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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- VI ZB 50/14
- vom
- 14. April 2015
- in dem Rechtsstreit
- Nachschlagewerk:
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- ja
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- BGHZ:
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- ja
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- BGHR:
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- ja
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- SGB VII § 110
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- Für die gerichtliche Geltendmachung des einem Unfallversicherungsträger gegen einen Unternehmer im Falle der Schwarzarbeit zustehenden Regressanspruchs nach § 110 Abs. 1a SGB VII ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten
- und nicht der Zivilrechtsweg eröffnet.
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- BGH, Beschluss vom 14. April 2015 - VI ZB 50/14 - OLG Dresden
- LG Dresden
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- Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. April 2015 durch den
- Vorsitzenden Richter Galke, die Richterin Diederichsen, die Richter Stöhr und
- Offenloch und die Richterin Dr. Oehler
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- beschlossen:
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- Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 10. Zivilsenats
- des Oberlandesgerichts Dresden vom 11. August 2014 wird auf
- Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
- Beschwerdewert: 1.192,06 €
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- Gründe:
- I.
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- Der Beklagte betreibt ein Taxi- und Mietwagenunternehmen. Die Klägerin
- ist Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie verlangt vom Beklagten
- aus § 110 Abs. 1a SGB VII die Erstattung von Aufwendungen, die sie für die
- Heilbehandlung eines für den Beklagten tätigen, jedoch nicht bei der Einzugsstelle oder der Datenstelle der Träger der Rentenversicherung gemeldeten
- Taxifahrers erbracht hat, nachdem dieser von einem Fahrgast überfallen und
- schwer verletzt worden war. Der Beklagte wendet sich gegen eine Erstattungspflicht mit der Begründung, der Taxifahrer sei nicht als versicherungspflichtiger
- Arbeitnehmer, sondern als selbständiger Unternehmer für ihn tätig geworden.
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- Das Landgericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für
- unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht verwiesen. Das
- Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen.
- Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
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- II.
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- Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG
- statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
- Das Beschwerdegericht ist zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass im Streitfall
- nach § 51 Abs. 1 Nr. 3 SGG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet ist
- und es sich insbesondere nicht um eine den ordentlichen Gerichten zugewiesene bürgerliche Rechtsstreitigkeit im Sinne des § 13 GVG handelt.
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- 1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
- Wesentlichen ausgeführt:
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- Beim Anspruch aus § 110 Abs. 1a SGB VII handle es sich um Sonderrecht eines Trägers öffentlicher Aufgaben, da er nur einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung zustehen könne. Diesem Anspruch, der nicht mit einer
- zivilrechtlichen Vertragsstrafe vergleichbar sei, komme in erster Linie Strafcharakter zu, von dem allein ein in Ausübung öffentlicher Gewalt handelnder Hoheitsträger Gebrauch machen dürfe. Für eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit
- spreche ferner das Kriterium der Sachnähe, da das Regressverhältnis zwischen
- dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und dem Unternehmer nach
- § 110 Abs. 1a SGB VII entscheidend geprägt werde durch Normen des Sozialversicherungsrechts, nämlich durch die Melde-, Beitrags- oder Aufzeichnungs-
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- pflichten als Unternehmer (§§ 28a, 28f SGB IV, §§ 150, 165 SGB VII), deren
- Verletzung den Tatbestand der Schwarzarbeit erfülle (§ 1 Abs. 2 Nr. 1
- SchwarzArbG). Die öffentlich-rechtliche Einordnung werde auch durch eine
- vergleichende Betrachtung der Erwägungen bekräftigt, die den Bundesgerichtshof veranlasst hätten, den Rückgriffsanspruch aus § 640 RVO als der
- Vorgängernorm zu § 110 Abs. 1 SGB VII dem Zivilrecht zu unterstellen.
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- Aus der systematischen Einordnung der Regelung in § 110 SGB VII ergebe sich nichts anderes. Der Gesetzesbegründung lasse sich keine eindeutige
- Aussage zum Rechtsweg entnehmen. Abgesehen davon lasse sich der Anspruch aus § 110 Abs. 1a SGB VII entgegen der Gesetzesbegründung nicht in
- geläufige Systeme einordnen, sondern stelle in § 110 SGB VII eher einen
- Fremdkörper dar.
