Search on legal documents using Tensorflow and a web_actix web interface
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

475 lines
25 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VI ZR 444/14
  4. vom
  5. 26. April 2016
  6. in dem Rechtsstreit
  7. ECLI:DE:BGH:2016:260416BVIZR444.14.0
  8. -2-
  9. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. April 2016
  10. durch
  11. den
  12. Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Stöhr und Offenloch und die Richterinnen Dr. Oehler und Dr. Roloff
  13. beschlossen:
  14. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil
  15. des 5. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 25. September 2014 im Kostenpunkt und
  16. insoweit aufgehoben, als die Berufung hinsichtlich der Berufungsanträge zu 1 und 6 sowie hinsichtlich des Berufungsantrags zu 5
  17. insoweit zurückgewiesen worden ist, als die damit begehrten außergerichtlichen
  18. Rechtsverfolgungskosten
  19. den
  20. Betrag
  21. von
  22. 1.145,85 € nebst Zinsen übersteigen.
  23. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung
  24. und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  25. Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen.
  26. Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf bis 185.000 € festgesetzt.
  27. -3-
  28. Gründe:
  29. A.
  30. 1
  31. Die Klägerin verlangt von den Beklagten aus eigenem und abgetretenem
  32. Recht ihres Ehemannes (im Folgenden: Zedent) Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb von Wertpapieren.
  33. 2
  34. Die Beklagten waren alleinige Vorstände der zwischenzeitlich insolventen A. AG, die unter anderem im Bereich der Anlageberatung tätig war und ihre
  35. Erträge insbesondere durch Provisionen der Emittenten der empfohlenen Anlagen erwirtschaftete. In den Jahren 2004 bis 2008 erwarb und veräußerte die A.
  36. AG für die Klägerin und den Zedenten im Rahmen von mit diesen bestehenden
  37. Vermögensverwaltungsverträgen Wertpapiere. Erworben wurden dabei unter
  38. anderem Inhabergenussscheine der P. & Z. AG. Zudem kauften die Klägerin
  39. und der Zedent im Zeitraum von April 2007 bis März 2009 aufgrund Beratung
  40. und Empfehlung von Kundenbetreuern der A. AG verschiedene Wertpapiere,
  41. darunter Genussscheine der D. & B. AG.
  42. 3
  43. Die Klägerin hat unter anderem behauptet, sie und der Zedent seien
  44. nicht
  45. hinreichend
  46. über
  47. die
  48. mit
  49. den
  50. Anlagen
  51. verbundenen
  52. Risiken
  53. - insbesondere das Emittenten- und das Totalverlustrisiko - aufgeklärt worden.
  54. Dafür seien die Beklagten verantwortlich, da sie ihre Kundenberater systematisch zu einer fehlerhaften Anlageberatung veranlasst hätten.
  55. 4
  56. Soweit sie Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ist,
  57. hat die Klägerin mit ihrer Klage Schadensersatz in Höhe der für die Wertpapiere
  58. gezahlten Kaufpreise abzüglich erzielter Erträge und Erlöse Zug um Zug gegen
  59. Abtretung der Ansprüche aus von ihr noch gehaltenen Wertpapieren sowie Ersatz entgangener Anlagezinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten je-
  60. -4-
  61. weils nebst Verzugszinsen verlangt. Ferner hat sie die Feststellung begehrt,
  62. dass sich die Beklagten mit den Gegenleistungen in Annahmeverzug befinden.
  63. Die Klage hatte nach vollständiger Klageabweisung durch das Landgericht in
  64. der Berufungsinstanz Erfolg nur bezüglich der für den Erwerb der Wertpapiere
  65. der P. & Z. AG aufgewendeten Beträge nebst Verzugszinsen sowie bezüglich
  66. der darauf entfallenden Rechtsverfolgungskosten. Im Übrigen wurde die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht
  67. zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
  68. B.
  69. 5
  70. I. Soweit sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin gegen die
  71. Abweisung des von ihr geltend gemachten Anspruchs auf Ersatz des Wiederanlageschadens (Berufungsantrag Ziffer 2) richtet, war sie zurückzuweisen. Sie
  72. zeigt insoweit nicht auf, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat
  73. oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
  74. 6
  75. II. Im Übrigen hat die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO insoweit zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und
  76. zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, als die Berufung der Klägerin hinsichtlich der Berufungsanträge Ziffer 1 (Anspruch auf Ersatz der für den Erwerb der Wertpapiere aufgewendeten Beträge nebst Verzugszinsen), Ziffer 5 (Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten, soweit diese den vom Berufungsgericht zugesprochenen Betrag
  77. von 1.145,85 € übersteigen) und Ziffer 6 (Feststellung des Annahmeverzugs)
  78. zurückgewiesen wurde. Die Klägerin rügt insoweit zu Recht, das Berufungsge-
  79. -5-
  80. richt habe ihren Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG auf Gewährung rechtlichen
  81. Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
  82. 7
  83. 1. Soweit nicht die Wertpapiere der P. & Z. AG betroffen sind, hat das
  84. Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin verneint. Zur
  85. Begründung der Klageabweisung hat es, soweit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Interesse, ausgeführt, die Beklagten hafteten der Klägerin insoweit nicht nach § 826 BGB. Zwar seien die Voraussetzungen einer
  86. sittenwidrigen Schädigung im Hinblick auf die außerhalb des Vermögensverwaltungsvertrags von der Klägerin und dem Zedenten selbst erworbenen Wertpapiere - anders als hinsichtlich der von der A. AG für die Klägerin und den Zedenten im Rahmen der Vermögensverwaltungsverträge erworbenen Wertpapiere - nach dem Klägervortrag erfüllt. Denn danach hätten die Beklagten das Unternehmen derart organisiert, dass die Berater die Anleger flächendeckend und
  87. umfassend entgegen ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, vor
  88. allem ihrer Risikobereitschaft, beraten hätten. Die Klägerin behaupte, im Rahmen einer von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft K. genommenen Stichprobe
  89. hätten sich in den Depots sämtlicher 1.111 von der Stichprobe erfasster Anleger Genussscheine der Risikoklassen 3 und 4 befunden, obwohl die Anleger
  90. den Risikoklassen 1 und 2 zuzuordnen gewesen seien. Wenn aus einer Stichprobe von 1.111 Anlegern mit Genussscheinen im Depot sämtliche dieser Anleger nicht anlegergerecht beraten worden sein sollten, trage dies zur Überzeugung des Berufungsgerichts den Schluss auf flächendeckende nicht anlegergerechte Beratung und sittenwidriges Handeln der Beklagten. Der Klägerin sei es
  91. aber nicht gelungen, diese Behauptung zu beweisen. Die von ihr benannten
  92. Zeugen B. und T. seien gemäß § 376 ZPO nicht zu vernehmen gewesen, da sie
  93. nach Auskunft der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht der Pflicht
  94. zur Amtsverschwiegenheit unterlägen, von der die Bundesanstalt sie nicht ent-
  95. -6-
  96. bunden habe; daran sei das Berufungsgericht gebunden. Die weiteren Zeugen
  97. hätten den Vortrag der Klägerin nicht bestätigt.
  98. 8
  99. 2. Diese Ausführungen verletzen die Klägerin in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
  100. 9
  101. a) Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht
  102. davon aus, dass ein sittenwidriges Handeln der Beklagten nach dem Sachvortrag der Klägerin zu bejahen wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Anlageberater, der vorsätzlich eine anleger- und objektwidrige
  103. Empfehlung abgibt und die Schädigung des um Rat fragenden Anlegers zumindest billigend in Kauf nimmt, dem Anleger wegen vorsätzlicher sittenwidriger
  104. Schädigung zum Schadensersatz verpflichtet (Urteil vom 19. Februar 2008
  105. - XI ZR 170/07, BGHZ 175, 276 Rn. 29). Dementsprechend handelt auch sittenwidrig, wer - wie von der Klägerin in Bezug auf die Beklagten behauptet - als
  106. Leiter eines mit Anlageberatung befassten Unternehmens ein System etabliert,
  107. das darauf gerichtet ist, den Kunden unter planmäßiger Falschberatung ihren
  108. Interessen und ihrer Risikobereitschaft nicht entsprechende risikobehaftete Anlagen zu empfehlen (Senatsbeschluss vom 18. August 2015 - VI ZR 302/14,
  109. juris Rn. 13; vgl. auch Senatsurteil vom 14. Juli 2015 - VI ZR 463/14, VersR
  110. 2015, 1574 Rn. 24).
