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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VIII ZB 55/15
  4. vom
  5. 12. Juli 2016
  6. in dem Rechtsstreit
  7. ECLI:DE:BGH:2016:120716BVIIIZB55.15.0
  8. -2-
  9. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juli 2016 durch die
  10. Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richterinnen Dr. Hessel und Dr. Fetzer
  11. sowie die Richter Dr. Bünger und Kosziol
  12. beschlossen:
  13. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der
  14. Zivilkammer 18 des Landgerichts Berlin vom 26. Mai 2015 aufgehoben.
  15. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
  16. des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  17. Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 944,58 €
  18. Gründe:
  19. 1
  20. 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522
  21. Abs. 1 Satz 4 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts
  22. erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Annahme des Berufungsgerichts, die
  23. Berufung sei im Hinblick auf die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unzulässig, verletzt den Kläger in seinem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit
  24. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht
  25. -3-
  26. zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse
  27. vom 11. Januar 2011 - VIII ZB 62/10, WuM 2011, 177 Rn. 3; vom 8. Oktober
  28. 2013 - VIII ZB 13/13, NJW-RR 2014, 179 Rn. 8; vom 14. Juni 2016 - VIII ZB
  29. 4/16, juris Rn. 3; jeweils mwN).
  30. 2
  31. 2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Berufung
  32. des Klägers kann mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht als unzulässig verworfen werden, denn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
  33. übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes der Berufung die Wertgrenze von 600 Euro (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
  34. 3
  35. a) Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass sich der Wert der Beschwer des Rechtsmittelführers nach einer
  36. einseitigen Erledigungserklärung in aller Regel - und so auch hier - nach der
  37. Summe der bis zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung entstandenen Kosten
  38. richtet (BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2015 - V ZA 23/14, juris Rn. 2 mwN;
  39. vom 18. Juni 2015 - V ZR 224/14, NJW 2015, 3173 Rn. 3; st. Rspr.). An die
  40. Stelle des Sachinteresses tritt für beide Parteien das Kosteninteresse (BGH,
  41. Beschlüsse vom 29. Januar 2015 - V ZA 23/14, aaO; vom 18. Juni 2015 - V ZR
  42. 224/15, aaO).
  43. 4
  44. b) Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, das
  45. für die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO maßgebliche Kosteninteresse
  46. belaufe sich auf nicht mehr als 600 €, weil die in erster Instanz entstandenen
  47. Gerichts- und Anwaltskosten nach einem Gebührenstreitwert in Höhe von (nur)
  48. 911,04 € zu berechnen seien.
  49. 5
  50. aa) Anders als das Berufungsgericht offenbar meint, ist der Antrag des
  51. Klägers schon nicht allein auf die Feststellung eines Zurückbehaltungsrechts
  52. wegen Mängeln der Wohnung gerichtet. Vielmehr ist der erstinstanzliche Antrag
  53. -4-
  54. des Klägers vorrangig als Antrag auf Feststellung zu verstehen, die monatliche
  55. Miete sei bis zur Beseitigung der im Einzelnen benannten Mängel um 75,92 €
  56. gemindert.
  57. 6
  58. Die Auslegung von Prozesshandlungen, welche das Rechtsbeschwerdegericht selbst vornehmen kann (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom
  59. 28. Februar 1996 - VIII ZR 241/94, NJW 1996, 1962 unter III 1 a; vom 18. Juni
  60. 1996 - VI ZR 325/95, NJW-RR 1996, 1210 unter II 2; jeweils mwN; Beschluss
  61. vom 9. Juli 2014 - VII ZB 9/13, NJW 2014, 2732 Rn. 11), orientiert sich an dem
  62. Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der
  63. Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der
  64. Prozesspartei entspricht, wobei diese nicht unter allen Umständen am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festzuhalten ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile
  65. vom 19. Januar 2001 - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 310; vom 5. Oktober
  66. 2010 - VI ZR 257/08, NJW 2010, 3779 Rn. 4; Beschluss vom 11. September
  67. 2012 - XI ZB 8/12, juris Rn. 8; jeweils mwN).
