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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XI ZR 242/05
  5. Verkündet am:
  6. 19. September 2006
  7. Herrwerth,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. ja
  17. _____________________
  18. BGB § 249 Hd
  19. Wird der Erwerb einer werthaltigen Eigentumswohnung durch ein Darlehen finanziert, so besteht der Schutzzweck der Widerrufsbelehrung nach dem Haustürwiderrufsgesetz auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 25. Oktober 2005 (WM 2005,
  20. 2086, 2089 - Crailsheimer Volksbank) nicht darin, den über sein Widerrufsrecht
  21. nicht belehrten Darlehensnehmer mit Hilfe des Schadensersatzrechts so zu
  22. stellen, als wenn das Darlehen sofort widerrufen und eine Eigenfinanzierung
  23. vorgenommen worden wäre.
  24. BGH, Urteil vom 19. September 2006 - XI ZR 242/05 - KG Berlin
  25. LG Berlin
  26. -2-
  27. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. September 2006 durch den Vorsitzenden Richter
  28. Nobbe und die Richter Dr. Müller, Dr. Joeres, Dr. Ellenberger und
  29. Prof. Dr. Schmitt
  30. für Recht erkannt:
  31. Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des
  32. 23. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom
  33. 11. August 2005 aufgehoben.
  34. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
  35. an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  36. Von Rechts wegen
  37. Tatbestand:
  38. 1
  39. Die Kläger nehmen die beklagte Bank auf Rückzahlung von Leistungen in Anspruch, die sie aufgrund eines Darlehensvertrages erbracht
  40. haben. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
  41. 2
  42. Die Kläger, ein damals 43-jähriger Beamter und seine damals 38jährige Ehefrau, erwarben mit notariellem Kaufvertrag vom 20. Dezember
  43. 1996 die von ihnen bewohnte Eigentumswohnung in der R.
  44. -3-
  45. Straße
  46. in B.
  47. zum Preis vom 250.000 DM. Zur Finanzierung des
  48. Kaufpreises stellten sie am 8. Februar 1997 auf Vermittlung eines Mitarbeiters der ...
  49. Bausparkasse bei der Beklagten einen Antrag auf
  50. Gewährung eines Annuitätendarlehens über 190.000 DM zum Zinssatz
  51. von 6,65% p.a. fest bis Ende Februar 2007 bei 1% Tilgung. Ausweislich
  52. der Selbstauskunft der Kläger verfügten sie über Barmittel von 8.750 DM
  53. und ein Bausparguthaben von 31.000 DM. Die Beklagte nahm das Vertragsangebot am 11. Februar 1997 ohne Erteilung einer Widerrufsbelehrung nach dem Haustürwiderrufsgesetz an und zahlte den nach Abzug
  54. von Bereitstellungszinsen sowie Bearbeitungs- und Schätzkosten verbleibenden Darlehensbetrag über 188.459,17 DM vereinbarungsgemäß an
  55. den Notar der Kaufvertragsparteien aus. Das Darlehen wurde durch eine
  56. Grundschuld von 190.000 DM an der Eigentumswohnung gesichert.
  57. 3
  58. Am 21. Juni 2002 widerriefen die Kläger ihre Darlehensvertragserklärung nach dem Haustürwiderrufsgesetz. Die Kläger behaupten: Sie
  59. hätten die erworbene Immobilie ursprünglich mit Hilfe eines Bauspardarlehens finanzieren wollen und deshalb den Mitarbeiter der ...
  60. Bausparkasse in ihre Wohnung bestellt. Bei dieser Gelegenheit habe er
  61. für sie völlig unerwartet eine Finanzierung durch die Beklagte als Finanzpartnerin der Bausparkasse vorgeschlagen und sie, die Kläger, unter Ausnutzung der Haustürsituation zum Abschluss des Darlehensvertrages bewogen.