  111. 10
  112. b) Mit Erfolg rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass die Annahme
  113. des Berufungsgerichts, die Klägerin sei für diese Behauptung beweisfällig geblieben, auf einem Gehörsverstoß beruht. Das Berufungsgericht hat die Klägerin dadurch in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103
  114. Abs. 1 GG) verletzt, dass es die von ihr insoweit benannten Zeugen B. und T.
  115. nicht vernommen hat (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 16. Februar 2016
  116. - VI ZR 441/14, juris).
  117. -7-
  118. 11
  119. aa) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung verpflichtet Art.
  120. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die
  121. Gerichte, erheblichen Beweisanträgen nachzugehen. Die Nichtberücksichtigung
  122. eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet,
  123. verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 16. September 2014
  124. - VI ZR 118/13, VersR 2015, 338 Rn. 4; BGH, Beschluss vom 23. April 2015
  125. - V ZR 200/14, juris Rn. 7; BVerfGE 69, 141, 143 f.; BVerfG, WM 2012, 492,
  126. 493; NJW 1993, 254; teilweise mwN). Davon ist im Streitfall auszugehen. Das
  127. Unterbleiben der vom Berufungsgericht selbst als erheblich angesehenen Vernehmung der Zeugen B. und T. findet im Prozessrecht keine Grundlage.
  128. 12
  129. bb) Anders als das Berufungsgericht meint, steht der Vernehmung der
  130. Zeugen B. und T. § 376 Abs. 1 ZPO nicht entgegen.
  131. 13
  132. (1) Das Berufungsgericht hat sich aufgrund einer Auskunft der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (im Folgenden: Bundesanstalt) gemäß
  133. § 376 Abs. 1 ZPO daran gehindert gesehen, die Zeugen B. und T. zu vernehmen. Nach dieser Auskunft handelt es sich bei den Zeugen um Wirtschaftsprüfer, derer sich die Bundesanstalt gemäß § 4 Abs. 3 des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes (FinDAG) bedient hatte, um bei der A. AG eine Prüfung vorzunehmen (§ 35 Abs. 1 WpHG, § 44 Abs. 1 KWG); weiter heißt es, die Zeugen
  134. unterlägen nach § 8 Abs. 1 WpHG, § 9 Abs. 1 KWG einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht, von der sie nicht entbunden werden könnten.
  135. 14
  136. (2) Diese Mitteilung rechtfertigte es indes nicht, von der Vernehmung der
  137. Zeugen B. und T. gemäß § 376 Abs. 1 ZPO abzusehen. Die Zeugen B. und T.
  138. werden vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht erfasst.
  139. 15
  140. (a) Nach § 376 Abs. 1 ZPO gelten für die Vernehmung von Richtern, Beamten und anderen Personen des öffentlichen Dienstes als Zeugen über Um-
  141. -8-
  142. stände, auf die sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, und für die
