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446 lines
26 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VI ZR 243/06
  5. Verkündet am:
  6. 1. Juli 2008
  7. Holmes,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. KunstUrhG §§ 22, 23
  19. Zur Frage der Zulässigkeit einer Bildberichterstattung ohne Einwilligung der abgebildeten Prominenten in einer Situation aus ihrem privaten Alltag (hier:
  20. "Shopping mit Putzfrau auf Mallorca").
  21. BGH, Urteil vom 1. Juli 2008 - VI ZR 243/06 - KG
  22. LG Berlin
  23. -2-
  24. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  25. vom 1. Juli 2008 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Wellner, die
  26. Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll
  27. für Recht erkannt:
  28. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats
  29. des Kammergerichts vom 7. November 2006 unter Zurückweisung
  30. der weitergehenden Revision teilweise aufgehoben.
  31. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts
  32. unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung und unter Abweisung der Klage im Übrigen teilweise abgeändert:
  33. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall
  34. der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu
  35. 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6
  36. Monaten, letzteres zu vollziehen an einem der Vorstandsmitglieder, zu unterlassen, das in "Bild der Frau" Nr. 33 vom 15. August
  37. 2005 auf Seite 49 veröffentlichte Foto erneut - wie geschehen - zu
  38. veröffentlichen.
  39. Die Klägerin hat die Kosten des ersten Rechtszuges zu tragen.
  40. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Von den Gerichtskosten des Revisionsverfahrens trägt
  41. die Klägerin 3/8 und die Beklagte 5/8. Die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
  42. Von Rechts wegen
  43. -3-
  44. Tatbestand:
  45. 1
  46. Die Klägerin ist eine bekannte deutsche Fernsehjournalistin. Die Beklagte veröffentlichte in der von ihr verlegten Zeitschrift ein Foto, welches die Klägerin mit ihrer Putzfrau beim Einkaufen in Puerto Andratx auf Mallorca zeigt. Foto
  47. und dazugehöriger Text befanden sich auf einer bebilderten Seite mit der Überschrift "Was jetzt los ist auf Mallorca". Das Bild ist mit dem Begleittext versehen:
  48. "ARD-Talkerin … beim Shopping mit ihrer Putzfrau im Fischerdorf Puerto
  49. Andratx. Ihre Finca liegt romantisch zwischen Mandelbäumen am Rande von
  50. Andratx."
  51. 2
  52. Auf entsprechenden Antrag der Klägerin hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, zu unterlassen, "Bildnisse aus dem privaten Alltag der Klägerin zu
  53. veröffentlichen und/oder zu verbreiten und/oder veröffentlichen und/oder
  54. verbreiten zu lassen, wie in "Bild der Frau" Nr. 33 vom 15. August 2005 auf der
  55. Seite 49 geschehen."
  56. 3
  57. Die gegen diese Verurteilung gerichtete Berufung der Beklagten hat das
  58. Kammergericht teilweise für begründet erachtet und die Beklagte nunmehr unter Klageabweisung im Übrigen - entsprechend einem von der Klägerin in der
  59. Berufungsinstanz gestellten (ersten) Hilfsantrag - dazu verurteilt, es zu unterlassen, "Fotos der Klägerin zu veröffentlichen wie in "Bild der Frau" Nr. 33 vom
  60. 15. August 2005 auf Seite 49 geschehen." Mit ihrer - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, soweit das
