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255 lines
13 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZB 122/09
  4. vom
  5. 13. April 2011
  6. in der Familiensache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. VAHRG § 3 a
  14. Enthält eine Versorgungsordnung die Regelung, dass ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung wegfällt, wenn der Witwer oder die Witwe wieder heiratet
  15. (sog. Wiederverheiratungsklausel), kann ein geschiedener, wieder verheirateter
  16. Ehegatte von dem Träger der Versorgung auch dann nicht die Zahlung einer
  17. Ausgleichsrente im Wege des verlängerten schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs verlangen, wenn die zweite Ehe nach dem Tod des früheren Ehemannes, aber vor Eintritt in das Rentenbezugsalter geschlossen wird (im Anschluss
  18. an Senatsbeschluss vom 7. Dezember 2005 - XII ZB 39/01 - FamRZ 2006,
  19. 326).
  20. BGH, Beschluss vom 13. April 2011 - XII ZB 122/09 - OLG Stuttgart
  21. AG Böblingen
  22. -2-
  23. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. April 2011 durch die
  24. Richter Dose, Weber-Monecke, Schilling, Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger
  25. beschlossen:
  26. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 15. Zivilsenats
  27. - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15. Juni
  28. 2009 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
  29. Beschwerdewert: 1.000 €
  30. Gründe:
  31. I.
  32. 1
  33. Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin im Wege des verlängerten
  34. schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs auf Zahlung einer Ausgleichsrente in
  35. Anspruch.
  36. 2
  37. Sie war mit einem früheren Werksangehörigen der Antragsgegnerin verheiratet. Die Ehe wurde durch Verbundurteil des Familiengerichts vom 24. Januar 1985 geschieden; dabei blieb der Ausgleich der betrieblichen Altersversorgung des Ehemanns bei der Antragsgegnerin dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich vorbehalten.
  38. 3
  39. Am 5. Mai 1986 verstarb der frühere Ehemann der Antragstellerin; am
  40. 4. Dezember 1992 heiratete diese erneut. Nach der Satzung (im Folgenden:
  41. Versorgungsordnung) der Antragsgegnerin steht der Witwe eines Versicherten
  42. -3-
  43. eine Witwenrente zu. Gemäß § 32 lit. b der Versorgungsordnung wird die Witwenrente mit dem Ablauf des Monats der Wiederverheiratung eingestellt, wenn
  44. die Witwe sich wiederverheiratet. Gemäß § 33 der Versorgungsordnung erhält
  45. die wieder heiratende Witwe - sofern der Ehegatte als aktiver Mitarbeiter oder
  46. Invalide gestorben ist - 36 Monatsrenten als Abfindung; die wieder heiratende
  47. Witwe eines Pensionärs erhält 24 Monatsrenten als Abfindung.
  48. 4
  49. Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin verpflichtet, an die Antragstellerin eine monatliche Ausgleichsrente von 619,71 € zu zahlen. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Beschwerdegericht den Beschluss des
  50. Amtsgerichts abgeändert und den Antrag auf Durchführung des verlängerten
  51. schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs zurückgewiesen. Dagegen richtet
  52. sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin, mit der sie die
  53. Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung, jedenfalls aber eine Abfindung erstrebt.
  54. II.
  55. 5
  56. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
  57. 6
  58. Auf das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1, 4 FGG-RG, § 48 Abs. 1, 2
  59. VersAusglG noch das bis August 2009 geltende Verfahrensrecht und materielle
  60. Recht anzuwenden, weil das Verfahren vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden
  61. ist und weil es weder am 1. September 2009 noch danach abgetrennt oder ausgesetzt und das Ruhen nicht angeordnet war (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100).
