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12 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. VERSÄUMNISURTEIL
  4. V ZR 443/99
  5. Verkündet am:
  6. 22. September 2000
  7. Kanik,
  8. Justizamtsinspektorin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. -----------------------------------
  19. BGB § 1004 Abs. 1
  20. Zur Beseitigung des eigentumsbeeinträchtigenden Zustands eines Grundstücks ist
  21. der Eigentümer des Nachbargrundstücks, der ihn weder durch positives Tun noch
  22. durch pflichtwidriges Unterlassen geschaffen hat, nur verpflichtet, wenn die Beeinträchtigung auf einen gefahrenträchtigen Zustand seines Grundstücks zurückzuführen ist.
  23. BGH, Urt. v. 22. September 2000 - V ZR 443/99 - KG Berlin
  24. LG Berlin
  25. -2-
  26. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
  27. vom 22. September 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die
  28. Richter Dr. Lambert-Lang, Tropf, Schneider und Dr. Lemke
  29. für Recht erkannt:
  30. Auf die Rechtsmittel des Beklagten wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 6. Oktober 1999 aufgehoben und das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Berlin
  31. vom 3. Dezember 1998 abgeändert:
  32. Die Klage wird abgewiesen.
  33. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  34. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
  35. Von Rechts wegen
  36. Tatbestand:
  37. Mit notariellem Vertrag vom 24. November 1995 erwarben die Kläger in
  38. Gesellschaft bürgerlichen Rechts von einer Erbengemeinschaft das Grundstück S.
  39. A.
  40. 62 in B.
  41. -P.
  42. B.
  43. . Die Eigentumsumschrei-
  44. bung im Grundbuch erfolgte am 28. Juni 1996. Der Beklagte war bei Einreichung der Klage am 8. Juli 1998 Eigentümer des Nachbargrundstücks
  45. S.
  46. A.
  47. 61, welches mit bestandskräftigem Bescheid des Amtes zur Regelung
  48. -3-
  49. offener Vermögensfragen Mitte-P.
  50. B.
  51. am 11. November 1998 resti-
  52. tuiert worden ist.
  53. Beide mit zum Teil gewerblich genutzten Altbau-Miethäusern bebaute
  54. Grundstücke standen vor der Wiedervereinigung im Eigentum des Volkes;
  55. Rechtsträger war jeweils der VEB Kommunale Wohnungsverwaltung B.
  56. P.
  57. B.
  58. -
  59. . Dieser errichtete Anfang der 80er Jahre auf dem jetzigen
  60. Grundstück der Kläger einen etwa 2 x 4 m großen eingeschossigen Anbau. Der
  61. Zugang dazu ist ausschließlich durch einen Durchbruch in der Brandwand von
  62. dem Nachbargrundstück S.
  63. A.
  64. 61 möglich. Ferner befindet sich
  65. im Erdgeschoß des auf dem Grundstück der Kläger gelegenen Seitenflügels
  66. ihres Miethauses ein 3,5 x 5,6 m großer Raum, der durch eine vor dem Erwerb
  67. der Kläger hergestellte Öffnung der Grenzwand zwischen den Grundstücken
  68. S.
  69. A.
  70. 61 und 62 erschlossen wird. Der Zugang zu einem angren-
  71. zenden Raum des Hauses der Kläger wurde seinerzeit zugemauert.
  72. Sowohl der Anbau als auch der Raum im Seitenflügel des Miethauses
  73. der Kläger werden derzeit von einem Dritten gewerblich genutzt.
  74. Mit der Behauptung, der Beklagte habe die Räume an den Dritten vermietet, haben die Kläger verlangt, den Beklagten zu verurteilen, den Anbau zu
  75. beseitigen, die Maueröffnung und den Wanddurchbruch zu dem Raum im Seitenflügel ihres Miethauses zu schließen, den Zugang zu dem angrenzenden
  76. Raum zu öffnen sowie Auskunft über die Höhe des erzielten Mietzinses für die
  77. Vermietung des Anbaus und des Raums im Seitenflügel ihres Hauses zu erteilen und ihn nebst Zinsen auszuzahlen. Das Landgericht hat den Auskunftsund Zahlungsanspruch abgewiesen und der Klage im übrigen stattgegeben.
  78. -4-
  79. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der - zugelassenen Revision erstrebt er weiterhin die vollständige Abweisung der Klage.
  80. Entscheidungsgründe:
  81. I.
  82. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die während des Rechtsstreits erfolgte Restitution des bisher dem Beklagten gehörenden Grundstücks
  83. nach dem auch hier anzuwendenden Grundsatz der Prozeßwirtschaftlichkeit
  84. keinen Einfluß auf die Passivlegitimation des Beklagten. Er sei Zustandsstörer
  85. gewesen, weil das Aufrechterhalten des das Eigentum der Kläger fortlaufend
  86. beeinträchtigenden Zustands auf seinen Willen zurückgegangen sei. Ob die
  87. Kläger Eigentümer des Anbaus geworden seien, sei unerheblich. Sie seien
  88. auch nicht nach § 1004 Abs. 2 BGB zur Duldung verpflichtet, weil die Voraussetzungen des § 320 Abs. 1 ZGB und § 912 Abs. 1 BGB nicht vorlägen.
  89. II.
  90. Dies hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  91. 1. Die Kläger waren trotz ordnungsgemäßer Ladung im Verhandlungstermin nicht vertreten. Deshalb ist über die Revision durch Versäumnisurteil zu
  92. entscheiden, obwohl das Urteil inhaltlich nicht auf der Säumnisfolge beruht
  93. -5-
  94. (vgl. BGHZ 37, 79, 81 f; Senatsurt. v. 6. Juni 1986, V ZR 96/85, NJW 1986,
  95. 3086).
