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11 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZB 592/12
  4. vom
  5. 12. Februar 2014
  6. in der Familiensache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. FamFG §§ 9 Abs. 2, 41 Abs. 3; BGB §§ 1796, 1822 Nr. 2
  14. Anlässlich eines Verfahrens auf Genehmigung einer Erbausschlagung für ein minderjähriges Kind ist diesem zur Entgegennahme des Genehmigungsbeschlusses im
  15. Sinne von § 41 Abs. 3 FamFG nur dann ein Ergänzungspfleger zu bestellen, wenn
  16. die Voraussetzungen für eine Entziehung der Vertretungsmacht nach § 1796 BGB
  17. festgestellt sind.
  18. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2014 - XII ZB 592/12 - OLG Celle
  19. AG Hannover
  20. -2-
  21. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Februar 2014 durch den
  22. Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. NeddenBoeger und Dr. Botur
  23. beschlossen:
  24. Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der
  25. Beschluss des 10. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des
  26. Oberlandesgerichts Celle vom 11. September 2012 aufgehoben.
  27. Auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 27. Februar 2012 aufgehoben.
  28. Gerichtsgebühren werden nicht erhoben.
  29. Gründe:
  30. A.
  31. 1
  32. Das für das betroffene minderjährige Kind zum Vormund bestellte Jugendamt der Stadt H. (Beteiligte zu 1, im Folgenden: Vormund) begehrt die gerichtliche Genehmigung einer für das Kind erklärten Erbausschlagung in einer
  33. Nachlassangelegenheit.
  34. 2
  35. Das Amtsgericht hat für das minderjährige Kind eine Ergänzungspflegschaft zur Entgegennahme des noch zu erlassenden Beschlusses und für die
  36. Erklärung eines Rechtsmittelverzichts bzw. die Einlegung eines Rechtsmittels
  37. gegen diesen Beschluss für den Minderjährigen angeordnet. Das Oberlandes-
  38. -3-
  39. gericht hat die Beschwerde des Vormunds zurückgewiesen. Hiergegen wendet
  40. sich der Vormund mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
  41. B.
  42. 3
  43. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der instanzgerichtlichen Entscheidungen.
  44. I.
  45. 4
  46. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2013, 651 veröffentlicht ist, hat unter Bezugnahme auf die Begründung einer eigenen vorangegangenen Entscheidung (OLG Celle Rpfleger 2011, 436) folgendes ausgeführt: Nach § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB erhalte, wer unter elterlicher Sorge stehe, für Angelegenheiten, an deren Besorgung die Eltern verhindert seien, einen
  47. Pfleger. Eine Verhinderung der Eltern oder - wie hier - eines alleinsorgeberechtigten Elternteils sei gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 3 BGB iVm § 1796 Abs. 2 BGB
  48. insbesondere gegeben, wenn das Interesse des betroffenen Kindes zu dem
  49. Interesse der Kindesmutter in erheblichem Gegensatz stehe. Zwar fehle es vorliegend an einem solchen Interessengegensatz. Die alleinsorgeberechtigte Kindesmutter sei aber an der Entgegennahme des Beschlusses, mit dem die
  50. Erbausschlagung vom Familiengericht genehmigt werde, gehindert. Nach § 41
  51. Abs. 3 FamFG sei ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts
  52. zum Gegenstand habe, auch demjenigen bekanntzugeben, für den das
  53. Rechtsgeschäft genehmigt werde. Die Vorschrift trage der Rechtsprechung des
  54. Bundesverfassungsgerichts Rechnung, wonach dem Beteiligten die Möglichkeit
  55. eingeräumt werden müsse, bei einer Entscheidung, die seine Rechte betreffe,
  56. zu Wort zu kommen (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 197). Anders als in anderen
  57. -4-
  58. Verfahren könne die Gewährung rechtlichen Gehörs bei der Genehmigung eines Rechtsgeschäfts nicht durch den Vertreter des durch die Entscheidung in
  59. seinen Rechten Betroffenen wahrgenommen werden. Die Bekanntgabe der familiengerichtlichen Genehmigung der Erbausschlagung an die sorgeberechtigten Elternteile genüge daher nicht den Anforderungen des § 41 Abs. 3 FamFG.
  60. 5
  61. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands komme als milderes Mittel
  62. statt einer Anordnung der Ergänzungspflegschaft nicht in Betracht, zumal er
  63. nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes sei.
  64. 6
  65. An dieser grundsätzlichen Beurteilung sei auch im vorliegenden Fall festzuhalten. Aus der Tatsache, dass im Streitfall das betroffene Kind nicht - wie im
  66. seinerzeitigen Verfahren - durch einen Elternteil vertreten worden und es infolgedessen um die Überprüfung eines Antrages dieses Elternteils gegangen sei,
  67. sondern nunmehr eine Vertretung durch das Jugendamt vorliege und eine Genehmigung dessen Antrags in Rede stehe, ergäben sich keine rechtlich erheblichen Abweichungen.
