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22 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VI ZR 384/13
  5. Verkündet am:
  6. 20. Mai 2014
  7. Böhringer-Mangold
  8. Justizamtsinspektorin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. ZPO § 237
  19. Zur Frage der Zuständigkeit des Berufungsgerichts zur Entscheidung über einen in der ersten Instanz gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen
  20. Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist, über den das Eingangsgericht nicht entschieden hat.
  21. BGH, Urteil vom 20. Mai 2014 - VI ZR 384/13 - OLG München
  22. LG München I
  23. - 2 -
  24. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  25. vom 20. Mai 2014 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richterin Diederichsen, den Richter Stöhr, die Richterin von Pentz und den Richter Offenloch
  26. für Recht erkannt:
  27. Die Revision gegen das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24. Juli 2013 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
  28. Von Rechts wegen
  29. Tatbestand:
  30. 1
  31. Der Kläger nimmt die Beklagte, eine in der Türkei ansässige türkische
  32. Aktiengesellschaft, auf Schadensersatz wegen von ihm im Jahre 1999 als Kapitalanlage gezeichneter nicht börsennotierter Aktien in Anspruch.
  33. 2
  34. Nach Eingang der Klageschrift hat der Vorsitzende der Zivilkammer mit
  35. Verfügung vom 18. Juni 2009 die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens angeordnet und der Beklagten mit Beschluss vom 23. Juni 2009 gemäß
  36. § 184 Abs. 1 ZPO aufgegeben, innerhalb von vier Wochen ab Zustellung des
  37. Beschlusses einen Zustellungsbevollmächtigten mit Wohnsitz oder Geschäftsraum im Inland zu benennen. Auf die anderenfalls eintretenden rechtlichen Folgen der Zustellung von Schriftstücken durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift der Beklagten hat der Vorsitzende hingewiesen. Diese Verfügung und
  38. - 3 -
  39. die Klageschrift sind der Beklagten im Rechtshilfeweg am 8. Januar 2010 förmlich zugestellt worden. Am 26. März 2010 hat das Landgericht auf Antrag des
  40. Klägers ein der Klage stattgebendes Versäumnisurteil erlassen. Die Einspruchsfrist hat es auf vier Wochen festgesetzt. Das Versäumnisurteil ist am 8.
  41. April 2010 unter der Anschrift der Beklagten zum Zwecke der Zustellung zur
  42. Post aufgegeben worden, worüber die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle einen in den Akten befindlichen Vermerk niedergelegt hat. Auf Antrag des Klägers ist das Versäumnisurteil am 28. Januar 2011 im Rechtshilfeweg erneut an
  43. die Beklagte zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 25. Februar 2011, bei Gericht eingegangen am 28. Februar 2011, hat die Beklagte Einspruch gegen das
  44. Versäumnisurteil eingelegt. Auf einen Hinweis des Klägers im Schriftsatz vom
  45. 12. April 2011, an den damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten weitergeleitet am 11. Mai 2011, dass der Einspruch verfristet sei, weil bereits durch
  46. die erste Zustellung des Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post die Einspruchsfrist in Gang gesetzt worden und daher längst abgelaufen sei, hat die
  47. Beklagte mit Schriftsatz vom 24. Mai 2011 erwidert. Sie hat die Auffassung vertreten, dass nur die förmliche Zustellung im Rechtshilfeweg vom 28. Januar
  48. 2011 wirksam sei. Jedenfalls sei der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil ihr aufgrund des Vorbehalts der Türkei gegen die
  49. Postzustellung nicht vorgeworfen werden könne, dass sie in keiner Weise mehr
  50. nachvollziehen könne, welche gerichtlichen Schriftstücke sie auf dem Postweg
  51. aus Deutschland überhaupt und zu welchem Zeitpunkt erhalten habe.
  52. 3
  53. Das Landgericht hat das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht das Urteil
  54. des Landgerichts aufgehoben und den Einspruch der Beklagten gegen das
  55. Versäumnisurteil vom 26. März 2010 als unzulässig verworfen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Zurückweisung
