Search on legal documents using Tensorflow and a web_actix web interface
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

224 lines
9.3 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. VERSÄUMNISURTEIL
  4. VII ZR 254/13
  5. Verkündet am:
  6. 10. April 2014
  7. Boppel,
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. ZPO § 286 C
  19. Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen
  20. ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist, was grundsätzlich auch bei der Feststellung von Ursachen für
  21. Leitungswasserschäden in Wohnungen anlässlich von Trockenestrich- und
  22. Parkettverlegearbeiten in Betracht kommen kann.
  23. BGH, Versäumnisurteil vom 10. April 2014 - VII ZR 254/13 - LG Göttingen
  24. AG Göttingen
  25. -2-
  26. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. April 2014 gemäß § 128
  27. Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze bis zum
  28. 14. März 2014 eingereicht werden konnten, durch den Vorsitzenden Richter
  29. Prof. Dr. Kniffka und die Richter Dr. Eick, Halfmeier, Prof. Dr. Jurgeleit und die
  30. Richterin Graßnack
  31. für Recht erkannt:
  32. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 8. Zivilkammer
  33. des Landgerichts Göttingen vom 29. August 2013 aufgehoben.
  34. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  35. über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  36. Von Rechts wegen
  37. Tatbestand:
  38. 1
  39. Der klagende Versicherer nimmt den Beklagten auf Schadensersatz aus
  40. einem Werkvertrag zwischen diesem und seinem Versicherungsnehmer auf
  41. Grund eines Wasserschadens aus übergegangenem Recht in Anspruch.
  42. 2
  43. Der Beklagte baute im Wohnzimmer des Anwesens des Versicherungsnehmers am 15. Oktober 2008 eine Unterkonstruktion für einen Parkettfußboden und Trockenestrichelemente ein und verließ anschließend die Baustelle.
  44. Am 17. Oktober 2008 verlegte er das Parkett. Vier Tage später stellte der Ver-
  45. -3-
  46. sicherungsnehmer aufsteigende Feuchtigkeit an den Wänden des Wohnzimmers fest. Ursächlich hierfür war ein in den Trockenestrich geschlagener Stahlnagel, der ein direkt unter dem Trockenestrich verlaufendes, wasserführendes
  47. Heizungsrohr beschädigt hatte. Die Klägerin regulierte den Schaden in Höhe
  48. der Klageforderung.
  49. 3
  50. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
  51. Entscheidungsgründe:
  52. 4
  53. Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und
  54. zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  55. I.
  56. 5
  57. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Zwar fehlt es
  58. angesichts der auf die Umstände des Einzelfalles abstellenden Entscheidung
  59. des Berufungsgerichts an einem Zulassungsgrund im Sinne des § 543 Abs. 2
  60. Satz 1 ZPO; ein solcher wird vom Berufungsgericht auch nicht begründet. Der
  61. Senat ist an die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht aber gebunden, § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO.
  62. -4-
  63. II.
  64. 6
  65. 1. Das Berufungsgericht sieht den Vollbeweis einer schadensursächlichen Pflichtverletzung des Beklagten als durch die Klägerin nicht erbracht an.
  66. Das nimmt die Revision hin und ist aus revisionsrechtlicher Sicht auch nicht zu
  67. beanstanden.
  68. 7
  69. Das Berufungsgericht ist weiter der Meinung, dass für die Klägerin kein
  70. Beweis des ersten Anscheins streite. Dies setze voraus, dass der Gläubiger bei
  71. der Abwicklung des Vertrages geschädigt worden sei (Bezug auf BGH, Urteile
  72. vom 18. Dezember 1952 - VI ZR 54/52, BGHZ 8, 239, 241; vom 29. Oktober
  73. 1959 - VII ZR 176/58, VersR 1960, 344, 345; vom 17. Februar 1964 - II ZR
  74. 98/62, BGHZ 41, 151, 153; vom 18. Juni 1985 - X ZR 71/84, BauR 1985, 704,
  75. 705). Die bisher entschiedenen Sachverhalte seien mit dem vorliegenden Fall
  76. nicht vergleichbar, da in jenen Fällen der Schaden jeweils in Ausführung der
  77. vertraglichen Tätigkeit entstanden sei. Hier stehe jedoch gerade nicht fest, dass
  78. der Nagel eingeschlagen wurde, während die Mitarbeiter des Beklagten
  79. Trockenestrichelemente verlegten. Denn die Mitarbeiter des Beklagten, die am
  80. Objekt vom 14. bis zum 20. Oktober 2008 gearbeitet hätten, seien in der Zeit
  81. vom Nachmittag des 15. Oktober 2008 bis zum 17. Oktober 2008 nicht vor Ort
  82. gewesen. In dieser Zeit seien die Arbeitsräume aber für im Haus befindliche
  83. Personen frei zugänglich gewesen. Aufgrund dieser zeitlichen Zäsur sei der
  84. unmittelbare Zusammenhang zwischen werkvertraglicher Ausführungstätigkeit
  85. und Entstehung des Schadens nicht mehr gegeben. Es sei nicht auszuschließen, dass in dieser Zwischenzeit von einer anderen Person der Nagel in die
  86. Trockenestrichplatte geschlagen worden sei.
  87. -5-
  88. 8
  89. 2. Das hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die Grundsätze des Anscheinsbeweises verkannt.
