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118 lines
4.7 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VIII ZB 32/04
  4. vom
  5. 16. November 2004
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk: ja
  8. BGHZ:
  9. nein
  10. BGHR:
  11. ja
  12. ZPO § 233 Fb
  13. Zur Glaubhaftmachung eines Versehens bedarf es nicht der Darlegung von Gründen,
  14. die das Versehen erklären könnten.
  15. BGH, Beschluß vom 16. November 2004 - VIII ZB 32/04 - OLG Frankfurt am Main
  16. LG Limburg
  17. -2-
  18. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin
  19. Dr. Deppert und die Richter Ball, Dr. Leimert, Wiechers und Dr. Wolst
  20. am 16. November 2004
  21. beschlossen:
  22. Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluß des
  23. 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
  24. 12. Februar 2004 aufgehoben.
  25. Der Beklagten wird gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
  26. Beschwerdewert: 116.732,87 €.
  27. Gründe:
  28. I.
  29. Die Beklagte hat gegen das ihr am 22. Oktober 2003 zugestellte Urteil
  30. am 14. November 2003 Berufung eingelegt, diese jedoch erst nach Ablauf der
  31. Berufungsbegründungsfrist am 5. Januar 2004 begründet. Gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen
  32. Stand beantragt und zur Begründung vorgetragen, ursächlich für die Fristversäumung sei ein Versehen der Kanzleiangestellten E.
  33. , einer zuverlässigen
  34. und mit dem Fristenwesen vertrauten Kraft. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten habe bei Zustellung des Urteils die schriftliche Anweisung erteilt, den
  35. Ablauf
  36. der
  37. Berufungsfrist
  38. und
  39. den
  40. der
  41. Berufungsbegründungsfrist
  42. (22. Dezember 2003), jeweils mit Vorfrist, im Fristenkalender zu vermerken. Die
  43. -3-
  44. Kanzleiangestellte E.
  45. habe auf dem Aktenvermerk hinsichtlich beider Fri-
  46. sten einen Erledigungsvermerk angebracht, versehentlich aber nur die Berufungsfrist nebst Vorfrist, nicht dagegen die Berufungsbegründungsfrist im Kalender eingetragen. Zur Glaubhaftmachung hat die Beklagte Ablichtung des
  47. betreffenden Aktenvermerks sowie eine eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten E.
  48. vorgelegt.
  49. II.
  50. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung abgelehnt
  51. und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt,
  52. es sei aufgrund des von dem Beklagten vorgetragenen Sachverhalts nicht davon überzeugt, daß die Fristversäumung nicht auf einem Verschulden des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten beruhe. Nach der Lebenserfahrung sei davon auszugehen, daß der Aktenvermerk von der Kanzleiangestellten E.
  53. in
  54. einem Arbeitsgang abgearbeitet worden sei; dann aber sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Berufungsfrist eingetragen worden, die Eintragung der ebenso
  55. bedeutenden Berufungsbegründungsfrist dagegen unterblieben sei. Gründe
  56. dafür seien nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht vorgetragen worden.
  57. III.
  58. 1. Die hiergegen form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde
  59. der Beklagten ist gemäß § 238 Abs. 4 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist zulässig gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, denn die Entscheidung
  60. des Berufungsgerichts verletzt die Beklagte in ihrem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (BGH, Beschluß vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367 unter II 1).
  61. -4-
  62. 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet, denn die Entscheidung
  63. des Berufungsgerichts beruht auf einer Würdigung, die der Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert.
  64. Nach dem Vorbringen der Beklagten im Wiedereinsetzungsverfahren ist
  65. Ursache der Fristversäumung ein Versehen der zuverlässigen und mit dem Fristenwesen vertrauten Kanzleiangestellten E.
  66. bei der Ausführung der ihr
  67. schriftlich erteilten Anweisung zur Notierung der Berufungsbegründungsfrist.
  68. Daß es sich hierbei um ein Versehen handelte, hat die Kanzleiangestellte E.
  69. eidesstattlich versichert. Konkrete Umstände, die Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer eidesstattlichen Versicherung begründen könnten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Damit ist ein Geschehensablauf glaubhaft gemacht, bei dem nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
  70. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (z.B. BGH, Beschluß
  71. vom 22. März 1995 - VIII ZB 2/95, NJW 1995, 1682 unter III 1; Beschluß vom
  72. 29. Juni 1995 - III ZB 6/95, VersR 1996, 388). Soweit das Berufungsgericht
  73. darüber hinaus zur Glaubhaftmachung eines Versehens die Darlegung von
  74. Gründen fordert, die das Versehen erklären könnten, überspannt es die an die
  75. Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes zu stellenden Anforde-
  76. -5-
  77. rungen (vgl. auch BGH, Beschluß vom 8. Oktober 1998 - X ZB 33/97, NJW-RR
  78. 1999, 428 unter II 3).
  79. Dr. Deppert
  80. Ball
  81. Wiechers
  82. Dr. Leimert
  83. Dr. Wolst