  56. der Berufung und die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
  57. - 4 -
  58. Entscheidungsgründe:
  59. I.
  60. 4
  61. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Aufgrund der zulässigen Berufung
  62. des Klägers sei auch ohne Rüge in der Berufungsbegründungsschrift in der Berufungsinstanz die Zulässigkeit des Einspruchs von Amts wegen zu prüfen. Das
  63. Landgericht habe irrigerweise angenommen, dass die Einspruchsfrist gewahrt
  64. sei, weil die zuständige Einzelrichterin den Vermerk der Urkundsbeamtin der
  65. Geschäftsstelle über die Aufgabe der Abschrift des Urteils zur Post unter der
  66. Anschrift der Beklagten zum Zwecke der Zustellung übersehen habe. Über den
  67. Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei deshalb
  68. noch nicht entschieden. Eine Wiedereinsetzung sei auch nicht stillschweigend
  69. gewährt worden. Der Einspruch sei am 28. Februar 2011, als er eingelegt worden sei, verfristet gewesen, weil das Versäumnisurteil am 8. April 2010 unter
  70. der Anschrift der Beklagten zum Zwecke der Zustellung zur Post aufgegeben
  71. worden sei. Dies habe die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in einem Vermerk dokumentiert. Das Versäumnisurteil gelte mithin am 22. April 2010 als
  72. zugestellt, so dass die auf vier Wochen festgesetzte Einspruchsfrist am 25. Mai
  73. 2010 (richtig: 20. Mai 2010) abgelaufen sei. Die von der Beklagten gegen die
  74. Wirksamkeit der Zustellung erhobenen rechtlichen Bedenken seien nicht durchgreifend. Auch die erneute förmliche Zustellung am 28. Januar 2011 könne die
  75. bereits eingetretene Rechtskraft nicht durchbrechen. Über den Antrag auf Wiedereinsetzung könne trotz der Regelungen in § 237 ZPO und § 238 Abs. 3 ZPO
  76. das Berufungsgericht entscheiden, weil die Wiedereinsetzung in die versäumte
  77. Einspruchsfrist nach Aktenlage keinesfalls gewährt werden könne. Die Beklagte
  78. habe auf eigenes Risiko gehandelt, wenn sie nicht mehr nachvollziehen könne,
  79. welche und zu welchem Zeitpunkt sie gerichtliche Schriftstücke aus Deutschland erhalten habe. Obwohl die Beklagte mit der Ladungsverfügung vom
  80. - 5 -
  81. 29. Mai 2013 darauf hingewiesen worden sei, dass ein tragfähiger Wiedereinsetzungsgrund nicht dargelegt sei, habe sie sich ausschließlich auf ihre unzutreffende Rechtsauffassung von der fehlenden Wirksamkeit der Zustellung nach
  82. § 184 ZPO berufen.
  83. 5
  84. Nach einhelliger Meinung sei es aus Gründen der Prozessökonomie
  85. zwar nur zulässig, dass das Rechtsmittelgericht über einen Wiedereinsetzungsantrag entscheide, wenn darüber die Vorinstanz nicht befunden habe und Wiedereinsetzung zu gewähren sei. Dies müsse aber auch gelten, wenn aus
  86. Rechtsgründen eine positive Verbescheidung des Wiedereinsetzungsgesuchs
  87. nach Lage der Akten von vornherein ausscheide. Das Argument, der Partei, die
  88. eine Not- oder Rechtsmittelfrist versäumt habe, müsse die Chance erhalten
  89. bleiben, dass das nach § 237 ZPO zuständige Gericht mit bindender Wirkung
  90. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähre, überzeuge nicht, wenn das
  91. Wiedereinsetzungsgesuch eindeutig zurückzuweisen sei. Der Gesetzgeber habe die gewährte Wiedereinsetzung durch § 238 Abs. 3 ZPO einer Nachprüfung
  92. durch die höhere Instanz entzogen, um zu vermeiden, dass ein Verfahren der
  93. Vorinstanz, das nach positiver Entscheidung über ein Wiedereinsetzungsgesuch zu einer Entscheidung in der Sache geführt habe, nachträglich dadurch
  94. entwertet werde, dass das Rechtsmittelgericht die Berechtigung des Wiedereinsetzungsgesuches im Gegensatz zum Gericht der Vorinstanz nunmehr verneine. Es solle damit das Vertrauen der Parteien und des Erstgerichts, sich nach
  95. einer einmal ergangenen stattgebenden Wiedereinsetzungsentscheidung wieder ausschließlich auf die inhaltliche Befassung mit dem Klagebegehren konzentrieren zu können, geschützt werden. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 238 ZPO etwas an der zum damaligen
  96. Zeitpunkt einhelligen Rechtsprechung habe ändern wollen, wonach das
  97. Rechtsmittelgericht die Entscheidung über ein in erster Instanz nicht beschiedenes Wiedereinsetzungsgesuch in jedem Fall selbst zu treffen habe (vgl. BGH,
  98. - 6 -
  99. Beschluss vom 6. Oktober 1952 - III ZR 369/51, BGHZ 7, 280, 283 f.), ließen
  100. sich aber den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen. Habe die Vorinstanz
  101. das Wiedereinsetzungsgesuch übergangen, trete eine Bindungswirkung nach
  102. § 238 Abs. 3 ZPO nicht ein. Da dem Gericht für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung ein Ermessen nicht zustehe, sondern diese rechtlich gebunden
  103. sei, sei ein überzeugender Grund nicht dafür gegeben, dass dem Rechtsmittelgericht in einem klar auf der Hand liegenden Fall einer Ablehnung des Wiedereinsetzungsgesuchs die Entscheidung verwehrt sein solle. Eine "rechtlich gesicherte Chance" auf die Herbeiführung einer - nach dem Ergebnis der Prüfung
  104. des Rechtsmittelgerichts - fehlerhaften Entscheidung durch die Vorinstanz könne es nicht geben. Eine eigene Entscheidung durch das Berufungsgericht sei
  105. schließlich auch deshalb rechtlich geboten, weil ein Zurückverweisungsgrund
  106. gemäß § 538 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sei und die Zivilprozessordnung sonst
  107. keine Handhabe biete, den Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen.
