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191 lines
11 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VI ZB 32/17
  4. vom
  5. 20. November 2018
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. ZPO § 85 Abs. 2
  14. Beauftragt der Prozessbevollmächtigte einer Partei einen anderen Rechtsanwalt
  15. damit, eine Berufungsschrift zu erstellen, zu unterschreiben und wegen des mit Ende des Tages eintretenden Ablaufs der Berufungsfrist an das Berufungsgericht zu
  16. faxen, unterlässt es der beauftragte Rechtsanwalt dann aber versehentlich, die von
  17. ihm erstellte und unterschriebene Berufungsschrift per Fax an das Berufungsgericht
  18. zu versenden, so ist das darin liegende Verschulden des beauftragten Rechtsanwalts der Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Eine Wiedereinsetzung in
  19. den vorigen Stand scheidet in diesem Fall aus.
  20. BGH, Beschluss vom 20. November 2018 - VI ZB 32/17 - LG Berlin
  21. AG Berlin
  22. ECLI:DE:BGH:2018:201118BVIZB32.17.0
  23. -2-
  24. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. November 2018 durch die
  25. Richterin von Pentz als Vorsitzende, die Richter Wellner und Offenloch, die
  26. Richterin Müller und den Richter Dr. Allgayer
  27. beschlossen:
  28. Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss der
  29. 50. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 17. Juli 2017 wird
  30. als unzulässig verworfen.
  31. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
  32. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt
  33. bis zu 2000 €.
  34. Gründe:
  35. I.
  36. 1
  37. Der Kläger nimmt die Beklagte mit der Behauptung auf Schadensersatz
  38. in Anspruch, sie habe sein Auto als dessen Fahrerin aufgrund eines Fahrfehlers
  39. beschädigt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18. April 2017 zugestellte Urteil wurde
  40. am Freitag, dem 19. Mai 2017, Berufung eingelegt. Die auf den 18. Mai 2017
  41. datierte Berufungsschrift wurde dabei nicht vom Prozessbevollmächtigten des
  42. Klägers selbst unterzeichnet, sondern von Rechtsanwalt M., der mit dem Prozessbevollmächtigten in Bürogemeinschaft tätig ist.
  43. -3-
  44. 2
  45. Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2017 hat der Kläger beantragt, ihm hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
  46. gewähren. Zur Begründung hat er insbesondere ausgeführt, sein Prozessbevollmächtigter, der seine Kanzlei vollständig alleine und ohne fremde Arbeitsleistung betreibe, habe am 25. April 2017 bei einem Motorradunfall eine schwere Knieverletzung erlitten. Sein Prozessbevollmächtiger sei deshalb vom 3. bis
  47. zum 10. Mai 2017 stationär im Krankenhaus und dann noch bis 31. Mai 2017
  48. krank geschrieben gewesen. Ein Vertreter sei nicht bestellt worden, weil sein
  49. Prozessbevollmächtiger nicht länger als eine Woche an der Ausübung seines
  50. Berufs gehindert gewesen sei. Sowohl in der Zeit vom 27. April bis zum 2. Mai
  51. 2017 als auch am 10. Mai 2017 habe er etwa ein bis zwei Stunden täglich in
  52. seiner Kanzlei arbeiten können, in der Zeit vom 11. bis mindestens 19. Mai
  53. 2017 in der Regel etwa zwei bis vier Stunden pro Tag. Erst dann habe er sich
  54. wegen auftretender Schmerzen jeweils wieder nach Hause begeben müssen,
  55. um das rechte Bein über das Herzniveau hinaus hochzulagern. Am 18. Mai
  56. 2017 habe sein Prozessbevollmächtigter - so der Kläger weiter - seine Arbeit
  57. nach ungewöhnlich kurzer Zeit, nämlich bereits nach einer Stunde, wegen rascher als sonst auftretender Schmerzen wieder einstellen und mit dem Taxi
  58. nach Hause fahren müssen. In dieser Stunde habe er die Berufungsschrift nicht
  59. angefertigt, weil er andere, mindestens ebenso wichtige Arbeiten zu erledigen
  60. gehabt habe und im Übrigen habe darauf vertrauen dürfen, dass im Notfall der
  61. mit ihm in (bloßer) Bürogemeinschaft tätige Rechtsanwalt M. einspringen werde, wie dieser es schon hunderte Male zuvor getan habe. Gegen 16 Uhr habe
  62. sein Prozessbevollmächtiger Rechtsanwalt M. dann auch telefonisch gebeten,
  63. den Berufungsschriftsatz zu fertigen und ihn vorab per Telefax an das Gericht
  64. zu senden, weil es sich - was er Rechtsanwalt M. ausdrücklich mitgeteilt habe um den letzten Tag der Berufungsfrist handele. Beides habe Rechtsanwalt M.,
  65. der noch bis 22 Uhr in der Kanzlei habe bleiben wollen, zugesagt. Rechtsanwalt
  66. -4-
  67. M. habe den Schriftsatz dann auch gefertigt, ihn aber aufgrund eines Versehens nicht per Telefax an das Landgericht übersandt, was sein Prozessbevollmächtiger erst am 19. Mai 2017 bei Durchsicht der Faxprotokolle festgestellt
  68. habe.
