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396 lines
20 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. X ZR 157/05
  5. Verkündet am:
  6. 12. Juli 2006
  7. Weschenfelder
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ
  15. : nein
  16. BGHR
  17. :
  18. ja
  19. §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 BGB
  20. a) Für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Schuldner trotz
  21. einer Zuvielforderung des Gläubigers in Verzug gerät, gelten auch im Falle
  22. eines durch Überschreitung der kalendermäßig bestimmten Leistungszeit
  23. herbeigeführten Verzuges die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof zum
  24. Verzug durch eine Zuvielmahnung entwickelt hat.
  25. b) Dem Zahlungsverzug des Kunden eines Versorgungsunternehmens, der
  26. nicht bis zu der in der ursprünglichen Rechnung genannten Leistungszeit bezahlt hat, steht nicht entgegen, dass das Versorgungsunternehmen seine Tarife und infolgedessen seine Rechnungen nachträglich herabgesetzt hat.
  27. Denn dies ändert nichts daran, dass die ursprünglichen Tarife bis zu ihrer
  28. Änderung gültig und deshalb die darauf beruhenden Rechnungsbeträge bis
  29. dahin geschuldet waren. Etwas Anderes gilt nur im Sonderfall einer unbilligen
  30. Leistungsbestimmung (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB).
  31. BGH, Urt. v. 12. Juli 2006 - X ZR 157/05 - Kammergericht
  32. LG Berlin
  33. -2-
  34. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, die Richter
  35. Scharen und Keukenschrijver, die Richterin Ambrosius und den Richter Asendorf
  36. für Recht erkannt:
  37. Auf die Rechtsmittel der Klägerin wird das Urteil des 24. Zivilsenats
  38. des Kammergerichts vom 12. Oktober 2005 aufgehoben und wird
  39. das Urteil der Zivilkammer 9 des Landgerichts Berlin vom 22. Juli
  40. 2004 hinsichtlich der Zinsentscheidung teilweise geändert.
  41. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin über die zugesprochenen Zinsen hinaus weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
  42. über dem Basiszinssatz aus 538.123,85 € seit dem 12. Januar 2002
  43. und aus weiteren 115.672,07 € seit dem 1. Juli 2002 bis jeweils
  44. zum 13. Juni 2003 zu zahlen.
  45. Die weitergehenden Rechtsmittel der Klägerin werden zurückgewiesen.
  46. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
  47. Von Rechts wegen
  48. -3-
  49. Tatbestand:
  50. 1
  51. Die Klägerin, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, welche die Abfallentsorgung und Straßenreinigung im Land Berlin betreibt, hat den beklagten
  52. Grundstückseigentümer, das Land Berlin, auf rückständiges Straßenreinigungsentgelt für die Jahre 1998 bis 2002 nebst Verzugszinsen in Anspruch genommen. Die Parteien streiten inzwischen nur noch über einen Teil der Zinsen.
  53. 2
  54. Die Klägerin hatte dem Beklagten für das 1.137.251 qm große Grundstück "Waldpark Wuhlheide" mit Rechnungen vom 14. Dezember 2001 für das
  55. Jahr 1998 558.208,28 €, für 1999 554.595,39 €, für 2000 540.057,76 € und für
  56. 2001 517.471,96 € in Rechnung gestellt, die laut Vermerk auf den Rechnungen
  57. jeweils am 31. Dezember 2001 fällig sein sollten, sowie mit Rechnung vom
  58. 17. Januar 2002 für das Jahr 2002 509.943,36 €, fällig zum 30. Juni 2002. Mit
  59. Sondergutschriften vom 22. April 2003 ermäßigte die Klägerin wegen rückwirkend geänderter Tarife ihre Rechnungen für 1999 auf 482.455,99 €, für 2000
  60. auf 477.918,36 €, für 2001 auf 455.503,14 € und für 2002 auf 448.031,40 €. Der
  61. Beklagte zahlte auf alle Rechnungen jeweils nur Teilbeträge. Von der Klägerin
  62. auf den Rest verklagt, hat er unter anderem eingewandt, dass Teile seines
  63. Grundstücks als Forst genutzt würden, weshalb er gemäß § 7 Abs. 5 StrRG
  64. Berlin, wonach Eigentümer von Grundstücken, die als Forst genutzt werden,
  65. vom Entgelt befreit sind, für das ganze Grundstück nichts zu bezahlen brauche.