  108. II.
  109. 6
  110. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Es ist
  111. rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht über den Antrag der
  112. Beklagten auf Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist selbst entschieden und die Sache nicht an das Landgericht zurückverwiesen hat.
  113. 7
  114. 1. Auf die Berufung des Klägers war das Berufungsgericht zur Entscheidung über das Urteil des Landgerichts und mithin zur Prüfung der Rechtzeitigkeit des Einspruchs berufen. Die Zulässigkeit des Einspruchs ist eine von Amts
  115. wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung, von der das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung des Einspruchs, auch das Verfahren in der Berufungsinstanz, in seiner Rechtswirksamkeit abhängt (vgl. Senat, Beschluss vom
  116. - 7 -
  117. 26. Februar 2013 - VI ZR 374/12, VersR 2013, 735 Rn. 3; BGH, Urteile vom
  118. 31. Januar 1952 - IV ZR 104/51, BGHZ 4, 389, 395 f.; vom 21. Juni 1976
  119. - III ZR 22/75, NJW 1976, 1940, und vom 4. November 1981 - IVb ZR 625/80,
  120. VersR 1982, 187, 188). Sie ist in allen Instanzen von Amts wegen zu prüfen,
  121. weil das rechtskräftige Versäumnisurteil dem weiteren Verfahren entgegensteht.
  122. 8
  123. Richtig ist, dass im Streitfall der Einspruch verfristet ist, weil das Versäumnisurteil vom 26. März 2010 aufgrund der am 8. April 2010 unter der Anschrift der Beklagten erfolgten Aufgabe zur Post zum Zwecke der Zustellung
  124. gemäß § 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO am 22. April 2010 als zugestellt gilt. Die auf
  125. vier Wochen festgesetzte Einspruchsfrist ist mithin am 20. Mai 2010 abgelaufen. Die Aufgabe zur Post ist bewiesen durch den Vermerk der Urkundsbeamtin
  126. der Geschäftsstelle (§ 184 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO). In Übereinstimmung mit der Auffassung des erkennenden Senats teilt das Berufungsgericht mit Recht die gegen die Wirksamkeit der Zustellung gemäß § 184 ZPO
  127. geäußerten rechtlichen Bedenken der Beklagten nicht. In einer Vielzahl von
  128. Entscheidungen gegen die Beklagte hat der erkennende Senat sich hierzu umfangreich geäußert. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird darauf Bezug
  129. genommen (vgl. etwa Senatsurteile vom 26. Juni 2012 - VI ZR 241/11, NJW
  130. 2012, 2588 = WM 2012, 1499; vom 3. Juli 2012 - VI ZR 239/11 und VI ZR
  131. 227/11, juris; vom 18. September 2012 - VI ZR 225/11, NJW-RR 2012, 1459 =
  132. MDR 2012, 1306; vom 25. September 2012 - VI ZR 230/11 und VI ZR 287/11,
  133. juris; vom 15. Januar 2013 - VI ZR 241/12, NJW-RR 2013, 435, sowie vom
  134. 5. November 2013 - VI ZR 319/12, juris). Zutreffend hat das Berufungsgericht
  135. auch eine Durchbrechung der im Mai 2010 eingetretenen Rechtskraft des Versäumnisurteils durch die nachträgliche förmliche Zustellung im Wege der
  136. Rechtshilfe am 28. Januar 2011 abgelehnt (vgl. Senat, Urteil vom 15. Januar
  137. 2013 - VI ZR 241/12, aaO Rn. 15 mwN).
