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189 lines
12 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VII ZR 178/01
  4. vom
  5. Verkündet am:
  6. 2. Mai 2002
  7. Heinzelmann,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. 2. Mai 2002
  12. in dem Rechtsstreit
  13. Nachschlagewerk: ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. MaBV § 7;
  17. EWGRL 93/13 Art. 3 Abs. 1;
  18. AGBG §§ 9 Bf, 24 a
  19. a) Eine Bürgschaft nach § 7 MaBV sichert alle Geldansprüche des Auftraggebers,
  20. die sich aus mangelhafter oder unterlassener Erfüllung des Vertrags ergeben
  21. können.
  22. b) Zur Frage, ob die Allgemeine Geschäftsbedingung eines Bauträgers, nach der
  23. der Erwerbspreis unabhängig vom Baufortschritt fällig wird, wenn der Bauträger
  24. eine Bürgschaft nach § 7 MaBV stellt, den Erwerber im Sinne von §§ 24 a, 9
  25. AGBG unangemessen benachteiligt.
  26. BGH, Beschluß vom 2. Mai 2002 - VII ZR 178/01 -
  27. OLG Karlsruhe
  28. LG Freiburg
  29. -2-
  30. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  31. vom 21. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die
  32. Richter Prof. Dr. Thode, Dr. Wiebel, Dr. Kuffer und Bauner
  33. beschlossen:
  34. 1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
  35. 2. Der Bundesgerichtshof legt dem Gerichtshof der Europäischen
  36. Gemeinschaften in Luxemburg folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:
  37. Ist die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Veräußerers enthaltene Klausel,
  38. nach der der Erwerber eines zu errichtenden Bauwerks den gesamten Preis hierfür unabhängig von
  39. einem Baufortschritt zu zahlen hat, wenn der Veräußerer ihm zuvor die Bürgschaft eines Kreditinstituts
  40. stellt, welche die Geldansprüche des Erwerbers sichert, die diesem wegen mangelhafter oder unterlassener Erfüllung des Vertrags erwachsen können,
  41. als mißbräuchlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie
  42. 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen anzusehen?
  43. -3-
  44. Gründe:
  45. I.
  46. Die Klägerin macht als Bauträger gegen die Erwerber eines Stellplatzes
  47. in einem zu errichtenden Parkhaus Verzugszinsen wegen verspäteter Zahlung
  48. geltend. Die Erwerber (Beklagte) berufen sich auf die Unwirksamkeit der die
  49. Fälligkeit des Erwerbspreises regelnden Vertragsbestimmung. Der Bundesgerichtshof hält eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften über die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG
  50. des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (im folgenden: Richtlinie) für erforderlich.
  51. 1. Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
  52. Die Klägerin, eine kommunale Baugesellschaft, verkaufte im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit an die Beklagten mit notariellem Vertrag vom 5. Mai
  53. 1998 einen Stellplatz für einen Pkw in einem von ihr noch zu errichtenden
  54. Parkhaus für 33.700 DM. Die Beklagten handelten insoweit nicht beruflich und
  55. nicht gewerblich. Nach § 5 Abs. 1 des Vertrages wurde der gesamte Erwerbspreis "nach Übergabe einer Sicherheit gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 MaBV (Bürgschaft)", nicht jedoch vor dem 30. April 1999 fällig. Im Falle des Zahlungsverzugs hatte der Erwerber gemäß § 5 Abs. 8 Verzugszinsen zu zahlen.
  56. Die Bürgschaftsurkunde ging den Beklagten am 20. Mai 1999 zu. Die
  57. bürgende Bank übernahm darin die Bürgschaft unter Verzicht auf die Einrede
  58. der Vorausklage zur Sicherung aller etwaigen Ansprüche der Beklagten gegen
  59. die Klägerin auf Rückgewähr oder Auszahlung des Erwerbspreises, den die
  60. Klägerin erhalten hat oder zu dessen Verwendung sie ermächtigt worden ist.
  61. Die Beklagten verweigerten die Zahlung. Sie machten geltend, die Fälligkeits-
  62. -4-
  63. regelung sei unwirksam. Sie zahlten den Preis erst, nachdem sie den Stellplatz
  64. am 21. Dezember 1999 mangelfrei abgenommen hatten.
  65. 2. Die Klägerin begehrt Verzugszinsen wegen verspäteter Zahlung. Das
  66. Landgericht hat ihrer Klage im wesentlichen stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Es hat die Auffassung
  67. vertreten, § 5 Abs. 1 des Vertrages benachteilige die Beklagten unangemessen
  68. im Sinne von § 9 AGBG. Die sich aus § 641 BGB ergebende Vorleistungspflicht der Klägerin werde auf die Beklagten übertragen. Diese seien ohne jede
  69. Sicherung, wenn das Bauvorhaben Mängel aufweise. Insbesondere könnten
  70. sie kein Zurückbehaltungsrecht geltend machen.
