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324 lines
20 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VIII ZR 45/09
  5. Verkündet am:
  6. 14. Juli 2010
  7. Vorusso,
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. BGHZ:
  14. BGHR:
  15. ja
  16. nein
  17. ja
  18. BGB §§ 229, 231, 241, 280, 823 (Ae), 858; ZPO § 287
  19. a) Die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckte eigenmächtige Inbesitznahme
  20. einer Wohnung und deren eigenmächtiges Ausräumen durch einen Vermieter
  21. stellt eine unerlaubte Selbsthilfe dar, für deren Folgen der Vermieter verschuldensunabhängig nach § 231 BGB haftet (Bestätigung der Senatsurteile vom 6. Juli
  22. 1977 - VIII ZR 277/75, WM 1977, 1126, und vom 1. Oktober 2003 - VIII ZR
  23. 326/02, WuM 2003, 708).
  24. b) Der Vermieter, der eine Wohnung in Abwesenheit des Mieters ohne Vorliegen eines gerichtlichen Titels durch verbotene Eigenmacht in Besitz nimmt, hat sich aufgrund der ihn treffenden Obhutspflicht nicht nur zu entlasten, soweit ihm die Herausgabe nachweislich vorhandener Gegenstände unmöglich wird oder nachweislich eine Verschlechterung an herauszugebenden Gegenständen eintritt. Er muss
  25. aufgrund seiner Obhutspflicht die Interessen des an einer eigenen Interessenwahrnehmung verhinderten Mieters auch dadurch wahren, dass er bei der Inbesitznahme ein aussagekräftiges Verzeichnis der verwahrten Gegenstände aufstellt
  26. und deren Wert schätzen lässt. Kommt er dem nicht nach, hat er zu beweisen, in
  27. welchem Umfang Bestand und Wert der der Schadensberechnung zugrunde gelegten Gegenstände von den Angaben des Mieters abweichen, soweit dessen Angaben plausibel sind (Anschluss an BGHZ 3, 162).
  28. c) Zu den Anforderungen an eine Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO.
  29. BGH, Urteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 45/09 - LG Wiesbaden
  30. AG Wiesbaden
  31. -2-
  32. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  33. vom 14. Juli 2010 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter
  34. Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Hessel und die Richter Dr. Achilles und
  35. Dr. Schneider
  36. für Recht erkannt:
  37. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 3. Zivilkammer
  38. des Landgerichts Wiesbaden vom 21. Januar 2009 aufgehoben.
  39. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  40. über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  41. Von Rechts wegen
  42. Tatbestand:
  43. 1
  44. Der Kläger war Mieter einer in W.
  45. gelegenen Wohnung der Be-
  46. klagten. Ab dem 19. Februar 2005 war er für mehrere Monate mit unbekanntem
  47. Aufenthalt ortsabwesend. Aufgrund einer Vermisstenmeldung aus seinem Verwandtenkreis wurde seine Wohnung am 23. Februar 2005 auf polizeiliche Anordnung geöffnet und am 18. März 2005 noch einmal von der Polizei durchsucht. Die über diese Vorgänge informierte Beklagte kündigte, nachdem die
  48. Mieten für die Monate März und April 2005 nicht gezahlt worden waren und
  49. auch sie den Aufenthalt des Klägers nicht hatte in Erfahrung bringen können,
  50. das Mietverhältnis am 20. April 2005 durch Einwurf des Kündigungsschreibens
  51. in den Wohnungsbriefkasten des Klägers fristlos. Eine Räumungsklage erhob
  52. -3-
  53. sie nicht. Am 19. Mai 2005 öffnete sie die nach der polizeilichen Durchsuchung
  54. wieder verschlossene Wohnung und nahm sie in Besitz. Dabei entsorgte sie
  55. insbesondere einen großen Teil der Wohnungseinrichtung. Weitere in der Wohnung befindliche Gegenstände lagerte sie ein, wobei streitig ist, ob alle dort vorgefundenen und nicht entsorgten Gegenstände eingelagert wurden.