  138. - 8 -
  139. 9
  140. 2. Ist der Einspruch verfristet, war über den Antrag der Beklagten auf
  141. Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist noch zu entscheiden.
  142. 10
  143. a) Die Regelung in § 238 Abs. 3 ZPO steht dem nicht entgegen, weil das
  144. Landgericht, bei dem der Wiedereinsetzungsantrag gestellt worden ist, über
  145. den Antrag nicht entschieden hat. Es hatte aufgrund der irrigen Rechtsauffassung, dass die Einspruchsfrist eingehalten sei, dazu keine Veranlassung. Darauf weist das Berufungsgericht zutreffend hin. Eine Wiedereinsetzung in eine
  146. nicht versäumte Frist sieht das Gesetz nicht vor. Sie kann daher auch nicht gewährt werden. Ein gleichwohl gestellter Wiedereinsetzungsantrag ist gegenstandslos (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2012 - XII ZB 421/11, NJW-RR
  147. 2012, 755 Rn. 24) und muss nicht beschieden werden. Deshalb kann nicht angenommen werden, dass der Beklagten durch die Entscheidung in der Sache
  148. konkludent Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden wäre.
  149. 11
  150. b) Das Berufungsgericht stellt nicht in Frage, dass regelmäßig über den
  151. Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 237 ZPO das Gericht zu entscheiden hat, dem die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung zusteht, im Streitfall bei Versäumung der Einspruchsfrist also das
  152. Landgericht.
  153. 12
  154. aa) Grundsätzlich ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
  155. das Rechtsmittelgericht gehalten, die Entscheidung des nach § 237 ZPO für die
  156. Wiedereinsetzung zuständigen Gerichts herbeizuführen, gegen die gegebenenfalls das nach § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsmittel eingelegt werden kann. Das zuständige Gericht muss Gelegenheit haben, über den Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden (vgl. Senat, Beschluss vom 22. September
  157. 1992 - VI ZB 22/92, VersR 1993, 500, 501; BGH, Urteil vom 3. Juni 1987
  158. - VIII ZR 154/86, BGHZ 101, 134, 141; Beschlüsse vom 7. Oktober 1981 - IVb
  159. - 9 -
  160. ZB 825/81, NJW 1982, 887 und vom 7. April 1982 - VIII ZB 11/82, VersR 1982,
  161. 673; anderer Ansicht BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1952 - III ZR 369/51,
  162. BGHZ 7, 280, 283 f. zum Rechtszustand vor Einführung des § 238 Abs. 3
  163. ZPO).
  164. 13
  165. bb) Als Ausnahmefall ist anerkannt, dass anstelle des nach § 237 ZPO
  166. zuständigen Gerichts das Rechtsmittelgericht die Wiedereinsetzung aussprechen kann, wenn die Wiedereinsetzung nach dem Aktenstand ohne weiteres zu
  167. gewähren ist (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Juli 1985 - VI ZB 8/85, NJW 1985,
  168. 2650, 2651; BGH, Urteil vom 4. November 1981 - IVb ZR 625/80, NJW 1982,
  169. 1873, 1874; Beschluss vom 19. Juni 1996 - XII ZB 89/96, NJW 1996, 2581;
  170. BAG NJW 2004, 2112, 2113; MünchKommZPO/Gehrlein, 4. Aufl. § 237 Rn. 4;
  171. Hk-ZPO/Saenger, 5. Aufl., § 237 Rn. 3; BeckOK ZPO/Wendtland § 237 Rn. 6
  172. (Stand: 15. März 2014); Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 237 Rn. 2). Auch in
  173. einem solchen Fall muss aber Entscheidungsreife gegeben sein (vgl. Senat,
  174. Beschluss vom 12. November 2013 - VI ZB 4/13, NJW 2014, 700 Rn. 16). Eine
  175. Entscheidungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts über einen Antrag auf Wiedereinsetzung wird schließlich abweichend von der Regelung in § 237 ZPO in dem
  176. Fall angenommen, dass die Vorinstanz verfahrensfehlerhaft eine Entscheidung
  177. über den bei ihm gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung unterlassen (vgl.
