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12 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VIII ZR 142/08
  5. Verkündet am:
  6. 29. April 2009
  7. Ermel,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 543
  19. Eine fristlose Kündigung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB erfordert nicht, dass
  20. der Mieter darlegt, warum ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zumutbar
  21. ist. Für die Wirksamkeit einer Kündigung genügt es vielmehr grundsätzlich, wenn
  22. einer der in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BGB aufgeführten Tatbestände vorliegt.
  23. BGH, Urteil vom 29. April 2009 - VIII ZR 142/08 - LG Darmstadt
  24. AG Michelstadt
  25. -2-
  26. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  27. vom 4. März 2009 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richter Dr. Wolst
  28. und Dr. Frellesen sowie die Richterinnen Dr. Milger und Dr. Hessel
  29. für Recht erkannt:
  30. Auf die Rechtsmittel der Kläger werden das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 30. April 2008 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Kläger erkannt worden ist, und das Urteil des Amtsgerichts Michelstadt vom
  31. 29. November 2007 teilweise abgeändert.
  32. Der Beklagte wird verurteilt, die Freigabe des Sparguthabens auf
  33. dem Sparkonto Nummer
  34. se D.
  35. der Zweckverbandssparkas-
  36. zu erklären sowie das Sparbuch zu dem vorgenannten
  37. Konto, ausgestellt auf den Kläger, an die Zweckverbandssparkasse D.
  38. herauszugeben.
  39. Die Widerklage wird abgewiesen.
  40. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  41. Von Rechts wegen
  42. Tatbestand:
  43. 1
  44. Die Kläger waren seit 1. Mai 2002 Mieter einer Wohnung des Beklagten.
  45. Mit anwaltlichem Schreiben vom 24. Januar 2005 erklärten die Kläger die
  46. außerordentliche fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietver-
  47. -3-
  48. hältnisses zum 30. April 2005, weil die tatsächliche Wohnfläche um mehr als
  49. 10 % von der mit „ca. 100 m²“ vereinbarten Wohnfläche abweiche. Sie zogen
  50. Ende Januar 2005 aus und stellten die Mietzahlung ein.
  51. 2
  52. Die Kläger haben die Freigabe des verpfändeten Kautionsguthabens
  53. nebst Herausgabe des Kautionssparbuchs sowie die Rückzahlung von
  54. 4.901,11 € überzahlter Miete nebst Zinsen begehrt. Widerklagend hat der Beklagte - soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse - die Zahlung restlicher Miete für Februar bis April 2005 in Höhe von 2.045,55 € nebst Zinsen verlangt.
  55. 3
  56. Das Amtsgericht hat den Beklagten nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, wonach die tatsächliche Wohnfläche lediglich 77,37 m² beträgt und um 22,63 % von der vereinbarten Wohnfläche abweicht, unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 4.901,11 € nebst Zinsen verurteilt. Auf die Widerklage hat es die Kläger als Gesamtschuldner verurteilt, an
  57. den Beklagten 1.600,85 € nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Berufung der Kläger
  58. hat das Landgericht die auf die Widerklage erfolgte Verurteilung auf einen Betrag von 1.263,45 € nebst Zinsen ermäßigt und die weitergehende Berufung
  59. zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre erstinstanzlichen Anträge hinsichtlich der Kaution und der
  60. Abweisung der Widerklage weiter.
  61. -4-
  62. Entscheidungsgründe:
  63. 4
  64. Die Revision hat Erfolg.
  65. I.
  66. 5
  67. Das Berufungsgericht hat, soweit im Revisionsverfahren von Interesse,
  68. im Wesentlichen ausgeführt:
  69. 6
  70. Die Berufung der Kläger sei nur insoweit begründet, als der Beklagte für
  71. die drei Monate bis zur Beendigung des Mietverhältnisses infolge der hilfsweise
  72. erklärten ordentlichen Kündigung mit der Widerklage nur noch die Nettomiete,
  73. jedoch wegen zwischenzeitlich erfolgter Abrechnung keine Vorauszahlungen
  74. auf die Nebenkosten mehr verlangen könne.
  75. 7
  76. Die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses durch Anwaltsschreiben vom 24. Januar 2005 habe nicht zu einer Beendigung des Mietverhältnisses schon zum Ende des Monats Januar 2005 geführt. Diese fristlose
  77. Kündigung sei unwirksam gewesen, weil die Voraussetzungen des § 543 BGB
  78. nicht vorlägen.
