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644 lines
33 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. X ZR 68/15
  5. Verkündet am:
  6. 25. Oktober 2016
  7. Anderer
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in der Patentnichtigkeitssache
  12. ECLI:DE:BGH:2016:251016UXZR68.15.0
  13. -2-
  14. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  15. vom 25. Oktober 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die
  16. Richter Gröning, Dr. Grabinski, Hoffmann und die Richterin Dr. Kober-Dehm
  17. für Recht erkannt:
  18. Auf die Anschlussberufung und unter Zurückweisung der Berufung
  19. wird das Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 21. Januar 2015 abgeändert.
  20. Das europäische Patent 1 206 881 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass
  21. die Patentansprüche die Fassung des angefochtenen Urteils erhalten, wobei Patentanspruch 17 nach den Wörtern "Auswählen
  22. eines der Anwärtersegmente entsprechend" weiter wie folgt lautet:
  23. "Auswahlinformation, die in den codierten Informationen, die das
  24. Segment des momentanen Rahmens der Videosequenz darstellen, empfangen wurde, wobei eine Anzahl empfangener Bits der
  25. Auswahlinformation verringert ist in Abhängigkeit von einer Verringerung der Anzahl der Anwärtersegmente, und Rekonstruieren
  26. des Segments des momentanen Rahmens der Videosequenz unter Verwendung eines zweiten Bewegungsfeldmodells auf der
  27. Grundlage eines Bewegungsfeldmodells, das für das ausgewählte
  28. Anwärtersegment bestimmt worden ist.", in den Patentansprüchen 19 und 46 die Wörter "das wenigstens eine Auswahlbit"
  29. durch "die Auswahlinformation" ersetzt werden, in Patentanspruch 44 die Wörter "wenigstens einem Auswahlbit auswählen,
  30. welches Auswahlbit" durch "Auswahlinformation auswählen, die"
  31. -3-
  32. ersetzt werden und dieser Patentanspruch nach den Wörtern
  33. "empfangen wurde, wobei" weiter wie folgt lautet: "eine Anzahl
  34. empfangener Bits der Auswahlinformation verringert ist in Abhängigkeit von einer Verringerung der Anzahl der Anwärtersegmente,
  35. und die das Segment des momentanen Rahmens der Videosequenz unter Verwendung eines zweiten Bewegungsfeldmodells
  36. auf der Grundlage eines Bewegungsfeldmodells, das für das ausgewählte Anwärtersegment bestimmt worden ist, rekonstruieren,
  37. falls die identifizierte Codierungsbetriebsart die zweite Codierungsbetriebsart ist."
  38. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  39. Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits bleiben gegeneinander aufgehoben. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die
  40. Klägerin zu tragen.
  41. Von Rechts wegen
  42. -4-
  43. Tatbestand:
  44. 1
  45. Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 206 881 (Streitpatents),
  46. das
  47. am
  48. 10. August 2000
  49. unter
  50. Inanspruchnahme
  51. einer
  52. Priorität
  53. vom
  54. 11. August 1999 angemeldet wurde. Patentanspruch 17, dem die Patentansprüche 18 bis 28 nachgeordnet sind, lautet in der Verfahrenssprache wie folgt:
  55. "A method of decoding encoded information representative of a
  56. video sequence, which has been encoded according to the method of claim 1, said video sequence comprising a plurality of video
  57. frames, the decoding method being characterised by:
  58. receiving encoded information representative of a segment of a
  59. current frame of said video sequence;
  60. identifying a coding mode of the encoded information, the coding
  61. mode being one of at least a first coding mode and a second coding mode;
  62. if the identified coding mode is said first coding mode, reconstructing the segment of the current frame of said video sequence using
  63. a first motion field model derived using motion compensated prediction with respect to a previously-encoded frame of the video
  64. sequence;
  65. if the identified coding mode is said second coding mode, reconstructing the segment of the current frame of said video sequence
  66. using a second motion field model based on a motion field model
  67. determined for an adjacent previously-encoded segment of the
  68. current frame."
  69. 2
  70. Patentanspruch 46, dem die Patentansprüche 47 bis 56 nachgeordnet
  71. sind, ist auf eine entsprechende Vorrichtung gerichtet. Die Klägerin hat erstinstanzlich das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 17 bis 28 sowie 46
  72. bis 56 angegriffen und insoweit geltend gemacht, dem Gegenstand des Streitpatents fehle die Patentfähigkeit und das Streitpatent gehe über die Anmeldung
  73. -5-
  74. in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Weiterhin sei der Gegenstand des Patentanspruchs 46 nicht ausführbar.
