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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VI ZR 131/02
  5. Verkündet am:
  6. 25. März 2003
  7. Holmes,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGB § 823 Aa
  16. a) Der Schutz des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten erfordert grundsätzlich,
  17. daß ein Arzt, der einem Patienten eine Entscheidung über die Duldung eines operativen Eingriffs abverlangt und für diesen Eingriff bereits einen Termin bestimmt,
  18. ihm schon in diesem Zeitpunkt auch die Risiken aufzeigt, die mit diesem Eingriff
  19. verbunden sind. Eine erst später erfolgte Aufklärung ist zwar nicht in jedem Fall
  20. verspätet. Eine hierauf erfolgte Einwilligung ist jedoch nur wirksam, wenn unter
  21. den jeweils gegebenen Umständen der Patient noch ausreichend Gelegenheit hat,
  22. sich innerlich frei zu entscheiden. Deshalb ist bei stationärer Behandlung eine
  23. Aufklärung erst am Tag des Eingriffs grundsätzlich verspätet.
  24. -2b) Eine Haftung wegen nicht ausreichender oder nicht rechtzeitiger Aufklärung entfällt, wenn der Patient über das maßgebliche Risiko bereits anderweitig aufgeklärt
  25. ist.
  26. BGH, Urteil vom 25. März 2003 - VI ZR 131/02 - OLG Koblenz
  27. LG Mainz
  28. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  29. vom 25. März 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr.
  30.       
  31. h-
  32. ter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr
  33. für Recht erkannt:
  34. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats
  35. des Oberlandesgerichts Koblenz vom 6. März 2002 aufgehoben.
  36. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
  37. auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  38. Von Rechts wegen
  39. Tatbestand:
  40. Der Kläger begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld nach zwei vom
  41. Beklagten zu 1) im Klinikum der Beklagten zu 2) durchgeführten Bandscheibenoperationen, die nach seiner Behauptung zu einer kompletten Lähmung
  42. seiner Blase geführt haben.
  43. Nachdem ein am 10. April 1989 durchgeführtes Kernspintomogramm einen medio-lateral gelegenen Bandscheibenvorfall in Höhe L5/S1 rechts mit
  44. deutlicher Komprimierung des Duralschlauches und der rechten Nervenwurzel
  45. -3-
  46. S1 gezeigt hatte, suchte der Kläger am 12. April 1989 den Beklagten zu 2) in
  47. der Klinik auf. Er klagte über seit mehr als 6 Wochen bestehende Lumboischialgien rechts mit einer Fußheberparese rechts. Konservative Therapien waren
  48. erfolglos geblieben. Störungen der Blasen- und Mastdarmfunktion bestanden
  49. nicht. Anhand der seitens des Klägers mitgebrachten Krankenunterlagen stellte
  50. der Beklagte zu 2) die Operationsindikation und ließ den Kläger für Samstag,
  51. den 15. April 1989, zur Operation vormerken, weil am 12. April 1989 kein Bett
  52. frei war.
  53. Dementsprechend wurde der Kläger am 15. April stationär in der Klinik
  54. aufgenommen. Bei der Aufnahmeuntersuchung zeigten sich eine eingeschränkte Beweglichkeit im Bereich der Lendenwirbelsäule, positive Nervenwurzeldehnungszeichen, diskrete Fußheberparese rechts, Abschwächung des
  55. Achillessehnenreflexes sowie eine Hypästhesie im Dermatom S1 rechts. Am
  56. Nachmittag klärte der Beklagte zu 2) den Kläger über die Operationsrisiken auf.
  57. Das vom Kläger unterzeichnete Einwilligungsformular erwähnt handschriftlich
  58. als mögliche Komplikationen: "Blutung, Nachblutung, entzündliche Komplikationen, neurologische Ausfälle". Gegen 20.00 Uhr erfolgte dann die Operation
  59. durch den Beklagten zu 2) und den früheren Beklagten zu 3).
  60. Im Anschluß an den bis zum 27. April 1989 dauernden stationären Aufenthalt führte der Kläger eine Rehabilitationsmaßnahme durch. Da er weiterhin
  61. über Beschwerden klagte, wurde er am 18. Mai 1989 nochmals in der neurochirurgischen Klinik der Beklagten zu 1) aufgenommen. Nach neuerlicher Aufklärung mit Hinweis auf neurologische Ausfälle als Risiko erfolgte dort am
  62. Abend des 26. Mai 1989 eine Reoperation, bei der lediglich Narbengewebe
  63. vorgefunden wurde. Während dieses zweiten Klinikaufenthaltes traten Blasenentleerungsstörungen auf, wobei allerdings der genaue Zeitpunkt nicht dokumentiert wurde.
