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212 lines
8.5 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZB 660/11
  4. vom
  5. 10. Oktober 2012
  6. in der Sache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. FamFG § 62
  14. Die Rechtswidrigkeit einer erledigten Maßnahme i.S.v. § 62 FamFG ist im Beschwerdeverfahren zu klären (im Anschluss an BGH Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB
  15. 116/10 - FGPrax 2011, 143 Rn. 6). Ein isoliertes Feststellungsverfahren vor einem
  16. erstinstanzlichen Gericht ist demgegenüber nicht statthaft.
  17. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - XII ZB 660/11 - LG Chemnitz
  18. AG Chemnitz
  19. -2-
  20. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Oktober 2012 durch den
  21. Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Dr. Vézina und die Richter Schilling,
  22. Dr. Günter und Dr. Botur
  23. beschlossen:
  24. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer
  25. des Landgerichts Chemnitz vom 14. November 2011 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
  26. Beschwerdewert: 3.000 €
  27. Gründe:
  28. I.
  29. 1
  30. Die Antragstellerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung ihrer Betreuung sowie namentlich die Befreiung von der Betreuervergütung.
  31. 2
  32. Mit Beschluss vom 4. September 2008 bestellte das Amtsgericht der Antragstellerin einen Betreuer. Auf ihren "Widerspruch" hin hob das Amtsgericht
  33. die Betreuung mit Beschluss vom 9. Oktober 2008 auf. Mit weiterem Beschluss
  34. vom 2. Dezember 2008 setzte das Amtsgericht eine von der Antragstellerin zu
  35. zahlende Betreuervergütung von 387,20 € fest. Die hiergegen eingelegten
  36. Rechtsmittel blieben erfolglos.
  37. 3
  38. Am 17. Juni 2010 hat die Antragstellerin beim Amtsgericht beantragt, die
  39. Rechtswidrigkeit der angeordneten Betreuung festzustellen, der Staatskasse
  40. die Kosten der Betreuervergütung in Höhe von 387,20 € aufzuerlegen und die
  41. -3-
  42. zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen
  43. Auslagen der Betroffenen zu erstatten.
  44. 4
  45. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Das Landgericht hat
  46. die Beschwerde der Antragstellerin als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet
  47. sich die Antragstellerin mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
  48. II.
  49. 5
  50. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
  51. 6
  52. 1. Auf das vorliegende Verfahren ist das zum 1. September 2009 in Kraft
  53. getretene Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) anzuwenden.
  54. 7
  55. Das Verfahren auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angeordneten
  56. Betreuung ist von der Antragstellerin am 17. Juni 2010 eingeleitet worden.
  57. 8
  58. Das diesem Antrag zugrunde liegende, seit Juni 2008 anhängige Verfahren war bereits durch den Aufhebungsbeschluss des Amtsgerichts vom
  59. 9. Oktober 2008 abgeschlossen. Zwar ist ein Verfahren i.S.d. Art. 111 Abs. 1
  60. Satz 1 FGG-RG nicht nur das Verfahren bis zum Abschluss einer Instanz. Vielmehr bezeichnet der Begriff die gesamte, bei Einlegung entsprechender
  61. Rechtsmittel auch mehrere Instanzen umfassende gerichtliche Tätigkeit in einer
  62. Sache (Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ
  63. 2011, 100 Rn. 10). Der Feststellungsantrag ist von der Antragstellerin jedoch
  64. nicht im Rechtsmittelverfahren, sondern isoliert nach Abschluss des Betreuungsverfahrens gestellt worden.
  65. -4-
  66. 9
  67. 2. Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist nach
  68. § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.
  69. 10
  70. a) Nach Auffassung des Landgerichts ist die Beschwerde unzulässig.
  71. Dem Antrag auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit mangele es am
  72. Rechtsschutzbedürfnis, damit auch der Beschwerde. Es könne dahinstehen, ob
  73. das Rechtsmittel bereits deshalb unzulässig sei, weil die Betreuerbestellung auf
  74. den "Widerspruch" der vormals Betroffenen vom Amtsgericht aufgehoben worden sei und die Betreuungsmaßnahme damit ihre Erledigung gefunden habe.
  75. Jedenfalls sei die Unzulässigkeit (richtig Zulässigkeit) der Beschwerde wegen
  76. fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses auch unter Beachtung der ständigen
  77. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 4 GG zu verneinen.
  78. 11
  79. b) Diese Ausführungen halten im Ergebnis rechtlicher Überprüfung
  80. stand.