  75. Das Patentgericht hat das Streitpatent unter - stillschweigender - Abwei3
  76. sung der weitergehenden Klage dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass es
  77. Patentanspruch 17 auf den ersten Hilfsantrag der Beklagten hin die nachfolgende beschränkte Fassung gegeben hat:
  78. "Verfahren zum Decodieren von codierten Informationen, die eine
  79. Videosequenz darstellen, die gemäß dem Verfahren nach Anspruch 1 codiert worden ist, wobei die Videosequenz mehrere Videorahmen enthält, wobei das Decodierungsverfahren gekennzeichnet ist durch:
  80. Empfangen codierter Informationen, die ein Segment eines momentanen Rahmens der Videosequenz darstellen;
  81. Identifizieren einer Codierungsbetriebsart der codierten Informationen, wobei die Codierungsbetriebsart eine Betriebsart aus wenigstens einer ersten bewegungskompensierten prädiktiven Codierungsbetriebsart und einer zweiten bewegungskompensierten
  82. prädiktiven Codierungsbetriebsart ist;
  83. falls die identifizierte Codierungsbetriebsart die erste Codierungsbetriebsart ist, Rekonstruieren des Segments des momentanen
  84. Rahmens der Videosequenz unter Verwendung eines ersten Bewegungsfeldmodells, das unter Verwendung einer bewegungskompensierten Prädiktion in Bezug auf einen vorher codierten
  85. Rahmen der Videosequenz abgeleitet wird; und
  86. falls die identifizierte Codierungsbetriebsart die zweite Codierungsbetriebsart ist, Berechnen von Anzahl und Ort von Anwärtersegmenten, wobei ein Anwärtersegment ein angrenzendes vorher codiertes Segment ist, dessen Bewegungsfeldmodell ungleich
  87. Null ist, Auswählen eines der Anwärtersegmente entsprechend
  88. wenigstens einem Auswahlbit, welches in den codierten Informationen, die das Segment des momentanen Rahmens der Videosequenz darstellen, empfangen wurde, wobei die Anzahl der empfangenen Auswahlbits verringert ist in Abhängigkeit von einer Verringerung der Anzahl der Anwärtersegmente, und Rekonstruieren
  89. des Segments des momentanen Rahmens der Videosequenz unter Verwendung eines zweiten Bewegungsfeldmodells auf der
  90. -6-
  91. Grundlage eines Bewegungsfeldmodells, das für ein angrenzendes vorher codiertes Segment des momentanen Rahmens bestimmt wird, unter Verwendung des ausgewählten Anwärtersegments."
  92. 4
  93. Patentanspruch 46 ist (als Patentanspruch 44) in einer Patentanspruch 17 entsprechenden Weise beschränkt worden. Die Patentansprüche 19,
  94. 20, 48 und 49 sind weggefallen.
  95. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstin-
  96. 5
  97. stanzliches Begehren auf Nichtigerklärung des Streitpatents im Umfang der angegriffenen Patentansprüche weiterverfolgt. Die Beklagte hat sich der Berufung
  98. der Klägerin mit dem Ziel einer weitergehenden Klageabweisung angeschlossen und verteidigt hierzu das Streitpatent mit einem neuen Hauptantrag und
  99. zwei Hilfsanträgen.
  100. Entscheidungsgründe:
  101. 6
  102. I.
  103. Das Streitpatent betrifft Verfahren zur komprimierten Codierung
  104. und Decodierung einer Videosequenz und hierfür geeignete Vorrichtungen.
  105. 7
  106. 1.
  107. Das Streitpatent beschreibt, dass Videosequenzen sich aus einer
  108. Folge von Bildern zusammensetzen, die in schneller Folge (15-30 Videoframes
  109. pro Sekunde) den Eindruck einer Bewegung hervorrufen. Gleichwohl besteht
  110. typischerweise zwischen den einzelnen Bildern häufig ein nur geringer Unterschied. Oft bleibt der Hintergrund statisch und unverändert, während nur einzelne Objekte des Bildes eine gewisse Bewegung vollziehen. Die im jeweils
  111. nächsten Bild für den Hintergrund übermittelte Information ist daher redundant,
  112. was für eine Reduktion der effektiv zu übermittelnden Daten genutzt werden
  113. -7-
  114. kann, indem nur die Unterschiede codiert und übermittelt werden. Der Empfänger rekonstruiert das aktuelle Bild anhand der Daten für das zuvor übermittelte
  115. Bild (Referenzrahmen) und addiert dazu die übertragenen Unterschiede, was
  116. als zeitliche Prädiktion bekannt und im Streitpatent als INTER-Codierung bezeichnet wird.
  117. 8
  118. In Erweiterung zur zeitlichen Prädiktion ist die bewegungskompensierte
  119. Codierung bekannt. Hierfür werden der aktuelle Bildrahmen in Segmente unterteilt und diese mit einem Vergleich zum Referenzrahmen auf eine bestmögliche
  120. Ähnlichkeit zwischen den Pixeln im aktuellen Segment und Pixelgruppen an
  121. gegebenenfalls nicht der gleichen Stelle im Referenzrahmen untersucht. Sofern
  122. eine solche Gruppe gefunden ist, wird die Korrespondenz zwischen dem aktuellen Segment und dem Segment des Referenzrahmens mittels eines Bewegungsvektors beschrieben, der beispielsweise als Verschiebevektor die horizontale und die vertikale Distanz zwischen den beiden Segmenten angibt. Auf
  123. diese Weise wird für jedes Segment versucht, seinen Ursprung im Referenzrahmen zu finden. Die so erhaltene Menge an Bewegungsvektoren kann als
  124. Bewegungsvektorenfeld betrachtet werden.
  125. 9
  126. Die Codierung eines gesamten Rahmens mit Hilfe von Bewegungsvektoren erzeugt eine sehr effiziente Beschreibung des aktuellen Bildes, für die im
  127. Vergleich zu einer vollständigen Übertragung der Information für jedes einzelne
  128. Pixel nur wenige Bits benötigt werden. Da der Bewegungsvektor jedoch nur auf
  129. ein ähnliches, nicht notwendig gleiches Segment im Referenzrahmen hinweist,
  130. sei, so erläutert die Patentschrift, das mit Hilfe eines Bewegungsvektorfeld rekonstruierte Bild fehlerbehaftet, weshalb zusätzlich ein Prädiktionsfehlerrahmen
  131. erstellt wird, der den Unterschied zwischen dem codierten und dem originalen
  132. aktuellen Rahmen wiedergibt.