  64. -4-
  65. Im weiteren Verlauf schilderte der Kläger häufig wechselnde Beschwerden im Sinne von Sensibilitätsstörungen und Lähmungen im Bereich der unteren Extremitäten. Bei neurologischen Untersuchungen wurden, abgesehen von
  66. den Blasenentleerungsstörungen, keine neurologischen Defizite festgestellt,
  67. und es wurde die Diagnose eines akuten psychogenen Ausnahmezustands gestellt.
  68. Am 9. Juni 1989 wurde der Kläger voll mobil und weitgehend schmerzfrei, bei allerdings weiterhin gestörter Blasenfunktion, nach Hause entlassen.
  69. Die Blasenentleerungsstörung bildete sich sodann über Wochen hinweg zunächst zurück, trat nach einem Jahr jedoch in Form einer Blasenlähmung wieder in Erscheinung. Der Kläger ist derzeit darauf angewiesen, sich sechsmal
  70. am Tag selbst zu katheterisieren.
  71. Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die erstinstanzliche Entscheidung durch Teilurteil bestätigt,
  72. soweit sie die früheren Beklagten zu 3) bis 5) betraf. Bezüglich der Beklagten
  73. zu 1) und 2) hat es mit dem angefochtenen Schlußurteil die Berufung zurückgewiesen und die Revision zur Frage der Rechtzeitigkeit der Aufklärung zugelassen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) weiter.
  74. Entscheidungsgründe:
  75. I.
  76. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Nachweis eines Behandlungsfehlers nicht geführt. Insoweit ergebe sich auch nicht wegen der fest-
  77. -5-
  78. gestellten Dokumentationsmängel eine Beweislastumkehr zugunsten des Klägers.
  79. Hinsichtlich beider Operationen liege eine wirksame Einwilligung vor.
  80. Zwar sei eine Aufklärung, die nur neurologische Störungen erwähne, ohne dies
  81. näher zu erklären, unzureichend, weil ein Laie mit einer neurologischen Störung
  82. nicht gravierende Störungen wie eine Lähmung der Blase verbinde. Nach Vernehmung der beiden Parteien stehe aber fest, daß der Beklagte zu 2) den Kläger am 15. April 1989 auch darauf hingewiesen habe, daß in seltenen Einzelfällen eine Lähmung der Blase eintreten könne, die in sehr seltenen Fällen von
  83. Dauer sei.
  84. Die Aufklärung sei im Hinblick auf die konkreten Umstände des Falles
  85. rechtzeitig erfolgt. So habe sich der Kläger mit der Erforderlichkeit einer Operation bereits einige Tage davor gedanklich beschäftigt, da bereits seit Mittwoch
  86. festgestanden habe, daß operiert werden müsse. Nachdem ihm am Samstag
  87. u.a. das (sehr seltene) Risiko einer Blasenlähmung mitgeteilt worden sei, habe
  88. er bis zur Operation noch mehrere Stunden Zeit gehabt, sich mit der Frage
  89. auseinander zu setzen, ob er sich operieren lassen wolle. Darüber hinaus habe
  90. ihm die Möglichkeit offen gestanden, bei Zweifeln seinen Vater oder einen seiner Freunde, beides Ärzte, telefonisch zu kontaktieren, um das Für und Wider
  91. einer Operation noch einmal zu besprechen. Da es sich bei der Blasenstörung
  92. um ein sehr seltenes Risiko handele, werde der Kläger den Eintritt der schlimmen Folge jedoch für dementsprechend wenig wahrscheinlich gehalten haben.
  93. -6-
  94. II.
  95. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision, die sich gegen
  96. die Auffassung wendet, die Aufklärung sei ausreichend gewesen und rechtzeitig
  97. erfolgt, nicht durchweg stand.
  98. 1. Die Beschränkung der Revisionszulassung auf die Frage, ob die Aufklärung rechtzeitig erfolgte, hindert den erkennenden Senat nicht, auch zu prüfen, ob das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei die Überzeugung gewonnen hat,
  99. daß der Kläger am 15. April 1989 ausreichend aufgeklärt worden ist. Wird die
  100. Revision zugelassen, so erfaßt die Zulassung den Streitgegenstand, über den
  101. das Berufungsgericht entschieden hat (vgl. Senatsurteil vom 25. April 1995
  102. - VI ZR 272/94 - VersR 1995, 841; BGHZ 141, 232, 233 f. und 130, 50, 59
  103. m.w.N.; BGH, Urt. vom 5. Februar 1998 - III ZR 103/97 - NJW 1998, 1138,
  104. 1139).
