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445 lines
24 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. X ZR 58/11
  5. Verkündet am:
  6. 22. Mai 2012
  7. Anderer
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in der Patentnichtigkeitssache
  12. -2-
  13. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Mai 2012 durch den
  14. Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Mühlens sowie die
  15. Richter Gröning, Dr. Grabinski und Hoffmann
  16. für Recht erkannt:
  17. Die Berufung gegen das am 30. März 2011 verkündete Urteil des
  18. 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf
  19. Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
  20. Von Rechts wegen
  21. Tatbestand:
  22. 1
  23. Der Beklagte ist Inhaber des europäischen Patents 1 366 968 (Streitpatents), das am 25. April 2003 angemeldet wurde. Das Streitpatent umfasst
  24. 19 Patentansprüche. Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
  25. "Zusammenklappbarer Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen
  26. mit einem Wagengestellt (1), das mindestens aufweist:
  27. -
  28. zwei obere, spiegelbildlich angeordnete, von vorn nach hinten
  29. ansteigend und im Wesentlichen V-förmig verlaufende, durch-
  30. -3-
  31. gehende oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete Gestellholme (2a, 2b), deren untere Enden zum Verbringen aus einer zusammengelegten Stellung in eine Aufstellposition schwenkbar an einem Verbindungsteil (3) angekoppelt sind,
  32. -
  33. an welchem Verbindungsteil (3) zwei untere, spiegelbildlich
  34. angeordnete, von vorn nach hinten im Wesentlichen V-förmig
  35. verlaufende, durchgehende oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete verschwenkbare Gestellholme (4a,
  36. 4b) angeordnet sind, an deren hinteren Enden Radlagerhalter
  37. (5) für hintere Räder oder Räderanordnungen (6) befestigt
  38. sind,
  39. -
  40. mindestens eine vordere Radanordnung (7) mit mindestens
  41. einem Rad, die mittels mindestens eines Radlagerhalters (8)
  42. an dem Verbindungsteil (3) oder einem Brückenteil der unteren Gestellholme (4a, 4b) befestigt ist,
  43. gekennzeichnet durch:
  44. -
  45. ein aufstellbares Spreizgestänge (9) in Form eines Kreuzgestänges, das in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil (3) an den Holmen (2a, 2b; 4a, 4b) und diese verbindend
  46. vorgesehen und derart ausgebildet ist, dass nach dem Aufstellen des Wagengestells die oberen und die unteren Holme (2a,
  47. 2b) in die charakteristische V-Position sowohl zueinander als
  48. auch gegeneinander verbracht sind und beim Zusammenlegen des Spreizgestänges (9) die oberen und unteren Holme
  49. (4a, 4b) gleichzeitig aufeinander zu verschwenken."
  50. -4-
  51. 2
  52. Die Patentansprüche 2 bis 19 sind unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen.
  53. Die Klägerin hat geltend gemacht, dass der Gegenstand des Streitpa-
  54. 3
  55. tents unzulässig erweitert und gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig sei.
  56. 4
  57. Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die
  58. Klägerin und beantragt, das Urteil des Patentgerichts abzuändern und das
  59. Streitpatent für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig
  60. zu erklären.
  61. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
  62. 5
  63. Entscheidungsgründe:
  64. Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Die Patentan6
  65. sprüche 1 bis 19 gehen nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich
  66. eingereichten Fassung hinaus, und ihr Gegenstand ist patentfähig (Art. 138
  67. Abs. 1 a und c EPÜ i.V.m. Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 3 IntPatÜbkG).
  68. 7
  69. I. Das Streitpatent betrifft einen zusammenklappbaren Schiebewagen für
  70. Kinder und/oder Puppen.
  71. 8
  72. In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, dass aus dem
  73. US-Patent 3 881 739 (K 4, auf derselben Priorität beruhend: Offenlegungsschrift 2 348 716, K 4'), aus welchem die nachfolgende Zeichnung stammt,
  74. -5-
  75. ein Kinderwagen mit einer Rahmenkonstruktion bekannt sei, die ein unteres,
  76. scherenartig an einem Gelenkstück angelenktes Paar von Seitenholmen (1, 1')
  77. aufweise, die durch zusammenklappbare Querholme miteinander verbunden
  78. seien. Auf den Seitenholmen seien verschiebbare Gelenke für die schwenkbewegliche Befestigung von Rückenholmen (5, 5') vorgesehen, an deren Ende
  79. jeweils ein Schiebegriff angebracht sei. Zur Stabilisierung der Konstruktion in
  80. aufgestellter Lage seien zwischen den beiden Rückenholmen obere und untere
  81. Querholme (8, 8', 9, 9') vorgesehen, die jeweils an einem Ende aus zwei gleich
  82. langen, gelenkig miteinander verbundenen Stangen bestünden und an einem
  83. anderen Ende an den Rückenholmen angelenkt seien. An den Rückenholmen
  84. seien vorderseitig Sitzholme (11, 11') angelenkt, die schwenkbeweglich mit ihren vorderen Enden an Lagern der Seitenholme befestigt seien. Rückseitig der
  85. Rückenholme seien Beinstützen vorgesehen, die mit ihren anderen Enden an
  86. den Querholmen drehgelenkig befestigt seien. Durch die verschiebliche Anordnung der Gelenke an den Rückenholmen einerseits und durch die zusammenlegbaren Querholme andererseits könne das Wagengestell bei gleichzeitigem
  87. Verschieben der Gelenke für die Rückenholme auf den Seitenholmen vollständig zusammengelegt werden.
  88. -6-
  89. 9
  90. Zudem wird in der Klagepatentschrift auf die französische Patentanmeldung 75 14964 (K 7) verwiesen, aus der die nachfolgende Zeichnung stammt:
  91. 10
  92. Aus der K 7 sei ein zusammenlegbares Kinderwagengestell bekannt, das
  93. einen gleichen Aufbau wie das aus der K 4 bekannte Gestell aufweise, bei dem
  94. jedoch anders als bei der K 4 die Rückenholme (14, 14') an festen Lagern an
  95. den Seitenholmen (1, 1') schwenkbeweglich gelagert seien und die Rückenholme unterhalb eines zusammenlegbaren Scherengestänges (18, 18', 19, 19'),
  96. das als Spreizgestänge zwischen den Rückenholmen vorgesehen sei, geteilt
  97. und gegeneinander verschwenkbar ausgeführt seien, so dass diese zusammen
  98. mit den Sitzholmen ein Kräfteparallelogramm bildeten. Für die Spreizung der
  99. Seitenholme sei zusätzlich ein zusammenlegbarer Querholm zwischen den unteren Abschnitten der Rückenholme vorgesehen.
  100. 11
  101. Dem Streitpatent liegt demnach das Problem ("die Aufgabe") zugrunde,
  102. die bekannten zusammenklappbaren Schiebewagen derart fortzuentwickeln,
  103. dass diese bei vereinfachter Konstruktion leicht aufgestellt und zusammengeklappt werden können.
  104. -7-
  105. 12
  106. Das soll nach der Lehre aus Patentanspruch 1 durch eine Vorrichtung
  107. mit folgenden Merkmalen erreicht werden:
  108. 1. Zusammenklappbarer Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen mit einem Wagengestell, das aufweist:
  109. 1.1 zwei obere Gestellholme (2a, 2b),
  110. 1.2 zwei untere Gestellholme (4a, 4b),
  111. 1.3 ein Verbindungsteil (3),
  112. 1.4 ein Spreizgestänge (9) und
  113. 1.5 eine vordere Radanordnung (7) und
  114. 1.6 hintere Räder oder Räderanordnungen (6).
  115. 2. Die oberen Gestellholme (2a, 2b)
  116. 2.1 sind durchgehend oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildet,
  117. 2.2 sind spiegelbildlich angeordnet,
  118. 2.3 verlaufen von vorn nach hinten ansteigend und im Wesentlichen V-förmig,
  119. 3. Die unteren Gestellholme (4a, 4b),
  120. 3.1 sind durchgehend oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildet,
  121. 3.2 sind spiegelbildlich angeordnet,
  122. 3.3 verlaufen von vorn nach hinten im Wesentlichen V-förmig.
  123. 3.4 sind verschwenkbar und
  124. 3.5 weisen hintere Enden auf, an denen Radlager (5) für die
  125. hinteren Räder oder Räderanordnungen (6) befestigt sind.
  126. 4. An dem Verbindungsteil (3) sind
  127. -8-
  128. 4.1 die unteren Enden der oberen Gestellholme (2a, 2b) zum
  129. Verbringen aus einer zusammengelegten Stellung in eine
  130. Aufstellposition schwenkbar gekoppelt und
  131. 4.2 die unteren Gestellholme (4a, 4b) angeordnet.