  56. 2
  57. Der Kläger beansprucht - gestützt auf ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten - für ihm durch Entsorgung oder auf sonstige Weise abhanden gekommene, beschädigte oder verschmutzte Gegenstände Schadensersatz in Höhe von 61.812,65 € zuzüglich der ihm entstandenen Gutachterkosten in Höhe von 1.247 €. Daneben hat er aus der Nebenkostenabrechnung für
  58. 2004 das für ihn ausgewiesene Guthaben von 379,34 € beansprucht. Die Beklagte rechnet hiergegen mit einem Mietrückstand von 249,23 € sowie Entrümpelungskosten von 1.722,73 € auf.
  59. 3
  60. Das Amtsgericht, das die eigenmächtige Räumung der Wohnung zwar
  61. als rechtswidrig angesehen, den geltend gemachten Schaden zum überwiegenden Teil jedoch nicht für ausreichend dargelegt erachtet hat, hat dem Kläger
  62. einen Betrag von 130,70 € zuerkannt (379,93 € Nebenkostenguthaben abzüglich 249,23 € Mietrückstand) und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen wendet
  63. sich der Kläger mit seiner vom Senat zugelassenen Revision.
  64. Entscheidungsgründe:
  65. 4
  66. Die Revision hat Erfolg.
  67. -4-
  68. I.
  69. 5
  70. Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
  71. 6
  72. Das Amtsgericht habe zu Recht ausreichende Angaben zur Nachvollziehbarkeit der jeweils angesetzten Werte vermisst. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei eine Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO
  73. unzulässig, wenn sie mangels greifbarer, vom Kläger vorzutragender Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge. Der Kläger hätte deshalb mindestens weitere
  74. Angaben zu Qualität, Alter, gegebenenfalls Marke und Neuwert der betreffenden Gegenstände machen und diese Angaben bei Bestreiten unter Beweis stellen müssen. Es hätten auch keinerlei unstreitige Merkmale vorgelegen, die den
  75. angegebenen Wert der jeweiligen Gegenstände nachvollziehbar erscheinen
  76. ließen. Ebenso wenig sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Gegenstände
  77. für den Kläger gegebenenfalls einen höheren ideellen Wert besessen hätten.
  78. Soweit das Amtsgericht die Klage ansonsten hinsichtlich einzelner Schadenspositionen abgewiesen habe, weil nach dem Beweisergebnis bereits deren
  79. Vorhandensein in der Wohnung zum Zeitpunkt der Räumung nicht feststellbar
  80. gewesen sei, sei die Beweiswürdigung ebenfalls nicht zu beanstanden.
  81. II.
  82. 7
  83. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  84. 8
  85. 1. Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig zwar keine eigenen Feststellungen zum Grund des erhobenen Anspruchs auf
  86. Ersatz eines dem Kläger entstandenen Räumungsschadens getroffen. Es hat
  87. jedoch durch seine Bezugnahme auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des
  88. erstinstanzlichen Urteils ersichtlich die insoweit vom Amtsgericht getroffenen
  89. -5-
  90. Feststellungen einschließlich dessen Wertung gebilligt, dass die Beklagte durch
  91. die eigenmächtige Räumung der Wohnung ohne Vollstreckungstitel an sich
  92. gemäß § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1 und 2 BGB zum Schadensersatz verpflichtet
  93. sei. Denn sie habe sich hierzu durch das Verschwinden des Klägers nicht herausgefordert fühlen und insbesondere auch dessen Verschwinden seit Februar
  94. 2005 nicht dahin verstehen dürfen, dass er den Besitz an der Wohnung aufgegeben habe. Dies begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken.