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- 2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
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- a) Der Ersatzanspruch des Unfallversicherungsträgers nach § 110
- Abs. 1a SGB VII entsteht, wenn Unternehmer Schwarzarbeit nach § 1 des
- Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung
- (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz - SchwarzArbG) vom 23. Juli 2004 (BGBl. I
- S. 1842) erbringen und dadurch bewirken, dass Beiträge nach dem 6. Kapitel
- des SGB VII nicht, nicht in richtiger Höhe oder nicht rechtzeitig entrichtet werden. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 SchwarzArbG leistet Schwarzarbeit, wer Dienstoder Werkleistungen erbringt oder ausführen lässt und dabei als Arbeitgeber,
- Unternehmer oder versicherungspflichtiger Selbständiger seine sich auf Grund
- der Dienst- oder Werkleistungen ergebenden sozialversicherungsrechtlichen
- Melde-, Beitrags- oder Aufzeichnungspflichten nicht erfüllt. Ob für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs aus § 110 Abs. 1a SGB VII der Rechtsweg zu den ordentlichen oder zu den Sozialgerichten gegeben ist, ist höchst-
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- richterlich bislang nicht geklärt. Literatur und Instanzrechtsprechung beurteilen
- die Frage unterschiedlich.
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- aa) Nach einer Ansicht handelt es sich bei § 110 Abs. 1a SGB VII um eine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage, so dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet sein soll (LG Erfurt, r+s 2013, 47, 48; SG Mannheim,
- Urteil vom 19. November 2008 - S 7 U 533/06, unveröffentlicht; Leube, SGb
- 2006, 404, 407 f.; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung,
- § 110 SGB VII Rn. 9 [Stand: Juni 2013]; Nehls in Hauck/Noftz, SGB VII, K
- § 110 Rn. 26 [Stand: Dezember 2009]; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/
- Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 51 Rn. 28c; ErfK/Rolfs, 15. Aufl., § 110 SGB VII
- Rn. 4; Wussow/Schneider, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 80 Rn. 376;
- Bultmann in Plagemann, Münchener Anwaltshandbuch Sozialrecht, 4. Aufl., § 3
- Rn. 15; v. Koppenfels-Spies in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar
- zum Sozialrecht, 3. Aufl., § 110 SGB VII Rn. 9; ferner Giesen in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl., § 110 SGB VII Rn. 1, 8, 9;
- ders., Festschrift Leinemann, 2006, S. 831, 837, 841, der indessen einen Anspruch nur bejaht, wenn der Unternehmer ohne die §§ 104 ff. SGB VII zivilrechtlich haften würde; jeweils ohne explizit auf Absatz 1a einzugehen auch
- Geigel/Wellner, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 32 Rn. 1; Geigel/Freymann, aaO, Kap. 36 Rn. 15 f.; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 110 Rn. 4; Lauterbach in Dornbusch/Fischermeier/Löwisch, Fachanwaltskommentar Arbeitsrecht,
- 4. Aufl., § 110 SGB VII Rn. 1). Diese Auffassung stützt sich insbesondere auf
- die systematische Einordnung der Regelung in die Vorschrift des § 110 SGB
- VII, die in ihrem Absatz 1 anerkanntermaßen bürgerlich-rechtlicher Natur sei.
- Sie verweist dabei auch auf die Begründung des der Einführung von § 110
- Abs. 1a SGB VII zugrundeliegenden Gesetzentwurfs, wonach der negativen
- Entwicklung durch Schwarzarbeit "systemkonform" begegnet und der in § 110
- Abs. 1 SGB VII bereits geregelte Regress mit dem neuen Absatz 1a künftig auf
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- Fälle der Schwarzarbeit "ausgedehnt" werden solle (BT-Drucks. 15/2573,
- S. 32). Darüber hinaus wird angeführt, nicht der Sanktionscharakter, sondern
- der bürgerlich-rechtliche Gedanke der Schadloshaltung stehe bei § 110 Abs. 1a
- SGB VII im Vordergrund.