  61. Berufungsgericht zu ihrem Nachteil entschieden hat. Die Klägerin hat ihre Revision zurückgenommen.
  62. -4-
  63. Entscheidungsgründe:
  64. I.
  65. 4
  66. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der erste Hilfsantrag, mit dem
  67. die Klägerin es der Beklagten untersagen lassen wolle, "Fotos der Klägerin zu
  68. veröffentlichen wie in "Bild der Frau" Nr. 33 vom 15. August 2005 auf Seite 49
  69. geschehen", sei zulässig und begründet. Der Antrag ziele auf eine Verurteilung
  70. der Beklagten entsprechend der "Kerntheorie", wonach ein Betroffener nicht nur
  71. eine exakte Wiederholung der Verletzungshandlung verbieten lassen könne,
  72. sondern auch einen künftigen wesensgleichen Eingriff, der von der konkreten
  73. Verletzungsform geringfügig abweiche. Charakteristisch sei im vorliegenden
  74. Fall, dass die Klägerin bei Besorgungen bzw. beim Flanieren auf Mallorca - sei
  75. es mit oder ohne Begleitung - abgebildet worden sei, ohne dass dem Bild ein
  76. zusätzlicher Nachrichtenwert hinsichtlich der Klägerin zukomme. Bei einer Abwägung im Rahmen der §§ 22, 23 KUG müsse - insbesondere unter Berücksichtigung der Entscheidungen des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts
  77. - das Recht der Beklagten auf freie Berichterstattung gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Klägerin zurücktreten.
  78. II.
  79. 5
  80. Die Revision der Beklagten hat teilweise Erfolg, soweit sie sich gegen die
  81. Verurteilung der Beklagten nach dem ersten Hilfsantrag der Klägerin wendet.
  82. 6
  83. 1. Das Berufungsgericht hat das mit dem ersten Hilfsantrag begehrte
  84. Verbot, "Fotos der Klägerin zu veröffentlichen, wie in "Bild der Frau" Nr. 33 vom
  85. 15. August 2005 auf S. 49 geschehen", zutreffend dahin ausgelegt, dass dieser
  86. Antrag auf eine Verurteilung der Beklagten entsprechend der vorgenannten
  87. -5-
  88. "Kerntheorie" zielt und damit hinreichend bestimmt ist im Sinne des § 253
  89. Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
  90. 7
  91. 2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Hilfsantrag in
  92. dieser Form jedoch unbegründet, weil der Klägerin ein so weitgehender Unterlassungsanspruch aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 1004 Abs. 1
  93. Satz 2, 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1
  94. GG nicht zusteht. Wie der erkennende Senat zwischenzeitlich entschieden hat,
  95. lässt sich die im Wettbewerbsrecht entwickelte "Kerntheorie" auf das Recht der
  96. Bildberichterstattung nicht übertragen (vgl. Senatsurteile vom 13. November
  97. 2007 - VI ZR 265/06 - VersR 2008, 552 und - VI ZR 269/06 - NJW 2008, 1593).
  98. 8
  99. a) Der Senat hat in seiner neueren Rechtsprechung zur Zulässigkeit von
  100. Bildveröffentlichungen (vgl. Senatsurteile vom 6. März 2007 - VI ZR 13/06 VersR 2007, 697 und - VI ZR 51/06 - VersR 2007, 957; vom 19. Juni 2007
  101. - VI ZR 12/06 - VersR 2007, 1135 und vom 3. Juli 2007 - VI ZR 164/06 - VersR
  102. 2007, 1283) den in der Entscheidung des EGMR vom 24. Juni 2004 (von Hannover gegen Bundesrepublik Deutschland - NJW 2004, 2647 ff.) geäußerten
  103. Bedenken Rechnung getragen und zugleich klargestellt, dass es für die Zulässigkeit einer Bildveröffentlichung in jedem Einzelfall einer Abwägung zwischen
  104. dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse des Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre bedarf, wobei die begleitende Wortberichterstattung eine wesentliche Rolle spielen kann.
  105. 9
  106. b) Eine solche Interessenabwägung kann jedoch nicht in Bezug auf Bilder vorgenommen werden, die noch gar nicht bekannt sind und bei denen insbesondere offen bleibt, in welchem Kontext sie veröffentlicht werden (vgl. Senatsurteil BGHZ 158, 218, 224 ff.). Die entsprechenden Möglichkeiten sind derart vielgestaltig, dass sie mit einer "vorbeugenden" Unterlassungsklage selbst
  107. -6-
  108. dann nicht erfasst werden können, wenn man diese auf "kerngleiche" Verletzungshandlungen beschränken wollte. Eine vorweggenommene Abwägung, die
  109. sich mehr oder weniger nur auf Vermutungen stützen könnte, und die im konkreten Verletzungsfall im Vollstreckungsverfahren nachgeholt werden müsste,
  110. verbietet sich schon im Hinblick auf die Bedeutung der betroffenen Grundrechte.
