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619 lines
34 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XI ZR 175/15
  5. Verkündet am:
  6. 26. April 2016
  7. Herrwerth,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. ECLI:DE:BGH:2016:260416UXIZR175.15.0
  13. -2-
  14. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  15. vom 26. April 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ellenberger, die Richter
  16. Maihold und Dr. Matthias sowie die Richterinnen Dr. Derstadt und Dr. Dauber
  17. für Recht erkannt:
  18. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats
  19. des Oberlandesgerichts München vom 14. April 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten
  20. erkannt worden ist.
  21. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 35. Zivilkammer des
  22. Landgerichts München I vom 27. Juli 2011 wird insgesamt zurückgewiesen.
  23. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits jeweils zur Hälfte.
  24. Von Rechts wegen
  25. Tatbestand:
  26. 1
  27. Die Kläger begehren von der Beklagten Schadensersatz wegen behaupteter fehlerhafter Anlageberatung durch Mitarbeiter der inzwischen insolventen
  28. A
  29. 2
  30. AG.
  31. Die Kläger beantragten am 17. Oktober 2006 über das Wertpapierhan-
  32. delshaus D
  33. AG, der Rechtsvorgängerin der A
  34. AG (nach-
  35. folgend einheitlich: A AG), bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, einer Di-
  36. -3-
  37. rektbank (nachfolgend: Beklagte), die während des Revisionsverfahrens auf die
  38. Beklagte verschmolzen worden ist, die Eröffnung eines "Depotkontos unter Einschluss eines Finanzdienstleisters" (sog. Zins-Plus-Konto). Am selben Tag unterzeichneten die Kläger eine Transaktionsvollmacht zugunsten der A AG. Bei
  39. dem Zins-Plus-Konto handelte es sich um ein Tagesgeldkonto mit einer über
  40. dem jeweiligen Marktzins liegenden jährlichen Verzinsung der Einlage, das
  41. zwingend mit einem Depotvertrag zur etwaigen Einbuchung von Wertpapieren
  42. verbunden war. Zwischen der A AG und der Beklagten war vereinbart, dass in
  43. ihrem Verhältnis die Beklagte lediglich den Marktzins zu zahlen hatte und die
  44. A AG die Differenz zu dem an die Kunden zu zahlenden Zins an die Beklagte
  45. zahlen musste. Im Kontoeröffnungsantrag vom 17. Oktober 2006 heißt es auszugsweise:
  46. "V. Ausschluß der Anlageberatung
  47. Die …
  48. bank
  49. erfüllt lediglich ihre gesetzlichen Aufklärungs- und Erkundigungs-
  50. pflichten und führt Aufträge aus. Die … bank
  51. spricht weder Empfehlungen für den
  52. Kauf oder Verkauf von Wertpapieren aus noch bietet die Bank Beratungsleistungen."
  53. 3
  54. In der der A AG eingeräumten Transaktionsvollmacht vom gleichen Tag
  55. heißt es weiter:
  56. "1. Ausschluss der Anlageberatung durch die …
  57. bank; keine Prüfung von Transaktio-
  58. nen des/der Bevollmächtigten
  59. Im Rahmen dieser Geschäftsbeziehung erfüllt die … bank
  60. lediglich ihre gesetzli-
  61. chen Aufklärungs- und Erkundigungspflichten und führt Aufträge aus. Die … bank
  62. gibt weder Empfehlungen für den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren noch bietet sie
  63. Beratungsleistungen. Auf Beratungsleistungen und Anlageentscheidungen des/der Bevollmächtigte/n hat die … bank keinen Einfluss; die im Rahmen der Rechtsbeziehung
  64. Kunde-Bevollmächtigte/r gemachten Angaben und Vorgaben kennt die …
  65. sig nicht. Die …
  66. regelmäs-
  67. bank kontrolliert daher nicht die Einhaltung von Anlagevorgaben
  68. -4-
  69. des/der Kunden gegenüber dem/der Bevollmächtigten. Die …
  70. bank
  71. ist an Anla-
  72. geentscheidungen und Vermögensdispositionen nicht beteiligt; sie kann die Einhaltung
  73. von Vereinbarungen zur Art und Weise der Vermögensanlage nicht überprüfen.
  74. 3. Rechtsstellung des/der Bevollmächtigten
  75. Der/die Bevollmächtigte ist nicht zur Abgabe von Erklärungen im Namen der … bank
  76. berechtigt, er/sie wird nicht im Auftrag der … bank tätig."
  77. 4
  78. In der Zeit vom 20. August 2007 bis zum 8. Mai 2008 erwarben die Kläger jeweils nach telefonischer Beratung durch einen Mitarbeiter der A AG Wertpapiere für insgesamt 79.530,21 €, u.a. Inhaber-Genussscheine der D
  79. AG zum Nominalwert von insgesamt 50.000 € am 18. Januar, 7. und
  80. 8. Mai 2008 für insgesamt 53.556,20 €.