  62. 4
  63. Das Landgericht hat die auf Rückzahlung der von den Klägern geleisteten Zins- und Tilgungsraten in Höhe von insgesamt 41.212,87 € zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Zahlung des Restdarlehens über
  64. 96.357,61 € nebst 4% Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung
  65. -4-
  66. der Kläger ist erfolglos geblieben. Mit der - vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgen sie ihren Klageantrag weiter.
  67. Entscheidungsgründe:
  68. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des Beru-
  69. 5
  70. fungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
  71. I.
  72. 6
  73. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
  74. Wesentlichen ausgeführt:
  75. 7
  76. Den Klägern stehe kein Rückzahlungsanspruch nach dem Haustürwiderrufsgesetz zu. Ein Widerrufsrecht sei jedenfalls deshalb nicht
  77. entstanden, weil die Beklagte sich eine etwaige Haustürsituation nicht
  78. zurechnen lassen müsse. Die Entscheidung dieser Frage richte sich
  79. nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nach den zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung entwickelten Grundsätzen. Eine
  80. entsprechende Anwendung der in § 123 Abs. 1 BGB festgelegten Zuordnungsregeln setze voraus, dass der Verhandlungsführer entweder ein
  81. Angestellter, Mitarbeiter bzw. Beauftragter des Erklärungsempfängers
  82. sei oder nach außen als dessen Vertrauensperson gehandelt habe. Dies
  83. sei hier nicht der Fall.
  84. -5-
  85. 8
  86. Ebenso komme eine Zurechnung der Haustürsituation nach § 123
  87. Abs. 2 BGB (analog) nicht in Betracht. Das Verhalten des "Dritten" im
  88. Sinne dieser Vorschrift müsse sich der Erklärungsempfänger erst dann
  89. zurechnen lassen, wenn er dessen auf die Haustürsituation bezogenes
  90. Handeln bei Vertragsschluss gekannt habe oder habe kennen müssen.
  91. Für eine fahrlässige Unkenntnis des Erklärungsempfängers genüge
  92. zwar, dass ihn die Umstände des Falles veranlassen mussten, sich zu
  93. erkundigen, auf welchen Umständen die ihm übermittelte Willenserklärung beruhe. Die bloße Kenntnis der Beklagten, dass der Kreditantrag
  94. von einem Mitarbeiter einer Bausparkasse vermittelt worden sei, der
  95. möglicherweise gelegentlich auch Hausbesuche durchführe, genüge insoweit aber nicht.
  96. II.
  97. 9
  98. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  99. Das Berufungsgericht hat die unterstellte Haustürsituation der Beklagten
  100. zu Unrecht nicht zugerechnet.
  101. 10
  102. Allerdings hat der Bundesgerichtshof bisher in ständiger Rechtsprechung, der das Berufungsgericht gefolgt ist, angenommen, dass ein
  103. Darlehensvertrag nicht schon dann nach dem Haustürwiderrufsgesetz
  104. wirksam widerrufen werden kann, wenn der Vermittler einer finanzierten
  105. Kapitalanlage den Abschluss des Kreditvertrages in einer Haustürsituation angebahnt hat. Vielmehr wurde der kreditgebenden Bank die Haustürsituation - in Übereinstimmung mit den Gesetzesmaterialien (BTDrucks. 10/2876, S. 11) und der ganz herrschenden Ansicht in der Lite-
  106. -6-
  107. ratur
  108. (siehe
  109. z.B.
  110. MünchKommBGB/Ulmer,
  111. 4. Aufl.
  112. § 312
  113. Rdn. 30
  114. m.w.Nachw.) - außerhalb des Anwendungsbereichs des § 278 BGB nur
  115. dann zugerechnet, wenn die für die Zurechnung der arglistigen Täuschung gemäß § 123 Abs. 2 BGB notwendigen Voraussetzungen erfüllt
  116. sind. War der Verhandlungsführer als "Dritter" im Sinne dieser Vorschrift
  117. anzusehen, so war sein auf die Haustürsituation bezogenes Handeln der
  118. Bank daher nur dann zuzurechnen, wenn sie dieses bei Vertragsschluss
  119. kannte oder hätte erkennen müssen (siehe z.B. BGHZ 159, 280, 285 f.;
  120. Senatsurteile vom 12. November 2002 - XI ZR 3/01, WM 2003, 61, 63,
  121. vom 15. Juli 2003 - XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741, 1743 und vom
  122. 20. Januar 2004 - XI ZR 460/02, WM 2004, 521, 523).