  143. Genehmigung zur Aussage die besonderen beamtenrechtlichen Vorschriften.
  144. § 376 Abs. 1 ZPO setzt mithin - ebenso wie der gleichlautende § 54 Abs. 1
  145. StPO - eine durch andere Bestimmungen begründete Pflicht des Zeugen zur
  146. Amtsverschwiegenheit voraus (vgl. BGH, Urteil vom 11. September 1980
  147. - 4 StR 16/80, NStZ 1981, 70 zu § 54 StPO) und überträgt diese Pflicht in das
  148. Prozessrecht (zu § 54 StPO vgl. SK-StPO/Rogall, 4. Aufl., § 54 Rn. 2;
  149. KMR/Neubeck, § 54 Rn. 1 [Stand: November 2010]; AnwK-StPO/v. Schlieffen,
  150. 2. Aufl., § 54 Rn. 1). Infolgedessen besteht, wenn dem Zeugen von der zuständigen Behörde keine Aussagegenehmigung erteilt wird, ein Vernehmungsverbot
  151. (vgl. Berger in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 376 Rn. 2, 13; MüKoZPO/Damrau,
  152. 4. Aufl., § 376 Rn. 1, 11; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 376
  153. Rn. 43). Dadurch sollen die öffentlichen Geheimhaltungsinteressen auch im
  154. gerichtlichen Verfahren geschützt werden (vgl. MüKoZPO/Damrau, aaO Rn. 1;
  155. Ahrens, aaO Rn. 2; zu § 54 StPO vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005
  156. - 3 StR 281/04, BGHSt 50, 318, 326 f.; BayObLG, NJW 1990, 1857, 1858;
  157. LR/Ignor/Bertheau, 26. Aufl., § 54 Rn. 1).
  158. 16
  159. (b) B. und T. sind nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und der in Bezug genommenen Mitteilung der Bundesanstalt keine Richter oder Beamte und auch keine sonstigen Personen des öffentlichen Dienstes.
  160. Zwar waren die Zeugen aufgrund ihrer Beauftragung durch die Bundesanstalt
  161. deren Hilfspersonen und wurden bei der Prüfung der A. AG unmittelbar in Erfüllung von Angelegenheiten tätig, die für die Behörde Verwaltungsaufgaben waren (vgl. BGH, Urteile vom 7. Mai 2009 - III ZR 277/08, BGHZ 181, 12 Rn. 23;
  162. vom 26. Juni 2001 - X ZR 231/99, VersR 2001, 1390, 1392). Dies begründete
  163. aber jedenfalls deshalb kein Vernehmungsverbot gemäß § 376 Abs. 1 ZPO,
  164. weil den Zeugen keine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit im Sinne dieser Vorschrift auferlegt worden war (zu § 54 StPO vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember
  165. -9-
  166. 2005 - 3 StR 281/04, BGHSt 50, 318, 327; SK-StPO/Rogall, 4. Aufl., § 54
  167. Rn. 22).
  168. 17
  169. (aa) Ob sich eine solche Pflicht aus einer Amtsträgereigenschaft im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB ergeben kann (zu § 54 StPO vgl.
  170. BGH, Urteil vom 28. November 1979 - 3 StR 405/79, NJW 1980, 846, 847; SKStPO/Rogall, 4. Aufl., § 54 Rn. 22; LR/Ignor/Bertheau, 26. Aufl., § 54 Rn. 9
  171. a.E.), kann dabei offenbleiben. Denn die Amtsträgereigenschaft setzt nach der
  172. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine öffentlich-rechtliche Bestellung
  173. voraus, die zu einer über den einzelnen Auftrag hinausgehenden längerfristigen
  174. Tätigkeit oder zu einer organisatorischen Eingliederung in die Behördenstruktur
  175. führen muss (Urteile vom 15. Mai 1997 - 1 StR 233/96, BGHSt 43, 96, 105; vom
  176. 19. Juni 2008 - 3 StR 490/07, BGHSt 52, 290 Rn. 25; vom 9. Juli 2009 - 5 StR
  177. 263/08, BGHSt 54, 39 Rn. 46). Beides ist nicht festgestellt.
  178. 18
  179. (bb) Nach den getroffenen Feststellungen ist eine Pflicht der Zeugen B.
  180. und T. zur Amtsverschwiegenheit auch nicht durch eine förmliche Verpflichtung
  181. nach dem Verpflichtungsgesetz begründet worden (vgl. dazu MüKoZPO/
  182. Damrau, 4. Aufl., § 376 Rn. 6; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl.,
  183. § 376 Rn. 32; zu § 54 StPO vgl. BGH, Urteile vom 11. September 1980 - 4 StR
  184. 16/80, NStZ 1981, 70 und vom 15. Dezember 2005 - 3 StR 281/04, BGHSt 50,
  185. 318, 327 f. mwN).