  69. 3
  70. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers unter Zurückweisung des
  71. Wiedereinsetzungsantrags als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im
  72. Wesentlichen ausgeführt, die Versäumung der Berufungsfrist sei auf ein dem
  73. Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden des von ihm beauftragten Prozessbevollmächtigten zurückzuführen. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten liege bereits darin, dass dieser am 18. Mai 2017 nicht
  74. zunächst die notfristgebundenen Geschäfte wie die Einlegung der Berufung im
  75. Streitfall erledigt, sondern andere Tätigkeiten vorgezogen habe, bezüglich derer
  76. der Kläger nicht dargelegt habe, dass sie ebenfalls notfristgebunden gewesen
  77. seien. Unabhängig davon sei ein Verschulden des Prozessbesvollmächtigten
  78. des Klägers aber auch darin zu sehen, dass er den von ihm mit der Fertigung
  79. der Berufungsschrift und ihrer Absendung per Fax beauftragten Rechtsanwalt
  80. nicht hinreichend überwacht habe. Allein die Anweisung, die Berufungsschrift
  81. dem Berufungsgericht noch am 18. Mai 2017 per Fax zuzuleiten, reiche nicht.
  82. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers sei vielmehr gehalten gewesen, ausreichende Sicherheitsvorkehrungen dahingehend zu treffen, dass die Weisung
  83. nicht in Vergessenheit gerate und die zu treffende Maßnahme unterbleibe. So
  84. hätte er beispielsweise noch am späten Abend des 18. Mai 2017 bei Rechtsanwalt M. nachfragen können, ob dieser die Berufungsschrift tatsächlich gefertigt und an das Berufungsgericht gefaxt habe.
  85. -5-
  86. II.
  87. 4
  88. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2
  89. Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts insbesondere auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen
  90. Rechtsprechung geboten. Die Begründung der Rechtsbeschwerde zeigt nicht
  91. auf, dass die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags im angefochtenen Beschluss den Kläger in seinem Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz verletzt.
  92. 5
  93. 1. Das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gebietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
  94. nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht
  95. verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu
  96. rechtfertigenden Weise erschweren (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom
  97. 10. April 2018 – VI ZB 44/16, NJW-RR 2018, 1210 Rn. 5, mwN). Gegen dieses
  98. Gebot hat das Berufungsgericht im Streitfall nicht in entscheidungserheblicher
  99. Weise verstoßen.
  100. 6
  101. 2. Offen bleiben kann dabei, ob dem Kläger die Wiedereinsetzung in den
  102. vorigen Stand - wie das Berufungsgericht meint - schon deshalb zu versagen
  103. ist, weil die Versäumung der Berufungsfrist auf einem dem Kläger gemäß § 85
  104. Abs. 2 ZPO zurechenbaren Verschulden seines unmittelbar beauftragten Prozessbevollmächtigten beruht. Denn jedenfalls beruht sie auf einem Verschulden
  105. von Rechtsanwalt M., das dem Kläger ebenfalls zuzurechnen ist.
  106. -6-
  107. a) Dass Rechtsanwalt M. schuldhaft handelte, als er es in Kenntnis der
  108. mit Ablauf des 18. Mai 2017 endenden Berufungsfrist unterließ, die von ihm
  109. erstellte Berufungsschrift noch an diesem Tag an das Berufungsgericht zu
  110. faxen, steht außer Frage und wird auch vom Kläger nicht bezweifelt.