  178. BGH, Beschluss vom 29. September 1993 - XII ZB 49/93, NJW-RR 1994, 127;
  179. BAG NJW 2013, 1620 Rn. 38) oder die Berufung verworfen und dabei den
  180. Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt hat (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2000
  181. - X ZB 17/00, juris). Das Rechtsmittelgericht kann außerdem ausnahmsweise
  182. selbst entscheiden, wenn die Entscheidung über das Rechtsmittel materiellrechtlich zum selben Ergebnis wie eine Versagung der Wiedereinsetzung führt.
  183. Dann kann die Wiedereinsetzung zugunsten der fristsäumigen Partei unterstellt
  184. werden (vgl. BAG 4. Juni 2003 - 10 AZR 586/02, AP InsO § 209 Nr. 2 = EzA
  185. InsO § 209 Nr. 1 und BAG, NJW 2013, 1620 Rn. 39).
  186. - 10 -
  187. 14
  188. cc) Die Entscheidungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts wird hingegen
  189. verneint, wenn dem Gesuch nicht stattgegeben werden soll. In einem solchen
  190. Fall sei die Sache an das Ausgangsgericht zurückzuverweisen, weil dem Antragsteller die Möglichkeit nicht entzogen werden dürfe, eine aufgrund der Regelung in § 238 Abs. 3 ZPO nicht anfechtbare Wiedereinsetzung durch das
  191. Ausgangsgericht zu erwirken (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juni 1987 - VIII ZR
  192. 154/86, aaO; Beschluss vom 7. Oktober 1981 - IVb ZB 825/81, aaO; vom
  193. 19. Juni 1996 - XII ZB 89/96, aaO; BAG NJW 2004, 2112, 2113 Rn. 47;
  194. MünchKommZPO/Gehrlein, aaO; Hk-ZPO/Saenger, aaO; BeckOK ZPO/
  195. Wendtland, aaO Rn. 7).
  196. 15
  197. c) Im Streitfall war die Entscheidungsbefugnis des Berufungsgericht über
  198. den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten jedenfalls deshalb gegeben, weil
  199. es das Landgericht verfahrensfehlerhaft unterlassen hat, über den Antrag zu
  200. entscheiden. Es hat den in den Akten befindlichen Vermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, dass das Versäumnisurteil am 8. April 2010 unter der
  201. Anschrift der Beklagten zum Zwecke der Zustellung zur Post aufgegeben worden ist, nicht erkennbar zur Kenntnis genommen, obwohl der Kläger im Schriftsatz vom 12. April 2011 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass der Einspruch verfristet sei (Art. 103 Abs. 1 GG, § 286 ZPO). Infolgedessen hat es irrigerweise verkannt, dass mit der Zustellung des Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post am 8. April 2010 die Einspruchsfrist in Gang gesetzt worden ist und
  202. diese daher bei Eingang des Einspruchs der Beklagten bei Gericht am 28. Februar 2011 bereits abgelaufen war. Mithin stand einem weiteren Fortgang des
  203. Prozesses die Rechtskraft des Versäumnisurteils vom 26. März 2010 entgegen.
  204. 16
  205. d) Die Frage, ob das Berufungsgericht an der Aufhebung des Urteils des
  206. Landgerichts und Zurückverweisung zur Entscheidung über den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung auch dadurch gehindert ist, weil ein Grund zur
  207. - 11 -
  208. Zurückverweisung gemäß § 538 Abs. 2 ZPO nicht gegeben wäre, bedarf im
  209. Streitfall mithin keiner Entscheidung. Hierfür spricht allerdings, dass - anders als
  210. für das Rechtsbeschwerde- und Revisionsverfahren (vgl. § 577 Abs. 4 ZPO und
  211. §§ 562, 563 ZPO) - das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I
  212. S. 1887) im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und einer effizienteren
  213. Prozessgestaltung die Möglichkeiten der Zurückverweisung durch das Berufungsgericht beschnitten hat. Eine Zurückverweisung an das Gericht des ersten
  214. Rechtszugs ist nur ausnahmsweise unter den abschließend in § 538 Abs. 2
  215. ZPO geregelten Voraussetzungen zulässig (Musielak/Ball ZPO, 11. Aufl. § 538
  216. Rn. 2; Hk-ZPO/Wöstmann, 5. Aufl., § 538 Rn. 1). Das von der Revision dagegen geführte Argument, dass die Entscheidung, mit der die Wiedereinsetzung
  217. gewährt wird, nach § 238 Abs. 3 ZPO nicht anfechtbar sei und gegen die Entscheidungskompetenz des Berufungsgerichts die Regelung in § 237 ZPO spreche, überzeugt schon deshalb nicht, weil die Entscheidung über die Wiedereinsetzung dem Gericht nicht ein Ermessen eröffnet, sondern rechtlich gebunden
  218. ist. Darauf weist bereits das Berufungsgericht zutreffend hin. Außerdem ist eine
  219. "rechtlich garantierte Chance" auf die Herbeiführung einer nach Auffassung des
  220. Rechtsmittelgerichts unrichtigen unanfechtbaren Entscheidung des Vorderrichters - wie sie von den Befürwortern einer ausschließlichen Zuständigkeitsregelung in § 237 ZPO gesehen wird - dem deutschen Rechtssystem fremd (vgl. zu
  221. § 60 VwGO: BVerwG, NVwZ 1985, 484; Schoch/Schneider/Bier VwGO, 24. Ergänzungslieferung § 60 Rn. 71).