  186. 19
  187. (cc) Eine für das Eingreifen von § 376 Abs. 1 ZPO erforderliche Pflicht
  188. zur Amtsverschwiegenheit folgt schließlich auch nicht aus der sich aus § 8
  189. Abs. 1 WpHG und § 9 Abs. 1 KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht.
  190. 20
  191. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG und § 9 Abs. 1 Satz 1 KWG dürfen unter
  192. anderem Personen, die bei der Bundesanstalt beschäftigt oder - wie die Zeugen
  193. B. und T. - nach § 4 Abs. 3 FinDAG beauftragt sind, die ihnen bei ihrer Tätigkeit
  194. - 10 -
  195. bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse eines geprüften Unternehmens oder eines Dritten liegt, nicht unbefugt offenbaren. Bei
  196. dieser Verschwiegenheitspflicht handelt es sich aber nicht um eine von § 376
  197. Abs. 1 ZPO in Bezug genommene Pflicht zur Amtsverschwiegenheit (zu ähnlichen Vorschriften vgl. RGZ 54, 1, 3; Merkl, Die Zeugenaussage nichtbeamteter
  198. Personen des öffentlichen Dienstes vor Zivil- und Strafgerichten, 1973, S. 25),
  199. wenn sie sich mit ihr im Einzelfall - anders als im Streitfall - auch überschneiden
  200. kann (vgl. VG Minden, WM 2011, 1130, 1134).
  201. 21
  202. Zwischen der sich aus § 8 WpHG und § 9 KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht einerseits und der allgemeinen Amtsverschwiegenheit andererseits bestehen wesentliche Unterschiede (vgl. BVerwG, NVwZ 2011, 1012
  203. Rn. 15; KK-WpHG/Möllers/Wenninger, 2. Aufl., § 8 WpHG Rn. 10). Anders als
  204. die beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht erfassen § 8 WpHG und § 9
  205. KWG keine Tatsachen, deren Geheimhaltung im eigenen Interesse der Bundesanstalt liegt, sondern Geschäfts-, Betriebs- und Privatgeheimnisse der beaufsichtigten Marktteilnehmer und sonstiger Dritter (vgl. BT-Drucks. 12/6679
  206. S. 42; KK-WpHG/Möllers/Wenninger, aaO Rn. 21; Beck in Schwark/Zimmer,
  207. WpHG, 4. Aufl., § 8 Rn. 1; Schlette/Bouchon in Fuchs, WpHG, § 8 Rn. 2;
  208. Bruchwitz in Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, § 8 Rn. 2; Becker in Reischauer/Kleinhans, KWG, § 9 Rn. 12 [Erg.-Lfg. 8/12]; Brocker in Schwennicke/Auerbach, KWG, 2. Aufl., § 9 Rn. 1). Zwar bezwecken beide Vorschriften
  209. damit nicht nur den Schutz der privaten Träger des Geheimhaltungsinteresses.
  210. Vielmehr sollen auch das notwendige Vertrauen in die Integrität der Aufsichtspraxis, eine entsprechende Kooperationsbereitschaft der beaufsichtigten Marktteilnehmer und damit letztlich die Funktionsfähigkeit der Märkte für Finanzinstrumente sichergestellt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 12. November 2014 - C140/13, VersR 2015, 873 Rn. 31 ff.; BT-Drucks. 12/6679 S. 42; KKWpHG/Möllers/Wenninger, 2. Aufl., § 8 Rn. 6 f.; Beck in Schwark/Zimmer,
  211. - 11 -
  212. WpHG, 4. Aufl., § 8 Rn. 1; Schlette/Bouchon in Fuchs, WpHG, § 8 Rn. 2;
  213. Bruchwitz in Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, § 8 Rn. 2). Das ändert aber nichts
  214. daran, dass die geschützten Personen über den Schutz ihrer Geheimnisse disponieren können. Willigen sie in die Offenbarung einer Tatsache ein, erfolgt die
