 1570 BGB geschuldeten Betreuungsunterhalt dar.
  379. Erst in einem zweiten Schritt kann festgestellt werden, ob bzw. in welcher Höhe
  380. daneben ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB besteht; denn die Höhe dieses Unterhalts ergibt sich aus der Differenz zwischen
  381. dem Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen (voller Unterhalt) gemäß
  382. § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB und dem angemessenen Lebensbedarf (i.d.R. Einkommen aus voller Erwerbstätigkeit).
  383. 43
  384. 4. Weil es an hinreichenden tatrichterlichen Feststellungen fehlt, kann
  385. der Senat nicht abschließend entscheiden. Das angefochtene Urteil ist daher
  386. aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
  387. (§ 563 Abs. 1 ZPO).
  388. III.
  389. 44
  390. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
  391. - 18 -
  392. 45
  393. 1. Um hinreichende Feststellungen zu den Voraussetzungen für einen
  394. Billigkeitsunterhalt nach § 1570 BGB treffen zu können, werden die Parteien im
  395. weiteren Verfahren vom Berufungsgericht aufzufordern sein, ergänzend zu den
  396. kind- und elternbezogenen Gründen vorzutragen und ggf. Beweis anzutreten.
  397. Dabei wird es zu berücksichtigen haben, dass der betreuende Elternteil auch
  398. darzulegen und ggf. zu beweisen hat, dass keine kindgerechte Einrichtung für
  399. die Betreuung des gemeinsamen Kindes zur Verfügung steht (vgl. Senatsurteile
  400. zu § 1615 l BGB vom 13. Januar 2010 - XII ZR 123/08 - FamRZ 2010, 444
  401. Tz. 27 und vom 16. Dezember 2009 - XII ZR 50/08 - FamRZ 2010, 357 Tz. 49).
  402. 46
  403. Sollte sich im Zuge des weiteren Verfahrens herausstellen, dass die Kinder nach Schulschluss von der Antragstellerin in erheblichem Umfang betreut
  404. werden, diese Betreuung aber aus kindbezogenen Gründen nicht erforderlich
  405. ist, wird es - wie im Ansatz bereits zu Recht getan - zu erwägen haben, ob und
  406. in welchem Umfang der Betreuungsunterhalt aus elternbezogenen Gründen
  407. gerechtfertigt wäre.
  408. 47
  409. 2. Ferner wird das Berufungsgericht die zwischenzeitlich eingetretenen
  410. tatsächlichen Änderungen zu berücksichtigen haben, namentlich die aktuelle
  411. Einkommensentwicklung, die sich jedenfalls hinsichtlich des Einkommens des
  412. Antragsgegners von der ursprünglichen Prognose des Berufungsgerichts deutlich abhebt. Mit der Zurückverweisung ist dem Berufungsgericht zudem die
  413. Möglichkeit eröffnet, die Änderungen beim Kindesunterhalt in die Unterhaltsberechnung einzubeziehen, die aufgrund der teilweise geänderten Altersstufen,
  414. der Tatsache, dass das älteste Kind mittlerweile volljährig ist, und aufgrund der
  415. jeweils zum 1. Januar 2009 und 2010 geänderten Düsseldorfer Tabelle sowie
  416. der Änderung beim Kindergeld eingetreten sind.
  417. - 19 -
  418. 48
  419. 3. Zudem wird das Berufungsgericht die Einkommensermittlung auf Seiten der Antragsstellerin zu überprüfen haben, soweit es ihr einen Erwerbstätigenbonus auch auf ihren Wohnvorteil angerechnet hat. Eine solche Anrechnung
  420. ist grundsätzlich nicht zulässig (vgl. Senatsurteil vom 23. November 2005
  421. - XII ZR 51/03 - FamRZ 2006, 387, 391 f.; Wendl/Gerhardt Das Unterhaltsrecht
  422. in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 4 Rdn. 373).
  423. 49
  424. 4. Entgegen der Auffassung der Revision des Antragsgegners dürfte es
  425. jedoch nicht zu beanstanden sein, dass das Berufungsgericht eine zeitliche Begrenzung bzw. die Herabsetzung eines möglichen Unterhaltsanspruchs der Antragstellerin gemäß § 1578 b BGB abgelehnt hat.