  66. In diesem Punkt hat das Landgericht ihm teilweise Recht gegeben und der Klägerin Entgelt nur für die nicht forstlich, sondern als Grünfläche oder Privatstraße
  67. genutzten Grundstücksteile zur Größe von 726.087 qm zuerkannt.
  68. -4-
  69. 3
  70. Verzugszinsen hat das Landgericht der Klägerin erst ab Zustellung des
  71. Mahnbescheids am 14. Juni 2003 zugesprochen. Nur insoweit hat die Klägerin
  72. Berufung eingelegt, mit der sie im Hinblick auf die in ihren Rechnungen bestimmten Fälligkeitsdaten ihren Anspruch auf Zinsen schon ab 1. Januar bzw.
  73. ab 1. Juli 2002 weiterverfolgt hat. Die Berufung ist vom Berufungsgericht zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.
  74. Entscheidungsgründe:
  75. 4
  76. Die Revision hat im Wesentlichen Erfolg. Der Anspruch der Klägerin auf
  77. Verzugszinsen ist aufgrund des zum Teil durch Mahnung, zum Teil durch Bestimmung der Leistungszeit nach dem Kalender herbeigeführten Verzuges des
  78. Beklagten begründet (§§ 288 Abs. 1 Satz 1, 284 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1
  79. BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung - im Folgenden:
  80. a.F.; Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB).
  81. 5
  82. I. Das Berufungsgericht hat einen Verzug des Beklagten aufgrund der in
  83. den Rechnungen genannten Fälligkeitsdaten wegen eines entschuldigenden
  84. Rechtsirrtums des Beklagten abgelehnt. Die Klägerin habe erstmalig unter dem
  85. 14. Dezember 2001 bzw. 17. Januar 2002 für die Jahre ab 1998 Beträge in
  86. Rechnung gestellt, von denen nunmehr rechtskräftig feststehe, dass sie überhaupt nur in Höhe von zwei Dritteln berechtigt seien. Der Beklagte sei damals
  87. nicht in der Lage gewesen, die tatsächlich geschuldeten Entgelte festzustellen.
  88. Zum einen seien später nicht unerhebliche Korrekturen der Rechnungshöhe
  89. wegen nachträglicher Tarifänderungen erfolgt, zum anderen habe die Klägerin
  90. -5-
  91. die Herausrechnung der Waldstücke erst im Verlauf des vorliegenden Prozesses akzeptiert. Vergeblich berufe sich die Klägerin darauf, dass der Beklagte
  92. zumindest eigene Berechnungen unter Abzug der Forstflächen hätte anstellen
  93. müssen. Dies sei dem Beklagten in Anbetracht der Tatsache, dass über die
  94. richtige Entgelthöhe noch ein langwieriger Prozess vor dem Landgericht geführt
  95. worden sei, nicht möglich und auch nicht zumutbar gewesen.
  96. 6
  97. II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
  98. 7
  99. 1. Wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, war die Klägerin berechtigt, in ihren Rechnungen die Leistungszeit nach dem Kalender zu bestimmen
  100. und so gemäß § 284 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. (jetzt: § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB) zu
  101. bewirken, dass der Beklagte mit dem Ablauf dieser Leistungszeit ohne Mahnung in Verzug geriet. Grundsätzlich erfordert die Bestimmung der Leistungszeit zwar eine Vereinbarung der Vertragsparteien. Der erkennende Senat hat
  102. indessen bereits klargestellt, dass auch ein einseitiges Bestimmungsrecht des
  103. Gläubigers nach §§ 316 Abs. 1, 315 BGB in Betracht kommt und dass der Klägerin ein solches einseitiges Bestimmungsrecht hinsichtlich der Leistungszeit
  104. zusteht. Dabei kann die Klägerin die Festlegung der Leistungszeit nicht etwa
  105. nur in Form von Allgemeinen Leistungsbedingungen vornehmen, sondern auch
  106. individuell in Einzelfällen, wenn die in ihren Leistungsbedingungen enthaltenen
  107. Fälligkeitstermine mangels rechtzeitiger Rechnungstellung bereits verstrichen
  108. sind. Dann kann die Klägerin die Leistungszeit auch in ihren Rechnungen bestimmen (Urt. v. 15.02.2005 - X ZR 87/04, NJW 2005, 1772).