  133. -8-
  134. 10
  135. Gleichwohl war mit diesen im Stand der Technik bekannten Maßnahmen
  136. immer noch eine signifikante Menge an Daten zu übertragen, um eine Videosequenz zu übermitteln.
  137. 11
  138. Das Streitpatent stellt sich der Aufgabe, Videosequenzen mit einer noch
  139. weiter reduzierten Menge an Daten zu codieren und dabei gleichzeitig die Prädiktionsfehler gering zu halten.
  140. 12
  141. 2.
  142. Das in Patentanspruch 17 in der Fassung des Hauptantrags der
  143. Beklagten angegebene Decodierungsverfahren lässt sich wie folgt gliedern:
  144. 1.
  145. Es werden Informationen decodiert, die eine nach dem Codierungsverfahren nach Patentanspruch 1 codierte Videosequenz mit mehreren Videorahmen darstellen.
  146. 2.
  147. Es werden codierte Informationen empfangen, die ein Segment eines (momentanen) Rahmens der Videosequenz darstellen.
  148. 3.
  149. Es wird die Codierungsbetriebsart der codierten Informationen identifiziert, die
  150. 3.1 eine von wenigstens einer ersten und einer zweiten Betriebsart ist und
  151. 3.2 auf einer Bewegung kompensierenden Vorhersage beruht ("bewegungskompensiert prädiktiv" ist [using motion compensated prediction]).
  152. 4.
  153. Bei der ersten Codierungsbetriebsart wird ein erstes Bewegungsfeldmodell
  154. 4.1 mittels einer Bewegung kompensierenden Vorhersage
  155. aus einem zuvor codierten Rahmen abgeleitet und
  156. -9-
  157. 4.2 dazu verwendet, das Segment des momentanen Rahmens zu rekonstruieren.
  158. 5.
  159. Bei der zweiten Codierungsbetriebsart werden
  160. 5.1 Anzahl und Ort von Anwärtersegmenten [candidates]
  161. berechnet,
  162. 5.1.1 die angrenzende zuvor codierte Segmente sind
  163. und
  164. 5.1.2 deren Bewegungsfeldmodell ungleich Null ist;
  165. 5.2 ein Anwärtersegment entsprechend einer Auswahlinformation ausgewählt,
  166. 5.2.1 die mit den das Segment des momentanen
  167. Rahmens darstellenden codierten Informationen
  168. empfangen wurde und
  169. 5.2.2 bei der die Anzahl der empfangenen Bits bei einer geringeren Anzahl von Anwärtersegmenten
  170. verringert ist;
  171. 5.3 aus dem ausgewählten Anwärtersegment [winning
  172. candidate] das Segment des momentanen Rahmens
  173. unter Verwendung eines zweiten Bewegungsfeldmodells auf der Grundlage eines für das ausgewählte Anwärtersegment bestimmten Bewegungsfeldmodells rekonstruiert.
  174. 13
  175. 3.
  176. Die erfindungsgemäße Lehre bedarf im Hinblick auf einige Merk-
  177. male näherer Erläuterung.
  178. - 10 -
  179. 14
  180. a)
  181. Den Kern der Neuerung bildet die Bestimmung und Verwendung
  182. von "Anwärtersegmenten". Bei der zweiten Codierungsbetriebsart werden Anzahl und Ort von Segmenten ermittelt, die im aktuellen Rahmen vor dem zu rekonstruierenden Segment codiert wurden und typischerweise links neben oder
  183. über diesem liegen (Merkmal 5.1.1). Anstelle für jedes aktuelle Segment einen
  184. gesonderten Bewegungsvektor entsprechend dem Merkmal 4.1 zu bestimmen,
  185. wird der Bewegungsvektor von den bereits für die Anwärtersegmente übermittelten Bewegungsvektoren übernommen. Von diesen Anwärtersegmenten werden jedoch nur diejenigen als Anwärtersegmente berücksichtigt, deren Bewegungsfeldmodell ungleich Null ist (Merkmal 5.1.2). Hierdurch kann sich eine
  186. Verringerung der Anzahl der Anwärtersegmente ergeben.
  187. 15
  188. b)
  189. Dies führt dazu, die Auswahlinformation, die angibt, welches An-
  190. wärtersegment bei der zweiten Codierungsbetriebsart zur Rekonstruktion der
  191. Sequenz (Merkmal 5.3) verwendet werden soll, mit einer geringeren Anzahl von
  192. Bits zu codieren (Merkmal 5.2.2). Es sollen nicht mehr Bits für die Auswahlinformation übertragen werden, als in Abhängigkeit von der Zahl der für eine solche Auswahl in Frage kommenden Anwärtersegmente erforderlich ist. Der Beschreibung und der nachfolgenden Figur 5 des Streitpatents
  193. - 11 -
  194. ist hierzu für ein Ausführungsbeispiel zu entnehmen, dass, wenn nur ein Anwärtersegment unter den angrenzenden Segmenten für eine Rekonstruktion in
  195. Frage kommt ("Number of candidates from up" = 0 und "Number of candidates
  196. from left" = 1 oder umgekehrt), weil das Bewegungsfeldmodell aller weiteren,
  197. bereits codierten angrenzenden Segmente gleich Null ist, Auswahlbits nicht
  198. übertragen werden müssen (Streitpatent, S. 14 f. Abs. 100 f.).