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- bb) Nach der Gegenansicht handelt es sich bei § 110 Abs. 1a SGB VII
- um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch, der vor den Sozialgerichten zu verfolgen ist (Lehmacher, BG 2005, 408, 409; AnwK-ArbR/dies./Mülheims, 2. Aufl.,
- § 110 SGB VII Rn. 41; Waltermann, BG 2006, 79, 80; ders. in Eichenhofer/
- Wenner, SGB VII, § 110 Rn. 9; Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl.,
- § 51 Rn. 71; Lauterbach/Dahm, Unfallversicherung, SGB VII, 4. Aufl., § 110
- Rn. 22 [Stand: Juni 2013]; ders., r+s 2004, 403; Riedel, Der unfallversicherungsrechtliche Regress des § 110 SGB VII unter besonderer Betrachtung des
- neu eingeführten Absatzes 1a, S. 120 ff.; Lemcke, r+s 2013, 49; Plagemann in
- Plagemann/Radtke-Schwenzer, Gesetzliche Unfallversicherung, 2. Aufl., Kap. 8
- Rn. 43; Grüner in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Aufl., § 110 Rn. 24;
- BeckOK Sozialrecht/Stelljes, § 110 SGB VII Rn. 36 [Stand: 1. Dezember 2014];
- offen gelassen von Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 110 SGB VII Rn. 11 [Stand: Dezember 2014]; Krasney in Becker/
- Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, § 110 SGB VII
- Rn. 18b [Stand: Juni 2013]; jurisPK-SGB VII/Hillmann, 2. Aufl., § 110 Rn. 24).
- Diese Auffassung stützt sich insbesondere auf die Annahme, der Anspruch sei
- als Sanktion für die verletzte öffentlich-rechtliche Pflicht der Beitragszahlung
- ausgestaltet, anstatt, wie der Anspruch aus § 110 Abs. 1 SGB VII, an eine bürgerlich-rechtlich zu beurteilende Unfallverursachung und Verantwortlichkeit anzuknüpfen. Er trete auch nicht wie § 110 Abs. 1 SGB VII an die Stelle eines ohne die Privilegierung der §§ 104 ff. SGB VII über § 116 SGB X auf den Versicherungsträger übergehenden zivilrechtlichen Anspruchs. Deshalb sei der Anspruch gerade unabhängig von einer privatrechtlichen Rechtsgrundlage. Die
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- systematische Einordnung der Regelung in § 110 SGB VII stehe ihrer öffentlichrechtlichen Qualifizierung nicht entgegen, da die Einordnung systemwidrig
- sei. Anders als in Absatz 1 sei nach Abs. 1a nur der Unfallversicherungsträger
- gegenüber Unternehmern als seinen Zwangsmitgliedern anspruchsberechtigt,
- so dass ein Sonderrecht für Unfallversicherungsträger im Rahmen eines
- Über-/Unterordnungsverhältnisses bestehe.
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- b) Die zuletzt genannte Ansicht trifft zu. Anders als beim Streit über Ansprüche aus § 110 Abs. 1 SGB VII und dessen Vorgängernormen (Senat, Urteile vom 27. November 1956 - VI ZR 206/55, NJW 1957, 384, 385 - zu §§ 903 ff.
- RVO; vom 7. November 1967 - VI ZR 79/66, VersR 1968, 64 f.; vom 9. Januar
- 1968 - VI ZR 77/66, VersR 1968, 373, 374 f.; vom 28. September 1971 - VI ZR
- 216/69, BGHZ 57, 96, 100 f. - jeweils zu § 640 RVO; vgl. auch Senat, Urteil
- vom 11. Februar 2003 - VI ZR 34/02, BGHZ 154, 11, 18) handelt es sich beim
- Streit um die Frage, ob dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß
- § 110 Abs. 1a SGB VII ein Regressanspruch gegen einen Unternehmer zusteht, um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 3 SGG, für die der
- Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet ist.