  109. 8
  110. Das hat sie hier getan. In ihren Rechnungen hieß es zwar: "Der Betrag in
  111. EUR ist wie folgt fällig: Fällig am ...". Damit wollte die Klägerin aber erkennbar
  112. nicht im buchstäblichen Sinne des Wortes "Fälligkeit" den Zeitpunkt bestimmen,
  113. -6-
  114. von dem ab der Gläubiger, die Leistung fordern kann, sondern den Zeitpunkt,
  115. bis zu dem der Schuldner leisten soll. Die Klägerin setzte dem Beklagten also
  116. ein Zahlungsziel.
  117. 2. Gegen die Wirksamkeit dieser Bestimmung der Leistungszeit beste-
  118. 9
  119. hen bei der Rechnung vom 17. Januar 2002, fällig zum 30. Juni 2002, keine
  120. Bedenken. Hinsichtlich der Rechnung vom 14. Dezember 2001 wendet der Beklagte hingegen zu Recht ein, dass er die ihm obliegende Berechnung des nach
  121. Abzug der Forstflächen geschuldeten Entgelts nicht in der Zeit zwischen dem
  122. Empfang der Rechnung am 21. Dezember und der darin genannten Leistungszeit, dem 31. Dezember, bewerkstelligen konnte. In diesen Zeitraum fielen nur
  123. zwei Werktage, nämlich der 27. und der 28. Dezember. Diese reichten für die
  124. vom Beklagten anzustellenden Ermittlungen und Berechnungen ersichtlich nicht
  125. aus. Infolgedessen war die Bestimmung der Leistungszeit unbillig und damit
  126. unwirksam (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB), so dass der Beklagte nicht aufgrund kalendermäßiger Bestimmung der Leistungszeit in Verzug geraten konnte.
  127. Stattdessen trat jedoch Verzug durch Mahnung ein (§§ 284 Abs. 1 Satz 1
  128. 10
  129. BGB a.F.; jetzt: § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB). In der einseitigen Bestimmung eines
  130. Zahlungsziels durch den Gläubiger liegt eine Mahnung (vgl. Staudinger/Bittner,
  131. BGB (2004), § 271 Rdn. 19; Staudinger/Löwisch aaO § 286 Rdn. 68), wenn
  132. - wie hier - der Gläubiger den Schuldner auffordert, die Rechnung bis zu einem
  133. bestimmten Zeitpunkt zu begleichen, und damit die für eine Mahnung erforderliche
  134. eindeutige
  135. Leistungsaufforderung
  136. zum
  137. Ausdruck
  138. bringt
  139. (Staudin-
  140. ger/Löwisch § 286 Rdn. 41). Der Wirksamkeit dieser Mahnung steht nicht entgegen, dass sie im Text der Rechnung stand, welche Voraussetzung für die
  141. Fälligkeit der Entgeltforderung war (Sen.Urt. NJW 2005, 1772). Denn die Mah-
  142. -7-
  143. nung kann mit der Erklärung verbunden werden, welche die Fälligkeit erst herbeiführt.
  144. 11
  145. Der durch die Mahnung bewirkte Verzug des Beklagten trat allerdings
  146. nicht schon am Tage nach Fristablauf, dem 1. Januar 2002, ein, weil zu diesem
  147. Zeitpunkt noch das Verschulden des Beklagten fehlte (§ 285 BGB a.F.; jetzt:
  148. § 286 Abs. 4 BGB). Da die Klägerin in ihrer Rechnung Entgelt auch für die
  149. Waldflächen forderte, die nach der rechtskräftigen Entscheidung des Landgerichts aufgrund einer Ausnahmevorschrift vom Entgelt befreit waren, war der
  150. Beklagte zunächst durch eine von ihm nicht zu vertretende Ungewissheit über
  151. Bestehen und Umfang seiner Schuld an der Leistung verhindert. Ihm war eine
  152. angemessene Frist zur Überprüfung der tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Ansprüche der Klägerin zuzubilligen (Staudinger/Löwisch § 286
  153. Rdn. 144, 147); denn er musste aus ihren Rechnungen erst den Waldanteil
  154. herausrechnen, bevor er zahlen konnte. Hierfür angemessen war eine Frist von
  155. zwei normalen, nicht durch Festtage geschmälerten Wochen, das heißt von
  156. zehn Werktagen. Ein verzugsbegründendes Verschulden des Beklagten konnte
  157. erst mit Ablauf der angemessenen Frist eintreten, also am 12. Januar 2002.