  81. 5
  82. Die Kläger haben im Wege des Schadensersatzes die Zahlung von
  83. 53.556,20 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Inhaber-Genussscheine der D
  84. AG verlangt sowie unter Anrechnung von Ver-
  85. kaufserlösen für andere Wertpapiere die Zahlung weiterer 15.019,57 € und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Hierbei berufen sie sich auf Aufklärungs- und Beratungspflichtverletzungen der A AG, für die die Beklagte ihrer
  86. Ansicht nach aus verschiedenen Rechtsgründen einzustehen habe.
  87. 6
  88. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das erste Berufungsurteil,
  89. mit dem das Berufungsgericht der Klage bis auf die Rechtsanwaltskosten stattgegeben hat, hat der Senat mit Urteil vom 4. März 2014 (XI ZR 313/12, BKR
  90. 2014, 203) auf die Revision der Beklagten aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Darauf hat das Berufungsgericht die Beklagte zur Zahlung von 53.556,20 €
  91. -5-
  92. nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Inhaber-Genussscheine der
  93. D
  94. AG verurteilt und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen.
  95. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die
  96. Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
  97. Entscheidungsgründe:
  98. A.
  99. I.
  100. 7
  101. Das Verfahren ist nicht unterbrochen. Da die Rechtsvorgängerin der Beklagten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war, trat die Beklagte
  102. aufgrund der Verschmelzung als Gesamtrechtsnachfolgerin gemäß § 246
  103. Abs. 1 ZPO ohne Unterbrechung des Verfahrens kraft Gesetzes in den Prozess
  104. ein (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2003 - II ZR 161/02, BGHZ 157, 151,
  105. 154 f.). Die Aussetzung des Verfahrens ist nicht beantragt worden.
  106. II.
  107. 8
  108. Die Revision ist zulässig, insbesondere gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
  109. aufgrund der Zulassung durch das Berufungsgericht statthaft. Dieses hat die
  110. Revision nicht nur beschränkt auf die depotvertragliche Haftung der Beklagten
  111. kraft Wissenszurechnung zugelassen.
  112. 9
  113. 1. Eine Beschränkung der Revision auf einzelne Rechtsfragen oder Anspruchselemente ist unzulässig. Anerkanntermaßen hat das Berufungsgericht
  114. aber die Möglichkeit, die Revision nur hinsichtlich eines tatsächlich und rechtlich
  115. -6-
  116. selbständigen und abtrennbaren Teils des Gesamtstreitstoffs zuzulassen, auf
  117. den auch die Partei selbst die Revision beschränken könnte (st. Rspr.; vgl. nur
  118. Senatsurteile vom 16. Oktober 2012 - XI ZR 368/11, juris Rn. 18 und vom
  119. 4. März 2014 - XI ZR 178/12, BKR 2014, 245 Rn. 21; BGH, Beschluss vom
  120. 16. Dezember 2010 - III ZR 127/10, WM 2011, 526 Rn. 5; jeweils mwN).
  121. 10
  122. Voraussetzung hierfür ist eine Selbständigkeit des von der Zulassungsbeschränkung erfassten Teils des Streitstoffs in dem Sinne, dass dieser in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem übrigen Prozessstoff
  123. beurteilt werden und auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch
  124. zum nicht anfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten kann (Senatsurteil vom
  125. 16. Oktober 2012, aaO; BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2010, aaO; jeweils
  126. mwN). Allerdings muss es sich hierbei weder um einen eigenen Streitgegenstand handeln, noch muss der betroffene Teil des Streitstoffs auf der Ebene der
  127. Berufungsinstanz teilurteilsfähig sein (Senatsurteil vom 4. März 2014, aaO;
  128. BGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 2010, aaO mwN und vom 7. Juni 2011
  129. - VI ZR 225/10, ZUM 2012, 35 Rn. 4). Außerdem kann sich nach ständiger
  130. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Beschränkung der Revisionszulassung auch aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ergeben.
  131. Hat das Berufungsgericht die Revision wegen einer Rechtsfrage zugelassen,
  132. die nur für einen eindeutig abgrenzbaren Teil des Streitstoffs von Bedeutung ist,
  133. kann die gebotene Auslegung der Entscheidungsgründe ergeben, dass die Zulassung der Revision auf diesen Teil des Streitstoffs beschränkt ist (Senatsurteile vom 20. März 2012 - XI ZR 340/10, juris Rn. 9, vom 16. Oktober 2012, aaO
  134. Rn. 14 und vom 4. März 2014, aaO Rn. 18).
  135. 11
  136. 2. Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Revision im vorliegenden
  137. Fall für die Beklagte in vollem Umfang zugelassen.
  138. -7-
  139. 12
  140. Das Berufungsgericht hat die Revision unbeschränkt zugelassen. Im Tenor ist eine Beschränkung nicht erfolgt. Auch in den Entscheidungsgründen
  141. heißt es nur, dass die Revision gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts
  142. für die Beklagte zuzulassen ist. Danach folgt die Begründung der Revisionszulassung, nämlich der Hinweis auf die Grundsatzbedeutung der Frage nach der
  143. Wissenszurechnung von außerhalb der Diensttätigkeit erlangtem Wissen trotz
  144. der grundsätzlichen Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 116 AktG. Aus
  145. dieser Begründung kann nicht zugleich die Darlegung eines Zulassungsgrundes
  146. und die Beschränkung der Revision auf diesen herausgelesen werden, zumal
  147. der Anwendungsbereich des § 116 AktG eine Rechtsfrage ist, auf die die Revision nicht wirksam beschränkt werden könnte.
  148. B.
  149. 13
  150. Die Revision ist begründet. Sie führt, soweit zum Nachteil der Beklagten
  151. erkannt worden ist, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur vollumfänglichen Zurückweisung der Berufung der Kläger.