  111. 10
  112. 3. Die Klage ist jedoch begründet, soweit sich die Klägerin mit einem weiteren Hilfsantrag in der Berufungsinstanz gegen eine Wiederholung der konkreten Bildveröffentlichung gewandt hat. Da die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung erklärt hat, sich an ihre vorgerichtlich abgegebene Unterlassungsverpflichtungserklärung nicht mehr gebunden zu fühlen, kann diesbezüglich eine
  113. Wiederholungsgefahr nicht verneint werden.
  114. 11
  115. a) Der erkennende Senat hat bereits in mehreren neueren Entscheidungen das abgestufte Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG bei Bildveröffentlichungen von "Prominenten" unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR
  116. (insbes. Entscheidung vom 24. Juni 2004 - von Hannover gegen Bundesrepublik Deutschland - aaO) erläutert (vgl. etwa Urteile vom 19. Oktober 2004
  117. - VI ZR 292/03 - VersR 2005, 84 ff.; vom 15. November 2005 - VI ZR 286/04 VersR 2006, 274 ff.; vom 6. März 2007 - VI ZR 51/06 - VersR 2007, 957 ff. und
  118. vom 3. Juli 2007 - VI ZR 164/06 - VersR 2007, 1283 ff.). Verfassungsrechtliche
  119. Beanstandungen haben sich insoweit nicht ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss
  120. vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1606/07 u.a. - NJW 2008, 1793 ff.).
  121. 12
  122. aa) Nach diesem abgestuften Schutzkonzept dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet werden (§ 22
  123. KUG); hiervon macht § 23 Abs. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Auch bei Personen, die un-
  124. -7-
  125. ter dem Blickwinkel des zeitgeschichtlichen Ereignisses im Sinn des § 23 Abs. 1
  126. Nr. 1 KUG an sich ohne ihre Einwilligung die Verbreitung ihres Bildnisses dulden müssten, ist eine Verbreitung der Abbildung unabhängig davon, ob sie sich
  127. an Orten der Abgeschiedenheit aufgehalten haben, aber dann nicht zulässig,
  128. wenn hierdurch berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23
  129. Abs. 2 KUG).
  130. 13
  131. bb) Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich
  132. der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser Begriff
  133. darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf
  134. der Öffentlichkeit umfasst er nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern ganz allgemein das Zeitgeschehen, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Er wird mithin vom Interesse der Öffentlichkeit bestimmt. Auch durch unterhaltende Beiträge kann Meinungsbildung
  135. stattfinden; solche Beiträge können die Meinungsbildung unter Umständen sogar nachhaltiger anregen und beeinflussen als sachbezogene Informationen
  136. (vgl. Senat, Urteile vom 9. Dezember 2003 - VI ZR 373/02 - VersR 2004, 522,
  137. 523 - mit Anmerkung v. Gerlach JZ 2004, 625 - und vom 6. März 2007 - VI ZR
  138. 51/06 - aaO S. 957, 958; BVerfG, BVerfGE 101, 361, 389 f.; NJW 2006, 2836,
  139. 2837). Das Informationsinteresse besteht indes nicht schrankenlos. Vielmehr
  140. wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den
  141. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt, so dass eine Berichterstattung
  142. keineswegs immer zulässig ist. Wo konkret die Grenze für das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der aktuellen Berichterstattung zu ziehen ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles entscheiden.
