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339 lines
24 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VIII ZR 26/03
  5. Verkündet am:
  6. 9. Juli 2003
  7. Kirchgeßner
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. BGHZ:
  14. ja
  15. nein
  16. BGB §§ 564 b, 569a a.F. (jetzt: BGB §§ 577a, 563)
  17. InvErlWobauldG (Investitionserleichterungs- und
  18. 22. April 1993 (BGBl. I S. 466, 487) Art. 14
  19. Wohnbaulandgesetz)
  20. vom
  21. Wohnungseigentum ist auch dann "nach der Überlassung an den Mieter" im Sinne
  22. des § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB a.F. begründet worden, wenn der Mieter, dem
  23. gekündigt wurde, zur Zeit der Begründung des Wohnungseigentums als Angehöriger in der Wohnung lebte und mit dem Tode des damaligen Mieters kraft Gesetzes in das Mietverhältnis eingetreten ist. Der Angehörige rückt auch bezüglich der
  24. Wartefrist, die der Vermieter für eine Kündigung wegen Eigenbedarfs zu beachten
  25. hat, in die Rechtsposition des verstorbenen Mieters ein.
  26. BGH, Urteil vom 9. Juli 2003 - VIII ZR 26/03 - LG Berlin
  27. AG Schöneberg
  28. -2-
  29. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  30. vom 9. Juli 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter
  31. Dr. Hübsch, Dr. Leimert, Wiechers und Dr. Wolst
  32. für Recht erkannt:
  33. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der Zivilkammer 65
  34. des Landgerichts Berlin vom 7. Januar 2003 aufgehoben.
  35. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts
  36. Schöneberg, Abteilung 17, vom 2. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
  37. Der Kläger hat die Kosten beider Rechtsmittelzüge zu tragen.
  38. Von Rechts wegen
  39. Tatbestand:
  40. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der Kündigung eines Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs.
  41. Die Eltern der Beklagten zu 1 mieteten mit Vertrag vom 20. Februar 1952
  42. die in einem Mehrfamilienhaus gelegene Wohnung von der damaligen Eigentümerin des Hauses. Die Beklagte zu 1 lebte seitdem mit in der Wohnung. Im
  43. Jahre 1983 begründete die damalige Eigentümerin des Hauses, L.
  44. K.
  45. ,
  46. -3-
  47. Wohnungseigentum an der Wohnung, welches am 11. November 1983 in das
  48. Grundbuch eingetragen wurde. Am 20. November 1985 verstarb die von den
  49. Eltern der Beklagten zu 1 allein noch lebende Mutter. Die Beklagte zu 1 verblieb
  50. in der Wohnung.
  51. Mit Auflassung vom 13. Dezember 1995 und Eintragung im Grundbuch
  52. am 4. März 1997 erwarb der Kläger das Eigentum an der Wohnung von der
  53. Grundstückseigentümerin. Mit Schreiben vom 25. Juli 2000, den Beklagten zugegangen am 28. Juli 2000, kündigte der Kläger das Mietverhältnis zum 31. Juli
  54. 2001 mit der Begründung, er benötige die Wohnung für seine beiden Töchter.
  55. Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten zu 1 und den mit ihr in der
  56. Wohnung lebenden Angehörigen, ihrer Tochter (Beklagte zu 2) und ihrem Enkel
  57. (Beklagter zu 3), Räumung und Herausgabe der Wohnung.
  58. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Kündigung die
  59. zehnjährige Sperrfrist des § 564 b Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 BGB in Verbindung mit
  60. dem Gesetz über eine Sozialklausel in Gebieten mit gefährdeter Wohnungsversorgung (BGBl. 1993 I, S. 466, 487) und der Verordnung des Berliner Senates
  61. vom 11. Mai 1993 (GVBl. Berlin 1993, S. 216) entgegenstehe. Auf die Berufung
  62. des Klägers hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich
  63. die - vom Berufungsgericht zugelassene - Revision der Beklagten.
  64. Entscheidungsgründe:
  65. I.
  66. Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, ausgeführt:
  67. -4-
  68. Der vom Kläger geltend gemachte Eigenbedarf sei nach dem Ergebnis
  69. der Beweisaufnahme berechtigt. Das Räumungsbegehren des Klägers scheitere nicht an der Sperrfrist des § 564 b Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 BGB a.F. in Verbindung mit dem Gesetz über eine Sozialklausel in Gebieten mit gefährdeter Wohnungsversorgung und der Verordnung des Berliner Senats vom 11. Mai 1993
  70. (GVBl. Berlin 1993, S. 216). Ob die Verordnung wegen sich abzeichnender
  71. nachhaltiger Entspannung des Wohnungsmarktes in B.