  152. I.
  153. 14
  154. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit
  155. für das Revisionsverfahren erheblich, im Wesentlichen ausgeführt:
  156. 15
  157. Entgegen der Auffassung des Landgerichts stehe den Klägern hinsichtlich der Erwerbsvorgänge im Jahr 2008 ein Schadensersatzanspruch gegen die
  158. Beklagte wegen Verletzung einer Nebenpflicht zum Depotvertrag zu. Für die
  159. -8-
  160. Beklagte sei aufgrund der ihr zurechenbaren Kenntnis ihres damaligen Prokuristen W
  161. (nachfolgend: W) zu diesem Zeitpunkt eine systematische Fehl-
  162. beratung der gemeinsamen Kunden durch die A AG positiv bekannt und objektiv evident gewesen.
  163. 16
  164. Auch bei gestaffelter Einschaltung mehrerer Wertpapierdienstleistungsunternehmen bestehe eine Warnpflicht als Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB),
  165. wenn der Discount-Broker die tatsächliche Fehlberatung des Kunden bei dem in
  166. Auftrag gegebenen Wertpapiergeschäft entweder positiv kenne oder wenn diese Fehlberatung aufgrund massiver Verdachtsmomente objektiv evident sei.
  167. 17
  168. Die A AG habe durch ihre Berater die gemeinsamen Kunden der A AG
  169. und der Beklagten systematisch fehlberaten. Diese systematische Fehlberatung
  170. der Anlageberater der A AG mindestens gegenüber einem Teil der Kunden lasse sich am deutlichsten an zwei Ausprägungen belegen: der Fehleinstufung von
  171. Wertpapieren in Risikoklassen und der Nicht-Übereinstimmung eines verkauften Produkts mit dem, was den Kunden gegenüber angegeben worden sei.
  172. 18
  173. Der Zeuge W sei durch die Erörterung der Ergebnisse der K
  174. -
  175. Prüfung in der Aufsichtsratssitzung vom 11. Juli 2007 auf Anhaltspunkte für die
  176. systematische Fehlberatung mindestens bestimmter Kundengruppen aufmerksam geworden, jedenfalls seien diese danach evident gewesen.
  177. 19
  178. Der Beklagten seien die Erkenntnisse des Zeugen W zuzurechnen. Dieser habe die Kenntnisse in seiner beruflichen Funktion als Prokurist und damit
  179. als Vertreter der Beklagten erlangt.
  180. 20
  181. Der Wissenszurechnung stehe die Verschwiegenheitspflicht des Zeugen
  182. W als Aufsichtsrat der A AG aus § 116 AktG nicht entgegen. Zutreffend gehe
  183. die Beklagte davon aus, dass Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesell-
  184. -9-
  185. schaft der Verschwiegenheitspflicht nach § 116 AktG unterliegen würden und
  186. die Geltung des § 116 AktG zwingendes Recht sei. Nach allgemeiner Meinung
  187. sei aber disponibel, welche Daten der Geltung des § 116 AktG unterliegen. Die
  188. Aktiengesellschaft könne jederzeit ursprünglich geheim gehaltene Daten freigeben. Zwar würden die Erörterungen aus der Aufsichtsratssitzung am 11. Juli
  189. 2007 im Grundsatz ohne weiteres dem Schutzbereich des § 116 AktG unterliegen. Der Senat sei aber der Auffassung, dass wegen der besonderen Konstellation der Geschäftsbeziehung zwischen der Beklagten und der A AG hier eine
  190. konkludente Willensbildung der A AG vorliege, wonach solche Daten, die für die
  191. Durchführung der Kooperation zwischen der A AG und der Beklagten erforderlich seien, in dem Umfang nicht der Verpflichtung zur Verschwiegenheit unterfallen sollten, in dem der Beklagten gegen die A AG ein Anspruch aus diesen
  192. Kooperationsvereinbarungen auf Bekanntgabe dieser Daten zustehe. Allen Beteiligten sei schon bei Berufung des Zeugen W in den Aufsichtsrat bewusst gewesen, dass bestimmte Kenntnisse, die der Zeuge W als Aufsichtsrat erwerben
  193. könnte, für seine berufliche Tätigkeit als Bereichsleiter B2B der Beklagten mit
  194. besonderer Zuständigkeit für die Vertragsbeziehungen zur A AG wesentlich
  195. werden könnten. Wenn die Hauptversammlung der A AG unter solchen Umständen gerade den Zeugen W zum Aufsichtsrat bestelle, werde in dem Bestellungsakt zugleich zum Ausdruck gebracht, dass unter den genannten Begrenzungen diese Informationsweitergabe an die Beklagte gestattet sei. Dem stehe
  196. nicht entgegen, dass für die Informationsweitergabe üblicherweise der Vorstand
  197. der A AG zuständig sei. Dies stelle hier nur eine überflüssige Förmelei dar. Da
  198. die Beklagte aus den Kooperationsvereinbarungen einen Anspruch auf aktive
  199. Informationserteilung über die systematische Fehlberatung habe, sei es widersinnig, wenn sie sich auf eine Schutznorm berufen könne, die dem Schutz der
  200. A AG und nicht der Beklagten diene. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die
  201. Verschwiegenheitspflicht in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrates ausdrück-
  202. - 10 -
  203. lich aufgeführt sei. Diese könne nicht weiter gehen als die gesetzliche Verschwiegenheitsverpflichtung.
