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10 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. X ZB 23/06
  4. vom
  5. 31. Juli 2007
  6. in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
  7. betreffend das Patent 100 22 974
  8. -2-
  9. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Juli 2007 durch den
  10. Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, die Richterinnen Ambrosius und Mühlens und
  11. die Richter Asendorf und Gröning
  12. beschlossen:
  13. Die Rechtsbeschwerde gegen den am 5. Juli 2006 verkündeten
  14. Beschluss des 19. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des
  15. Bundespatentgerichts wird auf Kosten des Patentinhabers zurückgewiesen.
  16. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
  17. 75.000,-- € festgesetzt.
  18. Gründe:
  19. 1
  20. I.
  21. Dem Rechtsbeschwerdeführer ist das ein Verfahren zum Betrei-
  22. ben einer Windenergieanlage sowie eine Windenergieanlage betreffende deutsche Patent 100 22 974 (Streitpatent) erteilt worden. Patentanspruch 1 lautet:
  23. "Verfahren zum Betreiben einer Windenergieanlage mit einem
  24. Generator zum Abgeben elektrischer Leistung an ein elektrisches
  25. Netz, wobei die Windenergieanlage einen Rotor mit pitchgeregelten Rotorblättern aufweist, mittels deren Verstellung die Leistung
  26. der Windenergieanlage eingestellt wird und wobei die von dem
  27. -3-
  28. Generator an das Netz abgegebene Leistung in Abhängigkeit der
  29. Netzfrequenz des elektrischen Netzes eingestellt wird, dadurch
  30. gekennzeichnet, dass die von dem Generator abgegebene, in das
  31. Netz eingespeiste Leistung verringert wird, wenn die Netzfrequenz
  32. des elektrischen Netzes einen vorbestimmten Netzfrequenzwert
  33. von mehr als 3 ‰ über ihrem Sollwert übersteigt."
  34. Patentanspruch 3 lautet:
  35. "Windenergieanlage mit einem Rotor mit Rotorblättern mit Pitchregelung und einem mit dem Rotor gekoppelten elektrischen Generator zum Abgeben elektrischer Leistung an ein elektrisches Netz,
  36. mit einer Regelungseinrichtung mit einem Frequenzaufnehmer
  37. zum Messen oder Ermitteln der Frequenz der am Netz anliegenden elektrischen Spannung (Strom), wobei die von dem Generator
  38. an das Netz abgegebene elektrische Leistung in Abhängigkeit der
  39. Netzfrequenz des elektrischen Netzes einstellbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass die von dem Generator abgegebene, in das
  40. Netz eingespeiste Leistung verringerbar ist, wenn die Netzfrequenz des elektrischen Netzes einen vorbestimmten Netzfrequenzwert von mehr als 3 ‰ über ihrem Sollwert übersteigt."
  41. 2
  42. Die Verfahrensbeteiligten haben gegen das Patent Einspruch eingelegt.
  43. Der Patentinhaber hat das Patent in seiner erteilten Fassung sowie mit zwei
  44. Hilfsanträgen, wegen deren Wortlauts auf den angefochtenen Beschluss verwiesen wird, verteidigt.
  45. -4-
  46. 3
  47. Das Bundespatentgericht hat das Patent widerrufen, weil sich dessen
  48. Gegenstand für den Fachmann in nahe liegender Weise aus dem Stand der
  49. Technik ergeben habe. Hiergegen richtet sich die - nicht zugelassene - Rechtsbeschwerde des Patentinhabers, mit der er geltend macht, das Bundespatentgericht habe ihm das rechtliche Gehör versagt. Die Einsprechenden sind der
  50. Rechtsbeschwerde entgegengetreten.
  51. 4
  52. II.
  53. Die zulässige und allein auf die Verletzung des Anspruchs auf
  54. rechtliches Gehör (§ 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG) gestützte Rechtsbeschwerde bleibt
  55. ohne Erfolg.
  56. 5
  57. 1.