  72. entsprechend der
  73. Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin zur 2. Zweckentfremdungsverbot-Verordnung vom 15. März 1994 ab dem 1. September 2000 wegen
  74. Verfassungswidrigkeit außer Kraft getreten sei, könne dahin gestellt bleiben,
  75. weil die Kündigung bereits zuvor am 25. Juli 2000 ausgesprochen worden sei.
  76. Entscheidend für die Anwendung der Kündigungssperrfristen sei jedoch
  77. die zeitliche Aufeinanderfolge von Überlassung der Wohnung, Begründung von
  78. Wohnungseigentum und dessen Veräußerung. Die Wohnung sei der Beklagten
  79. zu 1 bei der Begründung des Wohnungseigentums nicht überlassen gewesen.
  80. Die Überlassung müsse nämlich aufgrund eines Mietvertrages erfolgt sein. Die
  81. Beklagte zu 1 habe die Wohnung bis zum Tod ihrer Mutter aber nicht als Mieterin, sondern lediglich als Angehörige der Hauptmieterin genutzt. Auch nach dem
  82. Sinn der Regelung müsse es auf den Zeitpunkt ankommen, zu dem der Mieter
  83. die Wohnung als "eigene" übernehme. Dies ergebe sich schließlich auch aus
  84. § 570 b Abs. 3 BGB a.F., denn dieser Regelung bedürfte es nicht, wenn ein
  85. Überlassen der Wohnung schon ab dem Zeitpunkt gegeben wäre, zu dem der
  86. später eintretende Mieter die Wohnung bewohnt hat.
  87. -5-
  88. II.
  89. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung in dem entscheidenden Punkt nicht stand.
  90. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, daß für die auf Eigenbedarf gestützte Kündigung des Klägers vom 25. Juli 2000 die zehnjährige
  91. Wartefrist des Gesetzes über eine Sozialklausel in Gebieten mit gefährdeter
  92. Wohnungsversorgung (Art. 14 des Gesetzes zur Erleichterung von Investitionen
  93. und der Ausweisung und Bereitstellung von Wohnbauland vom 22. April 1993,
  94. BGBl. I, S. 466, 487 - im folgenden: Sozialklauselgesetz) in Verbindung mit der
  95. Verordnung des Berliner Senats vom 11. Mai 1993 (GVBl. Berlin 1993, S. 216)
  96. keine Anwendung findet.
  97. 1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts.
  98. Sowohl der Tatbestand des § 564 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 und 3 BGB a.F.
  99. als auch der Tatbestand von Satz 2 Nr. 1 des Sozialklauselgesetzes, die nach
  100. Art. 229 § 3 Abs. 6 EGBGB auf das Mietverhältnis der Parteien bis zum
  101. 31. August 2004 weiter anzuwenden sind, setzen voraus, daß nach der Überlassung der Wohnräume an den Mieter Wohnungseigentum begründet und danach dieses Wohnungseigentum veräußert wurde (vgl. etwa Grapentin, in:
  102. Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., Kap. IV
  103. Rdnr. 67 b, und Schmidt-Futterer/Blank, Wohnraumschutzgesetze, 7. Aufl.,
  104. Rdnr. 140 ff., jew. m.w.Nachw.). Richtig ist auch die Meinung des Berufungsgerichts, eine Überlassung der Wohnräume im Sinne der genannten Vorschriften
  105. liege nur dann vor, wenn die Einräumung des Besitzes aufgrund eines Mietvertrages mit dem Bewohner erfolge und es dementsprechend nicht ausreiche,
  106. daß die Räume bei Begründung des Wohnungseigentums aufgrund eines anderen Rechtsverhältnisses genutzt würden. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut
  107. -6-
  108. der Vorschriften ("Überlassung an den Mieter") und steht in Übereinstimmung
  109. mit dem Zweck der Regelungen (allgemeine Meinung, vgl. z.B. SchmidtFutterer/Blank, aaO, Rdnr. 143 m.w.Nachw.; siehe auch BGHZ 65, 137, 139 f.).