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- aa) Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlicher oder bürgerlich-rechtlicher
- Art ist, bestimmt sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche gesetzliche Regelung dieser Frage fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der
- Klageanspruch hergeleitet wird (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe
- des Bundes, Beschlüsse vom 4. Juni 1974 - GmS-OGB 2/73, BSGE 37, 292;
- vom 10. April 1986 - GmS-OGB 1/85, BGHZ 97, 312, 313 f.; vom 29. Oktober
- 1987 - GmS-OGB 1/86, BGHZ 102, 280, 283; vom 10. Juli 1989 - GmS-OGB
- 1/88, BGHZ 108, 284, 286 mwN; Senat, Urteil vom 10. Januar 1984 - VI ZR
- 297/81, BGHZ 89, 250, 251; Beschluss vom 24. Juli 2001 - VI ZB 12/01, BGHZ
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- 148, 307, 308; BGH, Beschluss vom 29. April 2008 - VIII ZB 61/07, BGHZ 176,
- 222 Rn. 8; BSG, Beschluss vom 21. Juli 2014 - B 14 SF 1/14 R, NZS 2014, 918
- Rn. 8). Dabei kommt es nicht auf die Bewertung durch die klagende Partei,
- sondern darauf an, ob sich das Klagebegehren nach den zu seiner Begründung
- vorgetragenen Tatsachen bei objektiver Würdigung aus einem Sachverhalt herleitet, der von Rechtssätzen des Zivil- oder des öffentlichen Rechts geprägt wird
- (Senat, Urteil vom 23. Februar 1988 - VI ZR 212/87, BGHZ 103, 255, 257; Beschluss vom 30. Mai 2000 - VI ZB 34/99, VersR 2000, 1390 f.; BGH, Urteile
- vom 1. Dezember 1988 - IX ZR 61/88, BGHZ 106, 134, 135; vom 28. Februar
- 1991 - III ZR 53/90, BGHZ 114, 1, 5; Beschlüsse vom 29. April 2008 - VIII ZB
- 61/07, BGHZ 176, 222 Rn. 8; vom 30. Januar 1997 - III ZB 110/96, VersR 1997,
- 1552, 1553; vom 17. Dezember 2009 - III ZB 47/09, VersR 2011, 90 Rn. 7). Die
- in dieser Weise vorzunehmende Abgrenzung weist das Streitverhältnis in diejenige Verfahrensordnung, die ihm nach der gesetzgeberischen Wertung in der
- Sache am besten entspricht, und bewirkt zugleich, dass regelmäßig diejenigen
- Gerichte anzurufen sind, die durch ihre Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den in Frage stehenden Anspruch besonders geeignet sind
- (Senat, Urteile vom 10. Januar 1984 - VI ZR 297/81, BGHZ 89, 250, 252; vom
- 23. Februar 1988 - VI ZR 212/87, BGHZ 103, 255, 257; BSG, Beschlüsse vom
- 1. April 2009 - B 14 SF 1/08 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6 Rn. 9; vom 3. August
- 2011 - B 11 SF 1/10 R, SGb 2012, 402 Rn. 20; vgl. auch Gemeinsamer Senat
- der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 4. Juni 1974 - GmSOGB 2/73, BSGE 37, 292, 296; BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss
- vom 22. März 1976 - GSZ 2/75, BGHZ 67, 81, 87).
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- Öffentlich-rechtlicher Natur sind Rechtsbeziehungen, wenn ein Träger öffentlicher Verwaltung aufgrund besonderer, speziell ihn berechtigender oder
- verpflichtender Rechtsvorschriften beteiligt ist und er daher nicht den für jedermann geltenden zivilrechtlichen Regelungen unterliegt (BSG, Urteile vom
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- 12. Februar 1980 - 7 RAr 26/79, BSGE 49, 291, 293 mwN; vom 27. Juni 1990
- - 5 RJ 39/89, BSGE 67, 100, 101; vom 30. März 1993 - 3 RK 1/93, BSGE 72,
- 148, 151 mwN). Das ist hier der Fall: § 110 Abs. 1a SGB VII berechtigt einzig
- den öffentlich-rechtlich verfassten Träger der gesetzlichen Unfallversicherung,
- unter den dort genannten Voraussetzungen Erstattung von Aufwendungen zu
- verlangen. § 110 Abs. 1a SGB VII ist mithin, worauf das Beschwerdegericht zu
- Recht hinweist, Sonderrecht für die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung
- (Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl., § 51 Rn. 71; Riedel, Der unfallversicherungsrechtliche Regress des § 110 SGB VII unter besonderer Betrachtung des neu eingeführten Absatzes 1a, S. 121). Der Anspruch besteht
- zudem allein gegenüber Unternehmern. Dass zwischen dem Unfallversicherungsträger und dem Unternehmer als beitragspflichtigem Zwangsmitglied ein
- - für den Bereich des öffentlichen Rechts typisches - Über-/Unterordnungsverhältnis besteht, ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seit jeher anerkannt (BSG, Urteil vom 27. Mai 2008 - B 2 U 11/07 R, BSGE 100, 243
- Rn. 13 mwN).
