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8.4 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VI ZB 12/12
  4. vom
  5. 26. Juni 2012
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. ZPO § 233 Fd
  14. Eine konkrete Einzelanweisung vermag den Rechtsanwalt dann nicht zu entlasten,
  15. wenn sie unvollständig ist und deshalb der Fristversäumung nicht wirksam entgegenwirken kann.
  16. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2012 - VI ZB 12/12 - LG Zwickau
  17. AG Hohenstein-Ernstthal
  18. -2-
  19. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll und Wellner, die Richterin
  20. Diederichsen und den Richter Stöhr
  21. beschlossen:
  22. Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss der
  23. 6. Zivilkammer des Landgerichts Zwickau vom 27. Januar 2012
  24. wird auf seine Kosten verworfen.
  25. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird
  26. auf 2.793,84 € festgesetzt.
  27. Gründe:
  28. I.
  29. 1
  30. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch. Gegen das die Klage abweisende am 14. November
  31. 2011 zugestellte Urteil des Amtsgerichts hat der Prozessbevollmächtigte des
  32. Klägers mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2011 Berufung beim Landgericht Ch.
  33. eingelegt. Nachdem ihm am 20. Dezember 2011 der richterliche Hinweis zugegangen ist, dass nicht das Landgericht Ch., sondern das Landgericht Z. zuständig ist, hat er die Berufung zurückgenommen. Er hat am 27. Dezember 2011
  34. Berufung beim Landgericht Z. eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in
  35. den vorigen Stand für die versäumte Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung
  36. des Wiedereinsetzungsgesuchs hat er vorgetragen und glaubhaft gemacht:
  37. -3-
  38. 2
  39. Die bisher stets zuverlässig und gewissenhaft arbeitende Büroangestellte
  40. C.P. habe die Berufungsschrift an das früher, inzwischen aber nicht mehr zuständige Landgericht Ch. anstatt an das nunmehr zuständige Landgericht Z.
  41. adressiert. Bei der Vorlage des Entwurfs zur Durchsicht und Unterzeichnung
  42. habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers die falsche Adressierung entdeckt. Er habe daraufhin die Angestellte angewiesen, auf der Seite 1 der Berufungsschrift das angerufene Gericht auf das Landgericht Z. abzuändern, und
  43. auf der zweiten Seite unterschrieben. Die - sonst fehlerfrei arbeitende - Angestellte sei aufgrund besonders starker arbeitsmäßiger Belastung dieser Anweisung nicht gefolgt und habe anlässlich der Abholung der Post beim Landgericht
  44. Ch. die nicht geänderte Berufungsschrift selbst in der dortigen Poststelle abgegeben.
  45. 3
  46. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 27. Januar 2012 die begehrte
  47. Wiedereinsetzung versagt und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil dieser die Berufungsfrist nicht ohne Verschulden seines Prozessbevollmächtigten versäumt habe. Der Grundsatz, dass ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Anwalts an der Fristversäumung grundsätzlich nicht
  48. gegeben ist, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher
  49. als zuverlässig erwiesen habe, eine konkrete Einzelanweisung erteile, die bei
  50. Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte, gelte dann nicht, wenn der
  51. Rechtsanwalt von der ihm selbst ohne Weiteres möglichen Beseitigung eines
  52. von ihm erkannten Fehlers absehe. Der einzige und gravierende Fehler des
  53. Berufungsschriftsatzes bei der Benennung des richtigen Berufungsgerichts hätte nach seiner behaupteten Entdeckung durch eine handschriftliche Korrektur
  54. der ersten Seite des einzureichenden Schriftsatzes und/oder durch den (nachfolgenden) Austausch dieser Seite unschwer korrigiert werden können. Diese
  55. Möglichkeit der Selbstkorrektur durch den Rechtsanwalt ohne jeden Aufwand
  56. -4-
  57. setze den Vertrauensgrundsatz außer Kraft (BGH, Beschluss vom 17. August
  58. 2011 - I ZB 21/11, NJW-RR 2012, 122).
  59. II.
  60. 4
  61. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2
  62. Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig.
  63. 5
  64. 1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger weder in
  65. seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen
  66. Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip)
  67. noch dessen rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei
  68. die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen
  69. an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die
  70. nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 2002 - VI ZB 40/02, NJW 2003,
  71. 437; BGH, Beschlüsse vom 11. Juni 2008 - XII ZB 184/07, NJW 2008, 2713
  72. Rn. 6; vom 16. Februar 2010 - VIII ZB 76/09, NJW 2010, 1378 Rn. 5, jeweils
  73. mwN).