  132. 5. Die vordere Radanordnung (7)
  133. 5.1 weist mindestens ein Rad auf und
  134. 5.2 ist mittels mindestens eines Radlagerhalters (8) an dem
  135. Verbindungsteil (3) oder einem Brückenteil der unteren
  136. Gestellholme (4a, 4b) befestigt.
  137. 6. Das Spreizgestänge (9) ist
  138. 6.1 aufstellbar und
  139. 6.2 in Form eines Kreuzgestänges ausgebildet.
  140. 6.3 Das Kreuzgestänge ist
  141. 6.3.1 an den Holmen (2a, 2b; 4a, 4b) in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil (3) und die Holme
  142. (2a, 2b; 4a, 4b) verbindend vorgesehen,
  143. 6.3.2 derart ausgebildet, dass nach dem Aufstellen des
  144. Wagengestells (1) die oberen und die unteren Holme (2a, 2b; 4a, 4b) in die charakteristische VPosition sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind, und
  145. 6.3.3 derart ausgebildet, dass beim Zusammenlegen des
  146. Spreizgestänges (9) die oberen und unteren Holme
  147. (2a, 2b; 4a, 4b) gleichzeitig aufeinander zu verschwenken.
  148. -9-
  149. 13
  150. Die nachfolgend wiedergegebene Zeichnung stammt aus der Streitpatentschrift und zeigt beispielhaft einen erfindungsgemäßen zusammenklappbaren Schiebewagen.
  151. 14
  152. Aus Sicht des Fachmanns, bei dem es sich - wie vom Patentgericht, von
  153. der Berufung unbeanstandet, festgestellt - um einen Ingenieur der Fachrichtung
  154. Maschinenbau handelt, der bei einem Hersteller von Kinderwagengestellen mit
  155. Konstruktionsaufgaben befasst ist und auf diesem Gebiet über mehrjährige Berufserfahrung verfügt, liegt das Konstruktionsprinzip des erfindungsgemäßen
  156. Wagengestells im Wesentlichen darin, dass die vier Gestellholme zum einen an
  157. demselben Verbindungsteil angelenkt sind und zum anderen untereinander
  158. durch ein als Kreuzgestänge ausgebildetes Spreizgestänge verbunden sind, so
  159. dass die oberen und die unteren Holme wie ein Regenschirm beim Aufstellen
  160. sowohl zu- als auch gegeneinander in eine V-Position gebracht werden und
  161. beim Zusammenlegen gleichzeitig aufeinander zu verschwenkt werden.
  162. - 10 -
  163. 15
  164. Ein Kreuzgestänge, dessen Holme - wie bei dem in der K 7 gezeigten
  165. Scherengestänge - lediglich in einer Ebene zueinander verschwenkt werden
  166. können, kann nicht als ein Kreuzgestänge im Sinne der Merkmalsgruppe 6.3
  167. angesehen werden, weil dieses nicht derart ausgebildet ist, dass beim Zusammenlegen obere und untere Holme gleichzeitig aufeinander zu verschwenkt
  168. werden (Merkmal 6.3.3).
  169. 16
  170. II. 1. Das Patentgericht hat angenommen, dass Merkmal 3.4 keine unzulässige Erweiterung enthalte. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen und wird
  171. auch von der Berufung nicht angegriffen.
  172. 17
  173. 2. Das Patentgericht hat weiter ausgeführt, die Aufnahme des Kreuzgestänges in den erteilten Patentanspruch 1 ohne dessen in der Beschreibung der
  174. Anmeldung angegebene konkrete Ausgestaltung erweitere nicht die Ursprungsoffenbarung. Bereits der ursprüngliche Anspruch 1 enthalte keine Festlegung auf eine bestimmte Bauform des Spreizgestänges. Davon werde auch
  175. ein Kreuzgestänge beliebiger Bauart, lediglich spezifiziert durch die Bedingung
  176. des durch Betätigung bewirkten Faltvorgangs des Wagengestells, umfasst. Die
  177. in der ursprünglichen Beschreibung konkret angegebene Ausgestaltung des
  178. Kreuzgestänges sei aus fachmännischer Sicht nicht zwingend erforderlich. Entsprechend deute der Fachmann auch die betreffenden Ausführungen in der
  179. Beschreibung als lediglich beispielhaft gemeinte Angaben.
  180. 18
  181. Das demgegenüber von der Berufung vorgetragene Argument, wonach
  182. lediglich ein Spreizgestänge in Form eines Kreuzgestänges mit den in der Beschreibung der Anmeldung genannten Merkmalen ursprungsoffenbart sei (vgl.