  158. 12
  159. 3. Der Ansicht des Berufungsgerichts, Verzug scheitere insgesamt am
  160. fehlenden Verschulden des Beklagten, weil dieser seinerzeit die tatsächlich von
  161. ihm geschuldete Entgelthöhe nicht habe ermitteln können, kann nicht beigetreten werden. Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung wegen
  162. eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat (§ 285 BGB a.F.;
  163. jetzt: § 286 Abs. 4 BGB). Zu vertreten hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB). Hier handelte der Beklagte zumindest fahrlässig, also unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt
  164. -8-
  165. (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.; jetzt: § 276 Abs. 2 BGB), als er die Forderungen
  166. der Klägerin auch, soweit sie berechtigt waren, zum Teil nicht bezahlte.
  167. 13
  168. a) Der vom Berufungsgericht als Entschuldigungsgrund angesehene
  169. Umstand, dass die Klägerin die anfänglichen Rechnungssummen später durch
  170. Sondergutschriften herabsetzte, nachdem am 31. März 2003 die Tarife für die
  171. Jahre 1999 bis 2002 mit Rückwirkung abgesenkt worden waren, vermag den
  172. Beklagten nicht zu entlasten. Dem Zahlungsverzug des Kunden eines Versorgungsunternehmens, der nicht bis zu der in der ursprünglichen Rechnung genannten Fälligkeitszeit bezahlt hat, steht nicht entgegen, dass das Versorgungsunternehmen seine Tarife und infolgedessen seine Rechnungen nachträglich herabsetzt. Denn dies ändert nichts daran, dass die ursprünglichen Tarife bis zu ihrer Änderung gültig und deshalb die darauf beruhenden Rechnungsbeträge geschuldet waren. Etwas anderes gilt nur in dem Sonderfall einer
  173. unbilligen Leistungsbestimmung (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB), der durch eine
  174. nachträgliche Tarifermäßigung aber nicht indiziert wird und im Übrigen hier
  175. schon deshalb nicht angenommen werden kann, weil der Beklagte die Einrede
  176. der unbilligen Tariffestsetzung nicht erhoben hat. Es ist somit davon auszugehen, dass bis zu der Tarifänderung keine Zuvielforderung der Klägerin vorlag.
  177. Deshalb stellt sich an dieser Stelle auch nicht die Frage, ob und unter welchen
  178. Voraussetzungen eine Zuvielforderung des Gläubigers den Verzugseintritt hindert. Denn eine Zuvielforderung liegt insoweit nicht vor.
  179. 14
  180. b) Die Nichtzahlung des Beklagten wird ebenso wenig dadurch entschuldigt, dass die Klägerin ihm auch für die mit Wald bestandenen Teilflächen das
  181. Reinigungsentgelt in Rechnung stellte, obwohl diese gemäß der Ausnahmevorschrift des § 7 Abs. 5 StrRG Berlin davon befreit waren. Insoweit lag eine Zu-
  182. -9-
  183. vielforderung vor, jedoch hätte der Beklagte den berechtigten Teil der Rechnungen gleichwohl fristgerecht begleichen müssen.
  184. 15
  185. aa) Für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Schuldner
  186. trotz einer Zuvielforderung des Gläubigers in Verzug gerät, gelten auch im Falle
  187. eines durch Überschreitung der kalendermäßig bestimmten Leistungszeit herbeigeführten Verzuges die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof zum Verzug
  188. durch eine Zuvielmahnung entwickelt hat. Denn in beiden Fällen geht es gleichermaßen darum, ob die Säumnis des Schuldners wegen der teilweise fehlenden Berechtigung des vom Gläubiger geltend gemachten Leistungsanspruchs
  189. entschuldigt ist.
