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317 lines
16 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. V ZR 76/14
  5. Verkündet am:
  6. 23. Oktober 2015
  7. Weschenfelder
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. ZPO § 62 Abs. 1, § 307
  19. Waren notwendige Streitgenossen in einem Termin zur mündlichen Verhandlung
  20. säumig, können sie eine Prozesshandlung, die ein anwesender Streitgenosse mit
  21. Wirkung für sie vorgenommen hat, in den Tatsacheninstanzen in nachfolgenden
  22. mündlichen Verhandlungen widerrufen.
  23. BGH, Urteil vom 23. Oktober 2015 - V ZR 76/14 - LG Frankfurt am Main
  24. AG Offenbach am Main
  25. -2-
  26. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  27. vom 25. September 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die
  28. Richterinnen
  29. Prof. Dr. Schmidt-Räntsch
  30. und
  31. Dr. Brückner,
  32. den
  33. Richter
  34. Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
  35. für Recht erkannt:
  36. Auf die Revision der Beklagten zu 1 wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main - 13. Zivilkammer - vom 26. Februar 2014
  37. aufgehoben.
  38. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  39. über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  40. Von Rechts wegen
  41. Tatbestand:
  42. 1
  43. Die Parteien bilden eine Wohnungserbbauberechtigtengemeinschaft. Auf
  44. der Versammlung der Wohnungserbbauberechtigten vom 10. September 2011
  45. wurde unter dem Tagesordnungspunkt (TOP) zu 3 im Beschlusswege die Beauftragung von Rechtsanwalt C. zur Vertretung in zwei Anfechtungsverfahren
  46. genehmigt. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Beschlussmängelklage.
  47. -3-
  48. 2
  49. In der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht sind erschienen der
  50. von dem Verwalter für sämtliche Beklagte beauftragte Rechtsanwalt C. sowie
  51. die Beklagten zu 2 und 3, die einer Vertretung durch den Anwalt entgegengetreten sind. Nachdem die Kläger den Klageantrag gestellt hatten, haben sich
  52. Rechtsanwalt C. und der Beklagte zu 3 dahin geäußert, keinen Antrag stellen
  53. zu wollen. Der Beklagte zu 2 hat erklärt, er erkenne die Klage an. Das Amtsgericht hat der Klage durch Anerkenntnisurteil stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.
  54. 3
  55. Mit der zugelassenen Revision wollen die Beklagten zu 1 (übrige Wohnungserbbauberechtigte mit Ausnahme der Kläger und der Beklagten zu 2
  56. und 3) die Abweisung der Beschlussmängelklage erreichen. Die Kläger beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
  57. Entscheidungsgründe:
  58. I.
  59. 4
  60. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die übrigen Beklagten seien in
  61. der mündlichen Verhandlung durch den anwesenden Beklagten zu 2 als notwendigen Streitgenossen nach § 62 ZPO umfassend vertreten gewesen und
  62. daher an das von diesem abgegebene Anerkenntnis gebunden. Materiellrechtliche Erwägungen zur Vertretungsbefugnis seien irrelevant, weil das Anerkenntnis rein prozessualer Natur sei. Darauf, ob ein arglistig im Zusammenwirken mit der Gegenpartei abgegebenes Anerkenntnis unwirksam sei, komme es
  63. mangels Arglist nicht an. Beseitigen könnten die Säumigen das Anerkenntnis
  64. wegen der Vertretungsbefugnis des nichtsäumigen Streitgenossen nur, wenn
  65. ihnen dies bei eigener Vornahme der Prozesshandlung möglich gewesen wäre.
  66. Der Auffassung, wonach sich säumige Streitgenossen durch Berufungseinlegung von dem Anerkenntnis wieder lösen könnten, stehe ebenfalls die Rechts-
  67. -4-
  68. natur des Anerkenntnisses entgegen. Zum Widerruf berechtigende Abänderungs- oder Restitutionsgründe nach §§ 323, 580 ZPO lägen nicht vor.
  69. II.
  70. 5
  71. Die Revision ist zulässig.
  72. 6
  73. 1. a) Rechtsanwalt Dr. N.