  199. 16
  200. c)
  201. Damit die Decodierungsvorrichtung eine solche (reduzierte) Aus-
  202. wahlinformation richtig interpretieren kann, muss sie ihrerseits Anzahl und Ort
  203. der mit den Merkmalen 5.1.1 und 5.1.2 definierten Anwärtersegmente berechnen (Merkmal 5.1).
  204. 17
  205. II.
  206. Das Patentgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Beru-
  207. fungsverfahren von Bedeutung - wie folgt begründet:
  208. 18
  209. Die beschränkte Verteidigung des Streitpatents mit dem vom Patentgericht als rechtsbeständig erachteten Hilfsantrag sei zulässig, insbesondere gehe
  210. dessen Gegenstand nicht über den Inhalt der Ursprungsunterlagen - für die auf
  211. die Veröffentlichung der internationalen Anmeldung WO 01/11891 Bezug genommen werden kann - hinaus. Merkmal 3.1 sei in den in der Anmeldung formulierten Ansprüchen 48 und 49 offenbart, wonach das Decodierungsverfahren
  212. aufgrund einer entsprechenden Information aus einer von zwei Rekonstruktionsweisen ausgewählt werde. Indem die in der Anmeldung formulierten Ansprüche 48, 49 und 55 die Verwendung eines ersten oder zweiten Bewegungsfeldmodells zeigten, wobei der erste Rekonstruktionsmodus ein Bewegungsfeldmodell nutze, welches aus dem das erste Segment repräsentierenden Bewegungsfeldmodell abgeleitet werde, und der zweite Rekonstruktionsmodus die
  213. Koeffizienten eines Bewegungsvektors und damit ein anderes Bewegungsfeldmodell nutze, seien auch Mittel zur Durchführung dieser Rekonstruktionsmodi
  214. - 12 -
  215. angegeben. Weiterhin sei in der Patentanmeldung offenbart, dass eine Auswahl
  216. des zu verwendenden Anwärtersegments anhand von Auswahlbits stattfinde.
  217. Es werde beschrieben, dass die Übersendung eines bestimmten Bits beim Decoder einen Betriebszustand auslöse, in dem sodann ein oder zwei Auswahlbits
  218. ausgewertet würden, um den geeigneten Kandidaten aus den Anwärtersegmenten zu bestimmen.
  219. 19
  220. Der Gegenstand des Hilfsantrags sei für den Fachmann - einen Diplomingenieur der Nachrichtentechnik mit Hochschulausbildung, der schwerpunktmäßig mit der Übertragungstechnik in der Video- und Fernsehtechnik befasst
  221. sei - ausführbar. Insbesondere könne der Fachmann die Begriffe Bewegungsfeldmodell, Bewegungsmodell, Bewegungsvektorfeld und Bewegungsfeld sowie
  222. Codierungsbetriebsart zwanglos mit technischen Inhalten belegen.
  223. 20
  224. Der Gegenstand des Hilfsantrags sei neu. Er werde nicht in dem Aufsatz
  225. von Zhang, Bober und Kittler "Image sequence coding using multiple-level
  226. segmentation and affine motion estimation" in IEEE Journal on selected areas
  227. in communications, Dezember 1997 (D7), vollständig offenbart, denn dieses
  228. Dokument zeige jedenfalls nicht den Ausschluss von angrenzenden Segmenten, deren Bewegungsfeldmodell ungleich Null ist, aus dem Kreis der zu berechnenden Anwärtersegmente (Merkmal 5.1.2).
  229. 21
  230. Die D7 gehe davon aus, dass Codecs mit fester Blockgröße sowie auch
  231. Codecs mit variabler Blockgröße zur Codierung von Videosequenzen mit einer
  232. reduzierten Bitrate bekannt und weiterentwickelt worden seien. Es seien jedoch
  233. bislang nur translatorische Bewegungsmodelle verwendet worden, was bei
  234. komplexeren Bewegungen eines großen Blocks zu größeren Vorhersagefehlern
  235. führe. Hierfür schlage die D7 einen verbesserten Algorithmus für eine Bewegungseinschätzung und eine mehrstufige Struktur der Blocksegmentierung vor.
  236. - 13 -
  237. Hierbei würden Vorder- und Hintergrundobjekte getrennt, indem bewegte Objekte vom Hintergrund separiert würden. Die Hintergrundobjekte würden mit
  238. ihrer Lauflänge codiert, während für die Vordergrundobjekte eine Interblockvorhersage und eine Differenzcodierung zur Codierung der Bewegungsparameter
  239. genutzt werde. Nach der D7 sei es sehr wahrscheinlich, dass zwei benachbarte
  240. Blöcke denselben Bewegungsvektor hätten. Es reiche dann aus, dem Empfänger mitzuteilen, welcher der bereits codierten Nachbarblöcke sich mit derselben
  241. Geschwindigkeit bewege. Der D7 sei jedoch nicht zu entnehmen, dass dabei für
  242. die Auswahl der in Frage kommenden Nachbarblöcke danach unterschieden
  243. würde, ob sie dem Vorder- oder dem Hintergrund zugehörten oder ob ihr Bewegungsvektor gleich Null sei.