  215. Offenbarung nicht unbefugt und die Verschwiegenheitspflicht entfällt (vgl. KKWpHG/Möllers/Wenninger,
  216. aaO
  217. Rn.
  218. 32;
  219. Beck,
  220. aaO
  221. Rn.
  222. 11,
  223. 25;
  224. Schlette/Bouchon, aaO Rn. 23; Bruchwitz, aaO Rn. 11; Döhmel in Assmann/Schneider, WpHG, 6. Aufl., § 8 Rn. 14; Becker in Reischauer/Kleinhans,
  225. KWG, § 9 Rn. 18 [Erg.-Lfg. 8/12]; Brocker in Schwennicke/Auerbach, KWG,
  226. 2. Aufl., § 9 Rn. 16). Einer Zustimmung der Bundesanstalt bedarf es dafür in
  227. Ermangelung eines entsprechenden Genehmigungsvorbehalts nicht. Demgegenüber besteht die von § 376 Abs. 1 ZPO in Bezug genommene Pflicht zur
  228. Amtsverschwiegenheit gegenüber dem öffentlichen Dienstherrn, der allein dazu
  229. berufen ist, den Bediensteten von dieser Pflicht zu entbinden (vgl. § 67 Abs. 3,
  230. § 68 BBG, § 37 Abs. 3 bis 5 BeamtStG; BVerwGE 18, 58, 61 f.).
  231. 22
  232. cc) Auch war das Berufungsgericht an der Vernehmung der Zeugen B.
  233. und T. nicht nach § 383 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 ZPO gehindert.
  234. 23
  235. Nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind Personen, denen kraft ihres Amtes,
  236. Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung
  237. durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, in Betreff der
  238. Tatsachen, auf welche sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht, zur
  239. Verweigerung des Zeugnisses berechtigt. Dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wollen, haben B. und T. bislang nicht erklärt.
  240. Schon deshalb wären sie grundsätzlich zu vernehmen gewesen (vgl. § 386
  241. Abs. 3 ZPO).
  242. 24
  243. Anderes ergibt sich auch nicht aus § 383 Abs. 3 ZPO. Nach dieser Vorschrift soll das Gericht selbst dann, wenn ein nach § 383 Abs. 1 Nr. 4 bis 6 ZPO
  244. - 12 -
  245. zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge zur Aussage bereit ist, nur solche
  246. Fragen stellen bzw. zulassen, durch deren Beantwortung der Zeuge nicht erkennbar gegen Verschwiegenheitspflichten verstößt (vgl. Zöller/Greger, ZPO,
  247. 31. Auflage, § 383 Rn. 22). Regelmäßig beschränkt die Vorschrift mithin allein
  248. den Kreis der im Rahmen einer Vernehmung zulässigen Fragen, macht aber
  249. die Vernehmung des angebotenen Zeugen als solche weder unzulässig noch
  250. entbehrlich (vgl. MüKoZPO/Damrau, 4. Aufl., § 383 Rn. 42). Ob - ausnahmsweise - anderes gelten kann, wenn von vornherein offensichtlich ist, dass der
  251. Zeuge mit jeder Aussage zum Beweisthema gegen seine Verschwiegenheitspflicht verstieße, kann offenbleiben. Denn eine solche Konstellation ist im Streitfall weder hinsichtlich der sich aus § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG, § 9 Abs. 1 Satz 1
  252. KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht (1) noch hinsichtlich derjenigen aus
  253. § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO (2) gegeben.
  254. 25
  255. (1) Die sich aus § 8 WpHG und § 9 KWG ergebende und von § 383
  256. Abs. 1 Nr. 6 ZPO geschützte Verschwiegenheitspflicht der Zeugen B. und T. ist
  257. nicht allumfassend. Sie greift ihrem Schutzzweck entsprechend nur, wenn Geheimhaltungsinteressen der beaufsichtigten Marktteilnehmer oder sonstiger