  58. Der Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG trägt
  59. der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung,
  60. in dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen können
  61. soll. Dies setzt voraus, dass das Gericht das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und auf seine sachlich-rechtliche
  62. und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit prüft und ferner keine Erkenntnisse verwertet, zu denen die Verfahrensbeteiligten sich nicht äußern
  63. konnten. Beachtet das Gericht diese Anforderungen nicht, versagt es den Verfahrensbeteiligten das rechtliche Gehör (Sen.Beschl. v. 11.6.2002 - X ZB 27/01,
  64. GRUR 2002, 957 - Zahnstruktur, m.w.N.). Die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs dient der Wahrung dieses
  65. Verfahrensgrundrechts der am Verfahren Beteiligten und nicht der inhaltlichen
  66. Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf ihre sachliche Richtigkeit
  67. (ständige Rechtsprechung, vgl. Sen.Beschl. v. 23.1.2007 - X ZB 3/06, Umdr.
  68. S. 6 m.w.N.).
  69. -5-
  70. 6
  71. 2.
  72. Der angefochtene Beschluss weist die von der Rechtsbeschwerde
  73. gerügten Mängel nicht auf.
  74. 7
  75. a)
  76. Das Bundespatentgericht hat ausgeführt, aus den entgegengehal-
  77. tenen Seiten 310 bis 343 des Buches Heier, Windkraftanlagen in Netzbetrieben
  78. (1996), sei - wie von allen Verfahrensbeteiligten zugestanden - sowohl ein Verfahren zum Betreiben einer Windenergieanlage mit einem Generator zum Abgeben elektrischer Leistung an ein elektrisches Netz nach Patentanspruch 1 als
  79. auch eine entsprechende Windenergieanlage nach Patentanspruch 3 bekannt.
  80. Diese Windenergieanlage weise einen Rotor mit pitchgeregelten Rotorblättern
  81. auf, mittels deren Verstellung die Leistung der Windenergieanlage eingestellt
  82. werde, wobei die von dem Generator an das Netz abgegebene Leistung in Abhängigkeit der Netzfrequenz des elektrischen Netzes eingestellt werde. Beispielsweise würden der Regelung in Bild 5.3.3 die Istwerte für Drehzahl und
  83. Frequenz zugeführt und in Abhängigkeit davon der Blattverstellwinkel und damit
  84. die Leistung eingestellt. Zur Erfassung dieses Frequenzwertes müsse die Regelung einen Frequenzaufnehmer zum Messen oder Ermitteln der Frequenz
  85. aufweisen. Damit seien alle Merkmale aus dem Oberbegriff der Patentansprüche 1 und 3 bekannt.
  86. 8
  87. Diese Ausführungen entsprechen den Angaben in Absatz 4 der Beschreibung des Streitpatents und dem Vorbringen der Einsprechenden zu 1 in
  88. der Einspruchsschrift (GA I, 9). Der Patentinhaber hat, worauf die Beschwerdeerwiderung zutreffend hinweist, zu dieser Frage Stellung genommen und ausgeführt, das Dokument offenbare möglicherweise die Merkmale des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1, lehre aber bezüglich des kennzeichnenden Teils
  89. genau das Gegenteil (Schriftsatz vom 30. Juni 2006, GA II, 148).
  90. -6-
  91. 9
  92. Daraus folgt, dass der Patentinhaber nicht nur Gelegenheit hatte, zum
  93. Ausgangspunkt des angefochtenen Beschlusses Stellung zu nehmen, sondern
  94. auch tatsächlich Stellung genommen hat. Diese Stellungnahme hat das Bundespatentgericht erkennbar in seine Erwägungen einbezogen. Eine Verletzung
  95. des Verfahrensgrundrechts des Patentinhabers liegt insoweit ersichtlich nicht
  96. vor. Soweit sich das Bundespatentgericht zur näheren Begründung seiner Auffassung auf Seite 327 sowie das Bild 5.3.3 der genannten Schrift bezogen hat,
  97. rügt die Rechtsbeschwerde lediglich die inhaltliche Richtigkeit der Darlegungen
  98. des angefochtenen Beschlusses zum Offenbarungsgehalt dieser Schrift, die mit
  99. der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde nach § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG nicht zur
  100. Überprüfung gestellt werden kann. Nichts anderes gilt für die weiteren Darlegungen der Rechtsbeschwerde zu der von ihr behaupteten Fehlinterpretation
  101. des Offenbarungsgehalts dieser Schrift sowie des Dokuments "PreußenElektra"
  102. (RB 13) durch den angefochtenen Beschluss.