  190. 16
  191. bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt eine Zuvielforderung die Wirksamkeit der Mahnung und damit den Verzug hinsichtlich der
  192. verbleibenden Restforderung nicht in Frage, wenn der Schuldner die Erklärung
  193. des Gläubigers nach den Umständen des Falles als Aufforderung zur Bewirkung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen muss und der Gläubiger
  194. zur Annahme der gegenüber seinen Vorstellungen geringeren Leistung bereit
  195. ist (Urt. v. 25.06.1999 - V ZR 190/98, NJW 1999, 3115 m.w.N; v. 28.01.2000
  196. - V ZR 252/98, WM 2000, 586). So lag es hier, wo der Beklagte mit Rücksicht
  197. darauf, dass die Klägerin erkennbar auf Liquidität angewiesen war und deshalb
  198. in jedem Fall den berechtigten Teil ihrer Rechnungen bis zum angegebenen
  199. Fälligkeitsdatum bezahlt sehen wollte und in diesem Zusammenhang auch zur
  200. Annahme einer geringeren Leistung als gefordert bereit war, wie die Tatsache
  201. zeigt, dass sie die von dem Beklagten erbrachten Teilleistungen nicht zurückwies. Allerdings kann eine unverhältnismäßig hohe, weit übersetzte Zuvielforderung den zu Recht angemahnten Teil so in den Hintergrund treten lassen, dass
  202. dem Schuldner kein Schuldvorwurf zu machen ist, wenn er sich nicht als wirk-
  203. - 10 -
  204. sam gemahnt ansieht. Am Verschulden fehlt es auch dann, wenn der Schuldner
  205. die wirklich geschuldete Forderung nicht allein ausrechnen kann, weil sie von
  206. ihm unbekannten internen Daten des Gläubigers abhängt (BGH, Urt. v.
  207. 13.11.1990 - XI ZR 217/89, NJW 1991, 1286; v. 09.02.1993 - XI ZR 88/92, NJW
  208. 1993, 1260).
  209. 17
  210. cc) Jedoch kommt keiner dieser beiden Entschuldigungsgründe dem Beklagten zugute. Um eine weit übersetzte Forderung, die den berechtigten Teil in
  211. den Hintergrund treten ließ, handelte es sich nicht, weil die Rechnungen der
  212. Klägerin auch unter Berücksichtigung der Entgeltfreiheit der Waldflächen noch
  213. zu 64 % berechtigt waren. Der Beklagte konnte dies auch ohne unzumutbare
  214. Mühe selbst errechnen. Da er das Größenverhältnis der Waldflächen zum Gesamtgrundstück anhand des Liegenschaftskatasters ermitteln konnte, hätte er
  215. die Rechnungsbeträge lediglich um den entsprechenden Bruchteil zu kürzen
  216. brauchen. Diese Berechnung hing nicht von internen, dem Beklagten nicht zugänglichen Daten der Klägerin ab.
  217. 18
  218. c) Schließlich ist die Nichtzahlung des Beklagten auch nicht auf einen
  219. unverschuldeten Rechtsirrtum zurückzuführen. Sollte das Berufungsgericht mit
  220. seinem Hinweis, dass über die endgültige Entgelthöhe vor dem Landgericht
  221. noch etwa ein Jahr lang gestritten worden sei, dem Beklagten einen Rechtsirrtum des Inhalts zugutegehalten haben, dass er wegen der teilweise forstlichen
  222. Nutzung für das Gesamtgrundstück kein Entgelt zahlen müsse, so hätte ein
  223. solcher Irrtum den Beklagten nicht entlastet, weil er nicht unverschuldet gewesen wäre.
  224. 19
  225. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fordert der Geltungsanspruch des Rechts grundsätzlich, dass der Verpflichtete das Risiko ei-
  226. - 11 -
  227. nes Irrtums über die Rechtslage selbst trägt; an das Vorliegen eines unverschuldeten Rechtsirrtums sind daher strenge Maßstäbe anzulegen. Der
  228. Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat
  229. einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten (vgl.
