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27 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. Xa ZR 5/09
  5. Verkündet am:
  6. 29. April 2010
  7. Wermes
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. BGHZ:
  14. BGHR:
  15. ja
  16. nein
  17. ja
  18. BGB §§ 241, 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 Bg, Bj und Cl
  19. a) Der Gläubiger ist grundsätzlich berechtigt, nur einen teilbaren Teil der ihm vertraglich zustehenden Gesamtleistung vom Schuldner zu fordern, sofern dem nicht
  20. der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegensteht.
  21. b) Eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Luftverkehrsunternehmens, in der bestimmt ist
  22. "Wenn Sie nicht alle Flight Coupons in der im Flugschein angegebenen Reihenfolge nutzen, wird der Flugschein von uns nicht
  23. eingelöst und verliert seine Gültigkeit",
  24. benachteiligt den Fluggast entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist daher unwirksam.
  25. BGH, Urteil vom 29. April 2010 - Xa ZR 5/09 - OLG Frankfurt/Main
  26. LG Frankfurt/Main
  27. -2-
  28. Der Xa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. März 2010 durch die Richter Prof. Dr. Meier-Beck,
  29. Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Dr. Bacher und
  30. Hoffmann
  31. für Recht erkannt:
  32. Die Revision gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18. Dezember 2008 wird auf
  33. Kosten der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die
  34. Verurteilung der Beklagten wie folgt neu gefasst wird:
  35. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall
  36. der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu
  37. 250.000,-- €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft
  38. bis zu sechs Monaten zu unterlassen, nach dem 17. Dezember
  39. 2009 die nachfolgende oder eine dieser inhaltsgleiche Bestimmung in Luftbeförderungsverträge mit Verbrauchern, die ihren
  40. Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, einzubeziehen, sofern der vereinbarte Abflugsort in der Bundesrepublik
  41. Deutschland liegt, sowie sich bei der Abwicklung derartiger, nach
  42. dem 17. Dezember 2009 geschlossener Verträge auf die Bestimmung zu berufen:
  43. "(3 c 1) … Wenn Sie nicht alle Flight Coupons in der im Flugschein angegebenen Reihenfolge nutzen, wird der Flugschein
  44. von uns nicht eingelöst und verliert seine Gültigkeit."
  45. Von Rechts wegen
  46. -3-
  47. Tatbestand:
  48. 1
  49. Der Kläger, der Dachverband der Verbraucherzentralen in den Bundesländern, begehrt von der Beklagten die Unterlassung der Verwendung einer
  50. bestimmten Klausel in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
  51. 2
  52. Die Beklagte ist ein Luftverkehrsunternehmen mit Sitz in Großbritannien.
  53. Auf ihrer Internetseite www.britishairways.com, die auch in deutscher Sprache
  54. aufgerufen werden kann, bietet die Beklagte Flüge unter Zugrundelegung ihrer
  55. Allgemeinen Geschäftsbedingungen an. Nr. 3 c 1 dieser Geschäftsbedingungen
  56. enthält dabei folgende Regelung:
  57. " Wenn Sie nicht alle Flight Coupons in der im Flugschein angegebenen Reihenfolge nutzen, wird der Flugschein von uns nicht
  58. eingelöst und verliert seine Gültigkeit."
  59. 3
  60. Unter Nr. 3 a 5 der Geschäftsbedingungen ist geregelt, dass ein Anspruch auf Luftbeförderung nicht besteht, wenn der Kunde keinen gültigen
  61. Flugschein vorweisen kann.
  62. 4
  63. Der Kläger sieht hierin eine unangemessene Benachteiligung der Fluggäste und hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Einbeziehung der
  64. Klausel Nr. 3 c 1 in Luftbeförderungsverträge mit Verbrauchern zu unterlassen
  65. und sich bei der Abwicklung von nach dem 1. April 1977 geschlossenen Verträgen nicht auf diese Klausel zu berufen. Hilfsweise hat er seinen Antrag darauf
  66. beschränkt, die Klausel nicht in Verträgen mit Verbrauchern zu verwenden, die
  67. ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland haben und bei denen der Ort des
  68. vertraglich geschuldeten Abflugs in Deutschland liegt.