  68. II.
  69. 7
  70. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
  71. 8
  72. 1. Gemäß § 1822 Nr. 2 BGB bedarf der Vormund zur Ausschlagung
  73. einer Erbschaft der Genehmigung des Familiengerichts. Nach § 41 Abs. 3
  74. FamFG ist ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum
  75. Gegenstand hat, auch demjenigen bekanntzugeben, für den das Rechtsgeschäft genehmigt wird. Gemäß § 1793 Abs. 1 Satz 1 BGB iVm § 9 Abs. 2
  76. FamFG wird bei einer angeordneten Vormundschaft der Geschäftsunfähige
  77. vom Vormund vertreten. Nach § 1796 BGB kann das Familiengericht dem Vor-
  78. -5-
  79. mund die Vertretung für einzelne Angelegenheiten oder für einen bestimmten
  80. Kreis von Angelegenheiten entziehen, wenn das Interesse des Mündels zu dem
  81. Interesse namentlich des Vormunds in erheblichem Gegensatz steht.
  82. 9
  83. 2. Nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen fehlt es
  84. an den Voraussetzungen für die Entziehung der Vertretungsmacht gemäß
  85. § 1796 Abs. 2 BGB hinsichtlich der Bekanntgabe des Genehmigungsbeschlusses bzw. der aus der Bekanntgabe folgenden Konsequenzen (Einlegung eines
  86. Rechtsmittels oder Erklärung eines Rechtsmittelverzichts).
  87. 10
  88. Die Frage, ob es in Fällen der vorliegenden Art, in denen es um die Genehmigung einer Erbausschlagung für ein minderjähriges Kind geht, zur Entgegennahme des Genehmigungsbeschlusses im Sinne von § 41 Abs. 3 FamFG,
  89. zur Rechtsmitteleinlegung oder zur Erklärung eines Rechtsmittelverzichts der
  90. Bestellung eines Ergänzungspflegers bedarf, ist allerdings umstritten.
  91. 11
  92. a) Zum einen wird vertreten, dass dem Minderjährigen in solchen Fällen
  93. grundsätzlich ein Ergänzungspfleger zu bestellen ist (KG FamRZ 2010, 1171;
  94. OLG Köln DNotZ 2012, 219; Musielak/Borth FamFG 4. Aufl. § 41 Rn. 11; Zorn
  95. Rpfleger 2009, 421, 431; differenzierend: Büte FuR 2011, 361, 362 [etwa bei
  96. Genehmigung eines vom gesetzlichen Vertreters zuvor abgeschlossenen Kaufvertrags]; Kölmel MittBayNot 2012, 108, 109 f. [kein Vertretungsausschluss
  97. über § 1796 BGB, sondern über Verfahrensrecht]; Perlwitz/Weber FamRZ
  98. 2011, 1350, 1354 f. [Bestellung eines Verfahrensbeistands]).
  99. 12
  100. b) Nach der Gegenauffassung ist ein Ergänzungspfleger nur dann zu bestellen, wenn im Einzelfall festgestellt ist, dass das Interesse des Mündels zu
  101. dem Interesse des Vormunds in erheblichem Gegensatz steht (OLG Brandenburg MittBayNot 2011, 240; Keidel/Meyer-Holz FamFG 18. Aufl. § 41 Rn. 4 a;
  102. MünchKommFamFG/Ulrici 2. Aufl. § 41 Rn. 14 ff.).
  103. -6-
  104. 13
  105. c) Der Senat folgt der zuletzt genannten Auffassung. Aus § 41 Abs. 3
  106. FamFG, wonach ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts
  107. zum Gegenstand hat, auch demjenigen bekanntzugeben ist, für den das
  108. Rechtsgeschäft genehmigt wird, folgt nicht, dass das Vertretungsrecht des
  109. Vormunds gemäß § 1793 Abs. 1 Satz 1 BGB über die in § 1796 BGB bezeichneten Fälle hinaus zu entziehen ist. Nach § 1796 Abs. 2 BGB soll die eine Ergänzungspflegschaft auslösende Entziehung des Vertretungsrechts nur erfolgen, wenn das Interesse des Mündels zu dem Interesse des Vormunds in erheblichem Gegensatz steht. Eine solche Entscheidung setzt mithin voraus,
  110. dass der Tatrichter entsprechende Feststellungen getroffen hat. Ein Ausschluss
  111. des Vertretungsrechts aus verfahrensrechtlichen Gründen jenseits des hier
  112. nicht einschlägigen § 1795 BGB oder des § 1796 BGB (so aber Kölmel MittBayNot 2012, 108, 109 f.) kommt nicht in Betracht.
