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12 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XI ZR 456/16
  5. Verkündet am:
  6. 10. Oktober 2017
  7. Herrwerth
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. ZPO § 543 Abs. 1 Nr. 1, § 256 Abs. 1
  19. Das Berufungsgericht kann die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts nicht
  20. einschränken, soweit Prozessvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen sind
  21. (Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2009 - I ZB 53/07, BGHZ 182,
  22. 325 Rn. 15 und - I ZB 54/07, juris Rn. 14).
  23. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 456/16 - OLG Koblenz
  24. LG Mainz
  25. ECLI:DE:BGH:2017:101017UXIZR456.16.0
  26. -2-
  27. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  28. vom 10. Oktober 2017 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die
  29. Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und
  30. Dr. Derstadt
  31. für Recht erkannt:
  32. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats
  33. des Oberlandesgerichts Koblenz vom 29. Juli 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten
  34. erkannt worden ist.
  35. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
  36. und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
  37. an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  38. Von Rechts wegen
  39. Tatbestand:
  40. 1
  41. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss von zwei Verbraucherdarlehensverträgen gerichteten Willenserklärungen der Klägerin.
  42. 2
  43. Die Klägerin schloss mit der Beklagten zwecks Finanzierung einer Immobilie zwei Darlehensverträge, einmal am 23. März 2006 über 83.000 € mit
  44. einem auf 20 Jahre festen Zinssatz von nominal 4,49% p.a. und zum anderen
  45. am 28. März 2006 über 47.000 € zu einem auf zehn Jahre festen Zinssatz von
  46. nominal 4,10% p.a. Die Beklagte belehrte die Klägerin bei Abschluss der Darlehensverträge über ihr Widerrufsrecht zum einen und zum anderen wie folgt:
  47. -3-
  48. -4-
  49. -5-
  50. -6-
  51. -7-
  52. 3
  53. Mit Schreiben ihres vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom
  54. 6. März 2014, der Beklagten zugegangen am 12. März 2014, erklärte die Klägerin den Widerruf ihrer auf den Abschluss des Darlehensvertrags vom 28. März
  55. 2006 gerichteten Willenserklärung. Die Beklagte wies den Widerruf zurück. Die
  56. Klägerin äußerte mit der Beklagten am selben Tag zugegangenem Telefaxschreiben vom 28. April 2014, sie stelle klar, dass sich der Widerruf auch auf
  57. ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags vom 23. März 2006 gerichtete Willenserklärung beziehe.
  58. 4
  59. Ihre Klage zuletzt auf Feststellung, dass der Darlehensvertrag vom
  60. 28. März 2006 aufgrund des Widerrufs vom 6. März 2014 und der Darlehensvertrag vom 23. März 2006 aufgrund des Widerrufs vom 28. April 2014 jeweils
  61. mit dem Tag des Zugangs der Schreiben "beendet" und rückabzuwickeln seien,
  62. außerdem auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten, hat das
  63. Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das landgerichtliche
  64. Urteil teilweise abgeändert und den Feststellungsbegehren entsprochen. In der
  65. Entscheidungsformel hat es dahin erkannt, es werde die "Revision gegen dieses Urteil" zugelassen. In den Gründen hat es ausgeführt, es habe "die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung […] im Hinblick auf divergierende obergerichtliche Entscheidungen zur Frage der Verwirkung bzw. der
  66. rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung von Verbraucherwiderrufsrechten
  67. zugelassen". Dagegen komme eine "Revisionszulassung - wie von der Beklagten begehrt - hinsichtlich der allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer
  68. Feststellungsklage" nicht in Betracht. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die
  69. vollständige Zurückweisung der klägerischen Berufung.
  70. -8-
  71. Entscheidungsgründe:
  72. 5
  73. Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
  74. I.
  75. 6
  76. Das
  77. Berufungsgericht
  78. (OLG
  79. Koblenz,
  80. Urteil
  81. vom
  82. 29. Juli
  83. 2016
  84. - 8 U 948/15, juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das
  85. Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt:
  86. 7
  87. Die Feststellungsklage sei zulässig. Zwar genieße eine Leistungsklage
  88. grundsätzlich Vorrang. Bei einer Bank sei indessen davon auszugehen, dass
  89. sie auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil leisten werde, auch wenn die Beklagte das Gegenteil erklärt habe.