  69. -4-
  70. 5
  71. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem in RRa 2009, 51 veröffentlicht ist, hat
  72. auf die Berufung der Beklagten deren Verurteilung auf den Umfang des Hilfsantrags beschränkt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter. In der Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger
  73. - mit Zustimmung der Beklagten - die Klage auf Verträge beschränkt, die nach
  74. dem 17. Dezember 2009 geschlossen wurden.
  75. Entscheidungsgründe:
  76. 6
  77. I.
  78. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die deutschen Gerichte
  79. seien nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO international zuständig, weil der geltend gemachte Unterlassungsanspruch sich auf eine unerlaubte Handlung oder eine
  80. dieser gleichstehende Handlung beziehe.
  81. 7
  82. Die angegriffene Klausel sei gemäß § 307 Abs. 1 i.V. mit Abs. 2 Nr. 1
  83. BGB unwirksam, weil mit ihr das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung
  84. gestört werde und die Klausel von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweiche. Der Verbraucher zahle eine bestimmte Vergütung,
  85. damit er zu einem bestimmten Zielort transportiert werde. Entgegen der Auffassung der Beklagten werde diese Leistung nicht unmöglich, wenn der Kunde
  86. eine Teilstrecke nicht antrete. Der Lufttransport mit Zwischenlandung sei keine
  87. rechtlich unteilbare Leistung, da er ohne Wertminderung und ohne Beeinträchtigung des Leistungszwecks in Teilleistungen zerlegt werden könne. Selbst
  88. wenn man mit der Beklagten von einer rechtlichen Unmöglichkeit der Gesamtleistung ausginge, die nach § 275 BGB zu einer Befreiung der Beklagten von
  89. -5-
  90. der Leistungspflicht führen würde, wäre sie nach §§ 283 Satz 1, 280 Abs. 1
  91. Satz 1 BGB den Fluggästen zum Schadensersatz verpflichtet, so dass sie die
  92. Kosten des Ersatztransports zu tragen hätte. Die angegriffene Klausel verstoße
  93. gegen diese gesetzliche Wertung, weil sie das Ziel habe, den Reisenden unter
  94. Fortbestand des Vergütungsanspruchs seines Weitertransportanspruchs zu
  95. berauben. Hierdurch werde der Verbraucher unangemessen benachteiligt.
  96. 8
  97. Da die Klausel außerdem als Vertragsstrafe anzusehen sei, verstoße sie
  98. auch gegen § 309 Nr. 6 BGB.
  99. 9
  100. II. Dies hält im Umfang des nach der teilweisen Klagerücknahme noch
  101. zu beurteilenden Klagebegehrens der rechtlichen Nachprüfung stand.
  102. 10
  103. 1. Für den Rechtsstreit sind die deutschen Gerichte gemäß Art. 5 Nr. 3
  104. EuGVVO international zuständig. Zu den unerlaubten und den diesen gleichgestellten Handlungen im Sinne dieser Vorschrift gehören auch Angriffe auf die
  105. Rechtsordnung durch die Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Insoweit kommt es nicht darauf an, nach welcher
  106. Rechtsordnung die angegriffene Handlung materiellrechtlich zu beurteilen ist.
  107. Es ist auch nicht erforderlich, dass eine Rechtsverletzung tatsächlich eingetreten ist. Die Zuständigkeit ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger behauptet,
  108. die Beklagte verwende im Inland eine von der Rechtsordnung missbilligte Allgemeine Geschäftsbedingung (vgl. Sen.Urt. v. 9.7.2009 - Xa ZR 19/08, NJW
  109. 2009, 3371 Tz. 10-14 m.w.N.).
  110. 11
  111. 2. Auf den geltend gemachten Unterlassungsanspruch ist - soweit es
  112. das Bestehen des Unterlassungsanspruchs selbst betrifft - deutsches Recht
  113. und sind mithin die §§ 1, 4a UKlaG anzuwenden.
  114. -6-
  115. 12
  116. Dies folgt aus Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 vom
  117. 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende
  118. Recht (Rom-II-VO). Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch bezieht sich
  119. auf eine unerlaubte Handlung im Sinne dieser Verordnung (vgl. Sen.Urt. v.