  111. 7
  112. b) Dieses Verschulden ist dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
  113. 8
  114. aa) Der mit dem Prozessbevollmächtigten in bloßer Bürogemeinschaft
  115. tätige Rechtsanwalt ist allerdings nicht allein aufgrund dieses Umstands Bevollmächtigter der Partei des eigentlich Prozessbevollmächtigten im Sinne von
  116. § 85 Abs. 2 ZPO (vgl. nur BGH, Urteil vom 9. November 1978 - VII ZR 145/78,
  117. VersR 1979, 160; BayObLG, MDR 1988, 683; BeckOK ZPO/Piekenbrock,
  118. 29. Ed. 1.7.2018, ZPO § 85 Rn. 21; Hk-ZPO/Bendtsen, 7. Aufl., § 85 Rn. 15;
  119. Weth in Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl., § 85 Rn. 12; Zöller/Althammer, ZPO,
  120. 32. Aufl., § 85 Rn. 20). Ist er vom Prozessbevollmächtigten im konkreten Fall
  121. unterbevollmächtigt worden, gilt aber jedenfalls dann anderes, wenn ihm die
  122. Sache nach den gesamten Umständen des Einzelfalles zur selbständigen Bearbeitung und nicht nur in Bezug auf untergeordnete Hilfstätigkeiten zugewiesen worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Januar 2004 - VI ZB 39/03, NJWRR 2004, 993; BGH, Beschlüsse vom 9. Juni 2004 - VIII ZR 86/04, NJW 2004,
  123. 2901, 2902; vom 30. März 1993 - X ZB 2/93, NJW-RR 1993, 892, 893; vom
  124. 19. Dezember 1983 - II ZB 6/83, VersR 1984, 239; vom 8. März 1978 - IV ZB
  125. 61/77, VersR 1978, 665; MükoZPO/Toussaint, 5. Aufl., § 85 Rn. 14 f; Zöller/Althammer, ZPO, 32. Aufl., § 85 Rn. 18; weitergehend wohl BeckOK ZPO/Piekenbrock, 30. Ed. 15.9.2018, ZPO § 85 Rn. 19). Ein dem Unterbevollmächtigten im
  126. -7-
  127. Rahmen seiner in Untervollmacht erbrachten Tätigkeit (vgl. hierzu auch BGH,
  128. Beschluss vom 23. November 1978 - II ZB 7/78, VersR 1979, 255) vorzuwerfendes Verschulden ist in einem solchen Fall der Partei über § 85 Abs. 2 ZPO
  129. direkt zuzurechnen.
  130. 9
  131. bb) Nach diesen Grundsätzen ist dem Kläger das Rechtsanwalt M. im
  132. Zusammenhang mit der Berufungseinlegung vorzuwerfende Verschulden gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Mit dem Rechtsanwalt M. vom eigentlichen
  133. Prozessbevollmächtigten erteilten Auftrag, die Berufungsschrift zu erstellen, zu
  134. unterschreiben und dann - vorab per Fax - an das Berufungsgericht zu senden,
  135. wurde ihm jedenfalls konkludent Untervollmacht zur Einlegung der Berufung
  136. erteilt. Als wesentliche Prozesshandlung ist die Einlegung der Berufung unabhängig von den im Innenverhältnis zum Hauptbevollmächtigten bestehenden
  137. Absprachen keine bloß untergeordnete Hilfstätigkeit, was sich schon daraus
  138. ergibt, dass der die erufungsschrift unterzeichnende Rechtsanwalt nach außen die vollständige Verantwortung für sie übernimmt (vgl. nur BGH, Urteil vom
  139. 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 2087). Schließlich ist Rechts-
  140. -8-
  141. anwalt M. der ihm vorzuwerfende Fehler auch gerade bei der von der Untervollmacht umfassten Einlegung der Berufung unterlaufen.
  142. v. Pentz
  143. Wellner
  144. Müller
  145. Offenloch
  146. Allgayer
  147. Vorinstanzen:
  148. AG Berlin-Mitte, Entscheidung vom 10.04.2017 - 108 C 3325/15 LG Berlin, Entscheidung vom 17.07.2017 - 50 S 105/17 -