  258. Dritter betroffen sind (Schlette/Bouchon in Fuchs, WpHG, § 8 Rn. 8).
  259. 26
  260. (a) Etwaigen Geheimhaltungsinteressen der A. AG kommt dabei für die
  261. Frage, ob und inwieweit die Zeugen B. und T. zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind, im Streitfall von vorneherein keine Bedeutung zu. Denn der
  262. Insolvenzverwalter der A. AG hat die Zeugen von ihrer Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden (§ 385 Abs. 2 ZPO). Der Insolvenzverwalter war befugt, diese Erklärungen abzugeben, soweit die Verschwiegenheitspflicht zu
  263. Gunsten der A. AG besteht (vgl. MüKoZPO/Damrau, 4. Aufl., § 385 Rn. 7; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 385 Rn. 10) und das Beweisthema deren vermögensrechtliche Interessen betrifft (vgl. BGH, Urteile vom 30. November 1989
  264. - 13 -
  265. - III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 270; vom 6. Juni 1994 - II ZR 292/91, NJW
  266. 1994, 2220, 2225, insoweit in BGHZ 126, 181 nicht abgedruckt; MüKoZPO/
  267. Damrau, aaO Rn. 8; Zöller/Greger, aaO).
  268. 27
  269. (b) Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass von § 8 WpHG
  270. und § 9 KWG geschützte Geheimhaltungsinteressen sonstiger Dritter einer
  271. Aussage der Zeugen B. und T. in vollem Umfang entgegenstehen. Zwar begründet allein das Interesse an der Durchsetzung eines zivilrechtlichen Anspruchs im Allgemeinen keine Befugnis zur Offenbarung von Tatsachen im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG oder des § 9 Abs. 1 Satz 1 KWG. Dies folgt
  272. daraus, dass § 8 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 WpHG und § 9 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 KWG
  273. eine Weitergabe von Tatsachen an Strafverfolgungsbehörden oder an für Strafund Bußgeldsachen zuständige Gerichte ausdrücklich gestatten, dass es aber
  274. in Bezug auf Zivilprozesse an einer entsprechenden Regelung fehlt (vgl. Hess.
  275. VGH, NVwZ 2010, 1036, 1044; VG Minden, WM 2011, 1130, 1134 f.; KKWpHG/Möllers/Wenninger,
  276. 2. Aufl.,
  277. §
  278. 8
  279. WpHG
  280. Rn.
  281. 48;
  282. Beck
  283. in
  284. Schwark/Zimmer, WpHG, 4. Aufl., § 8 Rn. 24; Schlette/Bouchon in Fuchs,
  285. WpHG, § 8 Rn. 21; Bruchwitz in Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, § 8 Rn. 12; Lindemann in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 4. Aufl., § 9 Rn. 20; Brocker in
  286. Schwennicke/Auerbach, KWG, 2. Aufl., § 9 Rn. 16). Das Gesetz misst damit
  287. dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse in der Abwägung mit den von § 8
  288. WpHG und § 9 KWG geschützten Geheimhaltungsinteressen ein höheres Gewicht bei als dem Interesse an der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche.
  289. Über Tatsachen, deren Geheimhaltung nicht nur im Interesse der A. AG, sondern auch im Interesse eines Dritten liegt, insbesondere über dessen personenbezogene Daten (§ 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG), dürfen die Zeugen deshalb nur
  290. aussagen, wenn und soweit der Dritte in die Offenbarung eingewilligt hat. Das
  291. gilt insbesondere für identifizierende Angaben über einzelne von der Stichprobe
  292. erfasste ehemalige Kunden der A. AG, einschließlich der Tatsache, dass über-
  293. - 14 -
  294. haupt eine Kundenbeziehung bestand (vgl. BT-Drucks. 12/6679 S. 42; KKWpHG/Möllers/Wenninger, 2. Aufl., § 8 WpHG Rn. 22, 27; Beck in
  295. Schwark/Zimmer,
  296. WpHG,
  297. 4.
  298. Aufl.,
  299. §
  300. 8
  301. Rn.
  302. 8;
  303. Lindemann
  304. in
  305. Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 4. Aufl., § 9 Rn. 8, 10; Brocker in Schwennicke/Auerbach, KWG, 2. Aufl., § 9 Rn. 1, 11). Den Zeugen ist es dadurch aber
  306. insbesondere nicht verwehrt, in anonymisierter Weise über die Zusammensetzung der von ihnen geprüften Depots sowie ihr Vorgehen bei der Prüfung selbst
  307. zu berichten. Dass dem Berufungsgericht entsprechende Angaben der Zeugen
  308. genügt hätten, sich davon zu überzeugen, dass die unter Beweis gestellten Behauptungen der Kläger zutreffen, ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.