  120. 9.7.2009 aaO Tz. 17-21). Da er nach der teilweisen Klagerücknahme nur noch
  121. gegen die Verwendung der angegriffenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen
  122. in nach dem 17. Dezember 2009 geschlossenen Verträgen gerichtet ist, ist er
  123. auch für die Vergangenheit ausschließlich nach der gemäß ihrem Art. 32 am
  124. 11. Januar 2009 in Kraft getretenen Verordnung zu beurteilen.
  125. 13
  126. Anzuknüpfen ist demnach an das Recht des Staats, in dem der Schaden
  127. eintritt (Art. 4 Abs. 1 Rom-II-VO) oder wahrscheinlich eintritt (Art. 2 Abs. 3
  128. Buchst. b Rom-II-VO). Dies ist der Ort, an dem die von der Rechtsordnung
  129. missbilligten Allgemeinen Geschäftsbedingungen wahrscheinlich verwendet
  130. werden, an dem also die von der Rechtsordnung geschützten kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt sein sollen (BGH, Urt. v. 9.7.2009, aaO
  131. Tz. 17-19). Dies ist, soweit die Beförderungsbedingungen gegenüber in
  132. Deutschland ansässigen Verbrauchern verwendet werden, die Bundesrepublik
  133. Deutschland.
  134. 14
  135. 3. Ebenso ist auch die Wirksamkeit der angegriffenen Klausel nach
  136. deutschem Recht zu beurteilen.
  137. 15
  138. Dies ergibt sich nicht schon daraus, dass der geltend gemachte Unterlassungsanspruch deutschem Sachrecht unterliegt. Nach der Gesamtschau von
  139. § 1 und § 4a UKlaG ist vielmehr eine gesonderte Anknüpfung vorzunehmen.
  140. Während § 1 UKlaG einen Unterlassungsanspruch für den Fall begründet, dass
  141. die angegriffenen Bestimmungen nach den §§ 307 bis 309 BGB und damit nach
  142. deutschem Sachrecht unwirksam sind, gewährt § 4a UKlaG einen solchen An-
  143. -7-
  144. spruch auch in bestimmten Fällen, in denen im Inland gegen verbraucherschützende Normen verstoßen wird, die nicht zu den in §§ 1, 2 UKlaG aufgeführten
  145. Normen des deutschen Rechts gehören. Für die Beurteilung der Wirksamkeit
  146. von Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist somit das jeweilige Vertragsstatut
  147. maßgeblich (vgl. BGH, Urt. v. 9.7.2009, aaO Tz. 25-29). Dies ist hier das deutsche Recht.
  148. 16
  149. Maßstab für die Überprüfung eines Berufungsurteils auf Rechtsfehler ist
  150. die Rechtslage im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung. Zu berücksichtigen ist
  151. daher auch ein nach Erlass des Berufungsurteils ergangenes neues Gesetz,
  152. sofern es nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis
  153. erfasst (BGH, Beschl. v. 20.1.2005 - IX ZB 134/04, NJW 2005, 1508, 1509 unter II 3 a aa; BGHZ 60, 68, 71 f.; 141, 329, 336; Musielak/Ball, ZPO, 4. Aufl.,
  154. § 545 Rdn. 6). Am 17. Dezember 2009 ist die Verordnung (EG) Nr. 593/2008
  155. vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende
  156. Recht (Rom-I-VO) gemäß ihrem Art. 29 in Kraft getreten. Sie ist gemäß Art. 28
  157. Rom-I-VO nur auf Verträge anzuwenden, die nach diesem Datum geschlossen
  158. worden sind.
  159. 17
  160. Nach dieser Verordnung ist für Personenbeförderungsverträge, wenn die
  161. Parteien wie im vorliegenden Fall keine Rechtswahl getroffen haben, gemäß
  162. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Rom-I-VO das Recht des Staates maßgeblich, in dem die
  163. zu befördernde Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern sich in diesem Staat auch der Abgangsort oder der Bestimmungsort befindet. Da Streitgegenstand im Revisionsverfahren nur noch die Verwendung der beanstandeten Klausel in nach dem 17. Dezember 2009 geschlossenen Verträgen ist, die
  164. mit Verbrauchern geschlossen werden, die ihren Wohnsitz in Deutschland haben, und in denen ein Abflugort in Deutschland vereinbart wird, ist folglich die
  165. Wirksamkeit der beanstandeten Klausel nach deutschem Recht zu beurteilen.
  166. -8-
  167. 18
  168. 4. Der Kläger kann von der Beklagten gemäß § 1 UKlaG in Verbindung
  169. mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG die Unterlassung der Verwendung der beanstandeten Klausel verlangen. Sie ist gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam.