  110. 2. Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht dem Umstand keine Bedeutung beigemessen, daß die Wohnung zum Zeitpunkt der Begründung des
  111. Wohnungseigentums der Mutter der Beklagten zu 1 als Mieterin überlassen war
  112. und die Beklagte zu 1 nach deren Tod gemäß § 569 a Abs. 2 BGB a.F.
  113. (Art. 229 § 3 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB) in das Mietverhältnis eingetreten ist. Dieser
  114. gesetzliche Eintritt in ein Mietverhältnis, bei dem nach Überlassung der Mietsache an den Mieter Wohnungseigentum bereits begründet, aber noch nicht veräußert worden ist, hat zur Folge, daß die erst mit der Veräußerung des Wohnungseigentums beginnende Wartefrist für eine Kündigung wegen Eigenbedarfs auch für die Kündigung gegenüber eingetretenen Familienangehörigen
  115. gilt.
  116. a) Nach § 569 a Abs. 2 BGB a.F. tritt der im gemeinsamen Hausstand
  117. mit dem Mieter lebende Familienangehörige in das beim Tod des Mieters bestehende Mietverhältnis ein. Nach dem Gesetz entsteht kein neues Mietverhältnis, sondern das bisherige Mietverhältnis wird, abgesehen vom Wechsel in der
  118. Person des Mieters, unverändert fortgesetzt. Der Familienangehörige tritt deshalb grundsätzlich in vollem Umfang in die Rechtsstellung des bisherigen Mieters ein (Staudinger/Sonnenschein (1997) § 569 a Rdnr. 17 und 22; ähnlich:
  119. Erman/Jendrek, BGB, 10. Aufl., § 569a Rdnr. 5; Soergel/Heintzmann, BGB,
  120. § 569 a Rdnr. 8; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl., Kap. I Rdnr. 94). Ist in der Zeit zwischen der Überlassung der Wohnung an den bisherigen Mieter, aber vor dessen Tod, die Wohnung in Wohnungseigentum umgewandelt worden, so waren
  121. schon zu Lebzeiten des verstorbenen Mieters die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß im Fall der Veräußerung der Wohnung für eine Kündigung des
  122. -7-
  123. Erwerbers wegen Eigenbedarfs die Wartefristen nach §§ 564 b Abs. 2 Satz 2
  124. und 3 BGB a.F. bzw. nach Satz 2 Nr. 1 des Sozialklauselgesetzes eingreifen.
  125. Der sich aus diesen Vorschriften für den Mieter ergebende Kündigungsschutz
  126. ist in diesem Fall bereits vor dem Eintritt des Familienangehörigen in das Mietverhältnis angelegt gewesen. Wird deshalb das schon gebildete Wohnungseigentum nach dessen Eintritt in das Mietverhältnis veräußert, so kommt es für
  127. die nach § 564 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 BGB a.F. und nach Satz 2 Nr. 1 des
  128. Sozialklauselgesetzes erforderliche Voraussetzung, daß Wohnungseigentum
  129. erst nach der "Überlassung an den Mieter" gebildet worden ist, nicht auf die
  130. Überlassung an den eingetretenen Familienangehörigen, sondern auf die
  131. Überlassung an den verstorbenen ursprünglichen Mieter an (vgl. auch Grapentin, aaO, Kap. IV Rdnr. 59).