  244. 22
  245. Der Gegenstand des Streitpatents gemäß dem der Entscheidung des
  246. Patentgerichts zugrunde liegenden Hilfsantrag beruhe auch auf erfinderischer
  247. Tätigkeit. Keine der vorgelegten Entgegenhaltungen offenbare das Merkmal 5.1.2. Die darin liegende Weiterentwicklung sei auch nicht eine reine fachmännische Routine. Auch wenn es dem allgemeinen Fachwissen entsprochen
  248. haben dürfte, unbewegte Segmente anders zu codieren als bewegte, bedeute
  249. dies nicht, unbewegte Segmente als Anwärtersegmente auszuschließen. Im
  250. Stand der Technik sei es nicht angelegt gewesen, die Zahl der Anwärtersegmente dynamisch zu bestimmen, indem Segmente mit einem Bewegungsvektor
  251. Null von vorneherein ausgeschieden würden. Dieses Teilmerkmal trage auch
  252. zur Lösung eines technischen Problems bei, nämlich zur Reduzierung der zu
  253. übertragenden Bitrate.
  254. 23
  255. Der Gegenstand des Patentanspruchs 46 sei in der Sache nichts anderes als die Formulierung der im Verfahrensanspruch 17 niedergelegten Lehre in
  256. Form eines Vorrichtungsanspruchs. Die Gesichtspunkte, die die Schutzfähigkeit
  257. - 14 -
  258. des Patentanspruchs 17 trügen, gälten daher ebenso für den Patentanspruch 44.
  259. 24
  260. III.
  261. Der mit der Anschlussberufung verfolgte Hauptantrag ist zulässig.
  262. Er ist im Berufungsverfahren als sachdienlich zuzulassen (nachfolgend zu 1)
  263. und genügt auch allen weiteren Zulässigkeitsanforderungen; insbesondere ist
  264. er weder unklar (zu 2) noch enthält er eine unzulässige Erweiterung (zu 3).
  265. 25
  266. 1.
  267. Der neue Hauptantrag entspricht sachlich im Wesentlichen der
  268. Fassung, die das Patentgericht dem Streitpatent gegeben hat, mit der Maßgabe, dass der Bezug auf "Auswahlbits", den die Klägerin im Zusammenhang dieser Anspruchsfassung als nicht ursprungsoffenbart beanstandet, durch den Bezug auf "Auswahlinformation" ersetzt worden ist, um dieser Beanstandung
  269. Rechnung zu tragen. Dies ist sachgerecht und war in erster Instanz noch nicht
  270. geboten, da das Patentgericht die Beanstandung der Klägerin nicht geteilt hat
  271. (§ 116 Abs. 2 PatG).
  272. 26
  273. 2.
  274. Die Anspruchsformulierung des zweitinstanzlichen Hauptantrags
  275. ist hinreichend klar und genügt den Anforderungen aus Art. 84 Satz 2 EPÜ. Sie
  276. trägt in zulässiger Form den Bedenken Rechnung, die die Klägerin gegen eine
  277. Anspruchsfassung erhoben hat, bei der anstelle der Auswahlinformation
  278. (Merkmal 5.2) auf Auswahlbits Bezug genommen wird.
  279. 27
  280. Mit dem Begriff der "Auswahlinformation" wird deutlich, dass davon auch
  281. der Fall erfasst wird, bei dem nur eines der zu prüfenden Anwärtersegmente ein
  282. Bewegungsfeldmodell ungleich Null aufweist, somit nur dieses für eine Übernahme von dessen Bewegungsvektor verbleibt und deshalb - mangels Auswahlmöglichkeiten - die Übermittlung eines Auswahlbits nicht erforderlich ist. In
  283. diesem Fall ergibt sich die Auswahlinformation aus dem vom Decodierer selbst
  284. ermittelten Umstand, dass nur ein Anwärtersegment in Frage kommt und des-
  285. - 15 -
  286. halb für dieses kein Auswahlbit übertragen wird. Die anhand der Figur 5 aufgezeigten Alternativen für dieses Verfahren lassen insoweit keinen Zweifel zu,
  287. weshalb es im Patentanspruch keiner weiteren Präzisierung in dieser Hinsicht
  288. bedarf.
  289. 28
  290. 3.
  291. Aufgrund des insoweit übereinstimmenden Inhalts der Anmeldung
  292. (WO 01/11891, S. 32 Z. 20 bis 22, S. 32 Z. 29 bis S. 33 Z. 17 mit Figur 5) mit
  293. der Beschreibung des Streitpatents scheidet auch eine unzulässige Erweiterung
  294. aus.