  62. -4-
  63. 7
  64. 1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: § 3 a Abs. 1 Satz 1 VAHRG sehe nur dann einen Leistungsanspruch
  65. vor, wenn der Ausgleichsberechtigte bei angenommenem Fortbestehen der
  66. Ehe von dem Träger der Versorgung eine Hinterbliebenenversorgung als Witwe
  67. oder Witwer erhielte. Eine verlängerte schuldrechtliche Ausgleichsrente komme
  68. dann nicht in Betracht, wenn der Versorgungsträger die Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft habe und
  69. diese Voraussetzungen in der Person des geschiedenen ausgleichsberechtigten Ehegatten nicht vorlägen. Dies gelte insbesondere in Fällen, in denen eine
  70. Wiederverheiratungsklausel Bestandteil der Versorgungsordnung sei. Die geschiedene Frau eines später verstorbenen Mannes sei als "Witwe" im Sinne der
  71. Versorgungsordnung zu behandeln. Auch eine Abfindung nach § 33 der Versorgungsordnung stehe der Antragstellerin nicht zu, da diese voraussetze, dass
  72. der Anspruch auf Witwenrente zunächst entstand und erst infolge von Wiederheirat weggefallen sei.
  73. 8
  74. 2. Diese Ausführungen des Beschwerdegerichts halten der rechtlichen
  75. Nachprüfung stand.
  76. 9
  77. a) Nach § 3 a Abs. 1 Satz 1 VAHRG kann der geschiedene ausgleichsberechtigte Ehegatte in den Fällen des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs von dem Träger der auszugleichenden Versorgung, von dem er, wenn
  78. die Ehe bis zum Tod des ausgleichspflichtigen Ehegatten fortbestanden hätte,
  79. eine Hinterbliebenenversorgung erhielte, bis zur Höhe dieser Hinterbliebenenversorgung die Ausgleichsrente nach § 1587 g BGB verlangen, und zwar auch
  80. dann, wenn der ausgleichspflichtige Ehegatte noch keine Versorgung erlangt
  81. hatte. Durch die Verpflichtung, auch dem geschiedenen ausgleichsberechtigten
  82. Ehegatten des Versicherten in Form des verlängerten schuldrechtlichen Ver-
  83. -5-
  84. sorgungsausgleichs eine Versorgung zu gewähren, wird der Versorgungsträger
  85. mit einem zusätzlichen Risiko belastet. Diese zusätzliche Belastung erschien
  86. dem Gesetzgeber nur hinnehmbar, wenn und soweit der Versorgungsträger
  87. dem geschiedenen ausgleichsberechtigten Ehegatten für den Fall, dass die Ehe
  88. mit dem Versicherten bis zu dessen Tod fortbestanden hätte, zur Zahlung einer
  89. (Hinterbliebenen-)Versorgung verpflichtet gewesen wäre. Daran fehlt es nicht
  90. nur dann, wenn der Versorgungsträger seinem Versicherten überhaupt keine
  91. Hinterbliebenenversorgung zugesagt hat. Eine verlängerte schuldrechtliche
  92. Ausgleichsrente kommt vielmehr auch dann nicht in Betracht, wenn der Versorgungsträger die Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung an zusätzliche
  93. Voraussetzungen geknüpft hat und diese Voraussetzungen in der Person des
  94. geschiedenen ausgleichsberechtigten Ehegatten nicht vorliegen (Senatsbeschluss vom 17. November 2004 - XII ZB 46/01 - FamRZ 2005, 189, 190).
  95. 10
  96. Das ist hier der Fall: Die Antragsgegnerin hat in ihrer Versorgungsordnung zwar eine Hinterbliebenenversorgung zugesagt. Die Gewährung dieser
  97. Hinterbliebenenversorgung steht jedoch unter der auflösenden Bedingung, dass
  98. der hinterbliebene Ehegatte erneut heiratet. Da § 3 a VAHRG die Antragstellerin nicht besser stellen will als sie stünde, wenn ihre Ehe durch den Tod ihres
  99. (ersten) Ehemannes aufgelöst worden wäre, schließt diese Wiederverheiratungsklausel einen Anspruch der wieder verheirateten Antragstellerin auf verlängerten schuldrechtlichen Versorgungsausgleich unabhängig davon aus, ob
  100. die zweite Ehe vor oder nach dem Tod des geschiedenen Ehemannes geschlossen worden ist.