  204. 21
  205. Die Beklagte sei daher aufgrund der ihr zuzurechnenden Erkenntnisse
  206. des Zeugen W verpflichtet gewesen, den von der K
  207. festgestellten syste-
  208. matischen Beratungsfehlern nachzugehen. Der Senat sei davon überzeugt,
  209. dass zumindest die Feststellungen der K
  210. bewiesen seien. Dies habe die
  211. Beklagte aber allein aufgrund der ihr im Gefolge der Aufsichtsratssitzung vom
  212. 11. Juli 2007 zuzurechnenden Informationen nicht sogleich erkennen können
  213. und müssen. Die behaupteten Verstöße seien aber so schwerwiegend, dass die
  214. Beklagte aus den bestehenden Depotverträgen die Verpflichtung getroffen habe, die Feststellungen selbst zu überprüfen und sich dazu ergänzende Informationen zu verschaffen. Die für eine Validierung erforderlichen Informationen habe sich die Beklagte selbst beschaffen können, etwa durch Zugriff auf Erkenntnisse aus der Compliance und Revision bei der A AG. Außerdem habe sie Depots der Kunden auf das häufige Vorhandensein bestimmter nachrangiger Genussscheine und Anleihen nur selten am Markt gehandelter Emittenten überprüfen und sich aus den öffentlich zugänglichen Informationen in Verbindung
  215. mit ihrem Fachwissen als Bank ein eigenes Bild über die richtige Risikoeinstufung der Wertpapiere machen können. Darüber hinaus habe sie weitere Teile,
  216. wie insbesondere die Risikoeinstufung der einzelnen Kunden, bei der A AG in
  217. Erfahrung bringen und gegebenenfalls weitere Prüfberichte anfordern müssen.
  218. In der Zusammenschau dieser Informationen hätte sich dann für die Beklagte
  219. das oben dargestellte Bild einer systematischen Fehlberatung bestätigt.
  220. - 11 -
  221. II.
  222. 22
  223. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Prüfung in den wesentlichen Punkten nicht stand. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen
  224. eine Verurteilung der Beklagten zu Schadensersatz aus § 280 Abs. 1, § 241
  225. Abs. 2 BGB nicht.
  226. 23
  227. 1. Das Berufungsgericht hat es bereits versäumt, die notwendigen Feststellungen zur individuellen Fehlberatung der Kläger bei den streitgegenständlichen Anlagegeschäften und damit zum objektiven Tatbestand einer nebenvertraglichen Pflichtverletzung der Beklagten aus dem Depotvertrag zu treffen.
  228. 24
  229. a) Nur wenn die Kläger bei den konkreten, den Gegenstand des Rechtsstreits bildenden Anlagegeschäften fehlerhaft beraten worden sind, kommt eine
  230. Haftung der Beklagten für die entstandenen Schäden unter dem Gesichtspunkt
  231. der Verletzung einer nebenvertraglichen Warnpflicht in Betracht. Wie der Senat
  232. in seiner Grundsatzentscheidung vom 19. März 2013 (XI ZR 431/11, BGHZ
  233. 196, 370 Rn. 27) betont hat, besteht eine Warnpflicht als Nebenpflicht nur dann,
  234. wenn der Discount-Broker die tatsächliche Fehlberatung des Kunden bei dem in
  235. Auftrag gegebenen Wertpapiergeschäft entweder positiv kennt oder wenn diese
  236. Fehlberatung aufgrund massiver Verdachtsmomente objektiv evident ist (so
  237. auch Senatsurteile vom 12. November 2013 - XI ZR 312/12, WM 2014, 24
  238. Rn. 25, vom 4. März 2014 - XI ZR 178/12, BKR 2014, 245 Rn. 24 und vom
  239. 4. März 2014 - XI ZR 313/12, BKR 2014, 203 Rn. 23). Objektives Tatbestandsmerkmal der Warnpflicht einer Direktbank als Nebenpflicht aus dem Depotvertrag ist die fehlerhafte Beratung des Anlegers im konkreten Einzelfall (vgl. hierzu auch Senatsurteile vom 10. Dezember 2013 - XI ZR 508/12, WM 2014, 124
  240. Rn. 20 f. zur sittenwidrigen Überteuerung einer Eigentumswohnung und vom
  241. 6. Mai 2008 - XI ZR 56/07, BGHZ 176, 281 Rn. 14 f. zum Missbrauch der Ver-
  242. - 12 -
  243. tretungsmacht im bargeldlosen Zahlungsverkehr). Wurde der Kunde fehlerfrei
  244. und damit ordnungsgemäß durch das kundennähere Unternehmen beraten,
  245. besteht keine Warnpflicht der kundenferneren Direktbank. Im genannten Grundsatzurteil des Senats konnte diese Frage nur deshalb dahinstehen, weil die
  246. Fehlberatung der dortigen Klägerin und Revisionsführerin vom damaligen Berufungsgericht offen gelassen worden war, so dass ihr Vorliegen in der Revisionsinstanz als wahr zu unterstellen war (Senatsurteil vom 19. März 2013 - XI ZR
  247. 431/11, BGHZ 196, 370 Rn. 24).