  170. 19
  171. a) Mit dieser Klausel wird ein Recht des Kunden, die geschuldete Beförderungsleistung nur teilweise in Anspruch zu nehmen, ausgeschlossen. Dieser Ausschluss ist, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, der
  172. Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 bis 309 BGB unterworfen.
  173. 20
  174. aa) Der Inhaltskontrolle unterliegen gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die von Rechtsvorschriften
  175. abweichen oder diese ergänzen. Hingegen unterliegen Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistungen (sog. Leistungsbeschreibungen)
  176. mit Rücksicht auf die Vertragsfreiheit ebenso wenig der Inhaltskontrolle wie
  177. Vereinbarungen über das vom anderen Teil zu erbringende Entgelt, insbesondere soweit sie dessen Höhe betreffen (vgl. BGHZ 146, 331, 338). Nicht kontrollfähige Leistungsbeschreibungen in diesem Sinne sind allerdings nur solche
  178. Bestimmungen, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistung festlegen
  179. (BGHZ 161, 189, 190 f.; 148, 74, 78 zu § 8 AGBG; Palandt/Grüneberg, BGB,
  180. 69. Aufl. 2010, § 307 Rdn. 54; Wolf in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht,
  181. 5. Aufl., § 307 BGB Rdn. 288 ff.). Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen
  182. abweichend vom Gesetz oder der nach Treu und Glauben geschuldeten Leistung verändern, ausgestalten oder modifizieren, unterliegen dagegen der Inhaltskontrolle. Damit bleibt für die der Überprüfung entzogene Leistungsbeschreibung nur der enge Bereich der Leistungsbezeichnungen, ohne die mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein
  183. wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (BGHZ 148, 74, 78;
  184. 141, 137, 141; 127, 35, 41; 123, 83, 84).
  185. -9-
  186. 21
  187. bb) Zu den Hauptleistungspflichten der von der Beklagten mit ihren Kunden geschlossenen Personenbeförderungsverträge gehören einerseits die Beförderungsleistung, gekennzeichnet durch Abflugort, Zielort und Termin sowie
  188. die zu befördernde(n) Person(en), und andererseits das für die Beförderungsleistung zu zahlende Entgelt. Mit einem Ausschluss des Rechts des Fluggasts,
  189. die vereinbarte Beförderungsleistung nur teilweise in Anspruch zu nehmen, wird
  190. weder die vertraglich geschuldete Leistung der Beklagten noch ihr Entgeltanspruch inhaltlich verändert.
  191. 22
  192. cc) Mit dem Ausschluss eines Anspruchs des Fluggasts auf Teilleistungen weichen die Beförderungsbedingungen von der gesetzlichen Regelung ab.
  193. 23
  194. (1) Der Gläubiger ist grundsätzlich berechtigt, nur einen teilbaren Teil
  195. der ihm vertraglich zustehenden Gesamtleistung vom Schuldner zu fordern,
  196. sofern dem nicht der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegensteht (vgl. BGH, Urt. v. 11.11.1977 - V ZR 235/74, WM 1978, 192 unter I 3 b;
  197. Staudinger/Bittner, BGB, Bearb. 2009, § 266 Rdn. 36; MünchKomm.BGB/
  198. Krüger, 5. Aufl., § 266 Rdn. 21). Diese Regel zählt zu den wesentlichen Grundgedanken des Schuldrechts, denn mit dem Recht zur Forderung von Teilleistungen soll der Gläubiger die Möglichkeit haben, von einer Gesamtleistung die
  199. Teile zu beziehen, die ihn daran (noch) interessieren. Gleiches gilt, wenn er die
  200. Gesamtleistung auf einen reduzierten Umfang beschränken möchte, um Risiken oder Nachteile, die mit einer Forderung der gesamten Leistung verbunden
  201. wären, auf ein erträgliches oder gewünschtes Maß zu reduzieren. Dieses Recht
  202. folgt aus dem allgemeinen, dem Leistungszweck entsprechenden Gerechtigkeitsgebot, eine Leistung nach Möglichkeit, Zumutbarkeit und Angemessenheit
  203. so zu erbringen, dass mit ihr der beabsichtigte Leistungserfolg, nämlich die jeweils mit ihr verbundene Befriedigung der Interessen des Gläubigers, eintritt
  204. (vgl. Staudinger/Looschelders, BGB, Bearb. 2005, § 242 Rdn. 171).