  81. 12
  82. aa) Allerdings hätte das Landgericht die Beschwerde nicht mangels
  83. Rechtsschutzbedürfnisses verwerfen dürfen. Die Antragstellerin wollte vielmehr
  84. im Rahmen der Beschwerde die Auffassung des Amtsgerichts, dass sie kein
  85. Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Betreuung
  86. habe, vom Beschwerdegericht überprüfen lassen. Ihr Rechtsschutzbedürfnis
  87. ergab sich mithin aus der Beschwer durch die angefochtene Entscheidung des
  88. Amtsgerichts.
  89. -5-
  90. 13
  91. bb) Dies führt indes nicht zum Erfolg der Rechtsbeschwerde, weil die
  92. Beschwerde nach den vom Beschwerdegericht getroffenen und im Übrigen unstreitigen Feststellungen in der Sache unbegründet ist.
  93. 14
  94. Die von der Antragstellerin begehrte isolierte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung der Betreuung ist nicht statthaft.
  95. 15
  96. (1) In dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat der Gesetzgeber mit § 62
  97. - erstmals für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit - die Statthaftigkeit
  98. der Beschwerde nach Erledigung der Hauptsache geregelt. Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht nach § 62 Abs. 1 FamFG auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt
  99. hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung
  100. hat. Aus dieser Regelung folgt, dass die Frage der Rechtswidrigkeit einer erledigten Maßnahme im Beschwerdeverfahren und damit in dem bereits anhängigen Verfahren zu klären ist (vgl. BGH Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB
  101. 116/10 - FGPrax 2011, 143 Rn. 6). Ein isoliertes Feststellungsverfahren vor
  102. einem erstinstanzlichen Gericht steht insoweit nicht zur Verfügung; die Feststellung muss im Beschwerderechtszug erfolgen (Johannsen/Henrich/Althammer
  103. Familienrecht
  104. 5. Aufl.
  105. § 62
  106. FamFG
  107. Rn. 1
  108. und
  109. Keidel/Budde FamFG 17. Aufl. § 62 Rn. 4 jeweils mwN).
  110. 16
  111. (2) Danach ist der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung der Betreuung nicht statthaft. Die Antragstellerin hat diesen Antrag am
  112. 17. Juni 2010, also mehr als 1 1/2 Jahre nach Beendigung des Betreuungsverfahrens im Oktober 2008 gestellt.
  113. -6-
  114. 17
  115. Der Einwand der Antragstellerin, ihr sei es in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht möglich gewesen, die Rechtswidrigkeit der Betreuungsanordnung im
  116. Rahmen der Beschwerde feststellen zu lassen, verfängt nicht.
  117. 18
  118. Zwar trifft es zu, dass nach dem seinerzeit geltenden Gesetz über die
  119. Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Anfechtungsmöglichkeit
  120. nach Erledigung der Hauptsache nicht geregelt war. Die Rechtsprechung ging
  121. gleichwohl davon aus, dass im Einzelfall trotz Erledigung des ursprünglichen
  122. Rechtsschutzziels ein Bedürfnis nach einer gerichtlichen Entscheidung fortbestehen kann, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der
  123. Rechtslage besonders geschützt ist (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 205 mwN).
  124. 19
  125. Es blieb der Antragstellerin mithin unbenommen, ihren als Beschwerde
  126. zu qualifizierenden "Widerspruch" nach Erlass des gemäß § 1908 d BGB ergangenen Aufhebungsbeschlusses mit einem Feststellungsantrag zu versehen
  127. und dies damit zu begründen, dass die Anordnung der Betreuung ihrer Auffassung nach von Anfang an rechtswidrig gewesen sei.
  128. 20
  129. cc) Da bereits die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Betreuungsanordnung ausscheidet, kann auch der darauf beruhende Antrag, der Staatskasse
  130. die Kosten der Betreuervergütung aufzuerlegen und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Betroffenen zu erstatten, keinen Erfolg haben.
  131. 21
  132. Im Übrigen ließe selbst die Rechtswidrigkeit einer Betreuungsanordnung
  133. nach geltendem Recht die Verpflichtung des - bemittelten - Betreuten, den Betreuer zu vergüten, nicht entfallen. Aufgrund einer zwar fehlerhaften, aber
  134. gleichwohl wirksamen Bestellung zum Betreuer bleibt dieser bis zur Aufhebung
  135. der Bestellung berechtigt und verpflichtet, die in seinem Aufgabenkreis fallenden Geschäfte zu führen (BayObLG FamRZ 1997, 701, 702). Die Vergütungs-
  136. -7-
  137. ansprüche des berufsmäßigen Betreuers werden durch die Aufhebung der Betreuung nicht berührt. Das gilt unabhängig davon, ob deren Anordnung von Anfang an rechtmäßig war oder nicht (OLG München FamRZ 2008, 2216, 2218
  138. mwN).
  139. Dose
  140. Vézina
  141. Günter
  142. Schilling
  143. Botur
  144. Vorinstanzen:
  145. AG Chemnitz, Entscheidung vom 20.04.2011 - 4 XVII 499/08 LG Chemnitz, Entscheidung vom 14.11.2011 - 3 T 278/11 -