  295. 29
  296. Aus dem Umstand, dass in der Beschreibung des Streitpatents wie auch
  297. im Beschreibungsteil der Anmeldung die Übersendung eines Indikationsbits für
  298. die Unterscheidung der ersten Codierungsbetriebsart gemäß Merkmalsgruppe 4 von der zweiten Codierungsbetriebsart gemäß Merkmalsgruppe 5 unmittelbar vor dem Absatz erläutert wird, in dem die Übersendung von Auswahlbits
  299. zur Bestimmung des zu verwendenden Anwärtersegments im Falle der zweiten
  300. Codierungsbetriebsart beschrieben wird (Streitpatent, S. 14 Abs. 99 f.), folgt
  301. nicht die zwingende Verwendung eines Indikationsbits zur Unterscheidung beider Betriebsarten entsprechend Merkmalsgruppe 3. Hierbei handelt es sich um
  302. zwei unterschiedliche technische Aspekte, die unabhängig voneinander technisch gelöst werden können.
  303. 30
  304. IV.
  305. Der zu I erläuterte Gegenstand des Patentanspruchs 17 in der
  306. Fassung des zweitinstanzlichen Hauptantrags der Beklagten ist aus den vom
  307. Patentgericht (für den Gegenstand des Patentanspruchs 17 in der Fassung des
  308. angefochtenen Urteils) angegebenen Gründen patentfähig. Für den Gegenstand von Patentanspruch 46 gilt Entsprechendes. Damit erweist sich zugleich
  309. die Berufung der Klägerin als unbegründet.
  310. - 16 -
  311. 31
  312. 1.
  313. Dieser Gegenstand wird nicht von der D7 vorweggenommen.
  314. 32
  315. a)
  316. Die Schrift offenbart zwar ein Verfahren mit den Merkmalen 1
  317. bis 4.2.
  318. 33
  319. b)
  320. Es fehlt aber, wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat,
  321. an der Offenbarung einer der Merkmalsgruppe 5 entsprechenden zweiten Codierungsbetriebsart.
  322. 34
  323. Die D7 unterscheidet bei der Codierung der Segmente zwischen "Vordergrundsegmenten", die sich bewegende Objekte darstellen, und "Hintergrundsegmenten", die einen Hintergrund des Videobildes betreffen, dessen
  324. Bildinhalt typischerweise keiner Bewegung unterliegt. Hintergrundsegmente
  325. werden aufgrund ihrer Lauflänge codiert, während Vordergrundsegmente mittels einer Interblockprädiktion und einer Differenzcodierung zur Erfassung ihrer
  326. Bewegung codiert werden (D7, S. 1707 f.). Die D7 führt an, es sei sehr wahrscheinlich, dass zwei benachbarte Segmente denselben Bewegungsvektor
  327. aufweisen. In diesem Falle sei es ausreichend zu kennzeichnen, welches der
  328. benachbarten Segmente sich mit der gleichen Bewegung bewegt (D7, S. 1708
  329. re. Sp. oben). Dies entspricht dem Merkmal 5.3.
  330. 35
  331. Die D7 offenbart jedoch nicht das Konzept der Anwärtersegmente, deren
  332. Anzahl und Ort unter Ausschluss solcher Segmente, deren Bewegungsfeldmodell gleich Null ist, aus den angrenzenden zuvor codierten Segmenten errechnet werden (Merkmalsgruppe 5.1). Wie auch die Klägerin nicht bezweifelt, erwähnt die D7 ausdrücklich keinen Verfahrensschritt, nach dem beim Codieren
  333. oder beim Decodieren von Vordergrundsegmenten (oder anderen Segmenten)
  334. solche Nachbarsegmente für eine Rekonstruktion von vorneherein ausgeschieden würden, deren Bewegungsvektor gleich Null wäre, deren Prädiktion also
  335. - 17 -
  336. auf der Grundlage des Segments des vorherigen Bildrahmens an gleicher Stelle
  337. vorgenommen wird.
  338. 36
  339. Eine entsprechende Anweisung lässt sich entgegen der Auffassung der
  340. Klägerin auch nicht mitlesen. Aus dem Umstand, dass nach der D7 Vordergrund- und Hintergrundsegmente unterschiedlich codiert werden, folgt nicht,
  341. dass Hintergrundsegmente - unterstellt, diese hätten einen Bewegungsvektor
  342. Null - als potentiell für die Codierung eines Vordergrundsegments geeignete
  343. Nachbarsegmente ausgeschlossen werden. Dazu müssten sie auch bei der
  344. Errechnung der Anzahl der "Anwärtersegmente" beim Decodieren als solche
  345. erfasst werden. Aus der D7 ergibt sich hierfür aber kein Anhalt. Unabhängig von
  346. der Frage, ob es für die Komprimierung eines Videobildes nach logischen Gesichtpunkten einen Sinn ergeben kann, für die Rekonstruktion den Bewegungsvektor eines Nachbarsegments zu nutzen, wenn dieser gleich Null ist, kann es
  347. in technischer Hinsicht bereits deshalb sinnvoll erscheinen, einen solchen Verfahrensschritt nicht zu vollziehen, um die Rechenleistung der Codierungs- und
  348. Decodierungseinrichtungen hierfür nicht zu beanspruchen. Auch wenn es in der
  349. Praxis praktisch niemals vorkäme, dass ein Vordergrundsegment entsprechend
  350. einem benachbarten Hintergrundsegment oder sonstigem Segment mit einem
  351. Bewegungsvektor Null rekonstruiert würde, bedeutete dies nicht, dass dies dem
  352. Fachmann zum Prioritätszeitpunkt ohne weiteres bewusst gewesen wäre und er
  353. quasi selbstverständlich den Decoder zum Herausrechnen solcher Segmente
  354. aus der Zahl der Anwärtersegmente eingerichtet hätte.