  103. 10
  104. b)
  105. Das Bundespatentgericht hat den Ausführungen in der genannten
  106. Schrift von Heier nicht nur Hinweise darauf entnommen, wie in Zukunft der Wert
  107. der Windenergie zu einer netzstützenden Größe gesteigert werden könne (Beschluss S. 13), sondern auch auf eine Regelung und Betriebsführung der eingesetzten Windkraftanlagen, die dem konventionellen Kraftwerkscharakter nahe
  108. kommen (Beschluss S. 14). Es hat daraus abgeleitet, dass der Fachwelt am
  109. Prioritätstag das Problem, Windenenergieanlagen so auszubilden und einzusetzen, dass sie einerseits netzstützend wirken und andererseits eine große
  110. Energieausbeute ermöglichen, bekannt war, so dass der Fachmann gehalten
  111. war, sich über einen netzstützenden und gleichzeitig effektiven Betrieb dieser
  112. Anlagen Gedanken zu machen.
  113. 11
  114. Die Rechtsbeschwerde rügt, das Bundespatentgericht habe in diesem
  115. Zusammenhang eine politische Aussage gemacht, indem es darauf hingewie-
  116. -7-
  117. sen habe, der Fachmann sei im Übrigen gehalten gewesen, derartige Überlegungen auch angesichts der staatlichen und internationalen Förderung der Nutzung erneuerbarer Energien anzustellen (RB 9). Hierbei handle es sich um eine
  118. ex-post Betrachtung ohne technischen Gehalt.
  119. 12
  120. Die Rüge betrifft die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses, die, wie bereits ausgeführt, mit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde
  121. nach § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG nicht zur Überprüfung gestellt werden kann. Gleiches gilt hinsichtlich der von der Rechtsbeschwerde gerügten Ausführungen
  122. des angefochtenen Beschlusses zur Dauer der Entwicklungs- und Planungsarbeiten für Windkraftanlagen, zu den Eltra-Dokumenten und zu den auf Seite 15
  123. des angefochtenen Beschlusses genannten Schriften, aus denen das Bundespatentgericht hergeleitet hat, dass Überlegungen zum Auffinden eines technisch und wirtschaftlich vertretbaren Kompromisses zwischen einander entgegen gesetzten Anforderungen an Kraftwerksanlagen schon lange vor dem Anmeldetag des Streitpatents zum Fachwissen der einschlägig tätigen Fachwelt
  124. gehörten.
  125. 13
  126. c)
  127. Die Rechtsbeschwerde macht schließlich eine Verletzung des Ver-
  128. fahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör bezüglich der hilfsweise verteidigten
  129. Fassungen des Streitpatents geltend (RB 14 f.).
  130. 14
  131. Soweit die Rechtsbeschwerde meint, auf Seite 19 des angefochtenen
  132. Beschlusses heiße es allein, das "Merkmal B" sei dem Fachmann durch den
  133. aus der deutschen Offenlegungsschrift 197 56 777 bekannten Stand der Technik nahe gelegt, das Bundespatentgericht habe - ohne dem Patentinhaber die
  134. Möglichkeit einer Stellungnahme einzuräumen - nur das Naheliegen eines einzelnen Merkmals geprüft, und kritisiert, dass sich das angesprochene Dokument entgegen der Auffassung des Bundespatentgerichts nicht mit der Netzfre-
  135. -8-
  136. quenz, sondern mit der Netzspannung befasst, macht sie keine Verletzung des
  137. Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern das Vorliegen eines Rechtsfehlers
  138. und inhaltliche Mängel des angefochtenen Beschlusses geltend, auf die hin eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung im Verfahren nach § 100
  139. Abs. 3 Nr. 3 PatG nicht stattfindet.
  140. 15
  141. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten
  142. (§ 107 PatG). Die Kostenentscheidung folgt aus § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG.
  143. Melullis
  144. Ambrosius
  145. Asendorf
  146. Mühlens
  147. Gröning
  148. Vorinstanz:
  149. Bundespatentgericht, Entscheidung vom 05.07.2006 - 19 W(pat) 313/04 -