  74. 6
  75. 2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde entspricht die angefochtene Entscheidung der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
  76. 7
  77. a) Zwar darf der Rechtsanwalt, der einer Kanzleiangestellten, die sich
  78. bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die
  79. -5-
  80. bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte, grundsätzlich darauf vertrauen, dass sie die konkrete Einzelanweisung befolgt (vgl. hierzu etwa Senatsbeschlüsse vom 13. April 2010 - VI ZB 65/08, NJW 2010, 2287 Rn. 6; vom
  81. 9. Dezember 2003 - VI ZB 26/03, VersR 2005, 138 und BGH, Beschluss vom
  82. 30. Oktober 2008 - III ZB 54/08, NJW 2009, 296 Rn. 10 mwN). Danach durfte
  83. der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich darauf verlassen, dass seine Angestellte den konkreten Einzelauftrag, die von ihm unterzeichnete Berufungsschrift zu berichtigen und dazu die erste Seite des Schriftsatzes auszutauschen,
  84. ordnungsgemäß ausführen würde (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Dezember
  85. 2003 - VI ZB 26/03 und BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - III ZB 54/08,
  86. jew. aaO mwN). Dem Prozessbevollmächtigten kann nicht als Verschulden angelastet werden, dass er die Berufungsschrift vor der von ihm für erforderlich
  87. gehaltenen Korrektur unterzeichnet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April
  88. 2010 - VI ZB 65/08 aaO, Rn. 7; BGH, Beschlüsse vom 30. Oktober 2008 - III ZB
  89. 54/08, aaO Rn. 9; vom 27. Februar 2003 - III ZB 82/02, NJW-RR 2003, 934,
  90. 935; vom 4. November 1981 - VIII ZB 59 und 60/81, VersR 1982, 190). Auch
  91. traf ihn nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner
  92. Weisung zu vergewissern. Die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt würden überspannt, wollte man verlangen, dass der Prozessbevollmächtigte bei
  93. einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestehen, die Vornahme einer einfachen Berichtigung der falschen Adressierung zu kontrollieren
  94. habe (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - III ZB 54/08, aaO Rn. 10).
  95. 8
  96. b) Im Streitfall kommt es auch nicht darauf an, ob der Rechtsanwalt das
  97. Anschriftenfeld selbst hätte handschriftlich berichtigen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - I ZB 21/11, aaO Rn. 15). Eine konkrete Einzelanweisung vermag den Rechtsanwalt jedenfalls dann nicht zu entlasten, wenn
  98. sie unvollständig ist und deshalb der Fristversäumung nicht wirksam entgegenwirken kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW
  99. -6-
  100. 2004, 367, 369; vom 6. Dezember 2007 - V ZB 91/07, juris Rn. 8 und vom
  101. 21. Dezember 2006 - IX ZB 309/04, AnwBl. 2007, 236). So liegt der Fall hier.
  102. 9
  103. Mit der Korrektur der ersten Seite der am 14. Dezember 2011, dem letzten Tag der Berufungsfrist, gefertigten Berufungsschrift war nicht gewährleistet,
  104. dass diese fristwahrend bei dem Landgericht Z. eingehen würde. Die fristwahrende Übermittlung von der Kanzlei in Ch. zum Landgericht in Z. hätte per Fax,
  105. gegebenenfalls auf elektronischem Wege oder per Boten erfolgen müssen. Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers dazu, dass dies durch allgemeine organisatorische Vorkehrungen oder durch eine Einzelanweisung gesichert
  106. gewesen wäre, fehlt.
  107. 10
  108. 3. Nach allem ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger die Berufungsfrist schuldlos versäumt hat (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Eine Ergänzung
  109. -7-
  110. des Vortrags ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr möglich (§ 577
  111. Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO). Die Rechtsbeschwerde war mithin mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zu verwerfen.
  112. Galke
  113. Zoll
  114. Diederichsen
  115. Wellner
  116. Stöhr
  117. Vorinstanzen:
  118. AG Hohenstein-Ernstthal, Entscheidung vom 04.10.2011 - 1 C 411/11 LG Zwickau, Entscheidung vom 27.01.2012 - 6 S 214/11 -