  132. b) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, aus der Regelung des
  133. § 570 b Abs. 1 und 3 BGB a.F. ergebe sich im Umkehrschluß, daß die Überlassung der Mietsache an den verstorbenen Mieter dem eintretenden Familienangehörigen nicht zugute kommen könne. Die Regelung des § 570 b Abs. 3 BGB
  134. a.F., wonach ein in der Person des verstorbenen Mieters bei Umwandlung in
  135. Wohnungseigentum entstandenes Vorkaufsrecht auf den eintretenden Ehegatten oder Familienangehörigen übergeht, hat jedoch neben dem Vertragseintritt
  136. nach § 569 a Abs. 1 und 2 BGB eine eigenständige Bedeutung. Denn nach
  137. dem Grundsatz des § 514 BGB a.F. (= § 473 BGB n.F.) ist ein Vorkaufsrecht
  138. grundsätzlich nicht übertragbar. Ohne die Regelung des § 570 b Abs. 3 BGB
  139. a.F. wäre darum zumindest zweifelhaft, ob der Familienangehörige mit dem
  140. Eintritt in das Mietverhältnis auch das in der Person des bisherigen Mieters entstandene Vorkaufsrecht erwirbt. Die dem § 570 b Abs. 3 BGB a.F. zugrundeliegende Wertung, wonach zur Wahrung der Schutzfunktion des Vorkaufsrechts
  141. nach Umwandlungen ein beim Tod des Mieters entstandenes, aber noch nicht
  142. ausgeübtes Vorkaufsrecht den nach § 569 a Abs. 1 und 2 BGB a.F. in den Ver-
  143. -8-
  144. trag eintretenden Personen zugute kommen soll (vgl. Beschlußempfehlung und
  145. Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Städtebauwesen und Städtebau zu
  146. § 2 b Abs. 2 Satz 2 WoBindG, BT-Drucks. 8/3403, S. 41), spricht im übrigen
  147. dafür, dem eintretenden Familienangehörigen auch den durch die frühere Umwandlung schon angelegten Kündigungsschutz für den Fall des Verkaufs des
  148. Wohnungseigentums zuzubilligen.
  149. c) Dieses aus dem Wortlaut des § 569 a Abs. 2 BGB a.F. und dem Gesetzeszusammenhang folgende Ergebnis steht auch im Einklang mit Sinn und
  150. Zweck sowohl des § 569 a BGB a.F. einerseits als auch dem des § 564 b
  151. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 bis 4 BGB a.F. und des Sozialklauselgesetzes andererseits.
  152. aa) § 569 a Abs. 2 BGB a.F. dient dem Schutz der mit dem Mieter familienrechtlich verbundenen Hausgenossen. Da sie ebenso wie der Mieter ihren
  153. Lebensmittelpunkt in der Wohnung haben, wird beim Tod des Mieters der diesem zukommende Bestandsschutz auf die Hausgenossen erstreckt (vgl. etwa
  154. Heile, in: Bub/Treier, aaO, Kap. II Rdnr. 843; Staudinger/Sonnenschein, aaO,
  155. § 569 a Rdnr. 4). Ist noch zu Lebzeiten des verstorbenen Mieters die Wohnung
  156. in eine Eigentumswohnung umgewandelt worden, so konnte der verstorbene
  157. Mieter davon ausgehen, daß bei einem Verkauf der Wohnung der Erwerber
  158. wegen Eigenbedarfs erst nach Ablauf der Wartefristen des § 564 b Abs. 2 Nr. 2
  159. Satz 2 oder 3 BGB oder des Sozialklauselgesetzes wirksam kündigen kann.
  160. Dies ist eine den Bestand seines Mietverhältnisses sichernde Rechtsposition,
  161. deren Übergang auf den eintretenden Familienangehörigen nach dem genannten Zweck des § 569 a BGB a.F. gerechtfertigt ist. Dadurch wird andererseits
  162. der veräußernde Vermieter nicht unbillig belastet. Denn es ist kein Grund dafür
  163. ersichtlich, warum der zufällige Umstand des Todes des Mieters zwischen erfolgter Umwandlung in Wohnungseigentum und geplanter Veräußerung dem
  164. -9-
  165. Vermieter den Vorteil verschaffen soll, eine mit der Wartefrist nicht mehr belastete Eigentumswohnung veräußern zu können.
  166. bb) Die Wartefristen des § 564 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 und 3 BGB
  167. a.F. sowie des Satzes 2 Nr. 1 des Sozialklauselgesetzes dienen dem Schutz
  168. des Mieters einer in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Wohnung davor, daß
  169. durch die nachträgliche Umwandlung der Wohnung in Wohnungseigentum und
  170. deren Verkauf ein verstärktes Bedürfnis für eine Eigennutzung des Vermieters
  171. geschaffen wird, mit dem der Mieter bei Abschluß des Mietvertrages noch nicht
  172. zu rechnen brauchte (vgl. Lammel, Wohnraummietrecht, 1. Aufl., § 564 b
  173. Rdnr. 91; Staudinger/Sonnenschein, aaO, § 564 b Rdnr. 100 f., 109 jew.
  174. m.w.Nachw.). Dieser Gedanke gilt in gleicher Weise auch für Familienangehörige, die in die geschützte Rechtsposition eintreten. Dies wird durch Satz 2 Nr. 2
  175. Sozialklauselgesetz bestätigt, wonach für den bei einer besonderen Härte über
  176. die 10-Jahresfrist hinausgehenden Kündigungsschutz auch die Härte für ein bei
  177. dem Mieter "lebendes Mitglied seiner Familie" zu berücksichtigen ist.