  248. 25
  249. b) Erst im Rahmen der subjektiven Voraussetzungen einer Warnpflicht
  250. kann, sofern der Direktbank die tatsächliche Fehlberatung des Kunden im Einzelfall nicht positiv bekannt ist, die Kenntnis von der systematischen und damit
  251. regelmäßigen Fehlberatung der Anleger durch das kundennähere Unternehmen
  252. die tatsächliche Fehlberatung des Kunden im Einzelfall objektiv evident erscheinen lassen. Die systematische Fehlberatung von Anlegern kann aber nicht
  253. die tatsächliche Fehlberatung des jeweiligen Anspruchstellers ersetzen. Dies
  254. gilt umso mehr, als das Berufungsgericht im vorliegenden Fall lediglich die systematische Fehlberatung "mindestens gegenüber einem Teil der Kunden" der
  255. A AG feststellt, so dass der Schluss von der systematischen Fehlberatung auf
  256. die tatsächliche Fehlberatung des einzelnen Kunden von vornherein nicht möglich ist.
  257. 26
  258. c) Ob die Kläger tatsächlich bei den von ihnen getätigten Anlagegeschäften falsch beraten worden sind, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die
  259. im Zusammenhang mit der Prüfung einer systematischen Fehlberatung aus
  260. dem in Schriftform vorgelegten Inhalt der Beratungsgespräche der Kläger im
  261. August 2007 und Januar 2008 gezogene Schlussfolgerung, dieser zeige "wie
  262. wenig eine ordnungsgemäße Durchführung der erteilten Beratungsaufträge die
  263. tatsächliche Praxis der A AG dominiert" habe, genügt hierfür nicht. Es fehlen
  264. - 13 -
  265. jegliche Feststellungen zu den Anlagezielen, dem Wissenstand und der Risikobereitschaft der Kläger zum Zeitpunkt der konkret in Rede stehenden Anlageentscheidungen, ohne die nicht beurteilt werden kann, ob die Beratung anlegergerecht war (vgl. zu den Anforderungen zusammenfassend Senatsurteil vom
  266. 27. September 2011 - XI ZR 182/10, BGHZ 191, 119 Rn. 22 mwN). Die durch
  267. das Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen daher eine Verurteilung
  268. der Beklagten unabhängig von den Angriffen der Revision in den folgenden
  269. Punkten aus Rechtsgründen nicht, so dass das angegriffene Urteil schon deshalb keinen Bestand haben kann.
  270. 27
  271. 2. Aber auch die subjektiven Voraussetzungen einer Warnpflicht hat das
  272. Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei bejaht. Ob das Berufungsgericht die systematische Fehlberatung der Anleger durch Berater der A AG, aus der es eine
  273. objektive Evidenz der Fehlberatung der Kläger herleiten will, und die der Beklagten zurechenbare Kenntnis des Zeugen W von dieser systematischen Fehlberatung rechtsfehlerfrei festgestellt hat, erscheint zweifelhaft, bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls steht einer Zurechnung des
  274. - unterstellten - Wissens des Zeugen W aus der Aufsichtsratssitzung vom
  275. 11. Juli 2007 von einer - ebenfalls unterstellten - systematischen Fehlberatung
  276. der Anleger durch die A AG bzw. von Umständen, die diese objektiv evident
  277. erscheinen lassen, die Verschwiegenheitspflicht des § 116 Satz 1 i.V.m. § 93
  278. Abs. 1 Satz 3 AktG entgegen.
  279. 28
  280. Das Berufungsgericht hat von der Revision unbeanstandet und damit
  281. bindend festgestellt, dass der Zeuge W dieses - unterstellte - Wissen nicht gegenüber anderen Berufsträgern der Beklagten offenbart hat. Es könnte daher
  282. nur dann eine Warnpflicht der Beklagten ausgelöst haben, wenn es ohne tatsächliche Weitergabe der Beklagten zugerechnet werden könnte. Einer solchen
  283. Zurechnung steht jedoch die Verschwiegenheitspflicht des Zeugen W als Auf-
  284. - 14 -
  285. sichtsratsmitglied der A AG aus § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG
  286. entgegen. Eine konkludente Befreiung des Zeugen W von dieser Schweigepflicht bei seiner Bestellung durch die Hauptversammlung für alle Daten, die die
  287. Geschäftsbeziehung zur Beklagten betreffen und auf deren Bekanntgabe die
  288. Beklagte einen vermeintlichen Anspruch hat, ist rechtlich nicht zulässig.
  289. 29
  290. a) Noch zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass es sich bei den
  291. vorläufigen Ergebnissen der Prüfung durch die K
  292. um vertrauliche Angaben
  293. bzw. ein Geheimnis der A AG im Sinne des § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1
  294. Satz 3 AktG handelt. Dabei muss es sich um nicht allgemein bekannte (offenkundige) Tatsachen handeln, an deren Geheimhaltung ein objektives Interesse
  295. des Unternehmens besteht (BGH, Urteil vom 5. Juni 1975 - II ZR 156/73, BGHZ
  296. 64, 325, 329 und Beschluss vom 5. November 2013 - II ZB 28/12, WM 2013,
  297. 2361 Rn. 47). Ohne Weiteres bestand ein objektives Interesse der A AG daran,
  298. die noch vorläufigen und nicht vom Vorstand oder anderen Berufsträgern der
  299. A AG überprüften Feststellungen der K
  300. zum Kernbereich des Geschäfts-
  301. betriebs der A AG zumindest vorläufig geheim zu halten. Einem Unternehmen
  302. droht bei sofortiger Veröffentlichung oder Weitergabe solcher Informationen
  303. erheblicher wirtschaftlicher Schaden. Für die Qualifikation einer Information als
  304. vertrauliche Angabe oder Geheimnis ist die Frage der vertraglichen oder gesetzlichen Offenbarungs- bzw. Mitteilungspflicht ohne Bedeutung.
