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203 lines
10 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZB 113/10
  4. vom
  5. 27. Oktober 2010
  6. in der Familiensache
  7. -2-
  8. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Oktober 2010 durch die
  9. Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richterin Weber-Monecke und die Richter
  10. Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Günter
  11. beschlossen:
  12. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 20. Zivilsenats
  13. - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Karlsruhe
  14. vom 22. Februar 2010 wird auf Kosten des Beklagten verworfen.
  15. Gründe:
  16. I.
  17. 1
  18. Dem Beklagten wurde das der Klage stattgebende Urteil am 18. März
  19. 2009 zugestellt.
  20. 2
  21. Mit einem beim Oberlandesgericht am 20. April 2009 (Montag) per Fax
  22. eingegangenen Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten beantragte der Beklagte Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren sowie Wiedereinsetzung
  23. in die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist. In dem Schriftsatz heißt es:
  24. -3-
  25. 3
  26. "… zeige ich an, dass ich den Beklagten/Berufungskläger auch in dem
  27. beabsichtigten Berufungsverfahren vertrete"
  28. 4
  29. sowie
  30. 5
  31. "Abhängig von der Prozesskostenhilfebewilligung lege ich gegen das …
  32. Urteil … Berufung ein. Es werden bereits jetzt folgende Berufungsanträge angekündigt …".
  33. 6
  34. Im Anschluss daran folgt in dem vom Prozessbevollmächtigten des Beklagten unterschriebenen Schriftsatz unter Ziffer I eine kurze Begründung des
  35. Prozesskostenhilfeantrages mit den Worten: "Zur Begründung des Prozesskostenhilfeantrags beziehe ich mich … sowie auf die nachstehende Begründung
  36. der beabsichtigten Berufung".
  37. 7
  38. Unter Ziffer II folgen Ausführungen, die mit dem Satz
  39. 8
  40. "Die beabsichtigte Berufung wird wie folgt begründet:"
  41. 9
  42. eingeleitet sind.
  43. 10
  44. Durch Beschluss vom 11. August 2009, der dem Beklagten am 19. August 2009 zugestellt wurde, gab das Berufungsgericht dem Prozesskostenhilfeantrag statt.
  45. 11
  46. Mit einem am 25. Januar 2010 beim Berufungsgericht eingegangenen
  47. Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten beantragte der Beklagte "fürsorglich" Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist, bezogen auf die Frist für
  48. die Berufung und Berufungsbegründung.
  49. 12
  50. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten durch den angegriffenen Beschluss als unzulässig verworfen und zugleich das Wiedereinset-
  51. -4-
  52. zungsgesuch zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde
  53. des Beklagten.
  54. II.
  55. 13
  56. Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende
  57. August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (Senatsurteil vom 16. Dezember 2009
  58. - XII ZR 50/08 - FamRZ 2010, 357 Rn. 7).
  59. Die nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statt-
  60. 14
  61. hafte Rechtsbeschwerde des Beklagten ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Eine Entscheidung des Senats
  62. ist entgegen der Ansicht des Beklagten zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Es liegt weder eine Divergenz zur Rechtsprechung
  63. des Bundesgerichtshofs vor noch beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem Verstoß gegen den Anspruch des Beklagten auf Gewährung
  64. rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), noch verletzt sie den Anspruch des
  65. Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG
  66. i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003,
  67. 281).
  68. 15
  69. 1. Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung verworfen, weil die Versäumung der Berufungsfrist auf
  70. einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruhe, welches sich der
  71. Beklagte gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe mit Schriftsatz vom 20. April 2009 die Einlegung
  72. der Berufung von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsver-
  73. -5-
  74. fahren abhängig gemacht. Eine für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingelegte Berufung sei jedoch unzulässig. Die Ausführungen des Beklagten in dem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 20. April 2009
  75. könnten auch nicht dahingehend verstanden werden, dass die Berufung unbedingt eingelegt und nur die Durchführung des Berufungsverfahrens von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht werde. Anhaltspunkte dafür, dass dem Beklagten Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungs- oder Berufungsfrist gewährt werden könne, seien nicht gegeben.
  76. 2. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des
  77. 16
  78. Senats und ergeben keinen Zulassungsgrund. Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Beklagte mit dem am 20. April 2009 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz eine von der Gewährung von Prozesskostenhilfe abhängig gemachte und damit unzulässige Berufung eingelegt
  79. hat.
  80. 17
  81. a) Eine an die Gewährung von Prozesskostenhilfe geknüpfte Berufungseinlegung ist grundsätzlich unzulässig (vgl. BGH Beschluss vom 8. Oktober
  82. 1992 - V ZB 6/92 - VersR 1993, 713; Zöller/Heßler ZPO 28. Aufl. § 519 Rn. 1;
  83. MünchKommZPO/Rimmelspacher 3. Aufl. § 519 Rn. 37, 39). Sind jedoch die
  84. formalen Anforderungen an eine Berufungsschrift - wie hier - erfüllt, kommt eine
  85. Deutung, dass der Schriftsatz nicht als unbedingte Berufung bestimmt war, nur
  86. dann in Betracht, wenn sich dies entweder aus dem Schriftsatz selbst oder aus