  183. S. 3 der Anmeldung, Z. 5 bis 15), überzeugt nicht.
  184. 19
  185. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist der Anmelder, der eine in
  186. einem Ausführungsbeispiel der Anmeldung gezeigte vorteilhafte Ausgestaltung
  187. - 11 -
  188. zu einer Beschränkung des Gegenstands des Patentanspruchs heranziehen
  189. möchte, nicht gezwungen, sämtliche Merkmale dieses Ausführungsbeispiels zu
  190. übernehmen. Er kann sich vielmehr, wenn mehrere Merkmale des Ausführungsbeispiels gemeinsam, aber auch je für sich dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, darauf beschränken, einzelne Merkmale in den Patentanspruch aufzunehmen. Es darf sich lediglich kein Gegenstand ergeben, den der
  191. Fachmann den Ursprungsunterlagen nicht als mögliche Ausführungsform der
  192. Erfindung entnehmen kann (BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - X ZR 88/09,
  193. GRUR 2012, 475 Rn. 34 - Elektronenstrahltherapiesystem; Beschluss vom
  194. 11. September 2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, 51 - Drehmomentübertragungseinrichtung).
  195. 20
  196. Im Streitfall erschloss es sich dem Fachmann ohne weiteres, dass der
  197. Inhalt der Patentanmeldung auch Spreizgestänge umfassen soll, die allgemein
  198. in Form eines Kreuzgestänges ausgebildet sind. Zwar ist dieses Merkmal noch
  199. nicht Gegenstand des Patentanspruchs 1 der Anmeldung in der ursprünglich
  200. eingereichten Fassung. Der gleichermaßen als Teil der Ursprungsoffenbarung
  201. zu berücksichtigenden Beschreibung der Anmeldung (vgl. nur BGH, Urteil vom
  202. 12. Juli 2011 - X ZR 75/08, GRUR 2011, 1109 Rn. 36 - Reifenabdichtmittel,
  203. m.w.N) konnte der Fachmann jedoch entnehmen, dass "ein Spreizgestänge in
  204. Form eines Kreuzgestänges" "besonders vorteilhaft" sei (S. 3, Z. 5 f.), mithin als
  205. erfindungsgemäß mit umfasst sein sollte. Dem steht auch nicht entgegen, dass
  206. in Bezug auf das "Kreuzgestänge" in der Beschreibung weiter ausgeführt wird,
  207. "z.B. in X-Form, wenn dieses aus geteilten Stützstreben besteht, die schwenkbeweglich an Schwenkhaltern an den Holmen einerseits und an einem Lagerhalter, der zentrisch vorgesehen ist, andererseits angelenkt sind, so dass - wie
  208. beim Regenschirm - die Streben durch Bewegen des Lagerhalters in Längsrichtung zum einen aufgestellt und zum anderen zusammengefaltet werden. In der
  209. aufgestellten Position können dabei die schwenkbar gelagerten Enden in Füh-
  210. - 12 -
  211. rungsaufnahmen eingreifen und hierin seitlich gesichert sein." Denn wie sich für
  212. den Fachmann bereits aus der Einleitung "z.B." ergibt, handelt es sich insoweit
  213. lediglich um eine beispielhafte Ausgestaltung des Kreuzgestänges. Selbst wenn
  214. diese Einleitung - wie von der Berufung vorgetragen - nach sprachlichen Regeln
  215. lediglich auf die "X-Form" zu beziehen sein sollte, offenbart es sich dem Fachmann dennoch als zweifelsfrei, dass nicht ausschließlich ein Kreuzgestänge "in
  216. X-Form" mit der anschließend beschriebenen Merkmalskombination als ein
  217. Spreizgestänge im Rahmen der Lehre aus Patentanspruch 1 gemeint ist. Denn
  218. sind neben der "X-Form" auch nicht näher spezifizierte und damit beliebige andere Formen zulässig, gibt es aus fachlicher Sicht keinen Grund, Kreuzgestänge allein in der näher beschriebenen Merkmalskombination und nicht auch allgemein als möglich anzusehen.