  178. 3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus einem anderen rechtlichen Grund als richtig dar (§ 561 ZPO).
  179. Das Berufungsgericht konnte es ohne Rechtsfehler offenlassen, ob die
  180. Verordnung des Berliner Senats vom 11. Mai 1993 (GVBl. Berlin 1993, S. 216),
  181. in welcher auf der Grundlage des Sozialklauselgesetzes B.
  182. als ein Gebiet
  183. bestimmt wird, in dem die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen gefährdet ist, entsprechend der
  184. vom Oberverwaltungsgericht Berlin im Urteil vom 13. Juni 2002 (GE 2002,
  185. 1128) zur Zweckentfremdungsverordnung für Berlin nach Art. 6 § 1 Abs. 1
  186. Satz 1 des Gesetzes zur Verbesserung des Mietrechts vom 4. November 1971
  187. (BGBl. I, S. 1745) vertretenen Auffassung zum 1. September 2001 außer Kraft
  188. - 10 -
  189. getreten ist, weil die Voraussetzungen der gesetzlichen Ermächtigung in Berlin
  190. nicht mehr vorgelegen haben. Denn die Kündigung des Klägers vom 25. Juli
  191. 2000 ist den Beklagten am 28. Juli 2000 zugegangen und damit zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die genannte Verordnung auch nach dieser Auffassung
  192. noch wirksam gewesen ist. Ohne Erfolg rügt demgegenüber die Revisionserwiderung, das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, daß die Kündigung des
  193. Klägers vom 25. Juli 2000 in eine Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt
  194. umzudeuten sei, darüber hinaus der Kläger seine Kündigung mit der Klageerhebung und der Antragstellung im Berufungsverfahren zum nächstmöglichen
  195. Zeitpunkt wiederholt habe und aus diesen Gründen der Räumungsanspruch
  196. jedenfalls nunmehr begründet sei.
  197. a) Ob die am 25. Juli 2000 zum 31. Juli 2001 ausgesprochene Kündigung in eine Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt umzudeuten ist, kann
  198. dahingestellt bleiben, weil auch in diesem Fall der Kündigung die zehnjährige
  199. Sperrfrist nach Satz 2 Nr. 1 des Sozialklauselgesetzes (zur Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes vgl. BGHZ 146, 49, 57 f.) in Verbindung mit der zum Zeitpunkt des Zugangs noch gültigen Verordnung des Berliner Senats vom 11. Mai
  200. 1993 (aaO) und die fünfjährige Sperrfrist des § 564 b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Satz 3
  201. BGB a.F. in Verbindung mit der erst am 1. Oktober 2000 außer Kraft getretenen
  202. Verordnung des Berliner Senats vom 22. September 1995 (GVBl. Berlin 1995,
  203. S. 632) entgegenstünden.
  204. Nach ganz überwiegender und zutreffender Meinung in Rechtsprechung
  205. und Literatur darf nämlich nach beiden vorgenannten Vorschriften der Vermieter
  206. die Kündigung erst nach dem Ablauf der jeweiligen Wartefrist erklären. Die Frist
  207. muß zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bereits abgelaufen
  208. sein, der Vermieter kann nicht während der Wartezeit - unter Beachtung der
  209. Kündigungsfristen des § 565 Abs. 2 BGB a.F. - zu deren Ablauf kündigen (Gra-
  210. - 11 -
  211. pentin, aaO, Kap. IV Rdnr. 76 a und 76 c; Palandt/Weidenkaff, BGB, 60. Aufl.,
  212. § 564 b Rdnr. 51; Schmidt-Futterer/Blank, aaO, § 564 b Rdnr. 150 und 159;
  213. Staudinger/Sonnenschein, aaO, § 564 b Rdnr. 107, ebenso auch zur entsprechenden Vorschrift § 577 a Abs. 2 BGB n.F.: Bamberger/Roth/Reick, BGB,
  214. § 577 a Rdnr. 15; Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl., § 577 a Rdnr. 12).