  222. 17
  223. 3. Aus Rechtsgründen ist danach nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht unter Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist den Einspruch als unzulässig verworfen hat.
  224. 18
  225. a) Die Regelung in § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO erfordert, dass alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung erforderlich sind, innerhalb
  226. - 12 -
  227. der Wiedereinsetzungsfrist vorgetragen werden (vgl. Senat, Urteil vom 3. Juli
  228. 2012 - VI ZR 227/11, juris Rn. 34; Beschlüsse vom 29. Januar 2002 - VI ZB
  229. 28/01, juris Rn. 4; vom 13. November 2007 - VI ZB 19/07, juris Rn. 6; BGH, Beschluss vom 19. April 2011 - XI ZB 4/10, NJW-RR 2011, 1284 Rn. 7) und
  230. glaubhaft gemacht sind (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1978 - IV ZB 90/77,
  231. VersR 1978, 825, 826 und vom 20. Januar 1983 - IX ZR 19/82, VersR 1983,
  232. 376; BAG, NJW 2013, 1620 Rn. 46). Solche Tatsachen hat die Beklagte nicht
  233. vorgetragen. Geeigneten rechtzeitigen Vortrag vermag auch die Revision nicht
  234. aufzuzeigen. Die von ihr erhobene Rüge eines fehlenden Hinweises durch das
  235. Gericht entbehrt der rechtlichen Grundlage, weil das Berufungsgericht in der
  236. Ladungsverfügung vom 29. Mai 2013, die dem Prozessbevollmächtigten der
  237. Beklagten am selben Tag per Fax zugegangen ist, auf den Mangel im Vortrag
  238. ausdrücklich hingewiesen hat. In dem danach bei Gericht eingereichten Schriftsatz beschränkte sich die Beklagte darauf, ihre Rechtsauffassung von der Unwirksamkeit einer Zustellung nach § 184 ZPO zu wiederholen.
  239. 19
  240. b) Die Wiedereinsetzung kann nicht deshalb gewährt werden, weil die
  241. Beklagte, obwohl sie über den Inhalt des Rechtsstreits informiert war, aufgrund
  242. der förmlichen Zustellung der Klage und der Hinweise des Gerichts auf die Folgen bei Nichtbenennung eines Zustellungsbevollmächtigten, infolge der von ihr
  243. vertretenen Rechtsauffassung untätig geblieben ist und eine Reaktion auf den
  244. nach dem Vortrag der Beklagten nicht zweifelhaften Zugang des Versäumnisurteils nicht für erforderlich gehalten hat. Entgegen der Darstellung der Revision
  245. hat die Beklagte innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nicht behauptet, dass ihr
  246. das im Inland unter der Anschrift der Beklagten zur Post aufgegebene Schriftstück nicht zugegangen ist. Sie hat lediglich vorgetragen, dass für sie in keiner
  247. Weise nachvollziehbar ist, ob das Versäumnisurteil tatsächlich durch Aufgabe
  248. zur Post zugestellt worden ist. Die Zustellung im Inland durch die Aufgabe zur
  249. - 13 -
  250. Post ist aber nachgewiesen durch den Vermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (§ 184 Abs. 2 Satz 4, § 418 Abs. 1 ZPO).
  251. Galke
  252. Diederichsen
  253. von Pentz
  254. Stöhr
  255. Offenloch
  256. Vorinstanzen:
  257. LG München I, Entscheidung vom 15.05.2012 - 20 O 8099/09 OLG München, Entscheidung vom 24.07.2013 - 15 U 2604/12 -