  90. 9
  91. a) Nach ständiger Rechtsprechung greift der Beweis des ersten Anscheins bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für
  92. den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist (BGH, Urteile vom 29. Januar
  93. 1974 - VI ZR 53/71, VersR 1974, 750; vom 9. November 1977 - IV ZR 160/76,
  94. VersR 1978, 74, 75; vom 28. Februar 1980 - VII ZR 104/79, VersR 1980, 532;
  95. vom 18. Oktober 1983 - VI ZR 55/82, VersR 1984, 63, 64; vom 19. Januar 2010
  96. - VI ZR 33/09, VersR 2010, 392 Rn. 8; vom 1. Oktober 2013 - VI ZR 409/12,
  97. MDR 2014, 155 Rn. 14, jeweils m.w.N.). Dieser Schluss setzt eine Typizität des
  98. Geschehensablaufs voraus, was in diesem Zusammenhang allerdings nur bedeutet, dass der Kausalverlauf so häufig vorkommen muss, dass die Wahrscheinlichkeit eines solchen Falles sehr groß ist (vgl. BGH, Urteil vom
  99. 19. Januar 2010 - VI ZR 33/09, aaO, m.w.N.).
  100. 10
  101. b) Das Berufungsgericht hat nicht erwogen, ob es eine solche Typizität
  102. des Geschehensablaufes im vorliegenden Fall gibt. Es hat nicht überprüft, ob
  103. Estrich- und Parkettleger abgebrochene oder lose Teile einer Trockenestrichplatte üblicherweise mit Nägeln oder in vergleichbarer Art im Boden fixieren,
  104. bevor sie auf ihnen das Parkett verlegen. In diesem Fall würde ein Beweis des
  105. ersten Anscheins dafür sprechen, dass der Nagel von den Mitarbeitern des Beklagten eingeschlagen wurde.
  106. 11
  107. Das Berufungsgericht war von dieser Prüfung nicht durch die von ihm zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises im Werkvertragsrecht enthoben. Der Bundesgerichtshof hat in
  108. -6-
  109. diesen oder anderen Entscheidungen die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises im Werkvertragsrecht entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht in
  110. dem Sinne beschränkt, dass der Gläubiger "bei Abwicklung des Vertrages geschädigt" worden sein müsse und diese Voraussetzung sodann in den Fällen
  111. verneint werden müsse, in denen der Schaden nicht "in Ausführung der Tätigkeit" entstanden sei, was bedeute, dass der Anscheinsbeweis immer dann ausscheide, wenn nicht feststehe, dass sich das schädigende Ereignis während der
  112. werkvertraglichen Arbeiten ereignet habe und eine zeitliche Zäsur zwischen den
  113. Ausführungsarbeiten und dem Schadenseintritt liege. Während sich die Entscheidungen vom 29. Oktober 1959 (VII ZR 176/58, aaO), vom 17. Februar
  114. 1964 (II ZR 98/62, aaO) und vom 18. Juni 1985 (X ZR 71/84, aaO) überhaupt
  115. nicht mit dem Beweis ersten Anscheins beschäftigen, ging es bei der Entscheidung vom 18. Dezember 1952 (VI ZR 54/52, aaO) um die Anwendung des Anscheinsbeweises bei einem Verkehrsunfall mit der Haftung aus unerlaubter
  116. Handlung und einem Beförderungsvertrag. Auch in dieser Entscheidung findet
  117. sich die vom Berufungsgericht formulierte Einschränkung des Anscheinsbeweises nicht. Im Gegenteil ist der Zweck der Rechtsfigur des Anscheinsbeweises
  118. gerade die Überwindung der Beweisschwierigkeiten im Ursachenzusammenhang, wenn sich nicht völlig ausschließen lässt, dass auch andere als die vom
  119. Gläubiger genannten, nach typischem Geschehensablauf wahrscheinlichen
  120. -7-
  121. Ursachen für die Schadensverursachung in Betracht kommen. Seine Anwendung ist durch zeitliche Zäsuren von mehreren Tagen oder sogar Wochen nicht
  122. gehindert (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 1957 - VI ZR 139/56, MDR
  123. 1958, 326).
  124. Kniffka
  125. Eick
  126. Jurgeleit
  127. Halfmeier
  128. Graßnack
  129. Vorinstanzen:
  130. AG Göttingen, Entscheidung vom 02.11.2011 - 24 C 184/10 LG Göttingen, Entscheidung vom 29.08.2013 - 8 S 50/11 -
  131. -8-
  132. BUNDESGERICHTSHOF
  133. BESCHLUSS
  134. VII ZR 254/13
  135. vom
  136. 20. Mai 2014
  137. in dem Rechtsstreit
  138. -9-
  139. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Mai 2014 durch den
  140. Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, die Richter Dr. Eick, Halfmeier und
  141. Prof. Dr. Jurgeleit und die Richterin Graßnack
  142. beschlossen:
  143. Zu dem Versäumnisurteil vom 10. April 2014 wird folgende
  144. Rechtsbehelfsbelehrung erteilt:
  145. Gegen das hiermit zugestellte Versäumnisurteil des Bundesgerichtshofes kann die säumige Partei binnen einer Notfrist von
  146. zwei
  147. Wochen
  148. Einspruch
  149. ab
  150. Zustellung
  151. beim
  152. Bundesgerichtshof
  153. einlegen. Der Einspruch muss von einem beim
  154. Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt durch Einreichung einer Einspruchsschrift eingelegt werden.
  155. Die Einspruchsschrift muss enthalten:
  156. 1. die Bezeichnung des Urteils, gegen das der Einspruch gerichtet wird;
  157. 2. die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Einspruch eingelegt
  158. werde.
  159. Soll das Urteil nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen.
  160. Kniffka
  161. Eick
  162. Jurgeleit
  163. Halfmeier
  164. Graßnack