  79. 8
  80. Da den Klägern als Mietern nur eine Mietfläche zur Verfügung gestellt
  81. worden sei, die nach den unbeanstandet gebliebenen Feststellungen des
  82. Sachverständigen um deutlich mehr als 10 % unter der im Mietvertrag vereinbarten Fläche liege, sei ihnen insoweit der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache zum Teil nicht rechtzeitig gewährt worden. Damit seien zwar vordergründig die „grundsätzlichen Voraussetzungen“ für eine außerordentliche fristlose
  83. Kündigung aus wichtigem Grund gegeben (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB).
  84. -5-
  85. 9
  86. Dennoch sei ein uneingeschränktes fristloses Kündigungsrecht des Mieters bei einer sich wie hier unter Berücksichtigung der Dachschrägen ergebenden Flächenabweichung von 22,63 % als unbillig anzusehen. Weiche die tatsächliche Größe der überlassenen Mietfläche von den Angaben im Mietvertrag
  87. ab, so führe dies nicht in jedem Fall zu einem fristlosen Kündigungsrecht des
  88. Mieters nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB. Vielmehr müsse der Mieter darlegen, weshalb die nunmehr festgestellte Minderfläche, deren Fehlen ihm bisher
  89. nicht aufgefallen sei, ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung sein solle.
  90. Dazu bedürfe es der Darlegung besonderer konkreter Umstände, die dem Mieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses trotz des Anspruchs auf Mietminderung unzumutbar erscheinen ließen. Solche Gründe seien von den Klägern
  91. nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich. Die Kläger hätten offensichtlich während des Verlaufs des Mietverhältnisses zu keiner Zeit eine für sie
  92. fühlbare Einschränkung ihres Mietgebrauchs hinnehmen müssen. Sie hätten
  93. genau die Räume uneingeschränkt nutzen können, die sie vor Vertragsabschluss besichtigt und als für ihre Zwecke tauglich angemietet hätten. Nach
  94. diesen Umständen sei es für die Kläger durchaus zumutbar, bis zum Ablauf der
  95. "regulären" Kündigungsfrist noch drei Monate zuzuwarten. Auch aus § 543
  96. Abs. 1 BGB ergebe sich letztlich nichts anderes. Geboten sei eine umfassende
  97. Interessenabwägung.
  98. 10
  99. Die Widerklage sei in Höhe der angesichts der Wohnungsgröße reduzierten Nettomiete begründet. Da somit dem Beklagten noch restliche Mietzinsansprüche aus dem zum 30. April 2005 beendeten Mietverhältnis zustünden, bestehe trotz des erheblichen Zeitablaufs das Sicherungsbedürfnis an dem Kautionsguthaben fort. Der Beklagte mache insoweit zu Recht von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch.
  100. -6-
  101. II.
  102. 11
  103. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
  104. 12
  105. Durch die Kündigung der Kläger vom 24. Januar 2005 ist das Mietverhältnis entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bereits zum 31. Januar
  106. 2005 und nicht erst zum 30. April 2005 beendet worden. Die vom Berufungsgericht angeführten Gründe tragen den Ausschluss der außerordentlichen fristlosen Kündigung der Kläger gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB nicht.
  107. 13
  108. 1. Im Ausgangspunkt zutreffend sieht das Berufungsgericht in der Abweichung der tatsächlichen Wohnfläche von der im Mietvertrag angegebenen
  109. Wohnfläche um 22,63 % einen Mangel der Mietwohnung im Sinne von § 536
  110. Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. Senatsurteile vom 24. März 2004 - VIII ZR 133/03,
  111. WuM 2004, 268, und VIII ZR 295/03, NJW 2004, 1947), der zur Folge hat, dass
  112. den Klägern der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache zum Teil nicht rechtzeitig gewährt wurde und daher die „grundsätzlichen Voraussetzungen“ einer
  113. außerordentlichen fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 543
  114. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB gegeben sind.
  115. 14
  116. Das Kündigungsrecht ist hier auch weder nach § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB
  117. noch nach § 543 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 536b BGB ausgeschlossen,
  118. wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt. Da der Vermieter bei einer Abweichung der tatsächlichen von der vereinbarten Wohnfläche einer bestehenden Wohnung regelmäßig keine Abhilfe schaffen kann, ist eine Abmahnung
  119. oder Fristsetzung zur Mängelbeseitigung entbehrlich. Auch war den Klägern
  120. nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts der Mangel
  121. der Mietsache bei Mietvertragsabschluss weder bekannt noch infolge grober
  122. -7-
  123. Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, da sich die Flächendifferenz erst später
  124. beim Nachmessen der Wohnung gezeigt hat.