  68. 7
  69. Danach begehrt der Kläger primär die Feststellung einer Mietminderung
  70. und macht die Feststellung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 320 Abs. 1
  71. BGB lediglich darüber hinaus geltend, soweit die Miete nicht bereits kraft Gesetzes um den von ihm einbehaltenen Betrag von monatlich 75,92 € gemindert
  72. ist (zu dieser Möglichkeit vgl. Senatsurteil vom 17. Juni 2015 - VIII ZR 19/14,
  73. BGHZ 206, 1, Rn. 49 mwN). Das ergibt sich bereits daraus, dass er zur Begründung seines Antrags in der Klageschrift vorgetragen hat, er habe die Beklagten vorprozessual ohne Erfolg auf ein Minderungs- und Zurückbehaltungsrecht hingewiesen. In dem hierzu von ihm vorgelegten vorprozessualen Schreiben vom 20. Mai 2014 heißt es zudem ausdrücklich, es werde "sowohl ein Minderungs- als auch ein Zurückbehaltungsrecht" bis zur Höhe von 75,92 € geltend
  74. gemacht. Darüber hinaus hat der Kläger mit Schriftsatz vom 29. August 2014
  75. -5-
  76. betont, er habe ein rechtliches Interesse an der Feststellung, dass er "zu einer
  77. Mietminderung berechtigt" sei.
  78. 8
  79. Demgegenüber bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte für die Annahme, dem Kläger wäre nur an der Feststellung eines Rechts zur (vorübergehenden) Leistungsverweigerung im Sinne des § 320 Abs. 1 BGB gelegen, ohne
  80. dass es ihm auf den endgültigen (teilweisen) Entfall seiner Leistungspflicht gemäß § 536 Abs. 1 BGB aufgrund der geltend gemachten Mängel ankäme.
  81. 9
  82. bb) Der Gebührenstreitwert des Antrags eines Mieters auf Feststellung,
  83. die Miete sei gemindert, ist - wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat - gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO mit
  84. dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag der geltend gemachten Mietminderung zu
  85. bemessen (Senatsbeschluss vom 14. Juni 2016 - VIII ZR 43/15, unter II 1 b, zur
  86. Veröffentlichung vorgesehen). Entgegen einer teilweise in der Rechtsprechung
  87. und Literatur vertretenen Ansicht, auf die auch das Berufungsgericht in einer
  88. Hilfserwägung abgestellt hat (vgl. die Nachweise im vorgenannten Senatsbeschluss unter II 1 a), scheidet eine analoge Anwendung des § 41 Abs. 5 GKG
  89. aus, da eine planwidrige Regelungslücke nicht vorliegt (Senatsbeschluss vom
  90. 14. Juni 2016 - VIII ZR 43/15, unter II 1 b bb, zur Veröffentlichung bestimmt).
  91. Danach beträgt der Gebührenstreitwert der ersten Instanz hier 3.188,64 €, denn
  92. der Kläger macht eine monatliche Minderung der Miete um 75,92 € geltend.
  93. 10
  94. Dementsprechend liegt das Kosteninteresse bei mehr als 600 € (§ 511
  95. Abs. 2 Nr. 1 ZPO), denn es sind - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend
  96. macht - Gerichts- und Anwaltsgebühren in Höhe von insgesamt 944,58 € entstanden, nämlich Gerichtsgebühren in Höhe von 381 € (KV GKG Nr. 1210) sowie Anwaltskosten für den allein anwaltlich vertretenen Kläger in Höhe von insgesamt 563,58 € (1,3 Verfahrensgebühr gemäß VV RVG Nr. 3100 in Höhe von
  97. 327,60 €; 0,5 Terminsgebühr gemäß VV RVG Nr. 3105, 3104 in Höhe von
  98. -6-
  99. 126 €; Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gemäß VV RVG Nr. 7002 in Höhe von 20 €; Umsatzsteuer gemäß VV RVG
  100. Nr. 7008 in Höhe von 89,98 €).
  101. Dr. Milger
  102. Dr. Hessel
  103. Dr. Bünger
  104. Dr. Fetzer
  105. Kosziol
  106. Vorinstanzen:
  107. AG Berlin-Spandau, Entscheidung vom 14.11.2014 - 3 C 359/14 LG Berlin, Entscheidung vom 26.05.2015 - 18 S 306/14 -