  143. 14
  144. cc) Zum Kern der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit gehört, dass
  145. die Presse in den gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum be-
  146. -8-
  147. sitzt, innerhalb dessen sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden
  148. kann, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält, und dass sich im Meinungsbildungsprozess herausstellt, was eine Angelegenheit von öffentlichem
  149. Interesse ist (Senat, Urteile vom 15. November 2005 - VI ZR 286/04 - aaO, 275;
  150. vom 6. März 2007 - VI ZR 51/06 - aaO, 957 f.; BVerfG, BVerfGE 101, 361, 392;
  151. EGMR, Urteil vom 16. November 2004, Beschwerde-Nr. 53678/00, Karhuvaara
  152. und Iltalehti gegen Finnland, NJW 2006, 591, 592 f., §§ 38 ff.). Der EGMR hat
  153. in seinem Urteil vom 24. Juni 2004 (Beschwerde-Nr. 59320/00, von Hannover
  154. gegen Deutschland, aaO, §§ 58, 60, 63) die Bedeutung der Pressefreiheit unter
  155. Hinweis auf Art. 10 EMRK hervorgehoben und ausgeführt, dass die Presse in
  156. einer demokratischen Gesellschaft eine wesentliche Rolle spiele und es ihre
  157. Aufgabe sei, Informationen und Ideen zu allen Fragen von Allgemeininteresse
  158. weiterzugeben. Das steht auch mit dem oben dargelegten Begriff der Zeitgeschichte in Einklang.
  159. 15
  160. dd) Die Vorschrift des § 23 Abs. 1 KUG nimmt nach Sinn und Zweck der
  161. Regelung und nach der Intention des Gesetzgebers in Ausnahme von dem
  162. Einwilligungserfordernis des § 22 KUG Rücksicht auf das Informationsinteresse
  163. der Allgemeinheit und auf die Pressefreiheit. Die Anwendung des § 23 Abs. 1
  164. KUG erfordert hiernach eine Abwägung zwischen den Rechten der Abgebildeten nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG einerseits und den
  165. Rechten der Presse aus Art. 10 Abs. 1 EMRK und Art. 5 Abs. 1 GG andererseits. Die Grundrechte der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und des Schutzes
  166. der Persönlichkeit (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) sind ihrerseits nicht vorbehaltlos
  167. gewährleistet.
  168. 16
  169. Die Pressefreiheit findet ihre Schranken nach Art. 5 Abs. 2 GG in den
  170. allgemeinen Gesetzen. Zu diesen zählen u.a. die §§ 22 f. KUG und auch Art. 8
  171. EMRK. Die in §§ 22 f. KUG enthaltenen Regelungen sowie die von Art. 10
  172. -9-
  173. EMRK verbürgte Äußerungsfreiheit beschränken zugleich als Bestandteile der
  174. verfassungsmäßigen Ordnung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG den Persönlichkeitsschutz. Die Auslegung und Anwendung solcher Schrankenregelungen und ihre
  175. abwägende Zuordnung zueinander durch die Gerichte hat der interpretationsleitenden Bedeutung der von der Schrankenregelung bestimmten Grundrechtsposition Rechnung zu tragen sowie die entsprechenden Gewährleistungen der
  176. europäischen Menschenrechtskonvention zu berücksichtigen. Hierbei ist zu beachten, dass bei der Bestimmung der Reichweite des durch Art. 8 Abs. 1 EMRK
  177. dem privaten Leben des Einzelnen gewährten Schutzes der situationsbezogene
  178. Umfang der berechtigten Privatheitserwartungen des Einzelnen zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. August 2006 - 1 BvR 2606/04 u.a. NJW 2006, 3406, 3408); auch kann die Gewährleistung des Art. 8 Abs. 1 EMRK
  179. einen Anspruch auf Schutz durch die staatlichen Gerichte vor Veröffentlichung
  180. von Bildnissen des Einzelnen aus seinem Alltagsleben einschließen (vgl.
  181. EGMR, Urteil vom 24. Juni 2004, Beschwerde-Nr. 59320/00, von Hannover gegen Deutschland, §§ 50 ff., aaO, 2648). Über die Reichweite dieses Schutzes
  182. ist im konkreten Fall durch Berücksichtigung der von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG
  183. und Art. 10 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Äußerungsfreiheit und ihrer in Art. 10
  184. Abs. 2 EMRK geregelten Schranken ebenfalls im Wege der Abwägung zu entscheiden
  185. (vgl.