  230. nur Urt. v. 04.07.2001 - VIII ZR 279/00, NJW 2001, 3114). Entschuldigt ist ein
  231. Rechtsirrtum nur dann, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu
  232. rechnen brauchte (Urt. v. 18.04.1974 - KZR 6/73, NJW 1974, 1903, 1905; v.
  233. 26.01.1983
  234. - IVb ZR 351/81,
  235. NJW
  236. 1983,
  237. 2318,
  238. 2321;
  239. v.
  240. 18.12.1997
  241. - I ZR 79/95, NJW 1998, 2144, 2145; MünchKomm./Ernst, BGB, 4. Aufl., § 286
  242. Rdn. 112).
  243. 20
  244. Im vorliegenden Fall hätten der Beklagte bzw. sein Prozessbevollmächtigter, für dessen Verschulden er nach § 278 BGB einzustehen hat, erkennen
  245. können, dass mit Rücksicht auf Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift des
  246. § 7 Abs. 5 StrRG Berlin, die Grundstücke mit Erholungswert privilegieren will,
  247. eine Auslegung dahin, dass bei einer lediglich teilweise forstlichen Nutzung des
  248. Grundstücks auch nur eine anteilige Entgeltbefreiung zuzubilligen ist, in Betracht kam. Der Beklagte musste daher mit der entsprechenden Gesetzesauslegung und Entscheidung des Landgerichts von vornherein rechnen. An die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, es habe sich um einen unverschuldeten Rechtsirrtum gehandelt, ist der Senat nicht gebunden, weil sie durch
  249. Rechtsfehler beeinflusst ist. Das Berufungsgericht hat sich allein auf die Dauer
  250. des erstinstanzlichen Verfahrens gestützt, die indessen für die entscheidende
  251. Frage, ob der Beklagte mit der vom Landgericht vorgenommenen Auslegung
  252. des § 7 Abs. 5 StrRG Berlin rechnen musste, nichts hergibt. Den sonstigen
  253. Prozessstoff hat das Berufungsgericht unter Verstoß gegen § 286 ZPO nicht
  254. ausgeschöpft.
  255. - 12 -
  256. 21
  257. 4. Nach alledem war dem Anspruch der Klägerin auf Verzugszinsen im
  258. Wesentlichen stattzugeben. Nur hinsichtlich der Differenz zwischen dem von
  259. der Klägerin geltend gemachten Verzugsbeginn am 1. Januar 2002 und dem
  260. tatsächlichen Beginn am 12. Januar 2002 und hinsichtlich eines geringfügigen
  261. Minderbetrages der zu verzinsenden Hauptforderung - 231,32 € - war die Klage
  262. abzuweisen.
  263. Die
  264. Klägerin
  265. hat
  266. Zinsen
  267. auf
  268. 538.123,85 €
  269. und
  270. weitere
  271. 115.903,39 €, insgesamt also auf 654.027,24 € verlangt. Das Landgericht hat
  272. ihr indes nur 653.795,92 € zugesprochen.
  273. 22
  274. 5. Die vom Beklagten hilfsweise erklärte Aufrechnung mit einer nach Abschluss
  275. des
  276. landgerichtlichen
  277. Verfahrens
  278. geleisteten
  279. Überzahlung
  280. von
  281. 1.510,32 € auf die Hauptforderung stellt neues Vorbringen dar, das im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden kann (§ 559 Abs. 1 ZPO). Als neue
  282. Tatsache ist es auch anzusehen, wenn sich die materielle Rechtslage durch
  283. Ausübung eines Gestaltungsrechts wie der Aufrechnung verändert hat (BGHZ
  284. 1, 234, 239).
  285. - 13 -
  286. 23
  287. 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
  288. Melullis
  289. Scharen
  290. Ambrosius
  291. Keukenschrijver
  292. Asendorf
  293. Vorinstanzen:
  294. LG Berlin, Entscheidung vom 22.07.2004 - 9 O 319/03 KG Berlin, Entscheidung vom 12.10.2005 - 24 U 128/04 -