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8.4 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. VERSÄUMNISURTEIL
  4. VII ZR 81/00
  5. Verkündet am:
  6. 16. Mai 2002
  7. Seelinger-Schardt,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGB § 635 a.F.
  16. a) Der Nachweis der Verletzung der Bauaufsichtspflicht eines Architekten kann durch
  17. einen Anscheinsbeweis erleichtert sein.
  18. b) Ist die schuldhafte Verletzung der Bauaufsichtspflicht eines Architekten für einen
  19. Bauwerksschaden mitursächlich, so führt dies zur vollen Haftung des Architekten
  20. gegenüber dem Auftraggeber.
  21. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - VII ZR 81/00 - OLG Koblenz
  22. LG Trier
  23. -2-
  24. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  25. vom 16. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die
  26. Richter Dr. Haß, Hausmann, Dr. Kuffer und Prof. Dr. Kniffka
  27. für Recht erkannt:
  28. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des
  29. Oberlandesgerichts Koblenz vom 19. Januar 2000 im Kostenpunkt
  30. und insoweit aufgehoben, als die Klage gegen den Beklagten zu 1
  31. in Höhe von 20.520 DM und Zinsen sowie der Feststellungsantrag, die Straße "Im B.
  32. " betreffend, abgewiesen und die An-
  33. schlußberufung der Klägerin gegen den Beklagten zu 1 in Höhe
  34. von 170.080,53 DM und Zinsen zurückgewiesen worden sind.
  35. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  36. Von Rechts wegen
  37. Tatbestand:
  38. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten zu 1, einem Architekten (künftig: Beklagter), Schadensersatz.
  39. Der Beklagte hatte in den Jahren 1981 bis 1983 für die Klägerin die Befestigung von an Hängen gelegenen Straßen durch Stützmauern geplant und
  40. -3-
  41. die Bauarbeiten beaufsichtigt. Weil es in der Folgezeit zu Mängeln an vielen
  42. Stützmauern gekommen war, hat die Klägerin u.a. den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Im Revisionsverfahren geht es nur noch
  43. um Schäden an den Stützmauern der Straßen "Im B.
  44. " und "P.
  45. Weg".
  46. Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme insoweit Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen den Beklagten in Höhe von 44.512 DM zuerkannt.
  47. Es hat ferner antragsgemäß festgestellt, daß der Beklagte der Klägerin weite rgehende Schäden an den Stützmauern in den oben angeführten Straßen zu
  48. ersetzen hat. Hiergegen haben die Beklagten Berufung eingelegt. Die Klägerin
  49. hat ihre Schäden bezüglich der Straße "P.
  50. Weg" in vollem Umfang beziffert
  51. und den Anspruch im Wege der Anschlußberufung gegenüber dem Beklagten
  52. zu 1 geltend gemacht. Das Berufungsgericht hat nach weiterer Beweisaufnahme die auf die Straßen "Im B.
  53. " und "P.
  54. Weg" gerichteten Klageanträ-
  55. ge insgesamt abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin.
  56. Entscheidungsgründe:
  57. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
  58. und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  59. Auf das Schuldverhältnis ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum
  60. 31. Dezember 2001 geltenden Fassung anwendbar (Art. 229 § 5 Satz 1
  61. EGBGB).
  62. -4-
  63. A. Straße "Im B.
  64. "
  65. I.
  66. Das sachverständig beratene Berufungsgericht führt aus, die Winkelelemente der Stützmauer seien mangelhaft errichtet worden. Es fehle sowohl eine
  67. Entwässerung als auch die erforderliche Gründungstiefe, so daß die Winkelelemente zu erneuern seien. Es sei allerdings nicht festzustellen, daß diese
  68. Bauwerksmängel dem Beklagten als "schuldhaft fehlerhaft" zuzurechnen seien.
  69. Der Sachverständige M. habe den Eindruck gewonnen, der Unternehmer habe
  70. den Beklagten bewußt getäuscht, weil die Bauleitung, welche die Sandschicht
  71. unter den Winkelelementen sehe, davon ausgehen könne, daß ordentlich gearbeitet worden sei. Daher sei ein Verschulden des Beklagten nicht festzustellen.
  72. II.
  73. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen des
  74. Berufungsgerichts tragen nicht die Abweisung des Schadensersatzbegehrens
  75. der Klägerin nach § 635 BGB.
  76. 1. Das Berufungsgericht stellt fest, daß die Stützmauer "Im B.
  77. "
  78. fehlerhaft errichtet worden ist. Seine Meinung, der Beklagte hafte hierfür nicht,
  79. weil die bauausführende Firma eine ordnungsgemäße Leistung vorgetäuscht
  80. habe, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
  81. a) Wenn der Beklagte, wie die Revision als mögliche Pflichtverletzung
  82. andeutet, die Gründung nicht ordnungsgemäß geplant haben sollte, so würde
  83. ihn ein Planungsverschulden treffen. Dazu fehlen jedoch jedwede Feststellungen des Berufungsgerichts, ohne daß die Revision übergangenen Vortrag rügt.