  186. EGMR,
  187. Beschluss
  188. vom
  189. 14. Juni
  190. 2005,
  191. Beschwerde-
  192. Nr. 14991/02, Minelli gegen Schweiz; Urteil vom 17. Oktober 2006, Beschwerde-Nr. 71678/01, Gourguenidze gegen Georgien, §§ 38 ff.).
  193. 17
  194. Das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit unterliegt der Schrankenregelung des Art. 2 Abs. 1 Halbs. 2 GG. Schranken sind neben den Grundrechten wie Art. 5 Abs. 1 GG insbesondere die Vorschriften über die Veröffentlichung fotografischer Abbildungen von Personen in §§ 22 ff. KUG mit dem erwähnten abgestuften Schutzkonzept, das sowohl dem Schutzbedürfnis der abgebildeten Person wie den von den Medien wahrgenommenen Informationsin-
  195. - 10 -
  196. teressen der Allgemeinheit Rechnung trägt (vgl. BVerfG, BVerfGE 35, 202,
  197. 224 f.; 101, 361, 387; Beschluss vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1606/07 u.a. aaO, 1795). Daneben beschränkt die in Art. 10 EMRK verbürgte Freiheit der
  198. Äußerung und Verbreitung sowie des Empfangs von Meinungen unter Einschluss von Informationen den Schutz der Persönlichkeit. Der Schutz des
  199. Art. 10 Abs. 1 EMRK schließt insbesondere auch die Veröffentlichung von Fotoaufnahmen zur Bebilderung der Medienberichterstattung ein (vgl. BVerfG,
  200. Beschluss vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1606/07 u.a. - aaO, 1795; EGMR, Urteile vom 14. Dezember 2006, Beschwerde-Nr. 10520/02, Verlagsgruppe News
  201. GmbH gegen Österreich Nr. 2, § 29; vom 24. Juni 2004, Beschwerde-Nr.
  202. 59320/00, von Hannover gegen Deutschland, § 59, aaO, 2649). Über die Zulässigkeit von Beschränkungen dieses Rechts durch Maßnahmen der staatlichen Gerichte zum Schutz des Privatlebens des Abgebildeten ist nach der
  203. Rechtsprechung des EGMR gleichfalls im Wege einer Abwägung mit dem in
  204. Art. 8 EMRK verbürgten Anspruch auf Achtung des Privatlebens zu entscheiden
  205. (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1606/07 u.a. - aaO,
  206. 1795; EGMR, Urteil vom 17. Oktober 2006, Beschwerde-Nr. 71678/01, Gourguenidze gegen Georgien, § 37 f. m.w.N.). Bei der Abwägung mit kollidierenden
  207. Rechtsgütern unter Berücksichtigung der von Art. 5 Abs. 1 GG verbürgten Vermutung für die Zulässigkeit einer Berichterstattung der Presse, die zur Bildung
  208. der öffentlichen Meinung beitragen soll (vgl. BVerfGE 20, 162, 177; Beschluss
  209. vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1606/07 u.a. - aaO, 1796), ist der von Art. 10
  210. Abs. 1 EMRK verbürgten Äußerungsfreiheit ein besonderes Gewicht dort
  211. beizumessen, wo die Berichterstattung der Presse einen Beitrag zu Fragen von
  212. allgemeinem Interesse leistet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008
  213. - 1 BvR 1606/07 u.a. - aaO, 1796; EGMR, Urteil vom 16. November 2004, Beschwerde-Nr. 53678/00, Karhuvaara und Iltalehti gegen Finnland, § 40; Urteil
  214. - 11 -
  215. vom 1. März 2007, Beschwerde-Nr. 510/04, Tønsbergs Blad u.a. gegen Norwegen, § 82).