  95. 9
  96. a) Die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckte eigenmächtige Inbesitznahme einer Wohnung und deren eigenmächtiges Ausräumen durch den
  97. Vermieter stellen jedenfalls solange, wie der Mieter seinen an der Wohnung
  98. bestehenden Besitz nicht erkennbar aufgegeben hat, eine verbotene Eigenmacht im Sinne von § 858 Abs. 1 BGB und zugleich eine unerlaubte Selbsthilfe
  99. im Sinne von § 229 BGB dar, für deren Folgen der Vermieter über die vom
  100. Amtsgericht herangezogenen Vorschriften hinaus sogar verschuldensunabhängig nach § 231 BGB haftet (Senatsurteile vom 6. Juli 1977 - VIII ZR 277/75, WM
  101. 1977, 1126, unter II 2; vom 1. Oktober 2003 - VIII ZR 326/02, WuM 2003, 708,
  102. unter III; Sternel, Mietrecht Aktuell, 4. Aufl., Rdnr. XIII 25; vgl. ferner OLG Köln,
  103. NJW 1996, 472, 473; Horst, NZM 1998, 139, 140; Herrlein/Kandelhard, Mietrecht, 3. Aufl., § 546 Rdnr. 34; Lehmann-Richter, NZM 2009, 177, 178). Das gilt
  104. selbst dann, wenn der gegenwärtige Aufenthaltsort des Mieters unbekannt
  105. und/oder das Mietverhältnis wirksam gekündigt und dadurch ein vertragliches
  106. Besitzrecht des Mieters entfallen ist (OLG Celle, WuM 1995, 188; Herrlein/
  107. Kandelhard, aaO; Staudinger/Rolfs, BGB (2006), § 546 Rdnr. 39; Bamberger/
  108. Roth/Ehlert, BGB, 2. Aufl., § 546 Rdnr. 22; Horst, aaO, S. 140 f.; vgl. ferner Senatsurteil vom 6. Juli 1977 aaO, unter II 1 b aa). Vielmehr ist der Vermieter auch
  109. in diesen Fällen verpflichtet, sich - gegebenenfalls nach öffentlicher Zustellung
  110. der Räumungsklage - einen Räumungstitel zu beschaffen und zwecks recht-
  111. -6-
  112. mäßiger Besitzverschaffung aus diesem vorzugehen (OLG Celle, aaO; Staudinger/Rolfs, aaO; Horst, aaO, S. 140).
  113. 10
  114. Übt deshalb ein Vermieter - wie hier - im Wege einer sogenannten kalten
  115. Räumung durch eigenmächtige Inbesitznahme von Wohnung und Hausrat eine
  116. verbotene Selbsthilfe, ist er gemäß § 231 BGB zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet und kann sich auch nicht darauf berufen, sich
  117. über die Voraussetzungen und den Umfang seines Selbsthilferechts geirrt zu
  118. haben (Senatsurteile vom 6. Juli 1977, aaO, unter II 2; vom 1. Oktober 2003,
  119. aaO; Sternel, aaO; Horst, aaO, S. 140). Von der Ersatzpflicht erfasst wird insbesondere eine eigenmächtige Entsorgung des hierbei in Besitz genommenen
  120. Hausrats und der sonst in der Wohnung vorgefundenen Gegenstände. Denn
  121. den Vermieter trifft mit seiner Inbesitznahme zugleich eine Obhutspflicht, welche einer Entsorgung grundsätzlich entgegensteht (Senatsurteil vom 1. Oktober
  122. 2003, aaO; Sternel, aaO, Rdnr. XIII 26; Horst, aaO, S. 142; vgl. ferner BGH,
  123. Urteil vom 27. April 1971 - VI ZR 191/69, WM 1971, 943, unter II 1 b).
  124. 11
  125. b) Soweit die Revisionserwiderung dem entgegenhalten will, der Kläger
  126. könne sich jedenfalls gemäß § 242 BGB nicht auf die regelmäßig geforderte
  127. Einhaltung der mit einer Räumung verbundenen Formalitäten und damit auf
  128. Eigenmacht der Beklagten berufen, zeigt sie bereits keinen Tatsachenvortrag
  129. auf, der geeignet ist, eine solche Wertung zu rechtfertigen. Ebenso wenig zeigt
  130. sie Tatsachenvortrag auf, der geeignet ist, ein nach ihrer Auffassung zum
  131. Schadensausschluss führendes überwiegendes Mitverschulden des Klägers
  132. gemäß § 254 BGB zu begründen. Für beides besteht auch sonst kein Anhalt.
  133. 12
  134. 2. Hingegen begegnet die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger
  135. habe seinen Schaden nicht in einer zur Schadensschätzung nach § 287 ZPO
  136. tauglichen Weise dargelegt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Revisi-
  137. -7-
  138. on rügt nicht nur mit Recht, dass das Berufungsgericht die Darlegungs- und
  139. Beweislast hinsichtlich Bestand und Zustand der in der geräumten Wohnung
  140. vorhandenen Gegenstände verkannt habe. Vielmehr hat das Berufungsgericht
  141. auch die Anforderungen an die vorzunehmende Schadensschätzung selbst
  142. überspannt.
