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112 lines
5.3 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. X ZR 176/01
  4. vom
  5. 12. November 2002
  6. in der Patentnichtigkeitssache
  7. Nachschlagewerk:
  8. BGHZ
  9. :
  10. BGHR
  11. :
  12. ja
  13. nein
  14. ja
  15. PatG 1981 § 86 Abs. 2; ZPO § 42
  16. a) Der Ausschlußgrund des § 86 Abs. 2 Nr. 2 PatG kann nicht auf die Beteiligung eines Richters in einem Patentverletzungsverfahren ausgedehnt
  17. werden.
  18. b) Bei der Bestimmung des Schutzbereichs eines Patents mit Rücksicht auf
  19. den zur Zeit seiner Anmeldung bestehenden Stand der Technik handelt es
  20. sich um eine im Rahmen des Verletzungsverfahrens typisch auftretende Art
  21. der Vorbefassung mit Rechtsfragen, die für sich eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht rechtfertigt.
  22. BGH, Beschl. v. 12. November 2002 - X ZR 176/01 - Bundespatentgericht
  23. -2-
  24. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. November 2002
  25. durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis und die Richter Prof. Dr. Jestaedt,
  26. Scharen, die Richterin Mühlens und den Richter Asendorf
  27. beschlossen:
  28. Das Ablehnungsgesuch der Klägerin vom 24. Mai 2002 gegen den
  29. Richter am Bundesgerichtshof
  30. M.
  31. wird zurückgewiesen.
  32. Gründe:
  33. I. Die Klägerin begehrt mit der Berufung die Nichtigerklärung des Streitpatents. Sie hat die vorliegende und vom Bundespatentgericht zurückgewiesene Nichtigkeitsklage erhoben, nachdem sie vor dem Landgericht D.
  34. wegen
  35. Verletzung des Streitpatents in Anspruch genommen und verurteilt worden ist.
  36. An der Entscheidung hat der abgelehnte Richter mitgewirkt, der zum Zeitpunkt
  37. der Entscheidung im Verletzungsprozeß Vorsitzender Richter der für den Verletzungsstreit zuständigen Patentstreitkammer war.
  38. II. Der abgelehnte Richter ist entgegen dem Vorbringen der Klägerin
  39. nicht bereits kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramts im vorliegenden Nichtigkeitsberufungsverfahren ausgeschlossen.
  40. -3-
  41. 1. Es kann offenbleiben, ob für die Ausschließung von Richtern von der
  42. Ausübung des Richteramts im Nichtigkeitsberufungsverfahren unmittelbar oder
  43. über § 86 PatG in entsprechender Anwendung auf die §§ 41 bis 44, 47 bis 49
  44. ZPO zurückzugreifen ist. Auch dann scheidet eine Ausschließung des abgelehnten Richters aus; andere Rechtsgrundlagen für eine Ausschließung sind
  45. nicht ersichtlich. Nach der hier allein in Betracht zu ziehenden Regelung in
  46. § 41 Nr. 6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen, wenn er in einem früheren Rechtszug bei dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens
  47. ist nicht die Entscheidung im Verletzungsprozeß, sondern die Entscheidung
  48. des Bundespatentgerichts im Patentnichtigkeitsverfahren. Da der abgelehnte
  49. Richter an der Entscheidung des Bundespatentgerichts im Nichtigkeitsverfahren nicht mitgewirkt hat, ist er nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des
  50. Richteramts im vorliegenden Nichtigkeitsberufungsverfahren ausgeschlossen.
  51. 2. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann der Ausschlußgrund des
  52. § 86 Abs. 2 Nr. 2 PatG nicht auf die Beteiligung eines Richters in einem Patentverletzungsverfahren ausgedehnt werden. Das Patentverletzungsverfahren
  53. ist durch die Bindung des Richters an das erteilte Patent gekennzeichnet. Es
  54. ist daher kein Verfahren, in dem der Richter wie im Erteilungs- oder Einspruchsverfahren mit der Frage des Bestands des Patents befaßt wird. Daß im
  55. Verletzungsverfahren gegebenenfalls im Rahmen einer Prognose über die
  56. Aussichten des Nichtigkeitsverfahrens zu entscheiden sein kann, wenn es - wie
  57. hier - um eine Aussetzung des Verfahrens geht, führt zu keiner anderen Beurteilung.
  58. -4-
  59. III. Das Ablehnungsgesuch ist auch unbegründet, soweit die Klägerin
  60. den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnt. Die Klägerin legt keinen Grund dar, der Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten
  61. Richters rechtfertigen könnte (§ 42 ZPO, § 86 PatG).
  62. Allein aus dem Umstand, daß die Klägerin unter Mitwirkung des abgelehnten Richters im erstinstanzlichen Verletzungsprozeß mit ihrem Vorbringen
  63. zum Stand der Technik und daraus resultierend mit ihrem Vorbringen zum
  64. Schutzbereich des Streitpatents nicht durchgedrungen ist, läßt sich ein Ablehnungsgrund nicht herleiten. Die prozeßrechtlich typische Mitwirkung des Richters an einem früheren Verfahren, das zu einer der Partei ungünstigen Entscheidung geführt hat, rechtfertigt für sich die Ablehnung wegen Besorgnis der
  65. Befangenheit grundsätzlich nicht (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 42
  66. Rdn. 15). Bei der Bestimmung des Schutzbereichs eines Patents mit Rücksicht
  67. auf den zur Zeit seiner Anmeldung bestehenden Stand der Technik handelt es
  68. sich um eine im Rahmen des Verletzungsverfahrens typisch auftretende Art der
  69. Vorbefassung mit Rechtsfragen, die nicht nur Gegenstand des Verletzungsverfahrens, sondern auch Gegenstand eines Nichtigkeitsverfahrens sind oder
  70. werden können (vgl. Sen.Beschl. v. 30.1.1986 - X ZR 70/84, GRUR 1986, 731
  71. - Mauerkasten I). Ein Fall prozeßrechtlich atypischer Vorbefassung (dazu Zöller/Vollkommer, aaO, § 42 ZPO Rdn. 17), wie er im Bereich des Verfahrens vor
  72. dem Patentgericht durch § 86 Abs. 2 PatG geregelt wird, liegt - wie bereits
  73. ausgeführt - nicht vor.
  74. -5-
  75. Anhaltspunkte, die aus dem persönlichen Verhalten des Richters im
  76. Verletzungsverfahren aus der Sicht einer vernünftigen Prozeßpartei einen
  77. Grund zur Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen könnten, legt die Klägerin
  78. nicht dar.
  79. Melullis
  80. Jestaedt
  81. Mühlens
  82. Scharen
  83. Asendorf