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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VIII ZR 152/12
  5. Verkündet am:
  6. 19. Dezember 2012
  7. Vorusso,
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 535 Abs. 1 Satz 2, § 536
  19. a) Zu den Voraussetzungen einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung in Bezug auf die Mietsache (im Anschluss an BGH, Urteil vom 23. September 2009
  20. - VIII ZR 300/08, NJW 2010, 1133).
  21. b) Fehlt es an einer Beschaffenheitsvereinbarung, bestimmt sich der zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand der Mietsache nach der Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des
  22. Grundsatzes von Treu und Glauben.
  23. c) Eine vorübergehende erhöhte Verkehrslärmbelastung aufgrund von Straßenbauarbeiten stellt unabhängig von ihrer zeitlichen Dauer jedenfalls dann, wenn sie
  24. sich innerhalb der in Innenstadtlagen üblichen Grenzen hält, keinen zur Minderung
  25. berechtigenden Mangel der vermieteten Wohnung dar.
  26. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2012 - VIII ZR 152/12 - LG Berlin
  27. AG Berlin-Pankow/Weißensee
  28. -2-
  29. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  30. vom 19. Dezember 2012 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter
  31. Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Hessel sowie die Richter Dr. Achilles und
  32. Dr. Schneider
  33. für Recht erkannt:
  34. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der Zivilkammer 65
  35. des Landgerichts Berlin vom 17. April 2012 im Kostenpunkt und
  36. insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt
  37. worden ist.
  38. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts
  39. Pankow/Weißensee vom 22. März 2011 wird zurückgewiesen.
  40. Die Beklagten haben die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu
  41. tragen.
  42. Von Rechts wegen
  43. Tatbestand:
  44. 1
  45. Die Beklagten sind seit dem Jahr 2004 Mieter einer Wohnung der Klägerin in Berlin. Das Mietshaus befindet sich in der S.
  46. keine unmittelbare Verbindung mit der davor liegenden P.
  47. , die zu Mietbeginn
  48. S.
  49. hat-
  50. te. Von Juni 2009 bis November 2010 wurde der stadteinwärts fahrende Ver-
  51. -3-
  52. kehr, den bis dahin die P.
  53. S.
  54. S.
  55. aufgenommen hatte, über die
  56. geleitet, die zu diesem Zweck als Einbahnstraße und mit einem
  57. direkten Zugang zur P.
  58. S.
  59. ausgestattet wurde. Der Grund für die
  60. geänderte Verkehrsführung lag in (vorübergehenden) umfangreichen Straßenbauarbeiten auf der gesamten Länge der P.
  61. S.
  62. . Die Beklagten
  63. minderten wegen der gestiegenen Lärmbelastung die Miete ab Oktober 2009.
  64. 2
  65. Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin die Beklagten auf Zahlung rückständiger Miete von Oktober 2009 bis November 2010 in Höhe von insgesamt
  66. 1.386,19 € nebst Zinsen in Anspruch. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das amtsgerichtliche
  67. Urteil abgeändert und die Verurteilung der Beklagten - unter Klageabweisung
  68. im Übrigen - auf 553,22 € nebst Zinsen ermäßigt. Mit der vom Berufungsgericht
  69. zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
  70. Entscheidungsgründe:
  71. 3
  72. Die Revision hat Erfolg.
  73. I.
  74. 4
  75. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
  76. 5
  77. Die von den Beklagten zu zahlende Miete sei ab 1. Dezember 2009 gemäß § 536 Abs. 1 Satz 2 BGB um 10 % gemindert, weil die Lärmbelästigung
  78. durch die umgeleiteten Verkehrsströme erheblich über dem bei Vertragsschluss
  79. -4-
  80. stillschweigend vereinbarten Zustand liege. Für die Monate Oktober und November 2009 stehe den Beklagten dagegen kein Recht auf Minderung zu.
  81. 6
  82. Zwar sei es anerkannt, dass Beeinträchtigungen des vertragsgemäßen
  83. Gebrauchs durch Baulärm, auch von Straßenbaustellen, zu einer Mietminderung führen könnten. Die Kammer halte es jedoch in Anlehnung an vorangegangene Instanzrechtsprechung (AG Fürth, WuM 2007, 317; AG Frankfurt/
  84. Oder, ZMR 2003, 268) für angemessen, mittelbare Beeinträchtigungen durch
  85. hoheitliche Straßenbaumaßnahmen - wie hier die erhöhte Lärmbelastung aufgrund der temporären Umleitung von Verkehrsströmen - grundsätzlich als das
  86. allgemeine Lebensrisiko eines jeden Bürgers einzuordnen, dessen Folgen ihn
  87. nicht zur Minderung der Miete berechtigten. Dies finde jedoch dort seine Grenze, wo die Beeinträchtigungen den zeitlichen Umfang dessen überschritten,
  88. womit ein Mieter als allgemeines Lebensrisiko rechnen müsse. Diese Grenze
  89. sei bei straßenbaubedingten Lärmbelästigungen nach Ablauf von sechs Monaten ab Beginn der erhöhten Lärmbelastung zu ziehen.