  143. 13
  144. a) Soweit es den Bestand, den Zustand und die sonstigen wertbildenden
  145. Merkmale der zum Zeitpunkt der Räumung in der Wohnung des Klägers befindlichen Gegenstände anbelangt, hat das Berufungsgericht den Kläger als uneingeschränkt darlegungs- und beweisbelastet angesehen und die bei der ganz
  146. überwiegenden Zahl der Schadenspositionen bereits hierauf gestützte Klageabweisung des Amtsgerichts gebilligt. Dem kann nicht gefolgt werden.
  147. 14
  148. aa) Den Vermieter, der eine Wohnung in der geschehenen Weise ohne
  149. Vorliegen eines gerichtlichen Titels in verbotener Eigenmacht in Besitz nimmt,
  150. trifft für die darin befindlichen Gegenstände eine - bei Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung hier zumindest nachvertragliche - Obhutspflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 2003, aaO). Diese
  151. hat nicht nur zur Folge, dass der Vermieter die nachweislich in Obhut genommenen Gegenstände vollständig und in einem gegenüber dem Zustand bei
  152. Inobhutnahme nicht verschlechterten Zustand wieder herausgeben muss. Im
  153. Falle einer Unmöglichkeit der Herausgabe oder einer im Vergleich zum übernommenen Zustand nachweislich eingetretenen Verschlechterung der herauszugebenden Gegenstände hat er sich darüber hinaus - wie § 280 Abs. 1 Satz 2
  154. BGB zeigt - zu entlasten, so dass ihn und nicht den Mieter insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft (vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 1989 - III ZR
  155. 126/88, WM 1990, 438, unter III 1).
  156. -8-
  157. 15
  158. Vorliegend reicht - was das Berufungsgericht verkannt hat - die Umkehr
  159. der Darlegungs- und Beweislast zu Lasten der Beklagten aber noch weiter und
  160. erstreckt sich zugleich auf den Bestand, den Zustand und die wertbildenden
  161. Merkmale der Gegenstände, die sich in der durch verbotene Eigenmacht (§ 858
  162. BGB) in Besitz genommenen Wohnung befunden haben. Denn zu den Obhutspflichten der Beklagten bei Inbesitznahme der Wohnung und der darin befindlichen (Einrichtungs-) Gegenstände hat auch die Pflicht gehört, die Interessen des durch Ortsabwesenheit und mangelnde Kenntnis von der Inbesitznahme an einer eigenen Interessenwahrnehmung verhinderten Klägers zu wahren.
  163. Die Beklagte hätte deshalb nicht nur dafür Sorge tragen müssen, dass an den
  164. in Besitz genommenen Gegenständen während der Dauer ihrer Obhut oder der
  165. anschließenden Einlagerung keine Beschädigungen oder Verluste eintreten. Es
  166. hätte ihr vielmehr schon bei Inbesitznahme oblegen, ein aussagekräftiges Verzeichnis der verwahrten Gegenstände aufzustellen und deren Wert schätzen zu
  167. lassen, um dem Kläger eine Sicherung seiner Ansprüche zu ermöglichen (vgl.
  168. BGHZ 3, 162, 172 f.).
  169. 16
  170. bb) Den hieran zu stellenden Anforderungen werden - wie die Revision
  171. mit Recht rügt - weder das von den Mitarbeitern der Beklagten gefertigte Protokoll über die Wohnungsöffnung und -inbesitznahme noch die bei dieser Gelegenheit gefertigten Lichtbilder gerecht. Dass die Beklagte ihrer Pflicht zur Verzeichnisaufnahme sonst in einer vergleichbaren Weise hinreichend nachgekommen ist, hat das Berufungsgericht bislang nicht festgestellt. Ebenso wenig
  172. hat es Feststellungen dazu getroffen, ob eine solche Verzeichnisaufnahme
  173. ausnahmsweise entbehrlich war, weil es sich - wie die Revisionserwiderung
  174. geltend macht - ersichtlich um verbrauchte und damit offenkundig wertlose (Einrichtungs-)Gegenstände gehandelt habe, an deren Dokumentierung der Mieter
  175. bereits auf den ersten Blick schlechthin kein Interesse haben konnte.