  216. 18
  217. Die Garantie der Pressefreiheit dient nicht allein den subjektiven Rechten
  218. der Presse, sondern in gleicher Weise auch dem Schutz des Prozesses öffentlicher Meinungsbildung und damit der Meinungsbildungsfreiheit der Bürger. Äußerungen in der und durch die Presse wollen in der Regel zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen und haben daher zunächst die Vermutung der
  219. Zulässigkeit für sich, auch wenn sie die Rechtssphäre anderer berühren (vgl.
  220. BVerfG, BVerfGE 20, 162, 177; 66, 116, 133; 77, 346, 354). Nach der Rechtsprechung des EGMR besteht nur wenig Spielraum, die Gewährleistung des
  221. Art. 10 Abs. 1 EMRK zurücktreten zu lassen, falls eine Medienberichterstattung
  222. einen Bezug zu einer Sachdebatte von allgemeinem Interesse aufweist (vgl.
  223. EGMR, Urteile vom 22. Oktober 2007, Beschwerde-Nr. 21279/02 u.a., Lindon
  224. u.a.
  225. gegen
  226. Frankreich,
  227. § 45;
  228. vom
  229. 17. Dezember
  230. 2004,
  231. Beschwerde-
  232. Nr. 49017/99, Pedersen und Baadsgaard gegen Dänemark, § 68 f.). Art. 5
  233. Abs. 1 GG gebietet allerdings nicht, generell zu unterstellen, dass mit jeder visuellen Darstellung aus dem Privat- und Alltagsleben prominenter Personen ein
  234. Beitrag zur Meinungsbildung verbunden sei, der es für sich allein rechtfertigte,
  235. die Belange des Persönlichkeitsschutzes zurückzustellen.
  236. 19
  237. ee) Nach diesen Grundsätzen wird die Reichweite des Schutzes des
  238. Rechts am eigenen Bild davon beeinflusst, ob eine Information in die breite Öffentlichkeit der Massenmedien überführt wird und damit nicht auf einen engen
  239. Personenkreis begrenzt bleibt. Andererseits wird das Gewicht der das Persönlichkeitsrecht gegebenenfalls beschränkenden Pressefreiheit davon beeinflusst,
  240. ob die Berichterstattung eine Angelegenheit betrifft, welche die Öffentlichkeit
  241. wesentlich berührt (vgl. BVerfG, BVerfGE 7, 198, 212; Beschluss vom
  242. 24. Januar 2006 - 1 BvR 2602/05 - NJW 2006, 1865; EGMR, Urteil vom
  243. - 12 -
  244. 17. Oktober 2006, Beschwerde-Nr. 71678/01, Gourguenidze gegen Georgien,
  245. § 55). Mit der Entscheidung, ein Bild einer Person abzudrucken und in den Kontext eines bestimmten Berichts zu rücken, nutzen die Medien ihre grundrechtlich geschützte Befugnis, selbst zu entscheiden, was sie für berichtenswert halten. Dabei haben sie jedoch den Persönlichkeitsschutz Betroffener zu berücksichtigen.
  246. Wie
  247. 20
  248. das
  249. Bundesverfassungsgericht
  250. in
  251. seinem
  252. Beschluss
  253. vom
  254. 26. Februar 2008 (- 1 BvR 1606/07 u.a. - aaO, 1796) dargelegt hat, können
  255. prominente Personen der Allgemeinheit Möglichkeiten der Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen bieten sowie Leitbild- oder Kontrastfunktionen erfüllen.
  256. Auch die Normalität ihres Alltagslebens kann der Meinungsbildung zu Fragen
  257. von allgemeinem Interesse dienen (so bereits BVerfGE 101, 361, 391). Das gilt
  258. auch für unterhaltende Beiträge als einen wesentlichen Bestandteil der Medienbetätigung, der durch die Pressefreiheit geschützt wird, zumal der publizistische
  259. und wirtschaftliche Erfolg der Presse auf unterhaltende Inhalte und entsprechende Abbildungen angewiesen sein kann und die Bedeutung visueller Darstellungen beträchtlich zugenommen hat. Hiernach gilt die Pressefreiheit auch
  260. für unterhaltende Beiträge über das Privat- oder Alltagsleben von Prominenten
  261. und ihres sozialen Umfelds einschließlich ihnen nahestehender Personen. Allerdings bedarf es gerade bei unterhaltenden Inhalten in besonderem Maß der
  262. abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen der Betroffenen.