  205. - 10 -
  206. (2) Die von der Beklagten angebotenen Flugbeförderungsleistungen
  207. 24
  208. sind rechtlich und wirtschaftlich teilbar.
  209. 25
  210. Eine Leistung ist teilbar, wenn sie ohne Wertminderung und ohne Beeinträchtigung des Leistungszwecks in Teilleistungen zerlegt werden kann
  211. (Palandt/Grüneberg aaO, § 266 Rdn. 3). Die in der mündlichen Verhandlung
  212. erörterten Anwendungsbeispiele zeigen deutlich, dass die mehr als einen Direktflug umfassende Flugbeförderungsleistung der Beklagten in der Regel in
  213. diesem Sinne ohne weiteres in die auf den einzelnen Flügen von der Beklagten
  214. zu erbringenden Beförderungsleistungen zerlegt werden kann. Die beanstandete Klausel betrifft zum einen die Fälle zumeist grenzüberschreitender Flüge
  215. ("Cross-Border-Selling"), bei denen ein Kunde zusammen mit einem von ihm
  216. gewünschten Hauptflug einen vorangehenden Zubringerflug zu dem Abflughafen des Hauptflugs mitbucht. Zum anderen betrifft sie die gleichzeitige Buchung
  217. von Hin- und Rückflug, auch in Form eines Überkreuzbuchens ("CrossTicketing"). In beiden Fällen ist die vertragliche Gesamtleistung in tatsächlicher
  218. und rechtlicher Hinsicht teilbar.
  219. Eine Unmöglichkeit der Teilung ergibt sich nicht aus dem Gesichtspunkt
  220. 26
  221. des absoluten Fixgeschäfts, denn Luftbeförderungsleistungen stellen in der Regel
  222. keine
  223. absoluten
  224. Fixgeschäfte
  225. dar
  226. (vgl.
  227. Sen.Urt.
  228. v.
  229. 28.5.2009
  230. - Xa ZR 113/08, NJW 2009, 2743 Tz. 12). Unabhängig davon ist eine Teilleistung auch bei einem Fixgeschäft möglich, sofern sich an dem Zeitpunkt, zu dem
  231. die Teilleistung in Anspruch genommen wird, nichts ändert. Dass der Erfüllungsanspruch des Fluggasts sich jeweils nur auf einen konkreten Flug bezieht,
  232. mit der Nichtteilnahme an diesem insoweit regelmäßig wegfällt und keinen Anspruch auf Wiederholung des Flugs besteht, ergibt sich aus einer wirtschaftlichen Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs. 2 BGB, weil es dem Luftverkehrsunternehmen bei einem Linienflug nicht zuzumuten ist, den Flug zu wiederholen.
  233. - 11 -
  234. Diese wirtschaftliche Unmöglichkeit betrifft indessen allein den versäumten,
  235. nicht angetretenen (Teil-)Flug. Die Durchführung der weiteren im Flugschein
  236. versprochenen Flüge wird hierdurch nicht unmöglich, weshalb eine solche Unmöglichkeit einer Teilbarkeit der Flugbeförderungsleistung nicht entgegensteht.
  237. Ob dies, wie von der Revision geltend gemacht, dann anders ist, wenn die Beförderungsleistung nicht mit zwei - regelmäßig auch gesondert buchbaren - Flügen erbracht wird, sondern mit einem einzigen Flug, bei dem eine Zwischenlandung erfolgt, kann dahinstehen, da die angegriffene Klausel nicht auf solche
  238. Fälle beschränkt ist.
  239. 27
  240. (3) Der Anspruch des Fluggasts auf Teilleistungen ist auch nicht grundsätzlich nach Treu und Glauben ausgeschlossen.
