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13 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZB 87/03
  4. vom
  5. 23. Juli 2003
  6. in der Betreuungssache
  7. Nachschlagewerk: ja
  8. BGHZ:
  9. nein
  10. FGG § 28 Abs. 2; BVormVG § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2
  11. Zu den Voraussetzungen einer zulässigen Vorlage nach § 28 Abs. 2 FGG gehört,
  12. daß die Rechtsauffassung, von der das vorlegende Oberlandesgericht abweichen
  13. will, für die Entscheidung des anderen Oberlandesgerichts ausweislich des Inhalts
  14. dieser Entscheidung erheblich gewesen ist.
  15. Zu den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Berufsvormündervergütungsgesetz.
  16. BGH, Beschluß vom 23. Juli 2003 - XII ZB 87/03 - OLG Schleswig
  17. AG Norderstedt
  18. -2-
  19. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juli 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Prof.
  20. Dr. Wagenitz und Dr. Ahlt
  21. beschlossen:
  22. Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht
  23. zur Behandlung und Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückgegeben.
  24. Gründe:
  25. I.
  26. Die Beteiligten streiten um die Höhe der dem Beteiligten zu 1 zustehenden Betreuervergütung.
  27. Der mittellose Betroffene wurde 1976 wegen Geistesschwäche entmündigt. 1994 wurde für ihn ein Vereinsbetreuer mit den Aufgabenkreisen "Bestimmung des Aufenthalts, Zustimmung zu ärztlichen Behandlungsmaßnahmen und
  28. Vertretung der Interessen gegenüber dem psychiatrischen Krankenhaus R. ..."
  29. bestellt. Am 9. Oktober 2001 wurde - nach einem Umzug des Betroffenen - der
  30. bisherige Betreuer entlassen und der Beteiligte zu 1 als Berufsbetreuer für diese Aufgabenkreise bestellt.
  31. Das Vormundschaftsgericht hat mit Beschluß vom 19. März 2002 die im
  32. Jahr 2001 angefallene Vergütung des Beteiligten zu 1 nach einem Stundensatz
  33. von 60 DM bemessen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Be-
  34. -3-
  35. teiligten zu 2 hat das Landgericht mit Beschluß vom 29. Oktober 2002 zurückgewiesen. Mit seiner zugelassenen sofortigen weiteren Beschwerde hält der
  36. Beteiligte zu 2 an seiner Auffassung fest, der Beteiligte zu 1 sei zwar DiplomBetriebswirt, verfüge damit aber noch über keine nennenswerten Fachkenntnisse, die ihm bei der Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgabenkreise besonders zugute kämen.
  37. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht möchte der vom Landgericht vertretenen Ansicht folgen, wonach die in § 1 Abs. 2 des Berufsvormündervergütungsgesetzes (BVormVG) enthaltene Vermutung für die Nutzbarkeit
  38. der besonderen - vergütungssteigernden - Kenntnisse in der konkreten Betreuung nur dann entfalle, wenn das Vormundschaftsgericht bei der Bestellung des
  39. Betreuers etwas anderes bestimmt habe, was hier nicht geschehen sei. Es
  40. möchte deshalb die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2 zurückweisen, sieht sich daran aber durch die Entscheidungen des damals zuständigen 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 14. März 2000
  41. (FamRZ 2000, 847) und vom 10. Juli 2000 (FamRZ 2000, 1306) gehindert. Wie
  42. die Auskünfte des Vorsitzenden des 15. Zivilsenats und eine schriftliche Mitteilung des nunmehr zuständigen 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden
  43. ergeben hätten, beruhten die genannten Entscheidungen auf der Auffassung,
  44. daß die Vermutung des § 1 Abs. 2 BVormVG nur greife, wenn "die Ausbildung
  45. des Betreuers zum Kreis seiner Aufgaben paßt". An dieser Auffassung halte
  46. das Oberlandesgericht Dresden auch fest.
  47. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat deshalb die Sache
  48. gemäß § 28 Abs. 2 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
  49. -4-
  50. II.
  51. Die Sache ist dem vorlegenden Oberlandesgericht zur Entscheidung in
  52. eigener Zuständigkeit zurückzugeben. Die Vorlage ist nicht zulässig.