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- bb) Dass die Vorschrift des § 110 Abs. 1 SGB VII und ihre Vorgängernormen wie § 640 RVO a.F. bzw. §§ 903 ff. RVO a.F. demgegenüber als bürgerlich-rechtliche Regelungen verstanden werden bzw. wurden, steht der öffentlich-rechtlichen Qualifizierung von § 110 Abs. 1a SGB VII nicht entgegen.
- Die maßgeblichen Gründe für die Einordnung des Anspruchs aus § 110 Abs. 1
- SGB VII und seiner Vorgängernormen in das bürgerliche Recht greifen beim
- Anspruch aus § 110 Abs. 1a SGB VII nämlich gerade nicht.
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- (1) Beim Anspruch aus § 110 Abs. 1 SGB VII besteht kein Über-/Unterordnungsverhältnis öffentlich-rechtlicher Art. Denn zum einen richtet sich der
- Anspruch aus § 110 Abs. 1 SGB VII auch gegen Dritte, die zum Unfallversicherungsträger nicht wie der Unternehmer in einem öffentlich-rechtlichen Gewalt-
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- verhältnis stehen, so dass es sich ihnen gegenüber nur um einen originär bürgerlich-rechtlichen Anspruch besonderer Art auf Ersatz des mittelbaren Schadens handeln kann (Senat, Urteile vom 27. November 1956 - VI ZR 206/55,
- NJW 1957, 384, 385; vom 7. November 1967 - VI ZR 79/66, VersR 1968, 64,
- 65). Zum anderen gewährt § 110 Abs. 1 SGB VII nicht nur dem Unfallversicherungsträger einen Regressanspruch, sondern jedem Sozialversicherungsträger,
- dem infolge des Versicherungsfalls Aufwendungen entstanden sind; auch insoweit kommt es nicht darauf an, ob der jeweilige Sozialversicherungsträger in
- einer öffentlich-rechtlichen Beziehung zum Verpflichteten steht (vgl. Senat, Urteile vom 27. November 1956 - VI ZR 206/55, aaO; vom 7. November 1967
- - VI ZR 79/66, aaO; vom 9. Januar 1968 - VI ZR 77/66, VersR 1968, 373, 374).
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- (2) Da § 110 Abs. 1a SGB VII kein historisches Vorbild hat, besteht anders als bei den Vorgängernormen zu § 110 Abs. 1 SGB VII (vgl. Senat, Urteile
- vom 7. November 1967 - VI ZR 79/66, VersR 1968, 64, 65; vom 9. Januar 1968
- - VI ZR 77/66, VersR 1968, 373, 374) auch keine Tradition, dass die Zivilgerichte über den Anspruch entscheiden.
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- (3) Vor allem aber tritt der Anspruch aus § 110 Abs. 1a SGB VII anders
- als derjenige aus § 110 Abs. 1 SGB VII, durch den der Schädiger so gestellt
- wird, wie er ohne die Privilegierung nach den §§ 104 ff. SGB VII stünde (Senat,
- Urteile vom 27. Juni 2006 - VI ZR 143/05, BGHZ 168, 161 Rn. 15, 18; vom
- 29. Januar 2008 - VI ZR 70/07, BGHZ 175, 152 Rn. 13), nicht an die Stelle eines ohne diese Privilegierung auf den Sozialversicherungsträger kraft Gesetzes
- gemäß § 116 SGB X übergeleiteten Schadensersatzanspruchs (zu § 640 RVO
- Senat, Urteile vom 7. November 1967 - VI ZR 79/66, VersR 1968, 64 f.; vom
- 9. Januar 1968 - VI ZR 77/66, VersR 1968, 373, 374 f.). Denn der Anspruch aus
- § 110 Abs. 1a SGB VII setzt keinen (fiktiven) Schadensersatzanspruch des
- Versicherten voraus. Dementsprechend ist eine nach bürgerlichem Recht zu
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- beurteilende Unfallverursachung und Verantwortlichkeit des Verpflichteten nur
- für § 110 Abs. 1 SGB VII Anspruchsvoraussetzung (vgl. zu § 640 RVO Senat,
- Urteil vom 9. Januar 1968 - VI ZR 77/66, VersR 1968, 373, 375), nicht aber für
- § 110 Abs. 1a SGB VII. Damit fehlt dem Anspruch aus § 110 Abs. 1a SGB VII
- die Anbindung an bürgerlich-rechtliche Normen, die maßgebend dafür ist, den
- Anspruch aus § 110 Abs. 1 SGB VII als bürgerlich-rechtlich zu qualifizieren.