  241. 28
  242. Dies mag zwar der Fall sein, wenn der Fluggast schon bei Vertragschluss nicht die Absicht hat, die Gesamtleistung der Beklagten in Anspruch zu
  243. nehmen, sondern diese nur deshalb bucht, weil er auf diese Weise an einen
  244. Preisvorteil gelangen kann, den die Beklagte etwa Fluggästen anbietet, die die
  245. Unbequemlichkeiten und den Zeitverlust einer Umsteigeverbindung auf sich
  246. nehmen, obwohl von dem von ihnen gewünschten Abflughafen auch Direktverbindungen zu ihrem Endziel angeboten werden. Die beanstandete Klausel ist
  247. jedoch nicht auf den Ausschluss des Anspruchs auf Teilleistungen in solchen
  248. Fällen beschränkt, sondern erfasst etwa auch Fälle, in denen sich der Fluggast
  249. wegen einer veränderten Terminplanung bereits am Abflughafen für den Hauptflug oder in dessen Nähe befindet oder in denen er den Zubringerflug verpasst,
  250. den Hauptflug aber noch auf anderem Wege erreichen kann. In diesen Fällen
  251. steht der Grundsatz von Treu und Glauben dem Anspruch des Fluggasts auf
  252. die Beförderung mit dem Hauptflug nicht entgegen.
  253. - 12 -
  254. 29
  255. b) Der (generelle) Ausschluss des Rechts eines Kunden, die Beförderungsleistung nur teilweise in Anspruch zu nehmen, benachteiligt den Kunden
  256. entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, weil er mit dem
  257. Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren ist und die
  258. Interessen der Beklagten das Abweichen von der gesetzlichen Regelung über
  259. den von der Klausel beschrittenen Weg nicht zu rechtfertigen vermögen.
  260. 30
  261. aa) Die Beklagte verfolgt mit der beanstandeten Klausel das Interesse,
  262. bestimmte Fernflüge im Verbund mit Zubringerflügen und bestimmte Hin- und
  263. Rückflüge billiger anbieten zu können als den jeweils vom Gesamtleistungsversprechen umfassten einzelnen Flug allein. Solche Angebote eröffnen ihr die
  264. Möglichkeit, geringeren Preiserwartungen am Abflugort des Zubringerflugs gerecht werden zu können. Diese Erwartungen können aus unterschiedlichen
  265. Preisniveaus an einzelnen Abflugorten resultieren, ergeben sich häufig aber
  266. schon daraus, dass eine Umsteigeverbindung nur dann gebucht wird, wenn
  267. diese günstiger ist als eine Direktverbindung. Durch das Angebot von Hin- und
  268. Rückflügen, die eine gewisse Mindestaufenthaltsdauer vorsehen, kann die Beklagte den Preisvorstellungen von Touristen gerecht werden, die typischerweise
  269. eine längere Verweildauer am Zielort einplanen und in ihrer Terminplanung flexibler und deshalb eher geneigt sind, gegen einen günstigeren Preis ungünstigere Flugtermine in Kauf zu nehmen (vgl. Purnhagen/Hauzenberger, VuR 2009,
  270. 131, 132 f.). Eine solche Tarifgestaltung würde ihr Ziel verfehlen, wenn die Beklagte hinnehmen müsste, dass sich ein Fluggast etwa den niedrigeren Preis
  271. einer Umsteigeverbindung zunutze macht, um auf diese Weise einen Anspruch
  272. auf einen Direktflug zu erwerben, den die Beklagte zwar auch anbietet, für den
  273. sie aber einen höheren Preis verlangt und auf dem Markt durchsetzen kann.
  274. Somit dient die beanstandete Klausel dem legitimen und von der Klauselkontrolle grundsätzlich zu respektierenden Bestreben der Beklagten, jeweils entsprechend der unterschiedlichen Nachfragesituation ihre Preise privatautonom
  275. - 13 -
  276. zu gestalten, sich damit den jeweiligen Markterfordernissen anzupassen und so
  277. jeweils den für sie besten auf dem Markt erzielbaren Preis fordern zu können.