  90. II.
  91. 7
  92. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hält rechtlicher Nachprüfung
  93. nicht in allen Punkten stand. Den Beklagten steht entgegen der Auffassung des
  94. Berufungsgerichts hinsichtlich des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums
  95. kein Recht auf Minderung der vereinbarten Miete zu.
  96. 8
  97. 1. Gemäß § 536 Abs. 1 BGB ist die vereinbarte Miete kraft Gesetzes
  98. gemindert, wenn die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen
  99. Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt
  100. oder (erheblich) mindert, oder ein solcher Mangel während der Mietzeit entsteht. Ein derartiger Mangel ist dann gegeben, wenn der tatsächliche Zustand
  101. der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweicht. Der vertrag-
  102. -5-
  103. lich geschuldete Zustand bestimmt sich in erster Linie nach den Beschaffenheitsvereinbarungen der Mietvertragsparteien (Senatsurteile vom 23. September 2009 - VIII ZR 300/08, NJW 2010, 1133 Rn. 11; vom 17. Juni 2009 - VIII ZR
  104. 131/08, NJW 2009, 2442 Rn. 9; vom 6. Oktober 2004 - VIII ZR 355/03, NJW
  105. 2005, 218 unter II 1), die auch durch schlüssiges Verhalten (konkludent) getroffen werden können (Senatsurteil vom 23. September 2009 - VIII ZR 300/08,
  106. aaO Rn. 14; Senatsbeschluss vom 2. November 2006 - VIII ZR 52/05, WuM
  107. 2005, 774 Rn. 2). Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung können dabei auch Umstände sein, die von außen auf die Mietsache unmittelbar einwirken (sog. Umweltfehler; vgl. zu diesem Begriff: MünchKommBGB/Häublein,
  108. 6. Aufl., § 536 Rn. 14 f.; Bamberger/Roth/Ehlert, BGB, 3. Aufl., § 536 Rn. 29a;
  109. Staudinger/Emmerich, BGB, Neubearb. 2011, § 536 Rn. 26 ff.; Soergel/
  110. Heintzmann, BGB, 13. Aufl., § 536 Rn. 8 ff.), wie etwa Immissionen, denen die
  111. Mietsache ausgesetzt ist (vgl. Senatsurteil vom 23. September 2009 - VIII ZR
  112. 300/08, aaO Rn. 12 ff:, BGH, Urteil vom 21. September 2005 - XII ZR 66/03,
  113. NJW 2006, 899 Rn. 19). Soweit Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache fehlen, wird der zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand unter
  114. Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von
  115. Treu und Glauben (§ 242 BGB) nach der Verkehrsanschauung bestimmt (vgl.
  116. Senatsurteil vom 23. September 2009 - VIII ZR 300/08, aaO; BGH, Urteil vom
  117. 10. Mai 2006 - XII ZR 23/04, NZM 2006, 582 Rn. 10).
  118. 9
  119. 2. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben begegnet die Auffassung
  120. des Berufungsgerichts, die gegenüber dem Zustand bei Vertragsschluss in der
  121. Wohnung vernehmbare erhöhte Lärmbelastung stelle jedenfalls ab dem siebten
  122. Monat seit dem Entstehen der erhöhten Lärmwerte einen zur Minderung berechtigenden Mangel der Mietsache dar, durchgreifenden Bedenken.