  74. ist aufgrund der - nach einer Rüge der
  75. Gegenseite gemäß § 88 Abs. 1 ZPO - vorgelegten, ihm von dem Verwalter am
  76. 10. Oktober 2014 erteilten Prozessvollmacht berechtigt, die Beklagten zu 1 zu
  77. vertreten (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG). Die Vollmacht ist wirksam. Dass der Beschluss, durch den der Verwalter bestellt worden ist, vom Amtsgericht Offenbach durch Urteil vom 5. November 2014 für ungültig erklärt worden ist, ändert
  78. hieran nichts (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Juni 2007 - V ZB 20/07, NJW
  79. 2007, 2776 Rn. 9; Merle in Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 26 Rn. 255; Jennißen in
  80. Jennißen, WEG, 4. Aufl., § 26 Rn. 73 mwN).
  81. 7
  82. b) Ob die Vertretungsmacht des Verwalters auch bestanden hätte, wenn
  83. er gemäß § 45 Abs. 1 Halbs. 2 WEG als Zustellungsvertreter ausgeschlossen
  84. gewesen wäre (offen gelassen in Senat, Urteil vom 5. Juli 2013 - V ZR 241/12,
  85. NJW 2013, 3098 Rn. 15), bedarf keiner Entscheidung. Denn die Voraussetzungen der genannten Vorschrift sind nicht erfüllt. Entgegen der von den Klägern
  86. vertretenen Auffassung besteht aufgrund des Streitgegenstands nicht die Gefahr, der Verwalter werde die Wohnungserbbauberechtigten nicht sachgerecht
  87. unterrichten. Gegenstand der Anfechtungsklage ist ausweislich der Klageschrift
  88. der in der Versammlung vom 10. September 2011 zu TOP 3 gefasste Beschluss, über die Beauftragung von Rechtsanwalt C. zur Vertretung „der Gemeinschaft“ in einem Anfechtungsverfahren. Das Anfechtungsverfahren richtet
  89. sich
  90. gegen
  91. einen
  92. Beschluss,
  93. mit
  94. dem
  95. die
  96. B.
  97. GmbH für den Zeitraum vom 7. Mai 2011 bis zum 31. Dezember 2011 zur Verwalterin bestellt worden ist. Schon weil dies nicht die Verwalterin ist, die
  98. -5-
  99. Rechtsanwalt Dr. N.
  100. bevollmächtigt hat, kann sich aus dem Streitgegen-
  101. stand des hiesigen Verfahren kein Interessenkonflikt zwischen ihr und den von
  102. ihr vertretenen übrigen Wohnungserbbauberechtigten ergeben, durch den die
  103. Gefahr besteht, der Verwalter werde diese nicht sachgerecht unterrichten.
  104. 8
  105. Dass sich die übrigen Wohnungserbbauberechtigten nicht ordnungsgemäß über den Rechtsstreit unterrichtet fühlen, wie die Kläger unter Vorlage eines Schreibens der Wohnungsgesellschaft D.
  106. mbH geltend machen,
  107. ist unerheblich. Der Verwalter bleibt auch dann gesetzlicher Zustellungsvertreter, wenn er seiner Pflicht, die Wohnungseigentümer unverzüglich darüber zu
  108. unterrichten, dass ein Rechtsstreit gemäß § 43 WEG anhängig ist (§ 27 Abs. 1
  109. Nr. 7 WEG), nicht nachkommt. Anders als die Kläger offenbar meinen, ließe
  110. sich von einer solchen Pflichtverletzung allein auch nicht auf das Bestehen eines Interessenkonflikts im Sinne von § 45 Abs. 1 Halbs. 2 WEG schließen.
  111. 9
  112. 2. a) Dass der Verwalter im Beschlussmängelprozess nach § 27 Abs. 2
  113. Nr. 2 WEG befugt ist, für die beklagten Wohnungseigentümer einen Rechtsanwalt zu mandatieren (vgl. Senat, Urteil vom 5. Juli 2013 - V ZR 241/12, NJW
  114. 2013, 3098 Rn. 7 ff.), schließt allerdings nicht aus, dass einzelne Wohnungseigentümer einen eigenen Rechtsanwalt beauftragen oder eine Vertretung durch
  115. den vom Verwalter eingeschalteten Anwalt ablehnen (vgl. Senat, Urteil vom
  116. 5. Juli 2013 - V ZR 241/12, aaO Rn. 15 sowie Merle, ZWE 2008, 109, 110 f.).