  53. Zu den Voraussetzungen einer zulässigen Vorlage gemäß § 28 Abs. 2
  54. FGG gehört, daß das vorlegende Oberlandesgericht von einer auf weitere Beschwerde ergangenen Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts abweichen will. Die Abweichung muß dieselbe Rechtsfrage betreffen und die Beantwortung dieser Rechtsfrage muß für beide Entscheidungen erheblich sein. Der
  55. Bundesgerichtshof ist zwar an die für die Entscheidungserheblichkeit maßgebende rechtliche Beurteilung des Falles, wie sie dem Vorlagebeschluß zugrunde gelegt ist, gebunden. Er prüft aber, ob die Rechtsauffassung, von der das
  56. vorlegende Oberlandesgericht abweichen will, für die Entscheidung des anderen Oberlandesgerichts erheblich gewesen ist (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 1. Juli 1998 - XII ZB 181/97 - FamRZ 1999, 22, 23 und vom
  57. 19. März 2003 - XII ZB 121/01 - FamRZ 2003, 868, 869). Die Entscheidung des
  58. anderen Oberlandesgerichts muß also auf der abweichenden Beurteilung der
  59. Rechtsfrage beruhen. Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, daß die
  60. strittige Rechtsfrage in der Entscheidung des anderen Oberlandesgerichts erörtert und beantwortet ist und das Ergebnis für die Entscheidung von Einfluß
  61. war (Senatsbeschluß vom 17. Oktober 1988 - IVb ZB 37/88 - FamRZ 1989, 48).
  62. An diesem Erfordernis fehlt es im vorliegenden Fall.
  63. In seiner Entscheidung vom 14. März 2000 (aaO) hat das Oberlandesgericht Dresden einer Vereinsbetreuerin einen Stundensatz nach § 1 Abs. 1
  64. Satz 2 Nr. 2 BVormVG (60 DM abzüglich 10 % gemäß Art. 4 BtÄndG; höchster
  65. Stundensatz) zugebilligt. Die Betreuerin verfügte über einen nach Art. 37 Einigungsvertrag anerkannten Hochschulabschluß als Diplomlehrerin für Mathema-
  66. -5-
  67. tik und Physik; sie hatte im Rahmen ihrer Ausbildung über vier Semester die
  68. Fächer Pädagogik und Psychologie belegt und entsprechende Hauptprüfungen
  69. abgelegt. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hatte die Betreuerin damit
  70. Fachkenntnisse erworben, die für die ihr übertragenen Wirkungskreise Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge nutzbar und durch eine in ihrem
  71. Kernbereich auf die Vermittlung dieser Fachkenntnisse ausgerichtete Hochschulausbildung erworben waren. Von diesem Ausgangspunkt, dessen Richtigkeit hier nicht zu überprüfen ist, hatte das Oberlandesgericht Dresden keinen
  72. Anlaß, sich in der zitierten Entscheidung mit § 1 Abs. 2 BVormVG und der hierzu vom vorlegenden Oberlandesgericht thematisierten Rechtsfrage auseinanderzusetzen: Der Betreuerin war, folgt man dem Oberlandesgericht Dresden,
  73. der höchste Stundensatz bereits nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BVormVG zuzubilligen; auf die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 BVormVG kam es deshalb
  74. nicht an. Diese Vorschrift findet ebenso wie die vom vorlegenden Oberlandesgericht herausgestellte Rechtsfrage in der Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden folglich auch keine Erwähnung.