  101. 11
  102. b) Soweit mit der Rechtsbeschwerde die Rechtswirksamkeit der in der
  103. Versorgungsordnung der Antragsgegnerin vorgesehenen Wiederverheiratungsklausel in Zweifel gezogen wird, vermag der Senat dem nicht zu folgen.
  104. -6-
  105. aa) Wiederverheiratungsklauseln beruhen auf der Vorstellung, dass der
  106. 12
  107. hinterbliebene Ehegatte, der sich erneut verheiratet, in dem Zusammenleben
  108. mit dem neuen Ehegatten eine angemessene Versorgung findet und auf eine
  109. Versorgung nach seinem verstorbenen Ehegatten nicht länger angewiesen ist.
  110. Diese Vorstellung hat für die gesetzliche Rentenversicherung in § 107 SGB VI,
  111. der in der Versorgungsordnung der Antragsgegnerin nachgebildet ist, ihren
  112. Niederschlag gefunden. Die Überlegung rechtfertigt es, auch den Anspruch des
  113. geschiedenen Ehegatten auf verlängerten schuldrechtlichen Versorgungsausgleich
  114. auszuschließen
  115. (Senatsbeschluss
  116. vom
  117. 17. November
  118. 2004
  119. - XII ZB 46/01 - FamRZ 2005, 189, 190).
  120. 13
  121. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Hinterbliebenenversorgung
  122. zugesagt wird und welchen Umfang diese hat, kann der Versorgungsträger frei
  123. bestimmen. Enthält eine Versorgungsordnung die Regelung, dass ein Anspruch
  124. auf Hinterbliebenenversorgung nicht (mehr) besteht, so entfällt mithin auch eine
  125. Zahlungspflicht des Versorgungsträgers nach § 3 a VAHRG. Andererseits kann
  126. ein Anspruch nach § 3 a VAHRG nicht isoliert durch eine Bestimmung der Versorgungsordnung ausgeschlossen werden, etwa indem festgelegt wird, dass
  127. die Witwenrente nur im Fall des Fortbestehens der Ehe bis zum Tod des Ehemannes gezahlt wird. Denn durch eine solche Regelung würde die zwingende
  128. Vorschrift des § 3 a VAHRG umgangen, nach der eine vorgesehene Hinterbliebenenversorgung auch dem - geschiedenen - ausgleichsberechtigten Ehegatten zugutekommen muss. Hingegen stellt eine Wiederverheiratungsklausel,
  129. nach der im Fall der Wiederheirat des hinterbliebenen Ehegatten der Anspruch
  130. auf Hinterbliebenenrente ruht oder wegfällt, eine Regelung dar, durch die die
  131. Versorgung eines Hinterbliebenen unabhängig davon beschränkt wird, ob der
  132. Wiederverheiratung eine Ehescheidung oder das Vorversterben des Versicherten in bestehender Ehe vorausgeht. Sie enthält daher - anders als eine Schei-
  133. -7-
  134. dungsklausel - keine Umgehung der Regelung des § 3 a VAHRG (vgl. bereits
  135. Senatsbeschluss vom 7. Dezember 2005 - XII ZB 39/01 - FamRZ 2006, 326,
  136. 327).
  137. 14
  138. bb) Die Wiederverheiratungsklausel verstößt auch nicht gegen Art. 14
  139. Abs. 1 GG, weil der Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Zusatzversorgung dem Schutzbereich dieses Grundrechts nicht unterfällt (vgl. für die Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung: BVerfGE 97,
  140. 271, 283 ff.; für die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst: BGH Urteil vom
  141. 24. Februar 2010 - IV ZR 7/09 - NVwZ-RR 2010, 689, 692). Zwar können zu
  142. den von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen auch Ansprüche und
  143. Anwartschaften auf Rentenleistungen gehören, wenn es sich um vermögensrechtliche Rechtspositionen handelt, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet sind, auf dessen nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen und seiner Existenzsicherung dienen. Es
  144. fehlt hier aber bereits die Anknüpfung des Rentenanspruchs an eine individuell
  145. zurechenbare Eigenleistung des Rentenberechtigten, denn ähnlich wie bei der
  146. gesetzlichen Rente wird die Hinterbliebenenrente als Element des sozialen
  147. Ausgleichs dem Rentenempfänger ohne eigene Beitragsleistung und ohne eine
  148. gegenüber
  149. unverheirateten
  150. Versicherten
  151. erhöhte
  152. Beitragslast
  153. gewährt
  154. (BVerfGE 97, 271, 283 ff.).