  263. 21
  264. Für die Abwägung zwischen der Pressefreiheit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ist von maßgeblicher Bedeutung, ob die Presse im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtert, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllt und zur
  265. Bildung der öffentlichen Meinung beiträgt oder ob sie lediglich die Neugier der
  266. - 13 -
  267. Leser nach privaten Angelegenheiten prominenter Personen befriedigt (vgl.
  268. BVerfG, BVerfGE 34, 269, 283; 101, 361, 391).
  269. 22
  270. Insoweit hat das BVerfG (Beschluss vom 26. Februar 2008 - 1 BvR
  271. 1606/07 u.a. - aaO, 1796) hervorgehoben, dass das Selbstbestimmungsrecht
  272. der Presse nicht auch die Entscheidung erfasst, wie das Informationsinteresse
  273. zu gewichten ist, sondern diese Gewichtung zum Zweck der Abwägung mit gegenläufigen Interessen der Betroffenen vielmehr im Fall eines Rechtsstreits den
  274. Gerichten obliegt. Diese haben allerdings im Hinblick auf das Zensurverbot des
  275. Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG von einer inhaltlichen Bewertung - etwa als wertvoll
  276. oder wertlos, seriös oder unseriös o.ä. - abzusehen und sind auf die Prüfung
  277. beschränkt, in welchem Ausmaß der Bericht einen Beitrag für die öffentliche
  278. Meinungsbildung erbringen kann.
  279. 23
  280. ff) Der Informationswert einer Bildberichterstattung ist, soweit das Bild
  281. nicht schon als solches eine für die öffentliche Meinungsbildung bedeutsame
  282. Aussage enthält, im Kontext der dazugehörenden Wortberichterstattung zu ermitteln. Bilder können Wortberichte ergänzen und dabei der Erweiterung des
  283. Aussagegehalts dienen, etwa die Authentizität des Geschilderten unterstreichen. Auch können beigefügte Bilder der an dem berichteten Geschehen beteiligten Personen die Aufmerksamkeit des Lesers für den Wortbericht wecken
  284. (vgl. Senat, BGHZ 158, 218, 223; Urteil vom 19. Oktober 2004 - VI ZR 292/03 NJW 2005, 594, 595 f.). Beschränkt sich der begleitende Bericht allerdings darauf, lediglich einen Anlass für die Abbildung prominenter Personen zu schaffen,
  285. ohne dass die Berichterstattung einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung
  286. erkennen lässt, ist es nicht angezeigt, dem Veröffentlichungsinteresse den Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz einzuräumen.
  287. - 14 -
  288. 24
  289. gg) Daneben sind bei einer Bildberichterstattung für die Gewichtung der
  290. Belange des Persönlichkeitsschutzes auch der Anlass und die Umstände zu
  291. berücksichtigen, unter denen die Aufnahme entstanden ist, etwa unter Ausnutzung von Heimlichkeit oder beharrlicher Nachstellung. Auch ist bedeutsam, in
  292. welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird. Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts wiegt schwerer, wenn die visuelle Darstellung durch Ausbreitung von üblicherweise öffentlicher Erörterung entzogenen Einzelheiten des privaten Lebens thematisch die Privatsphäre berührt oder
  293. wenn der Betroffene nach den Umständen typischer Weise die berechtigte Erwartung haben durfte, nicht in den Medien abgebildet zu werden. Das kann
  294. nicht nur bei einer durch räumliche Privatheit geprägten Situation, sondern außerhalb örtlicher Abgeschiedenheit auch in Momenten der Entspannung oder
  295. des Sich-Gehen-Lassens außerhalb der Einbindung in die Pflichten des Berufs
  296. und des Alltags der Fall sein.