  215. Dieses Verständnis von § 564 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 und 3 BGB a.F. und
  216. von Satz 2 Nr. 1 Sozialklauselgesetz entspricht insbesondere dem in der Gesetzgebungsgeschichte der Vorschriften zum Ausdruck gekommenen Willen
  217. des Gesetzgebers: Das Oberlandesgericht Hamm hatte in einem Rechtsentscheid vom 13. Dezember 1980 (OLG Hamm (RE) NJW 1981, 584 = WuM
  218. 1981, 34) zur Dreijahresfrist nach § 564 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 BGB, anknüpfend an den Gesetzeswortlaut, wonach sich der Vermieter erst "nach Ablauf von drei Jahren" auf berechtigte Interessen "berufen" kann, entschieden,
  219. daß die Kündigung wirksam nicht vor Ablauf der Wartefrist ausgesprochen werden darf und für die nach Ablauf ausgesprochene Kündigung zusätzlich die Fristen des § 565 Abs. 2 BGB a.F. gelten. Dieser Auslegung hat sich der Gesetzgeber bei der Einfügung der Sätze 3 und 4 in § 564 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB
  220. a.F. durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Mieters vom
  221. 20. Juli 1990 (BGBl. I S. 1456) ausdrücklich angeschlossen (Gesetzentwurf des
  222. Bundesrates, BT-Drucks. 11/6374, S. 7). Für das Sozialklauselgesetz gilt nichts
  223. anderes. Zwar unterscheidet sich dessen Wortlaut in Satz 2 Nr. 1 von § 564 b
  224. Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB a.F. dadurch, daß berechtigte Interessen bis zum Ablauf der Frist "nicht berücksichtigt" werden. Damit ist aber kein sachlicher Unterschied zu § 564 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 BGB beabsichtigt, denn die unterschiedliche Formulierung beruht allein darauf, daß die Vorschrift ursprünglich
  225. nicht als Sperrfrist konzipiert worden war (vgl. BayObLG NJW-RR 1995, 1034
  226. = BayObLGZ 1995, 131 unter I 2 b cc m.w.Nachw.).
  227. - 12 -
  228. Die Kündigung des Klägers wegen Eigenbedarfs vom 25. Juli 2000 ist
  229. mithin schon deshalb unwirksam, weil ihr zum Zeitpunkt des Zugangs des Kündigungsschreibens am 28. Juli 2000 sowohl die fünfjährige Sperrfrist des
  230. § 564 b Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 BGB a.F. als auch die zehnjährige Sperrfrist nach
  231. Satz 2 Nr. 1 des Sozialklauselgesetzes entgegenstanden. Die Unwirksamkeit
  232. dieser Kündigungserklärung würde auch dann nicht beseitigt, wenn die Geltung
  233. der Sperrfristen nachträglich mit Wirkung für die Zukunft weggefallen wäre. Das