  155. 15
  156. cc) Entgegen dem von der Rechtsbeschwerde eingenommenen Standpunkt liegt in der Wiederverheiratungsklausel auch keine Benachteiligung gegenüber dem Falle einer im Ausland geschlossenen und als rechtswirksam zu
  157. behandelnden Mehrehe. Denn eine vor dem Tode des verstorbenen Versicherten geschlossene Zweitehe des hinterbliebenen Ehegatten stünde seiner Wiederverheiratung gleich und schlösse einen Witwer- und Witwenrentenanspruch
  158. -8-
  159. ebenfalls aus. Das gilt in der betrieblichen Altersversorgung ebenso wie in der
  160. gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil
  161. vom 29. Juni 2004 - L 2 RA 429/03 - Juris; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr,
  162. Handbuch der Rentenversicherung, Teil II - SGB VI, Stand November 2005,
  163. § 46 Rn. 21). Daher schließt auch die in § 3 a Abs. 1 Satz 1 VAHRG enthaltene
  164. Fiktion des Fortbestandes der Erstehe es nicht aus, eine nach der Scheidung
  165. rechtswirksam erfolgte Wiederverheiratung in die Prüfung der satzungsgemäßen Anspruchsvoraussetzungen der Hinterbliebenenversorgung einzubeziehen.
  166. 16
  167. c) Die Antragstellerin kann auch nicht deshalb eine verlängerte schuldrechtliche Ausgleichsrente von der Antragsgegnerin verlangen, weil in deren
  168. Versorgungsordnung einer (echten) Witwe oder einem (echten) Witwer für den
  169. Fall der Wiederverheiratung eine Abfindung zugesagt wird. Die Abfindung setzt
  170. nämlich stets voraus, dass der Anspruch auf Witwenrente zunächst entstanden
  171. ist, dann infolge der Wiederverheiratung eingestellt (§ 32 der Versorgungsordnung) und deshalb durch die Abfindung surrogiert wird (Senatsbeschluss vom
  172. 17. November 2004 - XII ZB 46/01 - FamRZ 2005, 189, 191).
  173. 17
  174. So liegen die Dinge im vorliegenden Fall aber nicht: Hier hat die Antragstellerin, die nach dem Tod ihres (ersten) Ehemannes und noch vor dem Eintritt
  175. in das Rentenalter erneut geheiratet hat, schon keinen Anspruch auf verlängerten schuldrechtlichen Versorgungsausgleich gegen die Antragsgegnerin erworben. Ein solcher Anspruch konnte deshalb von vornherein auch nicht durch
  176. Zahlung eines bestimmten Betrages abgefunden werden. Darin liegt ebenfalls
  177. keine Umgehung der Vorschrift des § 3 a VAHRG, denn auch der Anspruch auf
  178. die Abfindung knüpft nicht an das Bestehen der Ehe im Renteneintrittszeitpunkt
  179. an, sondern daran, ob die Wiederverheiratung vor oder nach dem Eintritt in das
  180. -9-
  181. Rentenbezugsalter erfolgt. Ein geschiedener Ehegatte, der sich erst nach dem
  182. Eintritt in das Rentenbezugsalter wiederverheiratete, erhielte die Abfindung.
  183. Dose
  184. Weber-Monecke
  185. Günter
  186. Schilling
  187. Nedden-Boeger
  188. Vorinstanzen:
  189. AG Böblingen, Entscheidung vom 16.02.2009 - 15 F 1811/08 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 15.06.2009 - 15 UF 59/09 -