  71. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung unter anderem in BB 2001,
  72. 1325 veröffentlicht ist, hat die Revision zugelassen. Die Klägerin hat Revision
  73. eingelegt. Sie hält den Zinsanspruch für begründet.
  74. II.
  75. Vor der Entscheidung über die Revision ist das Verfahren auszusetzen.
  76. Gemäß Art. 234 Abs. 1, Abs. 3 EG ist eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu der im Beschlußtenor gestellten
  77. Frage einzuholen. Von deren Beantwortung hängt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ab.
  78. 1. Das für das Schuldverhältnis maßgebliche Recht richtet sich nach den
  79. bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).
  80. -5-
  81. 2. Die Wirksamkeit der Klausel hängt davon ab, ob sie als Allgemeine
  82. Geschäftsbedingung (a) nach interessengerechter Auslegung (b) die Beklagten
  83. als Vertragspartner der Klägerin im Sinne von §§ 24 a, 9 AGBG (Art. 3 Richtlinie) unangemessen benachteiligt. Anders als das Berufungsgericht neigt der
  84. Senat nicht zu dieser Auffassung (c).
  85. a) Es ist zwischen den Parteien unstreitig, daß es sich bei § 5 Abs. 1
  86. des Vertrages um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt. Die Klausel
  87. wurde von der Klägerin vorformuliert und für sämtliche Stellplatzerwerber einheitlich verwendet, ohne daß diese auf ihren Inhalt Einfluß nehmen konnten.
  88. b) Die Klausel verpflichtet die Erwerber, den Preis für die Immobilie nach
  89. Stellung der Bürgschaft zu zahlen, ohne daß die Klägerin bereits mit den Bauarbeiten begonnen haben muß.
  90. Die Bürgschaft sichert alle Geldansprüche der Erwerber, die sich aus
  91. mangelhafter oder unterlassener Erfüllung des Vertrags ergeben können. Dieses Verständnis der Klausel reicht weiter als die Auslegung durch das Berufungsgericht. Es folgt aus dem objektiven Inhalt der Klausel, wie er von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der
  92. normalerweise beteiligten Kreise verstanden wird (vgl. BGH, Urteil vom
  93. 14. Januar 1999 - IX ZR 140/98, BauR 1999, 659, 661 = ZfBR 1999, 147, 148).
  94. aa) Nach § 5 Abs. 1 des Vertrages soll als Ausgleich für die Vorleistungspflicht der Erwerber eine "Sicherheit gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 MaBV
  95. (Bürgschaft)" gestellt werden. Der Sicherungsumfang der Bürgschaft muß sich
  96. daher an dieser Norm orientieren. Diese bezeichnet als Gegenstand der Sicherung alle etwaigen Ansprüche des Erwerbers "auf Rückgewähr oder Auszahlung seiner Vermögenswerte".
  97. -6-
  98. bb) Dieser Wortlaut spricht dafür, daß zu den gesicherten Ansprüchen
  99. auch die Ansprüche auf Rückgewähr des vorausgezahlten Erwerbspreises zu
  100. zählen sind, die sich aus einer auf Mängel gestützten Wandelung des Vertrages ergeben. Vom Wortlaut gedeckt ist auch eine Auslegung dahin, daß Ansprüche auf Ersatz von Aufwendungen für Mängelbeseitigung nach § 633
  101. Abs. 3 BGB gesichert sind. Auf beides hat der Bundesgerichtshof bereits hingewiesen (Urteil vom 14. Januar 1999, IX ZR 140/98 aaO). Er hat ferner entschieden, daß eine Bürgschaft nach § 7 Abs. 1 MaBV Minderungsansprüche
  102. nach § 634 BGB umfaßt. § 7 MaBV soll den Erwerber auch vor den Nachteilen
  103. schützen, die sich daraus ergeben, daß infolge eines Mangels der Wert der
  104. geschuldeten Leistung hinter der Höhe der geleisteten Vorauszahlungen zurückbleibt (Urteil vom 19. Juli 2001 - IX ZR 149/00, BauR 2001, 1727, 1730
  105. = ZfBR 2001, 536, 537 = NZBau 2001, 549, 551).
  106. cc) Eine Bürgschaft nach § 7 Abs. 1 MaBV sichert alle Ansprüche, die
  107. sich aus einer Störung des Gleichgewichts zwischen den geschuldeten oder
  108. geleisteten Zahlungen und dem Wert der geschuldeten oder erbrachten Bautenstände ergeben. Darunter fallen Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung des Vertrages und alle auf Zahlung von Geld gerichteten Gewährleistungsansprüche (Vorschuß auf Mangelbeseitigungskosten, Erstattung der
  109. Aufwendungen für Mangelbeseitigung, Schadensersatz, Minderung).
  110. c) Der Senat neigt dazu, eine Unwirksamkeit der so verstandenen Klausel nach §§ 24 a, 9 AGBG (Art. 3 Richtlinie) zu verneinen. Die Klausel benachteiligt die Vertragspartner der Klägerin nicht unangemessen. Sie erscheint
  111. nicht mißbräuchlich.