  305. 30
  306. b) Aufgrund der Vertraulichkeit dieser Angaben bestand für den Zeugen
  307. W eine Pflicht zur Verschwiegenheit. Diese Pflicht besteht gegenüber allen
  308. nicht zu den Organmitgliedern der Gesellschaft gehörenden Personen (MünchKommAktG/Habersack, 4. Aufl., § 116 AktG Rn. 56; Spindler in Spindler/Stilz,
  309. AktG, 3. Aufl., § 116 AktG Rn. 103 und 106; Hopt/Roth in GroßkommAktG,
  310. 4. Aufl., § 116 Rn. 219 und 246; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl., § 21 Rn. 611; Flore, BB 1993, 133, 134; Keilich/Brummer, BB
  311. - 15 -
  312. 2012, 897, 898), insbesondere für in den Aufsichtsrat gewählte Bankenvertreter
  313. gegenüber ihrem Arbeitgeber (Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl., BankGesch (7),
  314. A/16; Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 242; Werner, ZHR 145 (1981), 252, 265;
  315. Schröter in Bankrechtstag 2002, S. 161, 168). Nur wenn diese Verschwiegenheitsverpflichtung absolut gilt, ist gewährleistet, dass der Aufsichtsrat seine gesetzliche Überwachungs- und Beratungsfunktion erfüllen kann, da diese das
  316. notwendige Korrelat zu den umfassenden Informationsrechten des Aufsichtsrats bildet (BT-Drucks. 14/8769, S. 18) und der Vorstand den Aufsichtsrat frühzeitig über sensible Vorfälle, Daten und Vorhaben informieren kann, ohne dass
  317. er die Weitergabe - speziell an das finanzierende Kreditinstitut oder die Hausbank - und die damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile für das Unternehmen befürchten muss (MünchKommAktG/Habersack, 4. Aufl., § 116 AktG
  318. Rn. 49). Für solche Umstände, die unter die Verschwiegenheitspflicht aus § 116
  319. Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG fallen und durch deren Weitergabe das
  320. Aufsichtsratsmitglied seine Schweigepflicht verletzen würde, scheidet eine Wissenszurechnung - gleich auf welcher Rechtsgrundlage - von vornherein aus
  321. (Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 242; Werner, ZHR 145 (1981), 252, 265;
  322. Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und bankrechtliche Aufklärungspflichten,
  323. 1998, S. 276; Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 477; Buck-Heeb,
  324. WM 2008, 281, 284; Schröter in Bankrechtstag 2002, S. 161, 168; Faßbender/
  325. Neuhaus, WM 2002, 1253, 1256).
  326. 31
  327. Eine Kollision der Pflichten des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber seinem
  328. Arbeitgeber und der Gesellschaft, in deren Aufsichtsrat er gewählt oder entsandt wurde, rechtfertigt eine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht
  329. nicht, da diese wegen der meist nebenberuflichen Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied ganz bewusst im System angelegt ist und dieses Spannungsfeld vom
  330. Gesetzgeber gesehen und, wie der Straftatbestand des § 404 Abs. 1 Nr. 1 AktG
  331. deutlich belegt (Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 242; Werner, ZHR 145 (1981),
  332. - 16 -
  333. 252, 265; Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 477), zugunsten der
  334. von der Schweigepflicht geschützten Gesellschaft entschieden worden ist (BTDrucks. 14/8769, S. 18; vgl. hierzu Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl.,
  335. § 116 AktG Rn. 116; Werner, ZHR 145 (1981), 252, 265; Buck-Heeb, AG 2015,
  336. 801, 811). Die aufgrund der Aufsichtsratssitzung vom 11. Juli 2007 in seiner
  337. Funktion als Aufsichtsratsmitglied der A AG erlangte - unterstellte - Kenntnis
  338. des Zeugen W von einer angenommenen systematischen Fehlberatung der
  339. Kunden der A AG durch deren Mitarbeiter könnte der Beklagten daher nicht
  340. zugerechnet und zur Begründung einer Warnpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB herangezogen werden.
  341. 32
  342. c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann ein Aufsichtsratsmitglied nicht im Vorhinein für einen bestimmten Themenbereich generell
  343. von der Schweigepflicht entbunden werden. Das Schweigegebot des § 116
  344. Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG ist eine abschließende Regelung, die
  345. nicht durch Satzung oder Geschäftsordnung gemildert oder verschärft werden
  346. kann (BGH, Urteil vom 5. Juni 1975 - II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 326 f.). Allein das objektiv zu beurteilende Interesse des Unternehmens an der Geheimhaltung bestimmt die Reichweite und den Inhalt der Verschwiegenheitspflicht.