  297. 25
  298. b) Diese Grundsätze sind auf die Klägerin anzuwenden, da sie aufgrund
  299. ihrer langjährigen Tätigkeit als Nachrichtensprecherin, Fernsehjournalistin und
  300. -moderatorin als Person des öffentlichen Interesses anzusehen ist (vgl. zur Abgrenzung zwischen "personnage public / public figure", "personnalité politique /
  301. politician" und "personne ordinaire / ordinary person": EGMR, Urteile vom
  302. 11. Januar 2005, Beschwerde-Nr. 50774/99, Sciacca gegen Italien, §§ 27 ff.;
  303. vom 17. Oktober 2006 - Beschwerde-Nr. 71678/01, Gourguenidze gegen Georgien, § 57). Diese Einstufung hat nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Folge, dass über eine solche Person in größerem Umfang
  304. berichtet werden darf als über andere Personen, wenn die Information einen
  305. hinreichenden Nachrichtenwert mit Orientierungsfunktion im Hinblick auf eine
  306. die Allgemeinheit interessierende Sachdebatte hat und die Abwägung keine
  307. schwerwiegenden Interessen des Betroffenen ergibt, die einer Veröffentlichung
  308. entgegenstehen.
  309. - 15 -
  310. 26
  311. c) Im Streitfall führen diese Grundsätze zu folgender Abwägung:
  312. 27
  313. Das beanstandete Bild zeigt - worauf der Begleittext selbst hinweist - die
  314. Klägerin in einer (völlig) belanglosen Situation beim "Shopping" mit ihrer Putzfrau im Fischerdorf Puerto Andratx auf Mallorca. Das beanstandete Bild ist Teil
  315. eines Berichts über "Was jetzt los ist auf Mallorca", in dem jeweils unter Beifügung von Fotografien über die Anwesenheit sog. Prominenter, u.a. der Klägerin,
  316. auf der Insel berichtet wird. Der Nachrichtenwert der Berichterstattung hat keinerlei Orientierungsfunktion im Hinblick auf eine die Allgemeinheit interessierende Sachdebatte, sondern beschränkt sich lediglich auf die Information, dass
  317. sich die Klägerin zurzeit auf Mallorca aufhalte, wo sie ein Ferienhaus besitze,
  318. und dort - wie viele andere Menschen auch - mitunter auch in Begleitung einkaufen gehe. Eine solche Berichterstattung, die nur der Befriedigung des Unterhaltungsinteresses bestimmter Leser dient, mag zwar möglicherweise - worauf es im Streitfall allerdings nicht ankommt - als reine Wortberichterstattung
  319. zulässig sein. Sie rechtfertigt es jedoch nicht, dass die Klägerin einen Eingriff in
  320. ihr Persönlichkeitsrecht durch Veröffentlichung eines Bildes in dieser zu ihrer
  321. Privatsphäre gehörenden Situation ohne ihre Einwilligung nach § 23 Abs. 1
  322. Nr. 1 KUG hinnehmen muss. Insoweit ergibt die gebotene Abwägung zwischen
  323. dem Persönlichkeitsrecht der Klägerin und der Pressefreiheit der Beklagten,
  324. dass letztere zurückzutreten hat. Hieran vermag auch der Hinweis der Revision
  325. nichts zu ändern, dass die Klägerin bei anderen Gelegenheiten der Öffentlichkeit über die Presse Einblicke in ihr Privatleben gewährt habe (vgl. zu einem
  326. insoweit anders gelagerten Fall Senatsurteil vom 19. Oktober 2004 - VI ZR
  327. 292/03 - aaO mit Nichtannahmebeschluss des BVerfG VersR 2007, 849).
  328. - 16 -
  329. III.
  330. 28
  331. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 565,
  332. 516 Abs. 3 ZPO.
  333. Müller
  334. Wellner
  335. Stöhr
  336. Diederichsen
  337. Zoll
  338. Vorinstanzen:
  339. LG Berlin, Entscheidung vom 22.06.2006 - 27 O 1126/05 KG Berlin, Entscheidung vom 07.11.2006 - 9 U 148/06 -