  278. 31
  279. bb) Diesen Interessen der Beklagten steht jedoch das Interesse ihrer
  280. Kunden gegenüber, bei einer nachträglichen Änderung ihrer Planung oder bei
  281. Eintritt sonstiger Umstände, die sie an der Inanspruchnahme der ersten Teilleistung hindern oder ihr Interesse daran nachträglich entfallen lassen, nicht ihren
  282. gesamten Leistungsanspruch gegen die Beklagte zu verlieren. Sie möchten im
  283. Rahmen der gebuchten Beförderungsleistung die Freiheit haben, weiterhin die
  284. gebuchten Flugstrecken in Anspruch nehmen zu können, die für sie noch von
  285. Interesse sind. Für sie soll der gezahlte Flugpreis weiterhin zumindest den Gegenwert verkörpern, an dem sie aufgrund der eingetretenen Änderungen noch
  286. ein Interesse haben, so dass sie nicht gezwungen sind, diesen Teil neu - und
  287. gegebenenfalls zu einem höheren Preis - buchen zu müssen.
  288. 32
  289. cc) Diesem Interesse des Fluggasts wird nicht bereits dadurch Rechnung getragen, dass die Beklagte in ihren Beförderungsbedingungen bei Änderungswünschen eine Umbuchung anbietet, sofern der Fluggast bereit ist, einen
  290. entsprechend der Änderung errechneten Flugpreis zu akzeptieren. Denn diese
  291. Klausel enthält keine Angabe über den vom Fluggast in diesem Fall zu zahlenden Preis und schützt ihn daher nicht davor, einen von der Beklagten tagesaktuell ermittelten höheren Preis auch dann zahlen zu müssen, wenn er bei der
  292. Buchung den (isolierten) Anspruch auf den verbleibenden Teil der vereinbarten
  293. Beförderungsleistung zu demselben von ihm gezahlten oder sonst einem niedrigeren Preis hätte erwerben können, als ihn die Beklagte bei der Umbuchung
  294. einräumt.
  295. 33
  296. dd) Das Interesse der Beklagten, ein "Unterlaufen" ihres Tarifsystems zu
  297. verhindern, rechtfertigt den generellen Ausschluss des Anspruchs auf Teilleis-
  298. - 14 -
  299. tungen jedenfalls deshalb nicht, weil mit der beanstandeten Klausel das Äquivalenzverhältnis des abgeschlossenen Flugbeförderungsvertrages bei der Nichtinanspruchnahme einer Teilleistung vollständig zu Lasten des Kunden verschoben werden, indem dem gezahlten Flugpreis keine Gegenleistung mehr gegenüber stehen soll, während die Beklagte ihre Interessen zumutbarerweise durch
  300. eine andere, mildere Regelung ebenso wahren könnte.
  301. 34
  302. Pflichten und Sanktionen in allgemeinen Geschäftsbedingungen, die aufgrund eines berechtigten Verwenderinteresses dem Vertragspartner auferlegt
  303. werden, unterliegen einem Übermaßverbot und bedürfen einer konkreten und
  304. angemessenen Eingrenzung (BGH, Urt. v. 1.2.2005 - X ZR 10/04 - NJW 2005,
  305. 1774 unter II 2 c cc; Staudinger/Coester, BGB, Bearb. 2006, § 307, Rdn. 98,
  306. 162; Ulmer/Brandner, AGBG, 9. Aufl., § 9, Rdn. 73 f.) jedenfalls dann, wenn die
  307. Regelung wie vorliegend zu einer gravierenden Verschiebung des Äquivalenzverhältnisses der Leistungsbeziehung zum Kunden führt.
  308. 35
  309. Für die Wahrung der Interessen der Beklagten an einer autonomen Gestaltung ihrer Tarifstruktur genügte zur Vermeidung einer Umgehung dieser
  310. Struktur eine Regelung, die den Kunden gegebenenfalls zur Zahlung eines höheren Entgelts verpflichtet, wenn die Beförderung auf einer vorangehenden
  311. Teilstrecke nicht angetreten wird. Dazu wäre es etwa ausreichend, wenn in den
  312. Beförderungsbedingungen bestimmt würde, dass bei Nichtinanspruchnahme
  313. einer Teilleistung für die verbleibende(n) Teilleistung(en) dasjenige Entgelt zu
  314. zahlen ist, das zum Zeitpunkt der Buchung für diese Teilleistung(en) verlangt
  315. worden ist, wenn dieses Entgelt höher ist als das tatsächlich vereinbarte.