  105. Gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Kläger inhaltlich
  106. ausreichend aufgeklärt worden sei, ist aus revisionsrechtlicher Sicht nichts zu
  107. erinnern.
  108. a) Die Feststellung des Berufungsgerichts, daß der Beklagte zu 2) den
  109. Kläger am 15. April 1989 u.a. auf das Risiko einer, möglicherweise auch dauerhaften, Blasenlähmung hingewiesen hat, läßt entgegen der Auffassung der Revision einen Rechtsfehler nicht erkennen. Die Angriffe der Revision hiergegen
  110. beschränken sich darauf, die eigene Würdigung an die Stelle der Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht zu setzen.
  111. b) Entgegen der Auffassung der Revision bedurfte es keiner Aufklärung
  112. darüber, daß eine Blasenlähmung und -schwächung nicht zwangsläufig auf eine intraoperative Verletzung zurückzuführen sein muß, sondern sich auch infol-
  113. -7-
  114. ge einer Verkettung unglücklicher Umstände entwickeln kann, die vom Arzt nur
  115. begrenzt zu beeinflussen sind. Entscheidend ist eine Verdeutlichung des Risikos, wohingegen es im Streitfall keiner Aufklärung darüber bedurfte, daß sich
  116. das Risiko auch unabhängig vom ärztlichen Vorgehen verwirklichen könne.
  117. c) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das von den Beklagten verwendete "Einwilligungsformular für einen ärztlichen Eingriff" sei völlig unspezifisch und unzureichend gewesen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden
  118. Senats bedarf es zum Zwecke der Aufklärung grundsätzlich des vertrauensvollen Gesprächs zwischen Arzt und Patienten, auf dessen Inhalt das Berufungsgericht bei seiner Überzeugungsbildung zulässigerweise abgestellt hat (vgl. Senatsurteile vom 8. Januar 1985 - VI ZR 15/83 - VersR 1985, 361, 362). Das
  119. schließt die ergänzende Verwendung von Merkblättern nicht aus, in denen die
  120. notwendigen Informationen zu dem Eingriff einschließlich seiner Risiken schriftlich festgehalten sind. Daß der Kläger infolge der Verwendung des Formulars
  121. bezüglich der Risiken des Eingriffs, etwa durch deren verharmlosende Darstellung, irregeführt worden wäre, ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch
  122. nicht behauptet.
  123. 2. Mit Recht wendet sich die Revision allerdings gegen die Auffassung
  124. des Berufungsgerichts, daß die Aufklärung am Nachmittag des 15. April 1989,
  125. des Operationstags, rechtzeitig erfolgt sei.
  126. a) Insoweit geht das Berufungsgericht zwar im Ansatz von der ständigen
  127. Rechtsprechung des erkennenden Senats aus, nach der der Patient vor dem
  128. beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden muß, daß er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine
  129. Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahren kann (vgl. Senatsurteile vom 17. März 1998 - VI ZR 74/97 -
  130. -8-
  131. VersR 1998, 766, 767; vom 4. April 1995 - VI ZR 95/94 – VersR 1995, 1055,
  132. 1056 f.; vom 14. Juni 1994 – VI ZR 178/93 – VersR 1994, 1235, 1236; vom
  133. 7. April 1992 - VI ZR 192/91 - VersR 1992, 960 f.). Zum Schutz des Selbstbestimmungsrechtes erfordert dies grundsätzlich, daß ein Arzt, der einem Patienten eine Entscheidung über die Duldung eines operativen Eingriffs abverlangt
  134. und für diesen Eingriff bereits einen Termin bestimmt, ihm schon in diesem
  135. Zeitpunkt auch die Risiken aufzeigt, die mit diesem Eingriff verbunden sind. Allerdings ist eine erst später erfolgte Aufklärung nicht in jedem Fall verspätet.