  125. 15
  126. 2. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht dagegen, die fristlose Kündigung sei unwirksam, weil die Kläger nicht dargelegt hätten, weshalb die nunmehr festgestellte Minderfläche, deren Fehlen ihnen zuvor nicht aufgefallen sei,
  127. ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung sein solle. Eine fristlose Kündigung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB erfordert nicht, dass der Mieter darlegt, warum ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zumutbar ist. Für
  128. die Wirksamkeit einer Kündigung genügt es vielmehr grundsätzlich, wenn einer
  129. der in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BGB aufgeführten Tatbestände vorliegt.
  130. 16
  131. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Gewerberaummiete (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2006 - XII ZR 33/04, NJW 2007, 147,
  132. Tz. 10; noch zweifelnd: Urteil vom 4. Mai 2005 - XII ZR 254/01, NJW 2005,
  133. 2152, unter II 4 c aa) ist bei Vorliegen der Tatbestände des § 543 Abs. 2 BGB
  134. eine Kündigung aus wichtigem Grund möglich, ohne dass die in § 543 Abs. 1
  135. BGB genannten Voraussetzungen, wie etwa die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung, zusätzlich erfüllt sein müssen. Hiervon abzuweichen besteht für die
  136. Wohnraummiete kein Anlass. Dies entspricht auch einer verbreiteten Auffassung im Schrifttum zum Wohnraummietrecht (Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 9. Aufl., § 543 BGB Rdnr. 3 m.w.N.; Lammel, Wohnraummietrecht,
  137. 3. Aufl., § 543 Rdnr. 60; Erman/Jendrek, BGB, 12. Aufl., § 543 Rdnr. 10; Palandt/Weidenkaff, BGB, 68. Aufl., § 543 Rdnr. 6; aA MünchKommBGB/Bieber,
  138. 5. Aufl., § 543 Rdnr. 22, 23; einschränkend Kraemer, NZM 2001, 553, 557 f.).
  139. Nach der Gesetzessystematik handelt es sich bei den in § 543 Abs. 2 Satz 1
  140. Nr. 1 bis Nr. 3 BGB aufgeführten Kündigungsgründen um gesetzlich typisierte
  141. Fälle der Unzumutbarkeit. Soweit deren tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt
  142. -8-
  143. sind, ist grundsätzlich auch ein wichtiger Grund im Sinne von § 543 Abs. 1 BGB
  144. zur fristlosen Kündigung gegeben.
  145. 17
  146. b) Unabhängig von den vorgenannten Ausführungen kann das Recht zur
  147. außerordentlichen fristlosen Kündigung allerdings aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls verwirkt sein (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2006,
  148. aaO, Tz. 11). Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn der Mieter bei Mietbeginn oder danach erkennt, dass die tatsächliche Wohnfläche die im Mietvertrag
  149. angegebene um mehr als zehn Prozent unterschreitet, ohne dies zeitnah zum
  150. Anlass für eine fristlose Kündigung zu nehmen.
  151. 18
  152. Anhaltspunkte dafür, dass die außerordentliche fristlose Kündigung der
  153. Kläger aufgrund derartiger besonderer Umstände treuwidrig oder verwirkt sein
  154. könnte, sind den Feststellungen des Berufungsgerichts jedoch nicht zu entnehmen.
  155. 19
  156. 3. Da dem Beklagten somit keine restliche Miete für die Monate Februar
  157. bis April 2005 zusteht, ist sein Sicherungsbedürfnis an dem Kautionsguthaben
  158. entfallen, so dass er zu dessen Freigabe verpflichtet ist.
  159. III.
  160. 20
  161. Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es
  162. ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da keine weiteren Feststellungen erforderlich sind und die Sache zur
  163. Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Auf die Rechtsmittel der Kläger ist
  164. -9-
  165. der Klage auf Freigabe des verpfändeten Kautionsguthabens sowie Herausgabe des Kautionssparbuchs stattzugeben und die Widerklage abzuweisen.
  166. Ball
  167. Dr. Wolst
  168. Dr. Frellesen
  169. Richter am Bundesgerichtshof
  170. Dr. Wolst ist wegen Eintritts in den
  171. Ruhestand gehindert, zu unterschreiben.
  172. Karlsruhe, 28.04.2009
  173. Richter am Bundesgerichtshof
  174. Dr. Frellesen ist urlaubsabwesend
  175. und daher gehindert, zu unterschreiben.
  176. Karlsruhe, 28.04.2009
  177. Ball
  178. Ball
  179. Dr. Milger
  180. Dr. Hessel
  181. Vorinstanzen:
  182. AG Michelstadt, Entscheidung vom 29.11.2007 - 1 C 825/05 LG Darmstadt, Entscheidung vom 30.04.2008 - 7 S 2/08 -