  112. aa) Die von der Klägerin gestellte Vertragsklausel begründet abweichend vom dispositiven Recht eine Vorleistungspflicht der Erwerber. Gemäß
  113. -7-
  114. § 641 Abs. 1 Satz 1 BGB ist die Vergütung erst bei Abnahme des hergestellten
  115. Werks zu entrichten. Der Unternehmer ist vorleistungspflichtig. Nach der Vertragsklausel sind die Erwerber dagegen verpflichtet, den Preis für die Immobilie
  116. zu zahlen, ohne daß die Klägerin irgendwelche Bauleistungen erbracht haben
  117. muß.
  118. Damit wird die Liquidität der Klägerin erhöht, die Notwendigkeit, Fremdmittel zur Finanzierung des Objekts aufzunehmen, wird vermindert. Der Preis
  119. kann dementsprechend geringer gehalten werden. Die Erwerber verlieren die
  120. Möglichkeit, ihr gesetzliches Leistungsverweigerungsrecht während der Bauphase auszuüben, wenn die Klägerin nicht oder schlecht erfüllt. Sie tragen bis
  121. zur Fertigstellung und Übereignung der Stellplätze das Risiko, daß die Klägerin
  122. leistungs- und zahlungsunfähig wird.
  123. bb) Die den Erwerbern durch die Klägerin gestellte Bürgschaft mindert
  124. diese Nachteile entscheidend.
  125. (1) Die Bürgschaft sichert sämtliche Geldansprüche der Erwerber, die
  126. ihnen wegen mangelhafter oder unterlassener Vertragserfüllung durch die Klägerin zustehen.
  127. (2) Den Erwerbern steht in jedem Fall ein tauglicher Bürge zur Verfügung (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2 MaBV), auf den sie im Sicherungsfall direkt zugreifen können. Sie müssen nicht zuvor die Zwangsvollstreckung gegen den
  128. Hauptschuldner, die Klägerin, versucht haben (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 3 MaBV in
  129. Verbindung mit § 771 BGB).
  130. (3) Die Bürgschaft sichert die Erwerber auch dann, wenn die Klägerin in
  131. Insolvenz fällt. Lehnt der Insolvenzverwalter in diesem Fall die Vertragserfül-
  132. -8-
  133. lung ab, entsteht ihnen gemäß § 103 InsO ein Schadensersatzanspruch wegen
  134. Nichterfüllung. Dieser wird von der Bürgschaft umfaßt.
  135. 3. Diese Beurteilung ist gemessen an Art. 3 Abs. 1 Richtlinie nicht frei
  136. von Zweifeln. Die in der Klausel vorgesehene Bürgschaft könnte bei einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der Vielfalt der Rechtsordnungen innerhalb
  137. der Europäischen Union nicht als ein angemessener Ausgleich für die vom dispositiven Recht abweichende Vorleistungspflicht der Erwerber anzusehen sein.
  138. Die Klausel könnte deshalb mißbräuchlich sein.
  139. 4. Die Vorlagefrage ist entscheidungserheblich.
  140. a) Ist der Gerichtshof der Meinung, die Klausel sei nicht als mißbräuchlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Richtlinie anzusehen, wäre die Revision begründet. Der Klage wäre stattzugeben. Die Beklagten schuldeten die von der
  141. Klägerin begehrten Verzugszinsen. Sie hätten sich ab 21. Mai 1999 in Verzug
  142. befunden. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Erwerbspreises wäre mit
  143. Zugang der Bürgschaftsurkunde fällig geworden. Die gemäß § 284 Abs. 1 BGB
  144. für den Eintritt des Verzugs grundsätzlich erforderliche Mahnung war entbehrlich, weil die Beklagten mit Schreiben vom 14. März 1999 die Bezahlung endgültig und ernsthaft verweigert haben (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1992
  145. - XII ZR 268/90, NJW-RR 1992, 1226, 1227 m.w.N.).
  146. -9-
  147. b) Ist der Gerichtshof dagegen der Meinung, daß die Klausel als mißbräuchlich anzusehen ist, wäre die Revision zurückzuweisen. Die Klausel wäre
  148. unwirksam. An ihre Stelle träte gemäß § 6 Abs. 2 AGBG das Werkvertragsrecht
  149. des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des
  150. Preises wäre gemäß § 641 Abs. 1 BGB erst mit der Abnahme am
  151. 21. Dezember 1999 fällig geworden. Die Klägerin könnte keine Verzugszinsen
  152. verlangen. Die Klage wäre vom Berufungsgericht zu Recht abgewiesen worden.
  153. Ullmann
  154. Thode
  155. Herr Dr. Kuffer
  156. ist wegen Urlaubs
  157. verhindert zu unterschreiben
  158. Ullmann
  159. Wiebel
  160. Bauner