  309. 28
  310. (2) Schließlich ergibt sich eine das Beweisthema erschöpfende Schweigepflicht der Zeugen B. und T. auch nicht aus § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO. Zwar
  311. unterliegen die Zeugen als Wirtschaftsprüfer auch der allgemeinen berufsrechtlichen Pflicht zur Verschwiegenheit. Diese schützt regelmäßig aber nur den Auftraggeber (vgl. Maxl in Hense/Ulrich, WPO, 2. Aufl., § 43 Rn. 119, 140). An der
  312. Weitergabe von Tatsachen, die allein Dritte betreffen, zu denen kein Mandatsverhältnis besteht, ist der Wirtschaftsprüfer durch § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO
  313. grundsätzlich nicht gehindert (vgl. Maxl, aaO 140; zu § 57 StBG auch Koslowski, StBG, 7. Aufl., § 57 Rn. 62). Die Erkenntnisse, die die Zeugen bei der
  314. von der Bundesanstalt beauftragten Prüfung der A. AG gewonnen haben und
  315. die sie mit Einwilligung des Insolvenzverwalters offenbaren sollen, betreffen
  316. nicht die Verhältnisse der Bundesanstalt. Ein schutzwürdiges Eigeninteresse
  317. der Bundesanstalt an der Geheimhaltung dieser Erkenntnisse ist nicht ersichtlich.
  318. 29
  319. dd) Die angefochtene Entscheidung beruht auf der gehörswidrig unterbliebenen Vernehmung der Zeugen B. und T. Es ist nicht auszuschließen, dass
  320. - 15 -
  321. das Berufungsgericht auf der Grundlage der - ggf. eingeschränkten - Aussage
  322. der Zeugen den Klägervortrag als erwiesen angesehen hätte, wonach sich in
  323. den Depots von sämtlichen 1.111 Anlegern, die die Zeugen stichprobenhaft
  324. überprüft haben, Genussscheine der Risikoklassen 3 und 4 befanden, obwohl
  325. die Anleger den Risikoklassen 1 und 2 zuzuordnen waren. Aus einem solchen
  326. Beweisergebnis hätte das Berufungsgericht nach seinen eigenen Ausführungen
  327. auf eine flächendeckende nicht anlegergerechte Beratung und ein sittenwidriges Handeln der Beklagten geschlossen.
  328. 30
  329. 3. Der erkennende Senat hält es für angezeigt (vgl. zum insoweit bestehenden Ermessen des Revisionsgerichts: BGH, Urteil vom 30. September 1966
  330. - V ZR 140/65, NJW 1966, 2356, 2357; MüKoZPO/Krüger, 4. Aufl., § 562 Rn. 5;
  331. Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 562 Rn. 2), die angefochtene Entscheidung
  332. auch insoweit aufzuheben, als mit ihr die im Hinblick auf die Vermögensverwaltung geltend gemachten Schadensersatzansprüche zurückgewiesen wurden.
  333. Zwar betrifft der dargestellte Gehörsverstoß die von der Klägerin in Bezug auf
  334. die Vermögensverwaltungsverträge geltend gemachten Schadensersatzansprüche nicht unmittelbar. Denn insoweit hat das Berufungsgericht die Klage
  335. schon als nicht schlüssig beurteilt. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden,
  336. dass sich aus der nachzuholenden Beweisaufnahme für die Klägerin
  337. - 16 -
  338. Günstiges auch insoweit ergibt, was sie sich - ggf. konkludent - zu eigen machen könnte.
  339. Galke
  340. Stöhr
  341. Oehler
  342. Offenloch
  343. Roloff
  344. Vorinstanzen:
  345. LG Itzehoe, Entscheidung vom 25.03.2014 - 7 O 375/11 OLG Schleswig, Entscheidung vom 25.09.2014 - 5 U 65/14 -