  355. 37
  356. 2.
  357. Die erfindungsgemäße Lehre war dem Fachmann, den das Pa-
  358. tentgericht zutreffend definiert hat, auch nicht nahegelegt.
  359. 38
  360. a)
  361. Merkmal 5.1.2 ist bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit zu
  362. berücksichtigen, auch wenn es mit der Programmierung des Decoders realisiert
  363. - 18 -
  364. wird und dieser dabei als Datenverarbeitungsanlage fungiert. Der Patentierungsausschluss gemäß Art. 52 Abs. 2 Buchst. c EPÜ gebietet nicht das Gegenteil. Denn mit dem in Merkmal 5.1.2 liegenden Verfahrensschritt wird ein
  365. technisches Problem mit technischen Mitteln gelöst.
  366. 39
  367. Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, erlaubt der Ausschluss
  368. von benachbarten Anwärtersegmenten, deren Bewegungsfeldmodell gleich Null
  369. ist, die Menge der zu übertragenden Bits insgesamt zu reduzieren und damit
  370. den Detailreichtum der Videosequenz insgesamt zu erhöhen, weil bei gleichbleibender Bitrate mehr Videodaten zum Inhalt der Videosequenz übertragen
  371. werden können. Damit betrifft die Programmierung eines Verfahrensschritts
  372. entsprechend dem Merkmal 5.1 nicht nur den Programmablauf in der Datenverarbeitungsanlage (Decoder) als solchen, sondern vor allem auch die Effizienz der Datenübertragung zwischen Codierungs- und Decodierungseinrichtung
  373. sowie die Decodierungsleistung des nur mit einer begrenzten Empfangsbitrate
  374. arbeitenden Decoders in Bezug auf die Qualität der darzustellenden Videosequenz. Hierauf ist die Frage einer erfinderischen Tätigkeit gemäß Art. 56 EPÜ
  375. uneingeschränkt zu prüfen (vgl. statt vieler BGH, Urteil vom 25. August 2015
  376. - X ZR 110/13, GRUR 2015, 1184 Rn. 18 mwN - Entsperrbild; Urteil vom
  377. 24. Februar 2011 - X ZR 121/09, GRUR 2011, 610 Rn. 20 - Webseitenanzeige).
  378. 40
  379. b)
  380. Anhaltspunkte dafür, dass die erfindungsgemäße Errechnung von
  381. Anzahl und Ort von Anwärtersegmenten dem Fachmann nahegelegt wäre, um
  382. die Anwärtersegmente mit einem Bewegungsfeldmodell gleich Null vorab auszuscheiden (Merkmal 5.1.2), sind weder dargetan noch erkennbar.
  383. 41
  384. aa)
  385. Das Patentgericht hat dies insbesondere ausgehend von der D7
  386. mit überzeugender Begründung verneint.
  387. - 19 -
  388. 42
  389. bb)
  390. Gleiches gilt im Ergebnis auch, wenn der Fachmann den Aufsatz
  391. von Kim und Ra "A new motion vector coding technique using minimum bitrate
  392. prediction" im ITG-Fachbericht 143, PCS 97 S. 73 (D8) für eine Weiterentwicklung berücksichtigt.
  393. 43
  394. Dabei kann offen bleiben, aufgrund welcher der von der Klägerin eingeführten Entgegenhaltungen dem Fachmann ein Verfahren mit den Merkmalen 1
  395. bis 4.2 und 5.3 im Stand der Technik bekannt war. Die D8 gab ihm jedenfalls
  396. keine Anregung und keine Veranlassung, einen solchen Gegenstand mit dem
  397. Merkmal 5.1.2 zu kombinieren.
  398. 44
  399. Die D8 zeigt eine Weiterentwicklung für eine Videosequenzcodierung
  400. und -decodierung, die entsprechend dem Merkmal 5.3 einen Bewegungsvektor
  401. für das aktuelle Segment anhand zuvor für den aktuellen Bildrahmen übertragener Nachsegmente ermittelt. Hierfür übernimmt die Entgegenhaltung jedoch
  402. den Wert für den Bewegungsvektor eines der Nachbarsegmente nicht zwingend
  403. unverändert, sondern übermittelt - ähnlich einer weiteren Ausführungsform der