  426. 50
  427. a) Eine zeitliche Begrenzung des Betreuungsunterhalts nach § 1578 b
  428. BGB scheidet schon deshalb aus, weil § 1570 BGB in der seit dem 1. Januar
  429. 2008 geltenden Fassung insoweit eine Sonderregelung für die Billigkeitsabwägung enthält. Nach Vollendung des dritten Lebensjahres steht dem betreuenden Elternteil nur noch Betreuungsunterhalt nach Billigkeit zu (§ 1570 Abs. 1
  430. Satz 2 BGB). Im Rahmen dieser Billigkeitsabwägung sind bereits alle kind- und
  431. elternbezogenen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Wenn sie zu
  432. dem Ergebnis führt, dass der Betreuungsunterhalt über die Vollendung des dritten Lebensjahres hinaus wenigstens teilweise fortdauert, können dieselben
  433. Gründe nicht zu einer Befristung im Rahmen der Billigkeit nach § 1578 b BGB
  434. führen (Senatsurteile BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 - Tz. 42 und vom
  435. 6. Mai 2009 - XII ZR 114/08 - FamRZ 2009, 1124 Tz. 55).
  436. 51
  437. b) Nicht zu beanstanden dürfte zudem sein, dass das Berufungsgericht
  438. auch wegen der von ihm festgestellten ehebedingten Nachteile auf Seiten der
  439. Antragstellerin von einer Anwendung des § 1578 b BGB abgesehen hat. Der
  440. hiergegen gerichtete Angriff der Revision des Antragsgegners unter Hinweis
  441. - 20 -
  442. darauf, dass für das Vorliegen eines ehebedingten Nachteils die Unterhaltsberechtigte die Darlegungs- und Beweislast trage, geht fehl.
  443. 52
  444. aa) Die Darlegungs- und Beweislast für Umstände, die zu einer Befristung oder Beschränkung des nachehelichen Unterhalts führen können, trägt
  445. grundsätzlich der Unterhaltsverpflichtete, weil § 1578 b BGB als Ausnahmetatbestand konzipiert ist (Senatsurteile vom 24. März 2010 - XII ZR 175/08 - zur
  446. Veröffentlichung bestimmt und vom 14. Oktober 2009 - XII ZR 146/08 - FamRZ
  447. 2009, 1990 Tz. 18). In die Darlegungs- und Beweislast des Unterhaltspflichtigen
  448. fällt grundsätzlich auch der Umstand, dass der Klägerin keine ehebedingten
  449. Nachteile im Sinne von § 1578 b BGB entstanden sind (Senatsurteil vom
  450. 24. März 2010 - XII ZR 175/08 - zur Veröffentlichung bestimmt, Klarstellung zu
  451. den Senatsurteilen vom 14. Oktober 2009 - XII ZR 146/08 - FamRZ 2009, 1990
  452. Tz. 18; vom 16. April 2008 - XII ZR 107/06 - FamRZ 2008, 1325; vom
  453. 14. November 2007 - XII ZR 16/07 - FamRZ 2008, 134 und vom 28. März 1990
  454. - XII ZR 64/89 - FamRZ 1990, 857).
  455. 53
  456. Die dem Unterhaltspflichtigen obliegende Darlegungs- und Beweislast erfährt jedoch Erleichterungen nach den von der Rechtsprechung zum Beweis
  457. negativer Tatsachen entwickelten Grundsätzen der sekundären Behauptungslast. Danach hat der Unterhaltsberechtigte die Behauptung, es seien keine
  458. ehebedingten Nachteile entstanden, substantiiert zu bestreiten und seinerseits
  459. darzulegen, welche konkreten ehebedingten Nachteile ihm entstanden sind.
  460. Erst wenn das Vorbringen des Unterhaltsberechtigten diesen Anforderungen
  461. genügt, müssen die vorgetragenen ehebedingten Nachteile vom Unterhaltspflichtigen widerlegt werden (Senatsurteil vom 24. März 2010 - XII ZR 175/08 zur Veröffentlichung bestimmt).
  462. - 21 -
  463. bb) Vor dem Hintergrund des substantiierten Vortrages der Antragstelle-
  464. 54
  465. rin zum Vorliegen ehebedingter Nachteile ist es unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht den Vorhalt des Antragsgegners, das Karrieregefälle sei nicht familienbedingt, sondern beruhe auf der Bequemlichkeit und persönlichen Unstrukturiertheit der Antragstellerin, als nicht ausreichend substantiiert und damit
  466. die Darlegungen der Antragstellerin zum Bestehen eines ehebedingten Nachteils letztlich nicht als widerlegt erachtet hat.
  467. Hahne
  468. Weber-Monecke
  469. Schilling
  470. Dose
  471. Günter
  472. Vorinstanzen:
  473. AG Freiburg, Entscheidung vom 21.11.2007 - 44 F 8/06 OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 05.08.2008 - 18 UF 252/07 -