  117. So verhält es sich bei den Beklagten zu 2 und 3, die ihre Interessen vor dem
  118. Amtsgericht selbst wahrgenommen und bereits dort zum Ausdruck gebracht
  119. haben, nicht durch den Verwalter vertreten werden zu wollen. Demgemäß werden sie in der Revisionsinstanz durch den von dem Verwalter beauftragten
  120. Rechtsanwalt nicht vertreten, wie dieser in der mündlichen Verhandlung vor
  121. dem Senat klargestellt hat.
  122. -6-
  123. 10
  124. § 62 Abs. 1 ZPO steht dem nicht entgegen, weil die Rechtsmitteleinlegung kein einheitliches Vorgehen erfordert. Ein notwendiger Streitgenosse kann
  125. ein ihn beschwerendes Urteil hinnehmen. Die übrigen Streitgenossen sind deshalb nicht an der Durchführung eines Rechtsmittels gehindert; eine einheitliche
  126. Sachentscheidung wird dadurch gewährleistet, dass die Streitgenossen, die von
  127. der Einlegung eines Rechtsmittels abgesehen haben, in der bisherigen Parteirolle als Kläger oder Beklagte an dem Verfahren weiter zu beteiligen sind (vgl.
  128. zum Ganzen etwa Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 62 Rn. 32 mwN).
  129. 11
  130. b) Soweit andere Wohnungserbbauberechtigte erstmals in der Revisionsinstanz mitgeteilt haben, sie wollten nicht durch Rechtsanwalt Dr. N.
  131. ver-
  132. treten werden, bleibt dies schon deshalb ohne Wirkung, weil die Erklärungen
  133. nicht durch einen am Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt abgegeben worden sind (§ 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO).
  134. III.
  135. 12
  136. Die Revision ist begründet. Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
  137. 13
  138. 1. Zu Recht geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass es
  139. sich bei beklagten Wohnungseigentümern im Beschlussmängelprozess um
  140. notwendige Streitgenossen handelt (vgl. nur BT-Drucks. 16/887 S. 73; BGH,
  141. Urteil vom 11. November 2011 - V ZR 45/11, NZM 2012, 200 Rn. 9 mwN),
  142. säumige Streitgenossen im Termin zur mündlichen Verhandlung von den anwesenden grundsätzlich nach § 62 Abs. 1 ZPO vertreten werden und von dieser verfahrensrechtlichen Vertretungsbefugnis auch die Abgabe eines Anerkenntnisses nach § 307 ZPO umfasst wird (etwa OLG Karlsruhe ZEV 2011,
  143. 324, 325; MüKoZPO/Schultes, 4. Aufl., § 62 Rn. 43 u. 49; Gehrlein in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 62 Rn. 20; Musielak/Weth, ZPO, 12. Aufl., § 62
  144. Rn. 14 u. 18; a.A. Stein/Jonas/Bork, ZPO, 23. Aufl., § 62 Rn. 30 u. 38).
  145. -7-
  146. 14
  147. Anders als der Prozessvergleich (dazu Senat, Urteil vom 30. September
  148. 2005 - V ZR 275/04, BGHZ 164, 190, 193 mwN) weist das Anerkenntnis als
  149. reine Prozesshandlung keine materiellrechtlich-prozessuale Doppelnatur auf
  150. (vgl. nur BGH, Urteil vom 27. Mai 1981 - IVb ZR 589/80, BGHZ 80, 389, 391 f.;
  151. OLG Frankfurt, NJW-RR 1988, 574, 575; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl.,
  152. § 307 Rn. 17 mwN; aA Stein/Jonas/Bork, aaO), so dass es - was das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend zugrunde legt - auf materiellrechtliche Erwägungen nicht ankommt. Gegen eine Einschränkung der in § 62 Abs. 1 ZPO
  153. normierten verfahrensrechtlichen Vertretungsbefugnis auf der säumigen Partei
  154. günstige Erklärungen und Prozesshandlungen spricht bereits der weite Wortlaut
  155. der Vorschrift. Zudem ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien mit aller Klarheit,
  156. dass der säumigen Partei das prozessuale Verhalten des nichtsäumigen Streitgenossen zur Ermöglichung eines sämtliche notwendige Streitgenossen erfassenden einheitlichen Urteils unabhängig davon zugerechnet werden soll, ob
  157. dieses für den Säumigen „günstig oder nachtheilig“ ist (S. 83 der Entwurfsbegründung abgedruckt bei Hahn, Die gesamten Materialien zu den ReichsJustizgesetzen, Band 2, 2. Aufl., S. 174; vgl. auch RGZ 90, 42, 45 f.; BPatG,