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- cc) Die Gründe, die von der Gegenansicht für die bürgerlich-rechtliche
- Qualifizierung des Anspruchs aus § 110 Abs. 1a SGB VII angeführt werden,
- greifen nicht durch.
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- Insbesondere kann aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die Ergänzung des § 110 SGB VII um Abs. 1a als "systemkonform" bezeichnet und
- den bereits in Abs. 1 enthaltenen Regress ausdrücklich "auf Fälle der Schwarzarbeit ausgedehnt" hat (BT-Drucks. 15/2573, S. 32), nicht ohne Weiteres auf
- eine privatrechtliche Natur des Anspruchs aus § 110 Abs. 1a SGB VII geschlossen werden (ebenso Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl., § 51
- Rn. 71). Der Gesetzgeber hat erkennbar auf das Ziel abgestellt, den Unfallversicherungsträger wie in § 110 Abs. 1 SGB VII zu entlasten. Die systematische
- Einordnung des Regresses im Falle der Schwarzarbeit in § 110 SGB VII hat er
- damit begründet, dass die Vorschrift bereits bisher Unternehmer von der Haftungsfreistellung ausnehme, wenn es angesichts eines für den Eintritt eines
- Versicherungsfalls ursächlichen Verhaltens des Unternehmers nicht mehr gerechtfertigt sei, die finanziellen Folgen auf die in dem jeweiligen Unfallversicherungsträger zusammengeschlossene Unternehmerschaft abzuwälzen (BTDrucks. 15/2573, S. 32). Auf die Rechtsnatur des Anspruchs oder auf die
- Rechtswegzuständigkeit wird in der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs
- hingegen nicht abgehoben.
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- Ob, wie die Rechtsbeschwerde meint, der Gedanke der Schadloshaltung
- im Vordergrund steht, kann dahinstehen, da er dem öffentlichen Recht ebenfalls
- geläufig ist, so dass er nicht als originär bürgerlich-rechtlich bezeichnet werden
- kann (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 1980 - 7 RAr 26/79, BSGE 49, 291,
- 293).
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- dd) Gehört - wie hier - ein Rechtsverhältnis, aus dem der Klageanspruch
- abgeleitet wird, seinem Inhalt nach nicht dem bürgerlichen, sondern dem öffentlichen Recht an, so ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben, wenn es seine materiell-rechtliche Grundlage im Sozialversicherungsrecht hat (BSG, Urteil vom 23. November 1971 - 7/2 RU 206/69, BSGE
- 33, 209, 210 f. mwN). Auch davon ist im Streitfall auszugehen, denn die zentralen Anspruchsvoraussetzungen des § 110 Abs. 1a SGB VII sind ausschließlich
- anhand sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften zu beurteilen. Mit der Zuständigkeit der Sozialgerichte für Streitigkeiten über den Regress nach § 110
- Abs. 1a SGB VII ist deshalb zugleich gewährleistet, dass auch in diesen Fällen
- regelmäßig die Gerichte zur Entscheidung über den in Frage stehenden An-
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- spruch berufen sind, die durch ihre Sachkunde und Sachnähe hierzu besonders
- geeignet sind.
- Galke
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- Diederichsen
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- Offenloch
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- Stöhr
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- Oehler
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- Vorinstanzen:
- LG Dresden, Entscheidung vom 19.11.2013 - 5 O 2560/12 OLG Dresden, Entscheidung vom 11.08.2014 - 10 W 1210/13 -
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