  316. 36
  317. Eine solche Regelung ist für die Beklagte nicht deshalb unzumutbar, weil
  318. sie hiernach bei nur teilweiser Inanspruchnahme der Beförderungsleistung gegebenenfalls eine Zusatzvergütung fordern müsste. Auch nach der beanstande-
  319. - 15 -
  320. ten Klausel kann sie ihre Rechte nur durchsetzen, wenn sie an jeder Station der
  321. Reise überprüft, ob die Bedingungen eingehalten sind, und Kunden, die die
  322. Leistung nicht vollständig in Anspruch nehmen, abweist. In gleicher Weise kann
  323. sie die Gewährung der Teilleistung davon abhängig machen, dass der Kunde
  324. den gegebenenfalls anfallenden Aufpreis zahlt. Im Übrigen wäre bei einer solchen Regelung der Versuch der Umgehung der Tarifstruktur unattraktiv, so
  325. dass mit einer praktischen Anwendung der Regelung im Wesentlichen nur in
  326. denjenigen Fällen zu rechnen wäre, in denen der Kunde abweichend von seiner
  327. ursprünglichen Planung disponieren muss und deshalb eine Teilleistung nicht in
  328. Anspruch nehmen kann.
  329. 37
  330. c) Entgegen der Revision verbietet Art. 23 der Verordnung (EG)
  331. Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft nicht, Tarifbedingungen wie die beanstandete Klausel als ein der isolierten Kontrolle unterliegendes Klauselwerk anzusehen und aufgrund nationalen Rechts für unwirksam zu erklären. Mit dieser Verordnung sollen die Kunden in die Lage versetzt werden, die Preise der verschiedenen Luftfahrtunternehmen zu vergleichen. Art. 23 der Verordnung (EG)
  332. Nr. 1008/2008 dient diesem Informations- und Transparenzgebot und soll ausschließlich den Zugang zu allen für die Preisgestaltung relevanten Faktoren
  333. sicherstellen, indem die der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Flugpreise die
  334. anwendbaren Tarifbedingungen einschließen sollen (englische Fassung: "shall
  335. include the applicable conditions", französische Fassung: "mentionnent les
  336. conditions applicables"). Entsprechend der Überschrift dieses Artikels "Information und Nichtdiskriminierung" sollen die Informationspflichten des Luftfahrtunternehmens lediglich dahin konkretisiert werden, außer den Preisen selbst auch
  337. die auf diese anwendbaren Tarifbedingungen zugänglich zu machen (vgl. Vorschlag der Kommission vom 18.7.2006 - KOM/2006/0396 -; Legislative Ent-
  338. - 16 -
  339. schließung
  340. des
  341. Europäischen
  342. Parlaments
  343. vom
  344. 11.7.2007
  345. - P6_TA(2007)0337 -). Eine Aussage zur inhaltlichen Überprüfbarkeit der Tarifbedingungen wird damit nicht getroffen und eine inhaltliche Kontrolle nach den
  346. hierfür maßgeblichen nationalen Vorschriften nicht eingeschränkt.
  347. 38
  348. Die Beantwortung dieser Frage erfordert keine vorherige Vorlage an den
  349. Gerichtshof der Europäischen Union. Ein rechtlicher Gesichtspunkt, der die Gefahr begründen könnte, Gerichte anderer Mitgliedstaaten der Europäischen
  350. Union könnten zu Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 eine abweichende Auslegung vertreten, ist nicht erkennbar (vgl. zur Vorlagepflicht: BGH, Urt. v.
  351. 13.11.2001 - X ZR 134/00, GRUR 2002, 238, 242 f. unter III m.w.N.).
  352. III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1
  353. 39
  354. ZPO.
  355. Meier-Beck
  356. Keukenschrijver
  357. Bacher
  358. Mühlens
  359. Hoffmann
  360. Vorinstanzen:
  361. LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 14.12.2007 - 2/2 O 243/07 OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 18.12.2008 - 16 U 76/08 -