  158. GRUR 2012, 99, 100).
  159. 15
  160. 2. Das Berufungsurteil kann aber deshalb keinen Bestand haben, weil
  161. die in erster Instanz säumigen Beklagten an das für sie von dem Beklagten zu 2
  162. abgegebene Anerkenntnis nicht mehr gebunden sind.
  163. 16
  164. a) Nach ganz herrschender Meinung besteht im Ergebnis Einigkeit darüber, dass sich die säumigen Streitgenossen von dem mit Gesamtwirkung nach
  165. § 62 Abs. 1 ZPO vorgenommenen Prozessverhalten des nicht Säumigen wieder lösen können, sofern es noch nicht zu einer unanfechtbaren Endentscheidung gekommen ist (Musielak/Weth, aaO, § 62 Rn. 14: Loslösung durch „Widerspruch“; ebenso Gehrlein in Prütting/Gehrlein, aaO, § 62 Rn. 20; MüKoZPO/Schultes, aaO, § 62 Rn. 43; Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 62 Rn.
  166. 64; Lindacher, Jus 1986, 379; vgl. auch Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 36. Aufl.,
  167. -8-
  168. Rn. 20: beschränkte Wirkung eines Anerkenntnisses bei Berufungseinlegung
  169. durch die Säumigen; Zöller/Vollkommer, aaO, § 62 Rn. 26: Entfallen der Wirkung bei Berufungseinlegung; ähnlich Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO, 17.
  170. Aufl., § 49 Rn. 46; aA Stein/Jonas/Bork, ZPO, 23. Aufl., § 62 Rn. 33: Loslösung
  171. nur möglich, wenn dem Vertretenen bei eigener Vornahme der Prozesshandlung eine Beseitigungsmöglichkeit zustünde).
  172. 17
  173. b) Dem tritt der Senat mit der Maßgabe bei, dass es säumigen Streitgenossen in den Tatsacheninstanzen in nachfolgenden mündlichen Verhandlungen möglich ist, eine von dem anwesenden Streitgenossen mit Wirkung für sie
  174. vorgenommene Prozesshandlung zu widerrufen.
  175. 18
  176. aa) Prozesshandlungen wie das Anerkenntnis unterliegen nicht den für
  177. materiell-rechtliche Rechtsgeschäfte geltenden Vorgaben. Die für Willenserklärungen geltenden Vorschriften über Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit wegen Willensmängeln sind weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar (vgl. BGH,
  178. Urteil vom 27. Mai 1981 - IVb ZR 589/80, BGHZ 80, 389, 391 ff.; Beschluss
  179. vom 13. Dezember 2006 - XII ZB 71/04, MDR 2007, 672; Beschluss vom
  180. 14. Mai 2013 - II ZR 262/08, NJW 2013, 2686 Rn. 7). Wegen ihrer prozessgestaltenden Wirkung sind Prozesshandlungen grundsätzlich unwiderruflich, wenn
  181. sie als so genannte Bewirkungshandlungen die Prozesslage unmittelbar beeinflussen (Senat, Urteil vom 27. Februar 2015 - V ZR 128/14, NJW 2015, 2425
  182. Rn. 27). Ein Widerrufsrecht kann sich allerdings ausnahmsweise aus teleologischen oder systematischen Erwägungen ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 2001 - XII ZR 292/99, NJW 2002, 436, 438).
  183. 19
  184. bb) Die Möglichkeit zum Widerruf von Prozesshandlungen, die - wie
  185. hier - in der mündlichen Verhandlung von einem anwesenden Streitgenossen
  186. mit Wirkung für und wider die übrigen vorgenommen worden sind, folgt aus der
  187. gebotenen teleologischen Reduktion des § 62 ZPO.