  90. 8
  91. Zwischen den Parteien seien Verbraucherdarlehensverträge zustande
  92. gekommen, so dass der Klägerin das Recht zugestanden habe, ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen zu widerrufen.
  93. Durch die Verwendung des Wortes "frühestens" bei der Beschreibung der
  94. Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist habe die Beklagte die Klägerin über die Bedingungen des Widerrufs undeutlich unterrichtet. Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung nach der maßgeblichen Fassung der BGB-Informationspflichten-Verordnung könne sich die Beklagte nicht berufen, weil die Widerrufsbelehrung der Beklagten dem Muster
  95. nicht vollständig entsprochen habe. Mangels ordnungsgemäßer Belehrung sei
  96. die Widerrufsfrist nicht angelaufen, so dass die Klägerin den Widerruf noch
  97. 2014 habe erklären können. Die Klägerin habe ihr Widerrufsrecht nicht verwirkt.
  98. -9-
  99. II.
  100. 9
  101. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die
  102. Feststellungsklage für zulässig erachtet.
  103. 10
  104. 1. Der Senat hat die Zulässigkeit der Feststellungsklage unter dem
  105. Aspekt des Vorhandenseins eines Feststellungsinteresses von Amts wegen zu
  106. prüfen (Senatsurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906
  107. Rn. 14 mwN). Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht in den
  108. Gründen des Berufungsurteils ausdrücklich ausgeführt hat, es lasse die Revision nur zur Begründetheit und nicht auch zur Zulässigkeit der Feststellungsklage
  109. zu. Das Berufungsgericht kann die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts
  110. nicht einschränken, soweit Prozessvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen
  111. sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2009 - I ZB 53/07, BGHZ 182, 325
  112. Rn. 15 und - I ZB 54/07, juris Rn. 14). Auch der Revisionsführer könnte mittels
  113. einer Beschränkung seines Angriffs auf die materielle Rechtfertigung des Anspruchsgrunds eine solche Prüfung nicht ausschließen. Insoweit gilt entgegen
  114. der Rechtsmeinung der Revisionserwiderung anderes als in Fällen einer Beschränkung der Zulassung auf die Frage der Zulässigkeit der Klage (vgl. Senatsurteil vom 12. April 2011 - XI ZR 341/08, WM 2011, 1437 Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom 17. April 2012 - VI ZR 140/11, NJW-RR 2012, 759 Rn. 5 und vom
  115. 17. Mai 2017 - IV ZB 25/16, WM 2017, 1124 Rn. 19).
  116. 11
  117. 2. Die Feststellungsanträge zielen auf die positive Feststellung, dass sich
  118. die Darlehensverträge vom 23. März 2006 und 28. März 2006 aufgrund der Widerrufserklärungen der Klägerin in Rückgewährschuldverhältnisse umgewandelt
  119. haben. Die von der Revisionserwiderung gewünschte Auslegung als negative
  120. Feststellungsklage kommt mangels eines in diesem Sinne auslegungsfähigen
  121. - 10 -
  122. anspruchsleugnenden Zusatzes nicht in Betracht (einen anderen Fall betraf Senatsurteil vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 10 ff., 16).
  123. 12
  124. Als positive Feststellungsklage sind die Feststellungsanträge unzulässig.
  125. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils näher ausgeführt hat (Senatsurteile vom 24. Januar 2017 - XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 11 ff., vom
  126. 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 13 ff., vom 14. März 2017
  127. - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 19, vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15,
  128. WM 2017, 1258 Rn. 16 und vom 4. Juli 2017 - XI ZR 741/16, WM 2017, 1602
  129. Rn. 16), muss ein Kläger, der die Umwandlung eines Verbraucherdarlehensvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis geltend macht, vorrangig mit der Leistungsklage auf der Grundlage der § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum
  130. 12. Juni 2014 geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB gegen die
  131. Beklagte vorgehen. Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm das Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in
  132. einem Prozess klären kann.