  75. In seiner Entscheidung vom 10. Juli 2000 (aaO) hat das Oberlandesgericht Dresden einem Betreuer einen Stundensatz nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
  76. BVormVG (45 DM abzüglich 10 % gemäß Art. 4 BtÄndG; mittlerer Stundensatz)
  77. verweigert. Der Betreuer, der für die Aufgabenkreise der Vertretung in Wohnungsangelegenheiten und gegenüber Ämtern sowie der Energieversorgung
  78. und für das Öffnen von Post bestellt war, verfügte über eine Berufsausbildung
  79. als Altenpfleger; ihm waren im Rahmen seiner Ausbildung in Nebenfächern
  80. auch rechtliche und wirtschaftliche Kenntnisse vermittelt worden. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts sind Rechtskenntnisse zwar für Betreuungen
  81. stets nutzbar; die Ausbildung zum Altenpfleger sei jedoch nicht in ihrem Kernbereich auf die Vermittlung solcher Kenntnisse ausgerichtet. Fachwissen, das
  82. soziale Kompetenz im Verhältnis zum Betreuten und zwischenmenschliche
  83. -6-
  84. Kommunikationsfähigkeit vermittle, könne zwar für die Betreuung nutzbar sein;
  85. doch sei hier im Einzelfall zu prüfen, ob die jeweilige Ausbildung des Betreuers
  86. die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 BVormVG (mittlerer und
  87. höchster Stundensatz) erfülle. Das sei hier nicht der Fall. Die Ausbildung zum
  88. Altenpfleger vermittle in ihrem Kernbereich medizinisches Grundlagenwissen
  89. sowie Kenntnisse über die Pflege von alten und kranken Menschen; dieses
  90. Wissen sei jedoch nur dann für die konkrete Betreuung nutzbar, wenn diese
  91. - anders als hier - auch die Gesundheitssorge umfasse.
  92. Auch bei Zugrundelegung dieser Beurteilung, die vom Senat nicht auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen ist, hatte das Oberlandesgericht Dresden keinen Anlaß, sich mit der vom vorlegenden Oberlandesgericht herausgestellten
  93. Rechtsfrage auseinanderzusetzen: Da das Oberlandesgericht Dresden zwar
  94. Rechtskenntnissen eine generelle Betreuungsrelevanz zuerkannt, dem im
  95. Rahmen der Ausbildung zum Altenpfleger erwobenen Fachwissen eine solche
  96. allgemeine Nutzbarkeit für Betreuungen jedoch abgesprochen hat, blieb für eine
  97. Anwendung des § 1 Abs. 2 BVormVG von vornherein kein Raum. Auch in dieser Entscheidung hat das Oberlandesgericht Dresden folglich § 1 Abs. 2
  98. BVormVG nicht angesprochen und die vom vorlegenden Oberlandesgericht
  99. thematisierte Frage, ob die Vorhaltung eines für Betreuungen allgemein nutzbaren Fachwissens zwingend eine höhere Vergütung des Betreuers bewirke, falls
  100. das Vormundschaftsgericht nicht nach § 1 Abs. 2 Satz 2 BVormVG etwas anderes bestimme, nicht erörtert.
  101. Die vom vorlegenden Oberlandesgericht mitgeteilten Auskünfte der Vorsitzenden des 3. und des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden belegen nichts anderes. Sie sind auch sonst nicht geeignet, eine Abweichung im
  102. Sinne des § 28 Abs. 2 FGG zu begründen. Das Vorliegen einer solchen Abwei-
  103. -7-
  104. chung muß sich aus den Entscheidungen, von denen abgewichen werden soll,
  105. selbst ergeben. Das ist hier nicht der Fall.
  106. III.
  107. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
  108. 1. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 BVormVG knüpft die Vergütungssteigerung
  109. an besondere, durch Ausbildung erworbene Kenntnisse, die für die konkrete
  110. Betreuung "nutzbar" sind. Diese Kenntnisse müssen also nicht - im Sinne einer
  111. conditio sine qua non - für eine ordnungsgemäße Amtsführung des Betreuers
  112. erforderlich sein. Das Gesetz begnügt sich vielmehr mit der potentiellen Nützlichkeit dieser Fachkenntnisse; eine konkrete Nutzung des vom Betreuer vorgehaltenen Wissens wird nicht verlangt (vgl. etwa MünchKomm/Wagenitz BGB
  113. 4. Aufl. § 1836 Rdn. 28). Das vorlegende Oberlandesgericht hat nicht festgestellt, daß den Fachkenntnissen, die durch das Studium der Betriebswirtschaft
  114. vermittelt werden, eine solche Nützlichkeit gerade für die Wahrnehmung der
  115. dem Beteiligten zu 1 übertragenen Aufgabenkreise zukommt. Dagegen dürfte
  116. nichts zu erinnern sein.