  219. 21
  220. III. 1. Das Patentgericht ist zudem zu dem Ergebnis gekommen, dass der
  221. Gegenstand des Patentanspruchs 1 patentfähig sei. Der darin beanspruchte
  222. Schiebewagen sei gegenüber der K 7 neu. Die oberen Gestellholme (15, 15')
  223. seien dort nicht am Verbindungsteil (2), sondern jeweils separat für sich an derselben Gestellseite zugeordneten unteren Holm (1, 1') befestigt. Zudem sei das
  224. Kreuzgestänge nicht an den oberen und unteren Gestellholmen angebracht und
  225. verbinde diese nicht. Vielmehr sei das Kreuzgestänge zwischen den an der
  226. Aufspreizung der oberen und unteren Holme beteiligten und damit dem Spreizgestänge zuzurechnenden Rückenholmen (5, 5') angeordnet. Die Auffassung
  227. der Klägerin, dies sei nichts anderes als eine von Patentanspruch 1 umfasste
  228. "mittelbare" Verbindung der Gestellholme durch das Kreuzgestänge, gehe am
  229. Wortlaut des Anspruchs vorbei. Diese Ausführungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken und sind von der Berufung auch nicht beanstandet worden.
  230. 22
  231. 2. a) Das Patentgericht hat weiter angenommen, dass der Schiebewagen
  232. nach Patentanspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Dieser werde
  233. durch die Gestellkonstruktion nach der K 7 nicht nahegelegt. Darin werde ge-
  234. - 13 -
  235. lehrt, die oberen Gestellholme (15, 15') jeweils für sich an dem derselben Gestellseite zugeordneten unteren Gestellholme (1, 1') anzulenken und ein Kreuzgestänge (18, 18', 19, 19') zwischen weiteren Holmen des Spreizgestänges
  236. (Rückenholme 12, 12', 14, 14') derart anzuordnen, dass die Faltbewegung des
  237. Kreuzgestänges ein Aufeinanderzubewegen der Gestellholme lediglich in Richtung der Gestellbreite bewirke. Zum Aufeinanderzubewegen der Gestellholme
  238. in Richtung der Gestellhöhe seien mit Gelenken versehene weitere Gestängeteile und Knickstellen erforderlich. Eine Anregung zur Abkehr von diesem Konstruktionsprinzip sei nicht zu erkennen. Erst recht fehle es an einer Anregung
  239. zur Anlenkung der vier Gestellholme an demselben Verbindungsteil und des
  240. Kreuzgestänges an den vier Holmen derart, dass beim Zusammenlegen des
  241. Kreuzgestänges die Holme aus ihrer nach Höhe und Seite gerichteten Spreizstellung gleichzeitig aufeinander zu verschwenken.
  242. 23
  243. Eine solche Anregung ergebe sich auch nicht aus der K 4, bei der - bei
  244. ansonsten im Wesentlichen gleichem Konstruktionsprinzip wie aus der K 7 bekannt - das Wagengestell nicht einmal ein Kreuzgestänge aufweise.
  245. 24
  246. Bei dem aus der US-Patentschrift 3 836 164 (K 8) bekannten Kinderwagengestell seien zwar die oberen Gestellholme (1) und die unteren Gestellholme (3) durch ein aufstellbares Kreuzgestänge (16, 17, 18) miteinander verbunden und schwenkten beim Zusammenlegen des Kreuzgestänges gleichzeitig
  247. aufeinander zu. Die Gestellholme seien jedoch nicht an einem gemeinsamen
  248. Verbindungsteil angelenkt und wiesen keine von vorn nach hinten verlaufende
  249. V-Form auf.
  250. 25
  251. b) Die Ausführungen des Patentgerichts halten der Berufung stand.