  113. 14
  114. aa) Für eine generelle Entziehung des Vertretungsrechts ohne Betrachtung der Umstände des Einzelfalls fehlt es daher bereits an einer gesetzlichen
  115. Grundlage. Im Übrigen besteht hierfür auch kein Bedürfnis. Im Rahmen des
  116. Genehmigungsverfahrens hat das Amtsgericht von Amts wegen die Umstände
  117. des Einzelfalls zu prüfen, insbesondere ob die Voraussetzungen für eine Genehmigung der Erbausschlagung zum Wohle des Kindes vorliegen. Erhält das
  118. Gericht im Rahmen dieser Ermittlungen Kenntnis von einem möglichen Interessenwiderstreit, ist die Bestellung eines Ergänzungspflegers nach § 1796 Abs. 2
  119. BGB immer noch möglich.
  120. 15
  121. Daraus wird zudem ersichtlich, dass der gesetzliche Vertreter in Fällen
  122. der vorliegenden Art bereits durch das Gericht kontrolliert wird. Die Erbausschlagung steht unter dem gerichtlichen Genehmigungsvorbehalt. Ein Bedürfnis
  123. dafür, das der Kontrolle dienende Verfahren sowie das kontrollierende Gericht
  124. seinerseits einer generellen weiteren Kontrolle durch einen anderen Vertreter
  125. -7-
  126. des Rechtsinhabers zu unterstellen, besteht - jedenfalls soweit kein Interessenwiderstreit festgestellt wird - nicht (s. auch MünchKommFamFG/Ulrici
  127. 2. Aufl. § 41 Rn. 15).
  128. 16
  129. bb) Dem steht auch die vom Beschwerdegericht zitierte Rechtsprechung
  130. des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 101, 397 = FamRZ 2000, 731) nicht
  131. entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die unter
  132. dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens gebotene Anhörung nicht deshalb
  133. entbehrlich gewesen sei, weil der als gesetzlicher Vertreter der Erben handelnde Nachlasspfleger am Genehmigungsverfahren beteiligt gewesen sei und das
  134. rechtliche Gehör im Regelfall nicht durch denjenigen vermittelt werden könne,
  135. dessen Handeln im Genehmigungsverfahren überprüft werden solle (BVerfGE
  136. 101, 397 = FamRZ 2000, 731, 733). Zutreffend ist auch, dass der Gesetzgeber
  137. in der Begründung zu § 41 Abs. 3 FamFG auf die vorgenannten Ausführungen
  138. des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen hat (BT-Drucks. 16/6308
  139. S. 197).
  140. 17
  141. Die Genehmigung einer Erbschaftsausschlagung unterscheidet sich von
  142. der vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fallgestaltung indes darin,
  143. dass dort der - zugleich als Vertreter tätige - Nachlasspfleger an dem später zu
  144. genehmigenden Erbauseinandersetzungsvertrag
  145. aktiv
  146. beteiligt
  147. war
  148. (vgl.
  149. BVerfGE 101, 397 = FamRZ 2000, 731, 732; s. auch Büte FuR 2011, 361, 362).
  150. Dagegen begehrt der Vormund vorliegend allein die Genehmigung der Erbausschlagung für das minderjährige Kind; es geht also nicht um die Genehmigung
  151. einer vertraglichen Gestaltung, an der der gesetzliche Vertreter aktiv mitgewirkt
  152. hat, sondern lediglich um die Genehmigung einer einseitigen, gegenüber dem
  153. Nachlassgericht vorzunehmenden Erklärung (vgl. § 1945 Abs. 1 BGB).
  154. -8-
  155. 18
  156. cc) Im Übrigen wird das vom Beschwerdegericht gefundene Ergebnis
  157. auch den Belangen der Praxis nicht gerecht, wie das Kammergericht zu Recht
  158. im Einzelnen ausgeführt hat (KG FamRZ 2010, 1171, 1173).
  159. 19
  160. 3. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, § 74 Abs. 6
  161. Satz 1 FamFG. Das Beschwerdegericht hat das Bestehen eines erheblichen
  162. Interessengegensatzes i.S.v. § 1796 Abs. 2 BGB verneint. Im Übrigen ist auch
  163. sonst nicht ersichtlich, worin ein Interessenwiderstreit bei einem als Vormund
  164. tätigen Jugendamt zu sehen sein könnte, das für den Mündel die Erbschaft
  165. ausschlägt.
  166. Dose
  167. Schilling
  168. Nedden-Boeger
  169. Günter
  170. Botur
  171. Vorinstanzen:
  172. AG Hannover, Entscheidung vom 27.02.2012 - 624 F 976/12 OLG Celle, Entscheidung vom 11.09.2012 - 10 UF 56/12 -