  176. -9-
  177. 17
  178. cc) Für den Fall einer jedenfalls für die revisionsrechtliche Nachprüfung
  179. zu unterstellenden Verletzung ihrer Inventarisierungs- und Schätzungspflicht ist
  180. die Beklagte deshalb zugleich verpflichtet, den Schaden auszugleichen, der
  181. darin liegt, dass der Kläger hinsichtlich Bestand, Zustand und Wert seiner (Einrichtungs-)Gegenstände zur Zeit der Inbesitznahme durch die Beklagte in Beweisnot geraten ist. Denn um dem Kläger eine vom Bestand und Wert der Sachen ausgehende Schadensberechnung auf den Zeitpunkt, als die Beklagte
  182. den Besitz ergriffen hat, zu ermöglichen, war sie verpflichtet, bei der Inbesitznahme ein vollständiges Bestandsverzeichnis aufzustellen und den Wert der
  183. darin aufgenommenen Gegenstände feststellen zu lassen. Wenn sie dem nicht
  184. nachgekommen ist, geht der dem Kläger aus einer Verletzung dieser Pflicht
  185. zustehende Schadensausgleich deshalb auch dahin, dass die Beklagte ihrerseits verpflichtet ist zu beweisen, in welchem Umfang Bestand und Wert der der
  186. Schadensberechnung zugrunde gelegten Gegenstände von den Angaben abweichen, die der Kläger hierzu gemacht hat (vgl. BGHZ 3, 162, 176), soweit die
  187. vom Kläger angesetzten Werte plausibel sind.
  188. 18
  189. b) Das Berufungsgericht hat - wie die Revision ebenfalls mit Recht
  190. rügt - auch die an eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO zu stellenden Anforderungen verkannt.
  191. 19
  192. aa) Die Annahme des Berufungsgerichts, ohne weitere Angaben des
  193. Klägers "mindestens … zu Qualität, Alter, ggf. Marke und Neuwert" der zum
  194. Ersatz gestellten Gegenstände hinge eine Schadensschätzung gemäß § 287
  195. ZPO mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft und sei deshalb unzulässig, überspannt die rechtlichen Anforderungen an die Vornahme einer solchen Schätzung. Zwar gehört die Entscheidung der Frage, ob genügende Unterlagen für die Schätzung vorhanden sind, dem Gebiet der Tatsachenwürdigung an, das dem Tatrichter vorbehalten ist und nur eingeschränkter revisions-
  196. - 10 -
  197. rechtlicher Nachprüfung unterliegt. Allerdings hat das Berufungsgericht dabei
  198. übersehen, dass § 287 ZPO dem Geschädigten nicht nur die Beweisführung,
  199. sondern auch die Darlegungslast erleichtert. Steht - wie hier - der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach fest und bedarf es
  200. lediglich der Ausfüllung zur Höhe, darf die Klage grundsätzlich nicht vollständig
  201. abgewiesen werden. Vielmehr muss der Tatrichter den Schaden im Rahmen
  202. des Möglichen schätzen. Selbst wenn der Vortrag des Geschädigten zu den
  203. Umständen, die seine Vorstellungen zur Schadenshöhe rechtfertigen sollen,
  204. Lücken oder Unklarheiten enthält, ist es in der Regel nicht gerechtfertigt, dem
  205. jedenfalls in irgendeiner Höhe Geschädigten jedweden Ersatz zu versagen. Der
  206. Tatrichter muss in diesem Fall vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen beurteilen, ob nach § 287 ZPO nicht wenigstens die Schätzung eines Mindestschadens möglich ist, und darf eine solche Schätzung erst dann gänzlich unterlassen, wenn sie mangels jeglicher konkreter Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge
  207. und daher willkürlich wäre (Senatsurteil vom 24. Juni 2009 - VIII ZR 332/07,