  252. 26
  253. Eine Anregung, das Kreuzgestänge entsprechend der in der Merkmalsgruppe 6.3 beschriebenen Konstruktion auszugestalten, ist der K 7 nicht zu
  254. - 14 -
  255. entnehmen. Das demgegenüber von der Berufung vorgebrachte Argument, bei
  256. dem in der K 7 offenbarten wie auch bei dem im Streitpatent beanspruchten
  257. Schiebewagen würden gleichermaßen die oberen und die unteren Holme in der
  258. Aufstellposition in die charakteristische V-Position sowohl zueinander als auch
  259. gegeneinander verbracht und beim Zusammenlegen die oberen und die unteren Holme gleichzeitig aufeinander zu verschwenkt, verkennt, dass dieser gemeinsame Effekt mit unterschiedlichen räumlich-körperlichen Mitteln erreicht
  260. wird und dem Fachmann in der K 7 keine Anregung vermittelt wird, statt der
  261. dort offenbarten aufwändigen die im Streitpatent beanspruchte einfache Konstruktion zu wählen.
  262. 27
  263. Dem Patentgericht ist zudem in der Bewertung zuzustimmen, dass die
  264. K 7 dem Fachmann auch keinen Anlass gab, die vier Gestellholme an demselben Verbindungsteil in einer Weise anzulenken, dass beim Zusammenlegen
  265. des Kreuzgestänges die Holme aus ihrer nach Höhe und Seite gerichteten
  266. Spreizstellung gleichzeitig aufeinanderzuverschwenken.
  267. 28
  268. Der K 4 konnte der Fachmann einen zusammenklappbaren Schiebewagen mit einem Wagengestell entnehmen, das zwei obere und zwei untere Gestellholme (11, 11', 1, 1'), ein Verbindungsteil (2) und eine vordere Radanordnung (3) aufweist. Die oberen und unteren Gestellholme sind entsprechend den
  269. Merkmalen 2 und 3 ausgestaltet. Sie stehen rückwärtig über eine Anordnung
  270. mehrerer gelenkig miteinander verbundener Längs- und Querholme (5, 5', 8, 8',
  271. 9, 9', 10) in Verbindung. Wie sich aus den zutreffenden Ausführungen des Patentgerichts ergibt, kommt dieser Anordnung von Längs- und Querholmen die
  272. Funktion eines Spreizgestänges zu, das es ermöglicht, das Wagengestell in
  273. zwei hintereinander folgende Bewegungen von der Aufstellposition, bei der sich
  274. die oberen und unteren Holme zu- und gegeneinander in einer V-Position befinden, in eine zusammengelegte Position zu verbringen. Dabei werden zunächst jeweils die oberen und unteren Gestellholme (11, 11', 1, 1') sowie die
  275. - 15 -
  276. Rückenholme (5, 5') durch eine Schwenkbewegung in eine zueinander im Wesentlichen parallele Lage zusammen gebracht. Sodann erfolgt durch eine gleitende Bewegung die Verbringung der oberen Gestellholme (11, 11') sowie der
  277. Rückenholme (5, 5') in eine zu den unteren Gestellholmen (1, 1') im Wesentlichen parallele Lage (vgl. K 4, Sp. 4, Z. 33 ff.; K 4', S. 8, Abs. 1 und 2; Figuren 4
  278. und 5).
  279. 29
  280. Im Hinblick auf diesen unterschiedlichen Bewegungsablauf ist entgegen
  281. der Berufung bereits nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund der Fachmann
  282. durch die K 4 veranlasst gewesen sein soll, bei der K 7 die schwenkbar ausgestaltete Befestigung der oberen Gelenkholme (15, 15') mit ihren unteren Enden
  283. von den unteren Gelenkholmen (1, 1') an das Verbindungsteil (2) zu verlegen.
  284. Auf jeden Fall enthält die K 4 aber keine Anregung, das aus der K 7 bekannte
  285. Wagengestell mit einem Kreuzgestänge auszustatten, das den Anforderungen
  286. der Merkmalsgruppe 6.3 entspricht.
  287. 30
  288. Eine solche Anregung folgt auch nicht aus der K 8, aus der die nachfolgenden Zeichnungen stammen
  289. - 16 -
  290. und die ein Kinderwagengestell offenbart, das auf jeder Seite einen oberen und
  291. einen unteren Gestellholm (1, 3) aufweist. Die beiden Gestellholme sind jeweils
  292. über ein Verbindungsstück (2) miteinander verbunden. An jedem unteren Ende
  293. der oberen Gestellholme ist ein Vorderrad befestigt, während an jedem der unteren Enden der unteren Gestellholme ein Hinterrad angeordnet ist. Die oberen
  294. und die unteren Gestellholme sind durch ein Kreuzgestänge (16, 17, 18) miteinander verbunden.