  347. Deshalb ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts und der Revisionserwiderung gerade nicht disponibel, welche Informationen der Geltung des
  348. § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG unterliegen sollen (Hopt/Roth in
  349. GroßkommAktG, 4. Aufl., § 116 Rn. 233), da andernfalls die Verschwiegenheitspflicht nach Belieben ausgehöhlt und damit abgemildert oder ergänzt und
  350. damit verschärft werden könnte, was aber ihrem Charakter als zwingendes
  351. Recht widerspräche. Eine im Vorhinein erklärte bereichsweite Befreiung eines
  352. Aufsichtsratsmitgliedes ist daher weder ausdrücklich noch konkludent rechtlich
  353. möglich.
  354. - 17 -
  355. 33
  356. d) Darüber hinaus ist die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft
  357. nicht befugt, über die Offenbarung vertraulicher Angaben und Geheimnisse zu
  358. befinden. Eine vertrauliche Angabe oder ein Geheimnis unterfällt solange der
  359. Schweigepflicht, bis sie bzw. es allgemein bekannt geworden oder durch den
  360. Vorstand freiwillig oder aufgrund gesetzlicher Pflicht offenbart worden ist
  361. (MünchKommAktG/Habersack, 4. Aufl., § 116 AktG Rn. 50; Drygala in Schmidt/
  362. Lutter, AktG, 3. Aufl., § 116 Rn. 32). Allein der Vorstand ist "Herr der Gesellschaftsgeheimnisse" und kann im Einzelfall nach sorgfältiger Abwägung der
  363. widerstreitenden Interessen für eine Offenbarung optieren und die betreffende
  364. vertrauliche Angabe oder das Geheimnis öffentlich machen (BGH, Urteil vom
  365. 5. Juni 1975 - II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 329 und Beschluss vom 14. Januar
  366. 2014 - II ZB 5/12, WM 2014, 618 Rn. 77; MünchKommAktG/Habersack, 4. Aufl.,
  367. § 116 AktG Rn. 62; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl., § 116 AktG
  368. Rn. 102; Hopt/Roth in GroßkommAktG, 4. Aufl., § 116 Rn. 239; Mertens/Cahn
  369. in KK AktG, 3. Aufl., § 116 Rn. 51; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, Aktiengesetz, 2. Aufl., § 116 Rn. 50; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl., § 14 Rn. 401; Wilsing/von der Linden, ZHR 178 (2014), 419,
  370. 432). Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Gesellschaft zur Offenbarung
  371. vertraglich oder gesetzlich verpflichtet ist. Auch hier liegt es in der Entscheidungsgewalt des Vorstandes, wann und wie er welche Informationen zur Erfüllung der Verpflichtung der Gesellschaft offenbart. Zwar ist anerkannt, dass sich
  372. der Aufsichtsrat in Einzelfällen selbst von der Verschwiegenheitspflicht befreien
  373. kann, jedoch betrifft dies nur aus dem Aufsichtsrat selbst stammende Umstände, wie Abstimmungsgegenstände und Diskussionsinhalte (vgl. BGH, Urteile
  374. vom 23. April 2012 - II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 Rn. 40 und vom 19. Februar
  375. 2013 - II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 Rn. 30), und würde lediglich dazu führen,
  376. dass das Aufsichtsratsmitglied für eine tatsächlich erteilte Auskunft nicht haftbar
  377. wäre. Die vom Berufungsgericht angenommene Befreiung des Zeugen W von
  378. - 18 -
  379. der Verschwiegenheitspflicht durch die Hauptversammlung aus Anlass seiner
  380. Bestellung war schon aufgrund dieser Zuständigkeitsregelung rechtlich nicht
  381. möglich und kann daher eine Wissenszurechnung an die Beklagte nicht begründen. Die gesetzliche Kompetenzverteilung innerhalb der Aktiengesellschaft
  382. stellt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keine "überflüssige
  383. Förmelei" dar.
  384. 34
  385. e) Eine im Einzelfall durch den Vorstand der A AG erteilte Befreiung im
  386. Sinne einer ausdrücklichen oder konkludenten Entscheidung zur Offenbarung
  387. der vorläufigen Ergebnisse der Prüfung durch die K
  388. hat das Berufungsge-
  389. richt nicht festgestellt und wurde von den Parteien in den Tatsacheninstanzen
  390. auch nicht behauptet.
  391. 35
  392. f) Weil die Verschwiegenheitspflicht aus § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1
  393. Satz 3 AktG eine Wissenszurechnung generell ausschließt, kann dahinstehen,
  394. ob es sich um vom Zeugen W privat oder im Zusammenhang mit seiner Funktion als Prokurist der Beklagten erlangtes Wissen handelt. Der Senat muss auch
  395. nicht über die Anwendbarkeit des § 166 BGB (analog) im konkreten Fall befinden.
  396. 36
  397. 3. Rechtsfehlerhaft ist außerdem die Auffassung des Berufungsgerichts,
  398. die Beklagte sei aufgrund der behaupteten Verstöße der A AG verpflichtet gewesen, die Feststellungen der K
  399. selbst zu prüfen und sich die dazu erfor-
  400. derlichen Informationen zu verschaffen. In den Fällen, in denen die - hier unterstellte - Fehlberatung des Kunden nicht objektiv evident, sondern nur möglich
  401. oder wahrscheinlich ist, besteht keine Pflicht der Bank, diesem Verdacht nachzugehen und die erforderlichen Ermittlungen anzustellen.