  208. WM 2009, 1811, Tz. 16; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991 - XII ZR 144/90,
  209. WM 1992, 36, unter 3 a m.w.N.).
  210. 20
  211. bb) Dem wird das Berufungsgericht in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
  212. 21
  213. (1) Soweit es ohne nähere Spezifizierung ausführt, „dass der Kläger bezüglich des überwiegenden Teils der geltend gemachten Schadenspositionen
  214. keine ausreichenden Angaben zur Nachvollziehbarkeit des Wertes gemacht
  215. hat", übergeht es bereits den hiernach offenbar vorhandenen kleineren Teil der
  216. Schadenspositionen, bei dem eine Schadensschätzung durchaus hätte erfolgen
  217. können und müssen. Denn in Fällen, in denen eine Schätzung des gesamten
  218. Schadens ausscheiden muss, hat der Tatrichter auch zu prüfen, ob nicht einzelne Schadensteile oder doch wenigstens ein Mindestschaden im Wege des
  219. § 287 Abs. 1 ZPO zuerkannt werden kann (BGHZ 91, 243, 257 m.w.N.).
  220. - 11 -
  221. 22
  222. (2) Darüber hinaus hat das Berufungsgericht nicht beachtet, dass es im
  223. Rahmen einer solchen Schätzung selbst nicht vorgetragene Tatsachen nach
  224. freiem Ermessen berücksichtigen und, soweit dies erforderlich ist, vor einer
  225. vollständigen Abweisung der Klage auch über den Sachvortrag hinaus in eine
  226. Aufklärung durch Sachverständigengutachten eintreten muss (Senatsurteil vom
  227. 24. Juni 2009, aaO, Tz. 20 m.w.N.). Das gilt hier umso mehr, als sich die der
  228. Schadensschätzung zu Grunde zu legenden Gegenstände jedenfalls zum weitaus überwiegenden Teil anhand der bei den Akten befindlichen Lichtbilder, welche die Mitarbeiter der Beklagten bei Inbesitznahme der Wohnung gefertigt haben, identifizieren lassen. Es liegt deshalb zumindest nicht fern, dass anhand
  229. dieser Lichtbilder und der vom Kläger dazu vorgelegten Kaufbelege und sonstigen Unterlagen auf der Grundlage entsprechender Marktkenntnisse, die sich
  230. das Berufungsgericht gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe hätte verschaffen müssen, ein bestimmter in die Schadensschätzung einzustellender Marktwert hätte ermitteln lassen.
  231. 23
  232. (3) Ebenso wenig hat das Berufungsgericht bedacht, dass bei feststehendem Verlust eines Gegenstandes, für den Ersatz zu leisten ist, mangels näherer Anhaltspunkte ein mittlerer und nicht notwendig der denkbar geringste
  233. Wert zu schätzen sein kann (BGH, Urteil vom 7. Juli 1970 – VI ZR 233/69, NJW
  234. 1970, 1970, unter B II 2 b aa m.w.N.). Soweit für die zum Ersatz gestellten gebrauchten Gegenstände kein Markt (mehr) besteht und deshalb kein Marktwert
  235. festgestellt werden kann, hätte das Berufungsgericht - und zwar selbst unter
  236. Berücksichtigung nicht vorgetragener Tatsachen (vgl. Senatsurteil vom 24. Juni
  237. 2009, aaO) - außerdem erwägen müssen, ob der betreffende Schaden nicht
  238. durch Ansatz desjenigen Preises zu schätzen ist, der - unter Abzug eines angemessenen Ausgleichs neu für alt - bei der Beschaffung eines gleichwertigen
  239. Ersatzgegenstandes angefallen wäre (vgl. BGHZ 115, 364, 368).
  240. - 12 -
  241. III.
  242. 24
  243. Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist
  244. aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst nicht abschließend entscheiden, weil weitere Feststellungen zum Umfang und zum
  245. Wert der im Zuge der Wohnungsräumung bei dem Kläger abhanden gekommenen oder beschädigten Gegenstände zu treffen sind. Die Sache ist daher an
  246. das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
  247. Ball
  248. Dr. Frellesen
  249. Dr. Achilles
  250. Dr. Hessel
  251. Dr. Schneider
  252. Vorinstanzen:
  253. AG Wiesbaden, Entscheidung vom 15.05.2008 - 91 C 5169/06-32 LG Wiesbaden, Entscheidung vom 21.01.2009 - 3 S 44/08 -