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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XII ZR 112/03
  5. Verkündet am:
  6. 30. November 2005
  7. Breskic,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. ja
  17. ZPO § 519 b Abs. 1 a.F.
  18. Eine zunächst zulässige Berufung wird unzulässig, wenn der Berufungskläger
  19. nach Wegfall der Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil (hier: durch Abschluss eines Vergleichs) mit der Berufung nur noch eine Erweiterung der Klage in zweiter Instanz verfolgt. Auf die Zulässigkeit der Klageerweiterung als solcher kommt es dann nicht mehr an.
  20. BGH, Urteil vom 30. November 2005 - XII ZR 112/03 - OLG Rostock
  21. LG Neubrandenburg
  22. -2-
  23. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  24. vom 30. November 2005 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, den Richter Sprick, die Richterin Weber-Monecke, den Richter Fuchs und die Richterin
  25. Dr. Vézina
  26. für Recht erkannt:
  27. Auf die Revision der Beklagten wird das Schlussurteil des
  28. 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 28. April 2003
  29. im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es der Klage stattgegeben hat.
  30. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des
  31. Landgerichts Neubrandenburg vom 13. Oktober 1998, wird auch
  32. insoweit (Klageerweiterung vom 23. Juli 2001) als unzulässig verworfen.
  33. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin
  34. 55 %, die Beklagte 45 %.
  35. Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.
  36. Im Übrigen trägt die Klägerin die Kosten des Revisionsverfahrens.
  37. Von Rechts wegen
  38. Tatbestand:
  39. 1
  40. Die Klägerin verlangt von der Beklagten rückständige Miete aus einem
  41. Mietvertrag vom 21. Juni 1994.
  42. -3-
  43. Mit Urteil vom 13. Oktober 1998 hat das Landgericht die Beklagte verur-
  44. 2
  45. teilt, von den bis Juni 1998 in Höhe von 123.934,69 DM geltend gemachten
  46. Mietrückständen 72.144,71 DM an die Klägerin zu zahlen. Im Übrigen hat es
  47. die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt.
  48. 3
  49. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin die Klage wiederholt um weitere
  50. zwischenzeitlich rückständig gewordene Mieten erweitert.
  51. 4
  52. Mit "Teilvergleich" vom 17. September 2001 haben die Parteien sich über
  53. sämtliche bis zum 31. Oktober 2000 angefallenen Zahlungsverpflichtungen der
  54. Beklagten aus dem Mietvertrag und über die Verteilung der Kosten erster Instanz und des Teilvergleichs geeinigt.
  55. 5
  56. Über die in zweiter Instanz mit Klageerweiterung vom 23. Juli 2001
  57. rechtshängig gemachten weiteren Mietrückstände in Höhe von 54.692,85 €
  58. (106.969,92 DM) für die Zeit von November 2000 bis Mai 2001 haben sie keine
  59. Einigung erzielt. Die Beklagte hat dieser Klageerweiterung mit Schriftsatz vom
  60. 30. November 2001 zugestimmt. Einer weiteren Klageerweiterung vom
  61. 14. März 2003 auf Zahlung von Mietrückständen von Juni 2001 bis März 2003
  62. (352.263,44 €) hat sie widersprochen.
  63. 6
  64. Das Berufungsgericht hat die Beklagte auf die Klageerweiterung vom
  65. 23. Juli 2001 zur Zahlung von 52.426,19 € verurteilt und die weitere Klage
  66. (2.266,67 €) abgewiesen. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin (Klageerweiterung vom 14. März 2003) als unzulässig verworfen.
  67. 7
  68. Das Berufungsgericht hat die Revision der Beklagten zugelassen, weil es
  69. in der Frage der Zulässigkeit der mit der Klageerweiterung vom 23. Juli 2001
  70. -4-
  71. verfolgten Berufung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen ist.
  72. 8
  73. Mit der Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.
  74. Entscheidungsgründe:
  75. I.
  76. 9
  77. Das Berufungsgericht hält die Berufung der Klägerin für zulässig, soweit
  78. diese mit ihr die in zweiter Instanz mit Schriftsatz vom 23. Juli 2001 erweiterte