  234. Mietverhältnis der Parteien ist deshalb durch die Kündigung vom 25. Juli 2000
  235. nicht beendet worden, selbst wenn sie in eine Kündigung zum nächstmöglichen
  236. Zeitpunkt umgedeutet würde.
  237. b) Aus dem von der Revisionserwiderung aufgezeigten Vorbringen ergibt
  238. sich nicht, daß der Kläger nach dem 1. September 2000 in den Tatsacheninstanzen des vorliegenden Rechtsstreits aus denselben Gründen wie im Kündigungsschreiben vom 25. Juli 2000 erneut gekündigt hat. Zwar kann in der Erhebung einer Räumungsklage und in weiteren Prozeßhandlungen eines Räumungsrechtsstreits eine schlüssige Kündigungserklärung liegen. Dies setzt jedoch voraus, daß mit hinreichender Deutlichkeit der Wille des Klägers erkennbar ist, die Prozeßhandlung solle nicht lediglich der Durchsetzung einer bereits
  239. außerprozessual erklärten Kündigung dienen, sondern daneben auch eine materiell-rechtliche Willenserklärung enthalten (BGH, Urteil vom 6. November 1996
  240. - XII ZR 60/95, NJW-RR 1997, 203 unter 2 b; vgl. auch BayObLG NJW 1981,
  241. 2197). Auf einen solchen Willen des Vermieters kann, wenn - wie hier - bereits
  242. vorprozessual gekündigt worden ist, in der Regel nur dann geschlossen werden, wenn er sich bei der Klageerhebung oder einer weiteren prozessualen Erklärung für seinen Räumungsanspruch auf neue Kündigungsgründe oder auf
  243. andere Umstände stützt, die die erneute Kündigung für den Fall, daß die erste
  244. Kündigung unwirksam gewesen sein sollte, von seinem Standpunkt aus als
  245. aussichtsreich erscheinen lassen. Ein solches Vorbringen zeigt die Revisions-
  246. - 13 -
  247. erwiderung weder für die am 23. Juni 2001 zugestellte Klageschrift noch im Zusammenhang mit dem Berufungsantrag in der mündlichen Verhandlung vom
  248. 2. Juli 2002 auf, der als solcher auch dem Schriftformerfordernis des § 568
  249. BGB n.F. nicht genügen würde. Nach dem Berufungsurteil hat der Kläger vielmehr in beiden Instanzen ausschließlich die Wirksamkeit seiner Kündigung vom
  250. 25. Juli 2000 verteidigt und hierzu die Auffassung vertreten, die Sperrfristen des
  251. § 564 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB a.F. und des Sozialklauselgesetzes hätten
  252. dieser Kündigung nicht entgegengestanden. Daß das Berufungsgericht Sachvortrag des Klägers hierzu übergangen hat, wird von der Revisionserwiderung
  253. nicht gerügt.
  254. c) Auch die vom Kläger in der Revisionserwiderung vorsorglich unter Bezugnahme auf die Gründe im Kündigungsschreiben vom 25. Juli 2000 erklärte
  255. erneute Kündigung des Mietverhältnisses zum nächstmöglichen Termin vermag
  256. seiner Räumungsklage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Diese Kündigungserklärung ist nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der Revisionsinstanz unbeachtlich.
  257. Zwar können aus prozeßökonomischen Gründen ausnahmsweise nach Abschluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz eingetretene und für die materiell-rechtliche Beurteilung bedeutsame Tatsachen in der
  258. Revisionsinstanz berücksichtigt werden, wenn sie unstreitig sind und schutzwürdige Belange der Gegenpartei nicht entgegenstehen (vgl. BGHZ 139, 214,
  259. 220 ff. und BGH, Urteil vom 12. Januar 2001 - V ZR 372/99, NJW 2001, 1272
  260. unter II 3 d, jew. m.w.Nachw.). Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht
  261. vor, weil bei Berücksichtigung der Kündigung eine abschließende Entscheidung
  262. des Revisionsgerichts nicht möglich ist. Das Berufungsgericht hat zu der Frage, ob die Voraussetzungen für den Erlaß der Verordnung des Berliner Senats
  263. vom 11. Mai 1993 (GVBl. Berlin 1993, S. 216) nachträglich weggefallen sind,
  264. keine Feststellungen getroffen. Für die Beurteilung der Berechtigung des Räumungsbegehrens aufgrund der nunmehr erklärten Kündigung müßte der
  265. - 14 -
  266. Rechtsstreit deshalb an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Die
  267. Zulassung neuen Vorbringens im Revisionsverfahren würde deshalb keine rasche und endgültige Streitbereinigung herbeiführen, und es ist deshalb nicht
  268. unbillig, den Kläger für die Durchsetzung seiner erneuten Kündigung auf einen
  269. weiteren Prozeß zu verweisen (vgl. auch BGHZ 139, 214, 221 f.).
  270. III.
  271. Das Berufungsurteil ist demgemäß aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da
  272. die Kündigungserklärung vom 25. Juli 2000, auf die der Kläger sein Räumungsverlangen stützt, nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt
  273. unwirksam ist, weil bei deren Zugang die genannten Wartefristen noch nicht
  274. abgelaufen waren, ist die Sache zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
  275. Der Senat hat deshalb in der Sache selbst zu entscheiden und die Berufung
  276. - 15 -
  277. des Klägers gegen das erstinstanzliche klageabweisende Urteil zurückzuweisen.
  278. Dr. Deppert
  279. Dr. Hübsch
  280. Wiechers
  281. Dr. Wolst
  282. Dr. Deppert für den
  283. wegen urlaubsbedingter Abwesenheit an
  284. der Unterschriftsleistung verhinderten
  285. Richter am Bundesgerichtshof
  286. Dr. Leimert.
  287. 4.8.2003