  136. Vielmehr hängt die Wirksamkeit einer hierauf erfolgten Einwilligung davon ab,
  137. ob unter den jeweils gegebenen Umständen der Patient noch ausreichend Gelegenheit hat, sich innerlich frei zu entscheiden (Senatsurteile vom 7. April 1992
  138. - VI ZR 192/91 - aaO und vom 14. Juni 1994 – VI ZR 178/93 – aaO). Je nach
  139. den Vorkenntnissen des Patienten von dem bevorstehenden Eingriff kann bei
  140. stationärer Behandlung eine Aufklärung im Verlaufe des Vortages grundsätzlich
  141. genügen, wenn sie zu einer Zeit erfolgt, zu der sie dem Patienten die Wahrung
  142. seines Selbstbestimmungsrechts erlaubt (Senatsurteil vom 17. März 1998
  143. - VI ZR 74/97 - aaO). Hingegen reicht es bei normalen ambulanten und diagnostischen Eingriffen grundsätzlich aus, wenn die Aufklärung am Tag des Eingriffs
  144. erfolgt. Auch in solchen Fällen muß jedoch dem Patienten bei der Aufklärung
  145. über die Art des Eingriffs und seine Risiken verdeutlicht werden, daß ihm eine
  146. eigenständige Entscheidung darüber, ob er den Eingriff durchführen lassen will,
  147. überlassen bleibt (vgl. Senatsurteile vom 4. April 1995 - VI ZR 95/94 – aaO und
  148. vom 14. Juni 1994 – VI ZR 178/93 – aaO).
  149. b) Das Berufungsgericht geht selbst davon aus, daß seine Wertung von
  150. der Entscheidung des erkennenden Senats vom 17. März 1998 - VI ZR 74/97 VersR 1998, 766 abweicht und hat deshalb die Revision zugelassen. Es meint,
  151. im Streitfall sei die Aufklärung aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls
  152. noch als rechtzeitig anzusehen. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Wie im
  153. -9-
  154. Senatsurteil vom 7. April 1992 dargelegt, wird ein Patient auch bei Aufklärung
  155. am Vorabend einer Operation in der Regel mit der Verarbeitung der ihm mitgeteilten Fakten und der von ihm zu treffenden Entscheidung überfordert sein,
  156. wenn er - für ihn überraschend - erstmals aus dem späten Aufklärungsgespräch
  157. von gravierenden Risiken des Eingriffs erfährt, die seine persönliche zukünftige
  158. Lebensführung entscheidend beeinträchtigen können. Ob das im Streitfall verwirklichte Risiko ein solches Gewicht hatte, kann dahinstehen, da die Aufklärung ohnehin erst am Tag des Eingriffs erfolgte. Das war nach den dargelegten
  159. Grundsätzen jedenfalls verspätet. Der erkennende Senat hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß sogar bei größeren ambulanten Eingriffen mit beträchtlichen Risiken eine Aufklärung erst am Tag des Eingriffs
  160. nicht mehr rechtzeitig sein dürfte, zumal solchen Operationen gewöhnlich Untersuchungen vorangehen, in deren Rahmen die erforderliche Aufklärung bereits erteilt werden kann (Senatsurteil vom 14. Juni 1994 – VI ZR 178/93 –
  161. aaO).
  162. c) Die Umstände des Einzelfalls geben keinen Anlaß, von den in der
  163. Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen abzuweichen. Der Beklagte zu 2)
  164. konnte den Kläger bereits am Mittwoch, dem 12. April 1989, über die Risiken
  165. der Bandscheibenoperation aufklären, als er ihm zu dem operativen Eingriff riet
  166. und zugleich einen Operationstermin mit ihm vereinbarte. Dies wäre der richtige
  167. Zeitpunkt für die Aufklärung gewesen, auch wenn eine rechtzeitige Aufklärung –
  168. notfalls durch zusätzliche Einbestellung des Patienten – noch zu einem späteren Zeitpunkt möglich gewesen wäre. Da der Kläger dem Beklagten zu 2) nach
  169. den Feststellungen des Berufungsgerichts am 12. April die Krankenunterlagen
  170. mitbrachte, lagen zu diesem Zeitpunkt alle wesentlichen Informationen vor, die
  171. dann auch zu der Entscheidung für die Operation führten. Am 15. April 1989
  172. haben sich bei der Aufnahmeuntersuchung grundlegend neue Gesichtspunkte
  173. nicht ergeben. Wenn wegen des fehlenden Bettes am 12. April 1989 die statio-
  174. - 10 -
  175. näre Aufnahme für Samstag, den 15. April 1989 vereinbart wurde, kann für diesen Tag von einer "notfallmäßigen Aufnahme" nicht gesprochen werden.