  123. 11
  124. Wie der erkennende Senat bereits in seinem erst nach der angefochtenen Entscheidung ergangenen Urteil vom 14. Februar 2006 (XI ZR
  125. 255/04, WM 2006, 674, 675; siehe ferner Senatsurteile vom 25. April
  126. 2006 - XI ZR 193/04, WM 2006, 1003, 1008, zur Veröffentlichung in
  127. BGHZ vorgesehen, und vom 20. Juni 2006 - XI ZR 224/05, Umdruck
  128. S. 7 f.; ebenso schon BGH, Urteil vom 12. Dezember 2005 - II ZR
  129. 327/04, WM 2006, 220, 221 f.) dargelegt hat, hält er an dieser Rechtsprechung nicht weiter fest. Mit dem Haustürwiderrufsgesetz hat der Gesetzgeber die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985
  130. betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. L 372, S. 31; "Haustürgeschäfterichtlinie") in nationales Recht umgesetzt. Nach der bindenden
  131. Auslegung des europäischen Rechts durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem erst nach der angefochtenen Entscheidung ergangenen Urteil vom 25. Oktober 2005 (WM 2005, 2086 ff.
  132. - Crailsheimer Volksbank) muss sich die kreditgebende Bank die Haus-
  133. -7-
  134. türsituation bereits dann zurechnen lassen, wenn sie bei Abschluss des
  135. Darlehensvertrages objektiv vorgelegen hat. Eine solche richtlinienkonforme Auslegung lässt das nationale Recht zu. Zwar wollte der Gesetzgeber (vgl. BT-Drucks. aaO) - worauf auch das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat - den durch die Haustürsituation in seiner Willensbildung beeinträchtigten Verbraucher grundsätzlich nicht weiter schützen
  136. als einen Vertragspartner, der durch eine arglistige Täuschung zum Vertragsschluss bewogen wurde. Diese Absicht hat aber im Wortlaut des § 1
  137. HWiG keinen Niederschlag gefunden. Es handelt sich nicht einmal um
  138. eine Interpretation des Gesetzestextes, sondern um einen Diskussionsbeitrag zu einer Frage, die im Gesetz nicht beantwortet worden ist, sondern der Rechtsprechung und der Lehre überlassen bleiben sollte (siehe
  139. Senatsurteil vom 14. Februar 2006, aaO S. 675). Eine etwaige Haustürsituation ist der Beklagten infolgedessen nach rein objektiven Kriterien zuzurechnen.