  79. Klage verfolgt.
  80. 10
  81. Zwar sei die Beschwer der Klägerin im Laufe des Berufungsverfahrens
  82. durch den Teilvergleich vom 17. September 2001, der sämtliche erstinstanzlich
  83. geltend gemachten Ansprüche einschließlich der Kosten erster Instanz umfasse, entfallen. Das Klageziel habe sich somit bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht mehr gegen die im angefochtenen
  84. Urteil liegende Beschwer gerichtet. Dadurch werde nach der Rechtsprechung
  85. des Bundesgerichtshofs (BGH Urteil vom 15. März 2002 - V ZR 39/01 NJW-RR 2002, 1435) die Berufung grundsätzlich unzulässig. Das sei hier hinsichtlich der Klageerweiterung vom 23. Juli 2001 jedoch nicht der Fall, weil die
  86. Beklagte der Klageerweiterung zugestimmt habe und diese somit vor Abschluss
  87. des Teilvergleichs zulässig gewesen sei. In diesem Fall spreche die Prozessökonomie für das Fortbestehen der Zulässigkeit der Berufung auch nach Wegfall der Beschwer infolge des Teilvergleichs. Mit diesem hätten die Parteien
  88. zwar den erstinstanzlichen Streitstoff erledigen wollen. Indessen habe zwischen
  89. ihnen und dem Senat Einigkeit darüber bestanden, dass dieser über den
  90. verbleibenden Streitstoff entscheiden solle. Hiervon ausgehend hätten die Par-
  91. -5-
  92. teien darauf vertrauen dürfen, dass der Senat eine Sachentscheidung treffe,
  93. soweit die Beklagte der Klageerweiterung zustimme. Die erweiterte Klage vom
  94. 23. Juli 2001 sei im Wesentlichen auch begründet.
  95. 11
  96. Demgegenüber sei die Klageerweiterung vom 14. März 2003 nicht zulässig, weil sie sich nicht mehr gegen die im angefochtenen Urteil liegende Beschwer richte und zum Zeitpunkt ihrer Anhängigkeit der Rechtsstreit hinsichtlich
  97. des
  98. erstinstanzlich
  99. entschiedenen
  100. Teils
  101. bereits
  102. durch
  103. Vergleich
  104. vom
  105. 17. September 2001 erledigt gewesen sei. Durch die Klageerweiterung vom
  106. 14. März 2003 habe die Klägerin nicht mehr die aus dem erstinstanzlichen Urteil folgende Beschwer beseitigen wollen, sondern einen neuen Streitgegenstand, nämlich die Mietzinszahlungen für den Zeitraum ab Juni 2001 bis März
  107. 2003 zum Gegenstand des Berufungsverfahrens machen wollen. Für die Zulässigkeit der Berufung gegen ein klageabweisendes Urteil komme es auf das Klageziel bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht an.
  108. Es müsse sich auch in diesem Zeitpunkt noch gegen die im angefochtenen Urteil liegende Beschwer richten. Eben diese Beschwer sei jedoch durch den Vergleich entfallen. Ob die erweiterte Klage bei Zustimmung der Beklagten zulässig
  109. gewesen wäre, bedürfe keiner Entscheidung, da die Beklagte nicht zugestimmt
  110. habe.
  111. II.
  112. 12
  113. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
  114. 13
  115. 1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass eine Berufung nur zulässig ist, wenn ihr Ziel noch bei Schluss der
  116. mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht - zumindest auch - die Be-
  117. -6-
  118. seitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer ist (BGH Urteil
  119. vom 15. März 2002 - V ZR 39/01 - aaO m.w.N.).
  120. 14
  121. 2. Zu Unrecht hält das Berufungsgericht jedoch die Berufung, soweit mit
  122. ihr die Klageerweiterung vom 23. Juli 2001 verfolgt wird, für zulässig.
  123. 15
  124. a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die in der Literatur weitgehend Zustimmung gefunden hat, setzt eine zulässige Klageerweiterung in der Berufungsinstanz eine zulässige Berufung voraus. Eine solche
  125. liegt nur dann vor, wenn der Berufungskläger noch bei Schluss der mündlichen
  126. Verhandlung die aus dem erstinstanzlichen Urteil folgende Beschwer beseitigen
  127. will. Eine Berufung des Klägers ist danach unzulässig, wenn sie den in erster
  128. Instanz erhobenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt,
  129. sondern lediglich im Wege der Klageerweiterung einen neuen, bislang nicht
  130. geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt. Die bloße Erweiterung
  131. oder Änderung der Klage in zweiter Instanz (§§ 523, 263 ZPO a.F.) kann nicht
  132. alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein (BGHZ 155, 21, 26; BGH Urteile vom
  133. 15. März 2002 - V ZR 39/01 - aaO; vom 4. Februar 2002 - II ZR 214/01 NJW-RR 2002, 1073, 1074; vom 11. Oktober 2000 - VIII ZR 321/99 - NJW
  134. 2001, 226; vom 6. Mai 1999 - IX ZR 250/98 - NJW 1999, 2118, 2119 m.w.N.;
  135. MünchKomm/Rimmelspacher ZPO Aktualisierungsband 2. Aufl. vor § 511
  136. Rdn. 25; Musielak/Ball ZPO 4. Aufl. vor § 511 Rdn. 26; Zöller/Gummer ZPO
  137. 25. Aufl. vor § 511 Rdn. 10 a; Baumbach/Lauterbach/Albers ZPO 62. Aufl.