  188. -9-
  189. 20
  190. Das mit der Norm verfolgte gesetzgeberische Anliegen besteht darin, die
  191. Möglichkeit zu einer einheitlichen gerichtlichen Entscheidung auch dann zu eröffnen, wenn nicht sämtliche notwendige Streitgenossen im Termin zur mündlichen Verhandlung anwesend sind. Eine Strafsanktion gegen säumige Streitgenossen wird mit der Vorschrift dagegen nicht bezweckt. Der mit der
  192. Regelung einhergehende Eingriff in die Privatautonomie der Säumigen ist nur
  193. im Rahmen des Erforderlichen legitim. Die Bindung an eine ohne seine Mitwirkung geschaffene Prozesslage ist nicht erforderlich, wenn eine einheitliche Entscheidung noch ergehen kann, wenn es also nicht zu einer in den Tatsacheninstanzen nicht mehr anfechtbaren Entscheidung gekommen ist (ebenso MüKoZPO/Schultes, 4. Aufl., § 62 Rn. 43; Musielak/Weth, ZPO, 12. Aufl., § 62
  194. Rn. 14). Dies gilt umso mehr, als die säumige Partei - sieht man von § 62
  195. Abs. 1 ZPO ab - sich ansonsten gegen ein an die Säumnis anknüpfendes Urteil
  196. mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs wehren könnte (§ 338 ZPO). Ein sachlicher Grund, warum ihr diese Möglichkeit im Fall der notwendigen Streitgenossenschaft nicht zur Verfügung stehen soll, ist nicht erkennbar. Die Regelung
  197. des § 62 Abs. 2 ZPO, nach der die säumigen Streitgenossen auch in dem späteren Verfahren zuzuziehen sind, spricht vielmehr dafür, dass diese sich von
  198. nachteiligen Prozesshandlungen lösen können, die ihnen von dem anwesenden
  199. Streitgenossen aufgezwungen worden sind. Gestützt wird diese Sichtweise
  200. durch die Gesetzesmaterialien. Denn in der Entwurfsbegründung (S. 83, abgedruckt bei Hahn, aaO, S. 174) heißt es zu der von der Vorschrift angeordneten
  201. Gesamtwirkung der Erklärungen des anwesenden Streitgenossen: „Sie tritt ein,
  202. sobald der Fall der Versäumung vorliegt und währt bis dahin, dass der säumige
  203. Streitgenosse sich an dem späteren Verfahren wieder betheiligt“ (in diesem
  204. Sinne auch MüKoZPO/Schultes, aaO). Schließlich genießt die Zulassung einer
  205. Widerrufsmöglichkeit den Vorzug, dass der Gesetzgeber bei diesem Verständnis mit § 62 Abs. 2 ZPO nicht lediglich die weitere Beteiligung der vormals säumigen Streitgenossen angeordnet und damit nicht eine weithin überflüssige - da
  206. selbstverständliche - Regelung getroffen hat.
  207. - 10 -
  208. IV.
  209. 21
  210. Da das Berufungsurteil keinen Bestand haben kann und die für eine Endentscheidung durch den Senat notwendigen Feststellungen (§ 563 Abs. 3 ZPO)
  211. nicht getroffen worden sind, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
  212. 22
  213. Für die Kostenentscheidung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass
  214. eine gesamtschuldnerische Kostenhaftung der beklagten Wohnungserbbauberechtigten, wie sie das Amtsgericht mit Berichtigungsbeschluss vom 27. März
  215. 2013 ausgesprochen hat, im Gesetz keine Stütze findet. § 100 Abs. 4 ZPO ist
  216. im Beschlussmängelprozess weder direkt (so aber AG Dortmund, NJW 2008,
  217. 1089, 1090) noch - mangels Vorliegens einer planwidrigen Regelungslücke -
  218. - 11 -
  219. analog (so aber Dötsch, ZMR 2009, 183, 184 f.) anwendbar (Timme/Elzer,
  220. WEG, 2. Aufl., § 46 Rn. 261 f. mwN; vgl. auch Drasdo, NZM 2015, 65, 70).
  221. Stresemann
  222. Schmidt-Räntsch
  223. Göbel
  224. Brückner
  225. Haberkamp
  226. Vorinstanzen:
  227. AG Offenbach am Main, Entscheidung vom 03.08.2012 - 330 C 192/11 LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 26.02.2014 - 2-13 S 142/12 -