  117. 2. Die vom vorlegenden Oberlandesgericht herangezogene Regelung
  118. des § 1 Abs. 2 Satz 1 BVormVG normiert eine - widerlegbare - Vermutung,
  119. nach der besondere Kenntnisse des Betreuers, die für Betreuungen allgemein
  120. nutzbar sind, auch für die konkrete Betreuung nutzbar sind. Diese Regelung
  121. wird man sinngemäß auch dann anwenden können, wenn ein Betreuer über
  122. Fachkenntnisse verfügt, die zwar nicht für alle Arten von Betreuung, wohl aber
  123. für bestimmte Aufgabenkreise allgemein nutzbar sind und deren Nutzbarkeit
  124. -8-
  125. deshalb für die konkrete Betreuung vermutet wird, wenn die konkrete Betreuung
  126. diesen Aufgabenkreis umfaßt (BT-Drucks. 13/7158 S. 15 linke Spalte 1. Abs.).
  127. Die Anwendung des § 1 Abs. 2 Satz 1 BVormVG setzt allerdings stets die vorrangige Feststellung der allgemeinen Nutzbarkeit dieser Fachkenntnisse voraus
  128. - sei es, daß dieses Erfordernis auf jedwede Art von Betreuungen, sei es, daß
  129. es nur auf Betreuungen mit bestimmten Aufgabenkreisen bezogen wird. Bei
  130. dieser in erster Linie dem Tatrichter obliegenden Beurteilung dürften strenge
  131. Maßstäbe anzulegen sein. So wird man dem Fachwissen eines Betriebswirtes
  132. keine allgemeine Betreuungsrelevanz beimessen können; auch dürfte es eher
  133. fernliegen, diesem Fachwissen eine allgemeine Nützlichkeit für die gerade hier
  134. in Frage stehenden Aufgabenkreise zu attestieren.
  135. 3. Fehlt es an der allgemeinen - sei es für jedwede Art von Betreuungen,
  136. sei es für Betreuungen mit bestimmten Aufgabenkreisen geltenden - Nutzbarkeit von Fachkenntnissen, bleibt für eine Anwendung des § 1 Abs. 2 Satz 1
  137. BVormVG von vornherein kein Raum. § 1 Abs. 2 Satz 2 BVormVG steht dem
  138. nicht entgegen: Mit der hiernach möglichen anderweitigen Bestimmung des
  139. Vormundschaftsgerichts soll dem Vormundschaftsgericht vorrangig die Möglichkeit eröffnet werden, Betreuer, die an sich über für die konkrete Betreuung
  140. nutzbare Fachkenntnisse verfügen, bei einem Überangebot in dieser Weise
  141. qualifizierter Betreuer "unter Wert" zu beschäftigen (Soergel/Zimmermann BGB
  142. 13. Aufl. § 1836 a Rdn. 54 f.; vgl. auch BT-Drucks. 13/7158 S. 15 mit Zweifeln,
  143. ob dieses Ziel im Hinblick auf die Möglichkeit jedes Betreuers, die Nutzbarkeit
  144. seiner Fachkenntnisse nachzuweisen und so eine Vergütungssteigerung nach
  145. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 BVormVG zu erwirken, erreichbar ist). Zwar mag die
  146. Vorschrift auch eine Handhabe bieten, die Vermutung des § 1 Abs. 2 Satz 1
  147. BVormVG - im Hinblick auf die besonderen tatsächlichen Verhältnisse der konkreten Betreuung - gleichsam von vornherein zu widerlegen. Sie bewirkt jedoch
  148. nach Sinn und Systematik nicht, daß eine Widerlegung dieser Vermutung - das
  149. -9-
  150. Vorliegen der Vermutungsvoraussetzungen (dazu oben unter 2.) unterstellt - auf
  151. die Fälle einer nach § 1 Abs. 2 Satz 2 BVormVG zu treffenden anderweitigen
  152. Bestimmung des Vormundschaftsgerichts beschränkt wäre.
  153. Hahne
  154. Sprick
  155. Wagenitz
  156. Weber-Monecke
  157. Bundesrichter Dr. Ahlt ist urlaubsbedingt
  158. verhindert zu unterschreiben.
  159. Hahne