  138. Grundz § 511 Rdn. 13; a.A. Stein/Jonas/Grunsky ZPO 21. Aufl. Einl. V vor
  139. § 511 Rdn. 73).
  140. 16
  141. b) Danach ist hier die Zulässigkeit der Berufung mit Abschluss des Teilvergleichs entfallen. Ab diesem Zeitpunkt verfolgte die Klägerin mit der Berufung nicht mehr die Beseitigung der Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil.
  142. -7-
  143. Vielmehr waren bei Schluss der mündlichen Verhandlung ausschließlicher Gegenstand des Berufungsverfahrens die erstmals in zweiter Instanz durch Klageerweiterungen vom 23. Juli 2001 und 14. März 2003 eingeführten, zuvor nicht
  144. geltend gemachten, Mietrückstände.
  145. 17
  146. 3. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen.
  147. 18
  148. a) Soweit das Berufungsgericht meint, die Zulässigkeit der Klageerweiterung vor Wegfall der Beschwer spreche aus prozessökonomischen Gründen für
  149. das Fortbestehen der Zulässigkeit der Berufung auch nach Wegfall der Beschwer, trifft schon der Ausgangspunkt, die Klageerweiterung sei vor Abschluss
  150. des Teilvergleichs am 17. September 2001 zulässig gewesen, nicht zu. Die Beklagte hat erst mit Schriftsatz vom 30. November 2001 ihre Zustimmung zu der
  151. - vom Berufungsgericht im Übrigen nicht als sachdienlich angesehenen - Klageerweiterung erteilt. Zu diesem Zeitpunkt war die Berufung bereits unzulässig,
  152. so dass die Zustimmung ins Leere ging. Die Beklagte hat sich auch nicht zuvor
  153. rügelos auf die Klageänderung eingelassen. Denn der Antrag der Klägerin aus
  154. dem Schriftsatz vom 23. Juli 2001 wurde erstmals im Verhandlungstermin vom
  155. 7. April 2003 gestellt.
  156. 19
  157. b) Darauf kommt es aber letztlich nicht an. Auch wenn die Klageerweiterung vor Wegfall der Beschwer durch den Vergleich zulässig gewesen wäre,
  158. wäre die Berufung mit dem Wegfall der Beschwer unzulässig geworden. Denn
  159. für die Zulässigkeit der Berufung kommt es auf das Klageziel bei Schluss der
  160. mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht an. Gründe der Prozessökonomie, die dafür sprechen könnten, ein ausschließlich auf Klageerweiterung
  161. gerichtetes Rechtsmittel im Interesse einer baldigen Erledigung des Rechtsstreits zuzulassen, haben kein solches Gewicht, dass sie es rechtfertigen könn-
  162. -8-
  163. ten, das grundlegende Erfordernis aller Rechtsmittel aufzugeben, wonach der
  164. Angriff des Rechtsmittelführers auf die Beseitigung der im vorinstanzlichen Urteil enthaltenen Beschwer gerichtet sein und die Richtigkeit dieses Urteils in
  165. Frage gestellt werden muss (BGH Urteile vom 13. Juni 1996 - III ZR 40/96 NJW-RR 1996, 1276; vom 6. Mai 1999 - IX ZR 250/98 - NJW 1999, 2118, 2119
  166. aaO).
  167. 20
  168. 4. Da die Berufung mit dem Teilvergleich vom 17. September 2001 vor
  169. dem Schluss der mündlichen Verhandlung unzulässig geworden ist, kann das
  170. Verfahren auch nicht mit den neuen Anträgen fortgeführt werden (BGH Urteil
  171. vom 15. März 2002 - V ZR 39/01 - aaO). Das Berufungsgericht hätte deshalb
  172. über die Klageerweiterung vom 23. Juli 2001 nicht mehr befinden dürfen, sondern die Berufung als unzulässig verwerfen müssen. Das Berufungsurteil ist
  173. deshalb insoweit aufzuheben und die Berufung auch hinsichtlich der Klageerweiterung vom 23. Juli 2001 als unzulässig zu verwerfen.
  174. -9-
  175. III.
  176. 21
  177. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 98 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO,
  178. § 21 GKG.
  179. Hahne
  180. Sprick
  181. Fuchs
  182. Weber-Monecke
  183. Vézina
  184. Vorinstanzen:
  185. LG Neubrandenburg, Entscheidung vom 13.10.1998 - 7 O 45/98 OLG Rostock, Entscheidung vom 28.04.2003 - 3 U 227/98 -