  140. III.
  141. 12
  142. Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1
  143. ZPO) und die Sache zur Feststellung, ob der Kreditantrag der Kläger auf
  144. einer Haustürsituation beruht, zur neuen Verhandlung und Entscheidung
  145. an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
  146. 13
  147. Für den Fall, dass die Beweisaufnahme ergeben sollte, dass die
  148. Kläger zur Abgabe ihrer Darlehensvertragserklärung durch mündliche
  149. Verhandlungen in ihrer Wohnung bestimmt worden sind, wird unter Be-
  150. -8-
  151. rücksichtigung der Ausführungen der Kläger in der Revisionsinstanz auf
  152. Folgendes hingewiesen:
  153. 14
  154. Wie die Kläger in ihrem Klageantrag zutreffend berücksichtigt haben, steht ihnen im Falle eines wirksamen Widerrufs des Darlehensvertrags ein Anspruch auf Rückgewähr der von ihnen erbrachten Zins- und
  155. Tilgungsraten nur Zug um Zug gegen Rückzahlung des gesamten Nettokreditbetrages von 188.459,17 DM, d.h. 96.357,64 € (nicht: 96.357,61 €
  156. wie beantragt) zu (§ 3 Abs. 1, § 4 HWiG). Daneben haben die Kläger Anspruch auf marktübliche Verzinsung der von ihnen gezahlten, der Beklagten zur Nutzung zur Verfügung stehenden Raten (BGHZ 152, 331,
  157. 336; Senatsurteil vom 15. Juli 2003 - XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741,
  158. 1744). Dabei kann, da es sich hier um einen Realkredit handelt, entgegen der Ansicht der Kläger nicht ohne weiteres von einem Zinssatz von
  159. 5% über dem Diskontsatz der deutschen Bundesbank ausgegangen werden (Senatsurteile vom 18. Februar 1992 - XI ZR 134/91, WM 1992, 566,
  160. 567 und vom 12. Mai 1998 - XI ZR 79/97, WM 1998, 1325, 1326 f.). Für
  161. den den Klägern überlassenen Nettokreditbetrag kann die Beklagte ihrerseits marktübliche Zinsen beanspruchen (BGHZ 152, 331, 338; Senatsurteile vom 26. November 2002 - XI ZR 10/00, WM 2003, 64, 66 und
  162. vom 15. Juli 2003 - XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741, 1744), nicht lediglich
  163. durchgängig 4% wie im Antrag der Kläger vorgesehen.
  164. Ein Schadensersatzanspruch, der von dem gestellten Klageantrag
  165. 15
  166. im Übrigen allenfalls zu einem kleinen Teil umfasst wird, steht den Klägern wegen der unterbliebenen Widerrufsbelehrung entgegen der Ansicht der Revision auch unter Berücksichtigung der Urteile des Gerichtshofs
  167. der
  168. Europäischen
  169. Gemeinschaften
  170. vom
  171. 25. Oktober
  172. 2005
  173. -9-
  174. (WM 2005, 2079 ff. - Schulte und WM 2005, 2086 ff. - Crailsheimer
  175. Volksbank) nicht zu. Die unterbliebene Widerrufsbelehrung ist für den
  176. mehrere Wochen früher abgeschlossenen finanzierten Wohnungskaufvertrag nicht, wie erforderlich (Senatsurteil vom 16. Mai 2006 - XI ZR
  177. 6/04, WM 2006, 1194, 1199, für BGHZ vorgesehen), kausal geworden.
  178. 16
  179. Darüber hinaus ist den Klägern durch den Erwerb der werthaltigen
  180. Eigentumswohnung kein Vermögensschaden im Sinne des § 249 BGB
  181. entstanden. Entgegen der Ansicht der Revision besteht ein Schadensersatzanspruch der Kläger auch dann nicht, wenn sie den Kaufpreis für die
  182. Eigentumswohnung mit Eigenmitteln hätten finanzieren können und davon angeblich durch die unterbliebene Widerrufsbelehrung abgehalten
  183. worden sind. Wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in
  184. seiner Entscheidung vom 25. Oktober 2005 (aaO S. 2086, 2089) in
  185. Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats ausdrücklich klargestellt hat, ist die Pflicht des Darlehensnehmers, den Nettokreditbetrag zuzüglich marktüblicher Zinsen nach Widerruf der Darlehensvertragserklärung zurückzuzahlen, mit der Haustürgeschäfterichtli-
  186. - 10 -
  187. nie vereinbar. Diese Verpflichtung gehört nach dem Schutzzweck der
  188. Widerrufsbelehrung danach nicht zu den Risiken, vor denen die Widerrufsbelehrung schützen soll.
  189. Nobbe
  190. Müller
  191. Ellenberger
  192. Joeres
  193. Schmitt
  194. Vorinstanzen:
  195. LG Berlin, Entscheidung vom 14.01.2004 - 4 O 341/03 KG Berlin, Entscheidung vom 11.08.2005 - 23 U 47/04 -