  87. den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden
  88. Deutlichkeit ergibt (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 165, 318, 320 f. = FamRZ
  89. 2006, 400; vom 14. März 2007 - XII ZR 235/05 - FamRZ 2007, 895 Rn. 10; vom
  90. 20. Juli 2005 - XII ZB 31/05 - FamRZ 2005, 1537 und vom 19. Mai 2004
  91. - XII ZB 25/04 - FamRZ 2004, 1553, 1554). Entgegen der Auffassung der
  92. Rechtsbeschwerde ist das hier der Fall.
  93. -6-
  94. 18
  95. b) Der Schriftsatz enthält an mehreren Stellen Formulierungen, die nur
  96. dahingehend verstanden werden können, dass die Einlegung der Berufung
  97. durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bedingt sein soll. Durch die einleitende Formulierung: "Abhängig von der Prozesskostenhilfebewilligung lege ich
  98. gegen das … Urteil … Berufung ein. Es werden bereits jetzt folgende Berufungsanträge angekündigt: …" hat der Beklagte zweifelsfrei schon die Berufungseinlegung an die Bewilligung von Prozesskostenhilfe geknüpft. Zwar ist
  99. der Rechtsbeschwerde zuzugeben, dass in dem Schriftsatz die Berufung nicht
  100. ausdrücklich "aufschiebend bedingt" durch die Prozesskostenhilfebewilligung
  101. eingelegt wurde. Nach ihrem objektiven Erklärungswert kann die genannte
  102. Formulierung aber nur dahin verstanden werden, dass die Berufung von der
  103. Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht werden soll. Gegen eine
  104. unbedingt eingelegte Berufung sprechen zudem auch weitere Formulierungen
  105. in dem Schriftsatz vom 20. April 2009. So heißt es auf Seite 2 des Schriftsatzes
  106. unter Ziffer I weiter: "Zur Begründung des Prozesskostenhilfeantrags beziehe
  107. ich mich … sowie auf die nachstehende Begründung der beabsichtigten Berufung …" und unter Ziffer II: "Die beabsichtigte Berufung wird wie folgt begründet: …". Diese Formulierungen sind eindeutig und zeigen, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten selbst davon ausging, mit dem Schriftsatz vom
  108. 20. April 2009 die Berufung noch nicht eingelegt zu haben.
  109. 19
  110. c) Die genannten Formulierungen in dem Schriftsatz des Beklagten vom
  111. 20. April 2009 sind auch nicht mit der in einer Berufungsschrift enthaltenen Erklärung vergleichbar, die Durchführung der Berufung werde von der Gewährung
  112. von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht, was die Auslegung rechtfertigen
  113. kann, der Rechtsmittelführer lege unbedingt Berufung ein und behalte sich lediglich für den Fall der Versagung von Prozesskostenhilfe die Zurücknahme der
  114. Berufung vor (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04 - FamRZ
  115. 2004, 1553, 1554).
  116. -7-
  117. 20
  118. d) Das Oberlandesgericht hatte entgegen dem Vorbringen des Beklagten
  119. auch keine Veranlassung, ihm Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist bzw. die versäumte Frist nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu gewähren.
  120. 21
  121. aa) Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist Prozesskostenhilfe durch einen Rechtsanwalt beantragt hat, ist bis zur Entscheidung
  122. über seinen Antrag wegen Mittellosigkeit als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen, sofern er nach den gegebenen Umständen nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen mangelnder Bedürftigkeit rechnen muss (vgl. für den Fall eines mit einer unzulässigen Berufung verbundenen ordnungsgemäßen Prozesskostenhilfeersuchens BGH Beschluss
  123. vom 24. Juni 1999 - IX ZB 30/99 - NJW 1999, 2823). Nachdem das Oberlandesgericht bereits mit dem Beklagten am 19. August 2009 zugestelltem Beschluss über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden hatte, ist der am
  124. 22. Januar 2010 beim Berufungsgericht eingegangene Schriftsatz des Beklagten, mit dem er Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist, bezogen auf
  125. die Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung beantragte, nicht mehr
  126. rechtzeitig innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist nach § 234
  127. Abs. 1 Satz 1 ZPO eingegangen.
  128. 22
  129. bb) Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, die Berufungs- und die
  130. Wiedereinsetzungsfrist deshalb unverschuldet versäumt zu haben, weil das Berufungsgericht ihn nicht auf die Unzulässigkeit seines Rechtsmittels hingewiesen habe. Da der Schriftsatz vom 20. April 2009 objektiv nur als bedingte und
  131. damit unzulässige Berufungseinlegung angesehen werden konnte, hatte das
  132. Oberlandesgericht nicht die Pflicht, den Beklagten vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist auf die Unzulässigkeit seines Rechtsmittels hinzuweisen (Senatsbeschluss vom 14. März 2007 - XII ZR 235/05 - FamRZ 2007, 895 Rn. 14). Vielmehr durfte es davon ausgehen, auch dem Prozessbevollmächtigten des Be-
  133. -8-
  134. klagten sei die Unzulässigkeit des Rechtsmittels bewusst, weshalb er nach Zustellung des Prozesskostenhilfebeschlusses vom 19. August 2009 innerhalb der
  135. Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen und die versäumte Prozesshandlung nachholen werde. In dem pflichtwidrigen Verkennen der gesetzlichen Berufungs- und Wiedereinsetzungsfristen
  136. liegt ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten, das dem Beklagten nach
  137. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
  138. Hahne
  139. Weber-Monecke
  140. Schilling
  141. Klinkhammer
  142. Günter
  143. Vorinstanzen:
  144. AG Ettlingen, Entscheidung vom 05.02.2009 - 3 F 124/07 OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 22.02.2010 - 20 UF 45/09 (10) -