  176. Bei dieser Sachlage ist die Aufklärung am Nachmittag des Operationstages in Anbetracht der möglichen erheblichen Folgen des Eingriffs für die Lebensführung des Patienten nicht rechtzeitig erfolgt. Der Beklagte zu 2) hat bei
  177. seiner Parteivernehmung selbst darauf hingewiesen, daß es sich bei der Operation um eine Stelle handelte, die zu den empfindlichsten des Menschen überhaupt zähle, und der Operateur in einen Bereich eintrete, in dem die Nerven,
  178. u.a. der Blase, des Darms und des Damms verliefen und beeinflußt werden
  179. könnten. In Anbetracht dieser möglichen gravierenden Folgen benötigte der
  180. Kläger zur Wahrung seines Selbstbestimmungsrechts eine längere Bedenkzeit
  181. für eine Einwilligung in die Operation. Der Umstand, daß er bereits seit einigen
  182. Tagen von dem Operationstermin wußte, kann nicht zu einer anderen Wertung
  183. führen, weil es bei der Abwägung entscheidend auf die Kenntnis von den Operationsrisiken ankommt. Der Hinweis auf eine mögliche telefonische Nachfrage
  184. bei seinem Vater oder einem seiner Freunde geht schon deswegen fehl, weil
  185. nicht einmal feststeht, daß der Kläger diese in der verbleibenden Zeit bis zum
  186. Beginn der Operationsvorbereitungen erreicht hätte. Ebenso kommt es nicht
  187. darauf an, wie oft das Risiko zu einer Komplikation führen konnte. Entscheidend
  188. war vielmehr die Bedeutung, die das Risiko für die Entschließung des Patienten
  189. haben konnte. Bei der hier gegebenen möglichen besonders schweren Belastung für die Lebensführung des Patienten war die rechtzeitige Information über
  190. das Risiko für die Einwilligung des Patienten auch dann von Bedeutung, wenn
  191. sich das Risiko sehr selten verwirklicht (vgl. Senatsurteile BGHZ 90, 103, 107
  192. und 144, 1, 5; vom 2. November 1993 - VI ZR 245/92 - VersR 1994, 104, 105).
  193. Gerade solche schwerwiegenden Risiken können den Patienten veranlassen,
  194. eine Operation auch bei bestehender Indikation zu hinterfragen und sich über
  195. etwaige Alternativen zu informieren, selbst wenn es sich dabei aus Sicht des
  196. - 11 -
  197. behandelnden Arztes nicht um eine gleichwertige Behandlungsmöglichkeit handeln sollte.
  198. d) Der nicht rechtzeitig aufgeklärte Patient muß allerdings substantiiert
  199. darlegen, daß ihn die späte Aufklärung in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt hat, und plausibel machen, daß er, wenn ihm rechtzeitig die Risiken
  200. der Operation verdeutlicht worden wären, vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, wobei allerdings an die Substantiierungspflicht zur Darlegung eines solchen Konflikts keine zu hohen Anforderungen gestellt werden
  201. dürfen (vgl. Senatsurteile vom 17. März 1998 - VI ZR 74/97 - VersR 1998, 766,
  202. 767; vom 14. Juni 1994 - VI ZR 178/93 - VersR 1994, 1235, 1236; vom 7. April
  203. 1992 - VI ZR 192/91 - VersR 1992, 960, 962). Insoweit weist die Revision jedoch darauf hin, daß der Kläger solche Gründe in der Berufungsinstanz vorgetragen hat.
  204. 3. Soweit die Revision eine nicht ausreichende und verspätete Aufklärung vor der zweiten Operation am 26. Mai 1989 geltend macht, kann sie keinen Erfolg haben. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats entfällt
  205. eine solche Haftung, wenn feststeht, daß der Patient über das maßgebliche
  206. Risiko bereits anderweit aufgeklärt ist, da er dann weiß, in welchen Eingriff er
  207. einwilligt (vgl. Senatsurteile vom 28. Februar 1984 - VI ZR 70/82 - VersR 1984,
  208. 538, 539; vom 22. Januar 1980 - VI ZR 263/78 - VersR 1980, 428, 429; vom
  209. 23. Oktober 1979 - VI ZR 197/78 - VersR 1980, 68, 69). Hier war eine inhaltlich
  210. ausreichende Aufklärung am 15. April 1989 erfolgt, die für die Operation am
  211. 26. Mai 1989 ausreichte, weil sich gegenüber der ersten Operation kein neues
  212. Risiko ergeben hat.
  213. - 12 -
  214. III.
  215. Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich, weil
  216. das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu den im Verfahren weiter relevanten Fragen getroffen hat. Das
  217. angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
  218. Müller
  219. Greiner
  220. Pauge
  221. Wellner
  222. Stöhr