  84. -5-
  85. b) Das Berufungsgericht übersieht, daß der Nachweis einer Pflichtverletzung durch einen Anscheinsbeweis erleichtert sein kann (vgl. BGH, Urteil vom
  86. 26. April 1973 - VII ZR 85/71, Schäfer/Finnern Rspr. Bau Z.3.00 Bl. 249 f
  87. - auszugsweise abgedruckt bei Löffelmann/Fleischmann, Architektenrecht
  88. 4. Aufl. Rdn. 566). Wenn eine Stützmauer aufgrund fehlender Drainage und
  89. unzureichender Gründungstiefe einzustürzen droht, so spricht der typische Geschehensablauf dafür, daß die Überwachung des Architekten bei der Errichtung
  90. mangelhaft war. In einem solchen Fall braucht der Bauherr nicht anzugeben,
  91. inwieweit es der Architekt im einzelnen an der erforderlichen Überwachung hat
  92. fehlen lassen. Vielmehr ist es Sache des Architekten, den Beweis des ersten
  93. Anscheins dadurch auszuräumen, daß er seinerseits darlegt, was er oder sein
  94. Erfüllungsgehilfe an Überwachungsmaßnahmen geleistet hat. Dazu genügt
  95. nicht die bloße Behauptung, er habe die Gründungsarbeiten selbst oder durch
  96. seinen Bauleiter überwachen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 1973
  97. - VII ZR 85/71 aaO).
  98. Erst wenn der Beklagte die ordnungsgemäße Wahrnehmung der von ihm
  99. geschuldeten Bauaufsicht substantiiert vorgetragen hat, ist zu prüfen, ob damit
  100. der Anscheinsbeweis aufgrund der vom Berufungsgericht ohne weiteres angenommenen Täuschung des Beklagten erschüttert ist. Feststellungen des Berufungsgerichts hierzu fehlen.
  101. c) Soweit das Berufungsgericht meint, ein Verschulden des Beklagten
  102. könne nicht festgestellt werden, verkennt es die Beweislast. Liegen die objektiven Haftungsvoraussetzungen vor, muß der Beklagte das nach § 282 BGB
  103. vermutete Verschulden ausräumen; ein non liquet genügt nicht (vgl. BGH, Urteil
  104. vom 5. März 1987 - III ZR 265/85, BGHR BGB § 282 Beweislast 1).
  105. -6-
  106. 2. Aus den vorstehend dargelegten Gründen ist auch die Klageabweisung des Feststellungsbegehrens der Klägerin nicht begründet.
  107. B. Straße "P.
  108. Weg"
  109. I.
  110. Das Berufungsgericht führt aus, daß der aufgetretene Schaden an der
  111. Stützmauer ganz wesentlich durch die unzureichend bewehrten Stützelemente
  112. verursacht worden sei. Das sei dem Beklagten nicht anzulasten, weil dieser
  113. Fehler für ihn nicht erkennbar gewesen sei. Das Fehlen der Sickerpackung habe zwar zu einem größeren Druck auf die Mauer geführt. Es habe allerdings
  114. den Schaden, der durch die fehlerhaften Stützelemente selbst bereits angelegt
  115. gewesen sei, nicht entscheidend vergrößert, weil der Druck durch das Wasser
  116. nur zu einer Beschleunigung des Bruchs der Stützelemente geführt habe. Das
  117. Verhältnis, in dem sich die verschiedenen möglichen Schadensverursachungen
  118. ausgewirkt haben könnten, sei nicht aufklärbar, so daß eine Schätzung der
  119. Verursachungsbeiträge nicht möglich sei. Es sei daher zu Gunsten des Beklagten davon auszugehen, daß das Fehlen der Sickerpackung gegenüber der
  120. eigentlichen Schadensursache unerheblich gewesen sei.
  121. II.
  122. Das hält rechtlicher Nachprüfung gleichfalls nicht stand.
  123. 1. Das Berufungsgericht befaßt sich bei dem Schadensersatzanspruch
  124. der Klägerin bezüglich der Straße "P.
  125. Weg" ausschließlich mit der Frage der
  126. fehlenden Sickerpackung als Schadensursache. Mithin ist zu Gunsten der Re-
  127. -7-
  128. vision von einer objektiven Pflichtverletzung des Beklagten im Rahmen seiner
  129. Bauaufsicht auszugehen.
  130. 2. Die Annahme des Berufungsgerichts, das Fehlen der Sickerpackung
  131. sei als "nicht so entscheidende Ursache" anzusehen und sei zu Gunsten des
  132. Beklagten als unerheblich zu beurteilen, ist rechtsfehlerhaft. Sofern beide Ursachen zusammen den Schaden herbeigeführt haben, kann bereits eine Mitursächlichkeit der Verletzung der Vertragspflicht des Beklagten zu seiner vollen
  133. Haftung dem Grunde nach führen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 1974
  134. - VII ZR 35/72, BauR 1975, 130, 131; MünchKomm BGB/Oetker, 4. Aufl. § 249
  135. Rdn. 129). Die Verursachungsbeiträge der Schädiger für den eingetretenen
  136. Schaden haben erst in einem möglichen Regreßprozeß Bedeutung.
  137. Ullmann
  138. Haß
  139. Kuffer
  140. Hausmann
  141. Kniffka