  295. 31
  296. Dem Patentgericht ist darin beizutreten, dass der Fachmann durch diese
  297. Entgegenhaltung nicht dazu veranlasst wird, das aus der K 7 bekannte Wagengestell im Sinne der in Patentanspruch 1 unter Schutz gestellten Konstruktion
  298. abzuändern. Die in der K 7 und in der K 8 gezeigten Konstruktionen weisen erhebliche Unterschiede auf. Bei dem in der K 7 gezeigten Wagengestell werden
  299. die V-förmig zueinander angeordneten oberen und unteren Gestellholme (1, 1',
  300. 15, 15') vorderseitig durch das Verbindungsteil (2) sowie rückseitig durch die
  301. beiden Rückenholme (14, 14'), die wiederum über der Kreuzgestänge (18, 18',
  302. 19, 19') und die weiteren Holme (17, 17') miteinander in Verbindung stehen,
  303. verbunden. Die gelenkige Ausgestaltung dieser Komponenten ermöglicht das
  304. Aufstellen und Zusammenlegen des Wagens. Demgegenüber beinhaltet das in
  305. der K 8 offenbarten Gestell eine wesentlich einfachere Konstruktion, bei der die
  306. parallelen oberen und unteren Gestellholme (1, 3) lediglich über ein Kreuzgestänge (16, 17, 18) miteinander verbunden sind, welches das Aufstellen und
  307. Zusammenlegen des Wagens erlaubt. Die Berufung hat nicht aufgezeigt und es
  308. ist auch sonst nicht erkennbar, welche Überlegungen den Fachmann dazu hätten bringen können, ungeachtet dieser erheblichen Unterschiede den Einbau
  309. eines die oberen und unteren Holme verbindenden Kreuzgestänges zu erwägen und überdies ein für diese Holme gemeinsames Verbindungsteil vorzusehen.
  310. - 17 -
  311. 32
  312. An dieser Beurteilung ändert sich auch dann nichts, wenn mit der Berufung das in den Figuren 12 bis 14 gezeigte und in der Beschreibung der K 8
  313. weiter erläuterte weitere Ausführungsbeispiel mit berücksichtigt wird (vgl. K 8,
  314. Sp. 4, Z. 46 ff.). Bei diesem sind an einem oberen Verbindungsstück (18') vier
  315. Hebel (17') angelenkt, an deren Enden sich die Räder (5', 6') befinden. Zudem
  316. ist ein unteres Verbindungsstück (105) vorgesehen, an dem die Hebel (106)
  317. angelenkt sind, deren andere Enden wiederum mit den Hebeln (17') gelenkig
  318. verbunden sind. Wird das untere Verbindungsstück (105) durch den Stab (104)
  319. von dem oberen Verbindungsstück (18') weggeschoben, werden alle vier angelenkten Hebel (106) zur Mitte zusammengezogen und führen damit auch die
  320. Hebel (17') mit den Rädern (5', 6') in der Mitte zusammen. Umgekehrt bewirkt
  321. ein Heranziehen des unteren Verbindungsstücks (105) an das obere Verbindungsstück (18'), dass die Hebel (106) und folglich auch die Hebel (17') mit den
  322. Rädern (5', 6') auseinandergespreizt werden. Denn auch im Hinblick auf dieses
  323. in der K 8 offenbarte Ausführungsbeispiel ist festzustellen, dass das durch das
  324. Verbindungsstück (105) und die Hebel (106) gebildete Kreuzgestänge Teil einer
  325. Konstruktion ist, die sich in erheblicher Weise von der in der K 7 gelehrten Konstruktion unterscheidet und die Berufung nicht dargetan hat und auch sonst
  326. nicht ersichtlich ist, wodurch der Fachmann dazu hätte veranlasst werden können, die K 7 derart fortzuentwickeln, dass diese sowohl das in der Merkmalsgruppe 6.3 geforderte Kreuzgestänge als auch das in der Merkmalsgruppe 4
  327. vorgesehene Verbindungsstück aufweist.
  328. - 18 -
  329. 33
  330. IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO.
  331. Meier-Beck
  332. Mühlens
  333. Grabinski
  334. Gröning
  335. Hoffmann
  336. Vorinstanz:
  337. Bundespatentgericht, Entscheidung vom 30.03.2011 - 5 Ni 10/10 (EU) -