  133. 13
  134. Im konkreten Fall hat das Berufungsgericht ausdrücklich festgestellt, die
  135. Beklagte habe angekündigt, auf ein Feststellungsurteil nicht freiwillig leisten zu
  136. wollen. Damit steht fest, dass der Rechtsstreit die Meinungsverschiedenheiten
  137. der Parteien nicht endgültig bereinigen wird. Die Feststellungsklage ist damit
  138. auch nicht nach den Maßgaben des Senatsurteils vom 24. Januar 2017
  139. (XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 16) ausnahmsweise zulässig.
  140. - 11 -
  141. III.
  142. 14
  143. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung zugunsten der Beklagten (§ 563 Abs. 3 ZPO) kann der
  144. Senat nicht fällen. Die Feststellungsanträge sind nicht abweisungsreif.
  145. 15
  146. 1. Der Senat kann auf die Revision der Beklagten die Feststellungsklage
  147. nicht als unzulässig abweisen. Denn der Klägerin müsste zunächst Gelegenheit
  148. gegeben werden, zu einem zulässigen Klageantrag überzugehen (Senatsurteil
  149. vom 4. Juli 2017 - XI ZR 741/16, WM 2017, 1602 Rn. 34).
  150. 16
  151. 2. Der Senat kann aber auch nicht auf die Unbegründetheit der Feststellungsklage erkennen. Zwar ist das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1
  152. ZPO nur für ein stattgebendes Urteil echte Prozessvoraussetzung. Ein Feststellungsbegehren, das das Berufungsgericht für zulässig erachtet hat, kann bei
  153. tatsächlich fehlendem Feststellungsinteresse in der Revisionsinstanz aus sachlichen Gründen abgewiesen werden (st. Rspr., zuletzt etwa Senatsurteil vom
  154. 4. Juli 2017 - XI ZR 741/16, WM 2017, 1602 Rn. 31). Aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist die Klage indessen nicht in der Sache abweisungsreif.
  155. 17
  156. a) Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, der Klägerin sei gemäß
  157. § 495 Abs. 1 BGB zunächst das Recht zugekommen, ihre auf Abschluss der
  158. Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen nach § 355 Abs. 1 und 2
  159. BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, §§ 32, 38
  160. Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem
  161. 10. Juni 2010 geltenden Fassung zu widerrufen.
  162. 18
  163. b) Ebenfalls zutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Widerrufsfrist sei bei Abgabe der Widerrufserklärungen am 6. März 2014 und
  164. 28. April 2014 noch nicht abgelaufen gewesen. Die der Klägerin erteilten Wider-
  165. - 12 -
  166. rufsbelehrungen informierten mittels des Einschubs "frühestens" unzureichend
  167. deutlich über den Beginn der Widerrufsfrist (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2016
  168. - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 18). Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung gemäß Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV in der hier
  169. maßgeblichen, zwischen dem 8. Dezember 2004 und dem 31. März 2008 geltenden Fassung kann sich die Beklagte, die unter der Überschrift "Finanzierte
  170. Geschäfte" den Gestaltungshinweis 9 nicht vollständig umgesetzt hat, schon
  171. deshalb nicht berufen (Senatsurteil vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15,
  172. WM 2016, 2295 Rn. 27, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
  173. 19
  174. c) Der tatrichterlichen Würdigung der nach § 242 erheblichen Umstände
  175. kann der Senat abgesehen davon, dass die Revision durchgreifende Rechtsfehler nach Maßgabe des im Revisionsverfahren eröffneten Prüfungsumfangs
  176. (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 18
  177. sowie - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 43 und vom 14. März 2017
  178. - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 27) nicht aufzeigt, nicht vorgreifen.
  179. IV.
  180. 20
  181. Da die Sache, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten
  182. entschieden hat, nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie insoweit zur neuen
  183. - 13 -
  184. Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
  185. (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
  186. Ellenberger
  187. Grüneberg
  188. Menges
  189. Maihold
  190. Derstadt
  191. Vorinstanzen:
  192. LG Mainz, Entscheidung vom 27.07.2015 - 5 O 100/14 OLG Koblenz, Entscheidung vom 29.07.2016 - 8 U 948/15 -