  404. Lehre des Streitpatents (S. 7 Abs. 45) - zwei weitere Werte (MVDx_min_rate
  405. und MVDy_min_rate), die eine horizontale und die vertikale Abweichung von
  406. diesem Wert angeben, um damit den am besten passenden Bewegungsvektor
  407. für ein Segment aus dem vorherigen Bildrahmen bestimmen zu können (D8,
  408. S. 73 re. Sp. bis S. 74 li. Sp.).
  409. 45
  410. Für dieses Verfahren entwirft die D8 die Regel, dass von mehreren
  411. Nachbarsegmenten stets jenes zu wählen ist, bei dem die Bitrate der
  412. MVD_min_rate-Werte am geringsten ist, dieser Wert also am kleinsten ausfallen kann. Ausgehend davon wird sodann für jedes der in Frage kommenden
  413. Nachbarsegmente geprüft, ob der übermittelte MVD_min_rate-Wert angewendet auf das zu prüfende Nachbarsegment im Vergleich zu den übrigen Nach-
  414. - 20 -
  415. barsegmenten den kleinsten Wert aufweist oder ob der danach bei dem jeweils
  416. zu prüfenden Nachbarsegment sich ergebende Bewegungsvektor mit Hilfe eines anderen Nachbarsegments und einem anderen kleineren MVD_min_rateWert hätte codiert werden können. Sofern Letzteres der Fall ist, stellt der Codierer wie auch im Falle des Empfangs der Decodierer fest, dass dieses Nachbarsegment nicht für die Codierung verwendet worden sein kann und für die Decodierung nicht zu verwenden ist. Soweit danach Nachbarsegmente für die Auswahl ausgeschieden sind, prüft der Codierer wie auch der Decodierer, wie viele
  417. Nachbarsegmente für eine Bestimmung des Bewegungsvektors übrig geblieben
  418. sind. Entsprechend dieser Anzahl sendet der Codierer nur noch so viele Auswahlbits, wie für eine Auswahl unter den verbliebenen Nachbarsegmenten erforderlich sind; sofern nur ein Nachbarsegment übrig geblieben ist, wird kein
  419. Auswahlbit gesendet (D8, S. 74 li. Sp.).
  420. 46
  421. Damit nimmt die D8 ähnlich der Lehre des Streitpatents mit den Merkmalen 5.1, 5.1.1 und der Merkmalsgruppe 5.2 eine Selektion unter den in Frage
  422. kommenden Nachbarsegmenten vor, indem einzelne Nachbarsegmente nach
  423. logischen, vordefinierten Kriterien ausgeschieden und anhand der verbliebenen
  424. Nachbarsegmente die Bitzahl für die Auswahl dann auf das noch erforderliche
  425. Maß reduziert werden.
  426. 47
  427. Die Methode der Selektion ist indessen grundverschieden von der Lehre
  428. des Streitpatents. Die D8 nutzt mit einem komplexen Berechnungsmodus die
  429. Information zur Abweichung von dem jeweils sich aus dem verwendeten Nachbarsegment ergebenden Bewegungsvektor (MVD_min_rate-Wert), um daraus
  430. eine logische Regel zu entwickeln, anhand der gegebenenfalls Nachbarsegmente ausgeschieden werden können. Diese Methode setzt nach ihrer Regel
  431. voraus, auch Nachbarsegmente für den Vergleich zu berücksichtigen, deren
  432. Bewegungsvektor gleich Null ist, wie dies auch das in der D8 dargestellte Bei-
  433. - 21 -
  434. spiel zeigt (D8, S. 74 unten). Insbesondere kann auch mit Hilfe der Abweichungswerte MVD_min_rate ein Bewegungsvektor ausgehend von einem
  435. Nachbarsegment bestimmt werden, deren eigener Bewegungsvektor gleich Null
  436. ist. Nach der Lehre der D8 und den dafür gezeigten logischen Regeln zur Selektion der Nachbarsegmente war es deshalb kontraindiziert, Nachbarsegmente
  437. mit einem Bewegungsvektor bzw. Bewegungsfeldmodell gleich Null aus der
  438. Auswahl der in Frage kommenden Nachbarsegmente auszuscheiden und
  439. dadurch die erforderliche Zahl an Auswahlbits zu reduzieren. Die D8 offenbarte
  440. damit keine technische Überlegung, von der aus es naheliegend gewesen wäre, auch das Merkmal 5.1.2 in das Decodierungsverfahren zu implementieren.
  441. 48
  442. cc)
  443. Auch den weiteren Entgegenhaltungen ist weder ein solcher Ver-
  444. fahrensschritt noch ein Hinweis oder eine Anregung hierzu zu entnehmen.
  445. 49
  446. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, aufgrund derer ein solcher Verfahrensschritt als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel seiner Art nach zum Standardrepertoire des Fachmanns gerechnet werden könnte (vgl. dazu BGH, Urteil vom 11. März 2014
  447. - X ZR 139/10, GRUR 2014, 647 Rn. 26 - Farbversorgungssystem; Beschluss
  448. vom 25. Februar 2014 - X ZB 5/13, BGHZ 200, 229 Rn. 38 - Kollagenase I).
  449. Dies setzte zumindest voraus, dass allgemein in Programmen zur Komprimierung von Videosequenzen Segmente mit einem Codierungswert Null wiederholt
  450. herausgefiltert werden, um dadurch die zu übertragende Datenmenge insgesamt reduzieren zu können. Beispiele hierfür hat indessen weder das Patentgericht festgestellt noch sind sie von den Parteien vorgetragen worden oder allgemein bekannt.
  451. - 22 -
  452. 50
  453. V.
  454. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der ersten Instanz auf
  455. § 99 PatG, § 92 Abs. 1 ZPO und hinsichtlich des Berufungsverfahrens auf
  456. § 121 Abs. 2 PatG, §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.
  457. Meier-Beck
  458. Gröning
  459. Hoffmann
  460. Grabinski
  461. Kober-Dehm
  462. Vorinstanz:
  463. Bundespatentgericht, Entscheidung vom 21.01.2015 - 5 Ni 91/12 (EP) -