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6.2 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZB 552/17
  4. vom
  5. 31. Oktober 2018
  6. in der Betreuungssache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. BGB § 1896 Abs. 1 a
  14. Die tatrichterliche Feststellung, die freie Willensbildung des Betroffenen sei
  15. "erheblich beeinträchtigt", erlaubt nicht den Schluss, dass der Betroffene zu einer freien Willensbildung bezüglich seiner Betreuung nicht mehr in der Lage ist
  16. (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 7. März 2018 - XII ZB 540/17 FamRZ 2018, 848 und vom 17. Mai 2017 - XII ZB 495/16 - FamRZ 2017, 1341).
  17. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2018 - XII ZB 552/17 - LG Hannover
  18. AG Burgwedel
  19. ECLI:DE:BGH:2018:311018BXIIZB552.17.0
  20. -2-
  21. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Oktober 2018 durch den
  22. Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling,
  23. Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur
  24. beschlossen:
  25. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss
  26. der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 5. Oktober
  27. 2017 aufgehoben.
  28. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
  29. über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
  30. Wert: 5.000 €
  31. Gründe:
  32. I.
  33. 1
  34. Der 1937 geborene Betroffene leidet unter einer Verhaltenssucht (Spielsucht) auf dem Boden eines Frontalhirnsyndroms, infolge derer er sich in der
  35. Vergangenheit hoch verschuldet hat.
  36. 2
  37. Seit Juni 2014 war die Beteiligte zu 1 zur Berufsbetreuerin für den Betroffenen bestellt, zuletzt mit dem Aufgabenkreis "Vermögenssorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten". Für die Vermögenssorge war ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet.
  38. -3-
  39. 3
  40. Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens
  41. die Betreuung mit dem genannten Aufgabenkreis unter Beibehaltung des Einwilligungsvorbehalts verlängert. Zugleich hat es anstelle der Beteiligten zu 1 eine andere Rechtsanwältin zur Berufsbetreuerin bestellt. Auf die Beschwerde
  42. des Betroffenen hat das Amtsgericht in einer Teilabhilfeentscheidung die Bestellung der neuen Berufsbetreuerin aufgehoben und angeordnet, dass die Beteiligte zu 1 wieder zur Betreuerin bestellt wird. Das Landgericht hat die Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet
  43. sich der Betroffene weiterhin gegen die Verlängerung der Betreuung.
  44. II.
  45. 4
  46. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
  47. 5
  48. 1. Die Entscheidung des Landgerichts hält bereits deshalb rechtlicher
  49. Nachprüfung nicht stand, weil es an ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen dazu fehlt, ob die vom Betroffenen mit seinen Beschwerden erklärte Ablehnung der Betreuung auf einem freien Willen im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB
  50. beruht.
  51. 6
  52. a) Der Grundsatz, dass gegen den freien Willen eines Betroffenen ein
  53. Betreuer nicht bestellt werden darf, gilt auch im Verlängerungsverfahren, weshalb gemäß § 1896 Abs. 1 a BGB die Betreuung nicht gegen den freien Willen
  54. des Betroffenen fortgeführt werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2017 - XII ZB 336/17 - FamRZ 2018, 134 Rn. 13). Die beiden entscheidenden Kriterien für den Begriff der freien Willensbildung sind die Einsichtsfähigkeit
  55. des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt
  56. -4-
  57. es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern allenfalls ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus,
  58. die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite seiner Betreuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraussetzt, dass er seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf der Grundlage dieser Einschätzung die für oder gegen eine
  59. Betreuung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen kann. Ist der
  60. Betroffene zur Bildung eines klaren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss es ihm weiter möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen. Die
  61. Feststellungen zum Ausschluss der freien Willensbestimmung müssen durch
  62. ein Sachverständigengutachten belegt sein (vgl. Senatsbeschlüsse vom
  63. 16. März 2016 - XII ZB 455/15 - FamRZ 2016, 970 Rn. 6 f. mwN und vom
  64. 22. Januar 2014 - XII ZB 632/12 - FamRZ 2014, 647 Rn. 6 ff.).
  65. b) Diesen Maßstäben wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Das Beschwerdegericht hat in seiner Entscheidung lediglich ausgeführt,
  66. dass die freie Willensbildung des Betroffenen "erheblich eingeschränkt" sei.
  67. Hierbei hat es sich auf die Einschätzung im Sachverständigengutachten gestützt, wonach der Betroffene seine finanziellen Angelegenheiten und die damit
  68. zusammenhängenden Behörden- und Postangelegenheiten "nicht mehr selbständig besorgen könne, weil die freie Willensbildung durch die beschriebene
  69. Symptomatik erheblich eingeschränkt" sei. Allein damit steht noch nicht fest,
  70. dass der Betroffene zu einer freien Willensbildung bezüglich der Ablehnung der
  71. Betreuung nicht mehr in der Lage ist (vgl. auch Senatsbeschluss vom 7. März
  72. 2018 - XII ZB 540/17 - FamRZ 2018, 848 Rn. 7 und vom 17. Mai 2017
  73. - XII ZB 495/16 - FamRZ 2017, 1341 Rn. 13).
  74. -5-
  75. 7
  76. 2. Darüber hinaus hat der Senat die von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen geprüft, diese Rügen aber nicht für durchgreifend erachtet
  77. (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG iVm § 564 ZPO). Insoweit sieht der Senat von einer
  78. weiteren Begründung seiner Entscheidung ab, weil diese nicht geeignet wäre,
  79. zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des
  80. Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen
  81. (§ 74 Abs. 7 FamFG).
  82. 8
  83. 3. Die angefochtene Entscheidung kann keinen Bestand haben und ist
  84. nach § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Die nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG gebotene Zurückverweisung der Sache gibt dem Beschwerdegericht zugleich Gelegenheit, ergänzende Feststellungen zur (weiteren) Erforderlichkeit des Einwilligungsvorbehalts zu treffen.
  85. Dose
  86. Klinkhammer
  87. Nedden-Boeger
  88. Schilling
  89. Botur
  90. Vorinstanzen:
  91. AG Burgwedel, Entscheidung vom 28.09.2017 - 3c XVII H 6843 LG Hannover, Entscheidung vom 05.10.2017 - 2 T 60/17 -