  123. -6-
  124. 10
  125. a) Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die vom Berufungsgericht
  126. nicht näher begründete Annahme, die Parteien hätten bei Abschluss des Mietvertrages hinsichtlich zukünftiger, von Dritten verursachter Lärmbelästigungen
  127. den zur Zeit des Vertragsschlusses bestehenden Zustand für die gesamte Dauer des auf unbestimmte Zeit geschlossenen Mietvertrags als unverändert bestehend bleibend "stillschweigend vereinbart". Auch eine konkludente Vereinbarung setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Für die Annahme einer solchen Willensübereinstimmung bezüglich eines sogenannten Umweltfehlers reicht es jedoch nicht aus, dass der Mieter bei Vertragsschluss einen von außen auf die Mietsache einwirkenden Umstand - wie hier den in der
  128. Wohnung zu vernehmenden Straßenlärm - in einer für ihn vorteilhaften Weise
  129. wahrnimmt (etwa: "ruhige Lage") und er sich (möglicherweise auch) wegen dieses Umstands dafür entscheidet, die Wohnung anzumieten. Zur konkludent geschlossenen Beschaffenheitsvereinbarung wird dieser Umstand vielmehr nur,
  130. wenn der Vermieter aus dem Verhalten des Mieters nach dem objektiv zu bestimmenden Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) erkennen musste, dass der
  131. Mieter die Fortdauer dieses bei Vertragsschluss bestehenden Umstands über
  132. die unbestimmte Dauer des Mietverhältnisses hinweg als maßgebliches Kriterium für den vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung ansieht, und der Vermieter dem zustimmt. Eine einseitig gebliebene Vorstellung des Mieters genügt für
  133. die Annahme einer diesbezüglichen Willensübereinstimmung selbst dann nicht,
  134. wenn sie dem Vermieter bekannt ist. Erforderlich ist jedenfalls, dass der Vermieter darauf in irgendeiner Form zustimmend reagiert (vgl. Senatsurteil vom
  135. 23. September 2009 - VIII ZR 300/08, aaO Rn. 14). Die Voraussetzungen, unter
  136. denen hiernach eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung angenommen
  137. werden kann, ergeben sich weder aus den vom Berufungsgericht getroffenen
  138. Feststellungen noch aus den sonstigen Umständen.
  139. -7-
  140. 11
  141. b) Auch die Bestimmung des zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustands nach der Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242
  142. BGB) führt nicht dazu, dass in der durch die straßenbaubedingte Umleitung des
  143. Verkehrs verursachten erhöhten Lärmbelastung ein Mangel zu sehen wäre, der
  144. die Beklagten in dem streitgegenständlichen Zeitraum zur Minderung berechtigte.
  145. 12
  146. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts, auf die das Berufungsgericht in seinem Urteil Bezug nimmt, stellen die von den Beklagten
  147. vorgetragenen (gegenüber den Verhältnissen bei Vertragsschluss erhöhten)
  148. Lärmwerte, ausgehend von der im Berliner Mietspiegel 2009 aufgestellten
  149. Grenze der Verkehrslärmbelastung, keine hohe Belastung dar. Unter Berücksichtigung dessen, dass sich die vermietete Wohnung in der Berliner Innenstadt
  150. befindet, mithin in einer Lage, bei der jederzeit mit Straßenbauarbeiten größeren Umfangs und längerer Dauer zu rechnen ist, haben die Beklagten diese
  151. (erhöhte) Lärmbelastung redlicherweise hinzunehmen. Davon ist im Ansatz
  152. auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen. Für seine Annahme, die
  153. vereinbarte Miete sei ab dem siebten Monat nach Eintreten der erhöhten Lärmbelastung gemindert, ist ein sachlicher Grund nicht erkennbar. Denn eine
  154. vorübergehende erhöhte Lärmbelastung stellt unabhängig von ihrer zeitlichen
  155. Dauer jedenfalls dann, wenn sie sich - wie hier - innerhalb der in Berliner Innenstadtlagen üblichen Grenzen hält, keinen zur Minderung berechtigenden Mangel dar.
  156. III.
  157. 13
  158. Nach alledem kann das Berufungsurteil, soweit die Klage abgewiesen
  159. worden ist, keinen Bestand haben; es ist daher insoweit aufzuheben (§ 562
  160. Abs. 1 ZPO). Da weitere tatrichterliche Feststellungen nicht zu treffen sind und
  161. -8-
  162. der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst
  163. zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Wiederherstellung des die
  164. Klage im vollen Umfang zusprechenden amtsgerichtlichen Urteils durch Zurückweisung der Berufung.
  165. Ball
  166. Richter am BGH Dr. Frellesen
  167. ist dienstunfähig erkrankt und
  168. daher gehindert zu unterschreiben.
  169. Dr. Hessel
  170. Ball
  171. Karlsruhe, den 16.01.2013
  172. Dr. Achilles
  173. Dr. Schneider
  174. Vorinstanzen:
  175. AG Berlin-Pankow/Weißensee, Entscheidung vom 22.03.2011 - 8 C 413/10 LG Berlin, Entscheidung vom 17.04.2012 - 65 S 181/11 -