  402. 37
  403. a) Wie bereits ausgeführt, besteht eine Warnpflicht als Nebenpflicht nur
  404. dann, wenn der Discount-Broker die tatsächliche Fehlberatung des Kunden bei
  405. - 19 -
  406. dem in Auftrag gegebenen Wertpapiergeschäft entweder positiv kennt oder
  407. wenn diese Fehlberatung aufgrund massiver Verdachtsmomente objektiv evident ist (Senatsurteile vom 19. März 2013 - XI ZR 431/11, BGHZ 196, 370
  408. Rn. 27, vom 12. November 2013 - XI ZR 312/12, WM 2014, 24 Rn. 25, vom
  409. 4. März 2014 - XI ZR 178/12, BKR 2014, 245 Rn. 24 und vom 4. März 2014
  410. - XI ZR 313/12, BKR 2014, 203 Rn. 23). Nach der ständigen Rechtsprechung
  411. des Bundesgerichtshofs muss ein Kreditinstitut im Falle von nebenvertraglichen
  412. Aufklärungs-, Warn- und Hinweispflichten nur das ihm präsente Wissen offenbaren. Die Bank ist also nur verpflichtet, von ihr als wesentlich erkanntes Wissen zu offenbaren, nicht aber sich durch eigene Nachforschungen hinsichtlich
  413. etwaiger Risiken den Wissensvorsprung erst zu verschaffen (Senatsurteile vom
  414. 18. November 2003 - XI ZR 322/01, WM 2004, 172, 173 mwN und vom
  415. 29. April 2008 - XI ZR 221/07, WM 2008, 1121 Rn. 19). Ausnahmsweise steht
  416. die bloße Erkennbarkeit von aufklärungspflichtigen Tatsachen der positiven
  417. Kenntnis dann gleich, wenn sich diese einem zuständigen Bankmitarbeiter nach
  418. den Umständen des Einzelfalls aufdrängen musste; er ist dann nach Treu und
  419. Glauben nicht berechtigt, seine Augen vor solchen Tatsachen zu verschließen
  420. (Senatsbeschluss vom 28. Januar 1992 - XI ZR 301/90, WM 1992, 602, 603;
  421. Senatsurteile vom 7. April 1992 - XI ZR 200/91, WM 1992, 977, vom 29. April
  422. 2008 - XI ZR 221/07, WM 2008, 1121 Rn. 20, vom 6. Mai 2008 - XI ZR 56/07,
  423. BGHZ 176, 281 Rn. 14 und vom 10. Dezember 2013 - XI ZR 508/12, WM 2014,
  424. 124 Rn. 21).
  425. 38
  426. b) Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Beklagte
  427. das tatsächliche Vorliegen der von der K
  428. vermeintlich festgestellten sys-
  429. tematischen Beratungsfehler weder erkennen konnte noch musste, selbst wenn
  430. - wie nicht - sie Kenntnis vom Beratungsgegenstand der Aufsichtsratssitzung
  431. vom 11. Juli 2007 hatte. Diese waren mithin auch nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht objektiv evident. Damit bestand keine Hinweis- und Warnpflicht
  432. - 20 -
  433. der Beklagten gegenüber den Klägern. Eine Verpflichtung der Beklagten, wie
  434. vom Berufungsgericht gefordert, sich aufgrund des Verdachts einer Fehlberatung die zur Validierung der Feststellungen der K
  435. erforderlichen Informati-
  436. onen zu beschaffen, die richtige Einstufung der Wertpapiere in Risikoklassen
  437. vorzunehmen und bei der A AG nachzufragen, in welchen Risikoklassen die
  438. einzelnen Kunden erfasst waren, bestand nicht.
  439. III.
  440. 39
  441. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Wie der Senat zu mehreren Parallelfällen bereits entschieden hat und auch das Berufungsgericht nicht verkennt, scheidet eine Haftung
  442. der Beklagten aus einem Beratungsvertrag, aus § 128 HGB analog und aus
  443. §§ 826, 830 BGB aus (Senatsurteile vom 19. März 2013 - XI ZR 431/11, BGHZ
  444. 196, 370 Rn. 41 mwN, vom 12. November 2013 - XI ZR 312/12, WM 2014, 24
  445. Rn. 21 und vom 4. März 2014 - XI ZR 313/12, BKR 2014, 203 Rn. 21).
  446. IV.
  447. 40
  448. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das führt dazu, dass die Berufung
  449. der Kläger gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts insgesamt zurückzuweisen ist.
  450. 41
  451. Weitere Beweismittel oder weitergehenden substantiierten Vortrag für eine, etwa bei der Compliance- und Revisionstätigkeit der Beklagten für die A AG
  452. erlangte, Kenntnis der Beklagten von der - unterstellten - Falschberatung der
  453. - 21 -
  454. Kläger bei den streitgegenständlichen Wertpapiergeschäften oder die objektive
  455. Evidenz der diese Falschberatung begründenden Tatsachen als Voraussetzung
  456. für eine Haftung der Beklagten aus der Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB) aus dem Depotkonto-Vertrag bieten
  457. die Kläger nicht an.
  458. Ellenberger
  459. Maihold
  460. Derstadt
  461. Matthias
  462. Dauber
  463. Vorinstanzen:
  464. LG München I, Entscheidung vom 27.07.2011 - 35 O 149/11 OLG München, Entscheidung vom 14.04.2015 - 5 U 3672/11 -