  96. 2. Ob das Berufungsgericht zu Recht von einer fortdauernden Eigentumsbeeinträchtigung der Kläger ausgeht, kann dahinstehen. Zwar knüpft das
  97. Gesetz die Rechtsfolge des § 1004 BGB an jegliche Beeinträchtigung an, die
  98. der Eigentümer nicht dulden muß; allein der dem Inhalt des Eigentums (§ 903
  99. BGB) widersprechende Zustand begründet den Abwehranspruch (vgl. Senat,
  100. BGHZ 66, 37, 39 m.w.N.). Die Sachherrschaft des Grundstückseigentümers ist
  101. so lange beeinträchtigt, wie die Eigentumsstörung nicht beseitigt ist (Senatsurt.
  102. v. 11. Dezember 1995, V ZR 9/94, NJW 1996, 845, 846). In Anlehnung an die
  103. Grundsätze des Eigengrenzüberbaus könnte hier bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Eigentumsbeeinträchtigung gegeben sein. Jedoch sind Zweifel daran
  104. deswegen angebracht, weil die Baumaßnahmen seinerzeit von dem Berechtigten ausschließlich auf dem jetzt den Klägern gehörenden Grundstück ausgeführt wurden und die Kläger das Eigentum in dem baulich veränderten Zustand erlangt haben (s. dazu Staudinger/Gursky [1999], § 1004 Rdn. 41 ff).
  105. Dies bedarf aber keiner Vertiefung, weil der Beklagte für eine etwaige Störung
  106. nicht verantwortlich ist.
  107. a) Nach allgemeiner Auffassung richtet sich der Anspruch nach § 1004
  108. Abs. 1 BGB gegen denjenigen, der die Eigentumsbeeinträchtigung durch sein
  109. Verhalten - d.h. positives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen - adäquat verursacht hat (vgl. nur Senat, BGHZ 49, 340, 347; Senatsurt. v. 17. Dezember
  110. 1982, V ZR 55/82, WM 1983, 176, 177; Staudinger/Gursky,aaO, Rdn. 93 mit
  111. umfangr. Nachw.), aber auch gegen denjenigen, der zwar nicht selbst gehandelt hat, durch dessen maßgebenden Willen aber der eigentumsbeeinträchti-
  112. -6-
  113. gende Zustand aufrechterhalten wird, von dessen Willen also die Beseitigung
  114. dieses Zustands abhängt (vgl. Senatsurt. v. 22. März 1966, V ZR 126/63, NJW
  115. 1966, 1360, 1361 m.w.N.; 19. Januar 1996, V ZR 298/94, NJW-RR 1996, 659;
  116. 11. Juni 1999, V ZR 377/98, WM 1998, 2168, 2169; Staudinger/Gursky, aaO,
  117. Rdn. 94 m. umfangr. Nachw.). Danach ist der Eigentümer eines Grundstücks
  118. für dessen gefahrenträchtigen Zustand verantwortlich und kann nach § 1004
  119. Abs. 1 BGB in Anspruch genommen werden, weil die Aufrechterhaltung des
  120. Zustands auf seinen Willen zurückgeht, ohne daß es darauf ankäme, welchen
  121. eigenen Beitrag er hierzu geleistet hat und ob er den störenden Zustand
  122. kannte (Senatsurt. v. 19. Januar 1996, aaO).
  123. b) Nach diesen Grundsätzen scheidet eine Haftung des Beklagten aus.
  124. Dafür kommt es allerdings nicht darauf an, daß die Baumaßnahmen, die das
  125. Eigentum der Kläger nach wie vor beeinträchtigen, seit vielen Jahren abgeschlossen sind. Denn an einer einmal eingetretenen Verantwortlichkeit eines
  126. Störers kann sich durch das Verhalten des Pflichtigen nichts ändern, wenn die
  127. Beeinträchtigung fortbesteht (Senatsurt. v. 1. Dezember 1995, V ZR 9/94, NJW
  128. 1996, 845, 846). Entscheidend ist vielmehr, daß der Beklagte die baulichen
  129. Veränderungen nicht vorgenommen und es sich bei ihnen seinerzeit gar nicht
  130. um die Beeinträchtigung fremden Eigentums gehandelt hat. Auch der Umstand,
  131. daß der Beklagte bei Klageerhebung Eigentümer des an das Grundstück der
  132. Kläger angrenzenden Grundstücks war, macht ihn nicht zum Störer im Sinne
  133. des § 1004 Abs. 1 BGB. Eine solche Haftung kommt nämlich nur dann in Betracht, wenn die störenden Einwirkungen auf das Nachbargrundstück von dem
  134. Grundstück des Eigentümers ausgehen oder zu besorgen sind (s. nur Senat,
  135. BGHZ 122, 283, 284 f; Senatsurt. v. 19. Januar 1996, aaO). Um es mit einem
  136. vom Senat bereits in anderem Zusammenhang angeführten ähnlichen Beispiel
  137. -7-
  138. (Senatsurt. v. 1. Dezember 1995, aaO) zu verdeutlichen: Der Grundstückseigentümer muß den Stein, den der Voreigentümer auf das Nachbargrundstück
  139. geworfen hat, nicht beseitigen. Denn die bei dem Nachbarn eingetretene Eigentumsstörung steht in keinerlei Zusammenhang mit dem Zustand des
  140. Grundstücks des Eigentümers, sondern beruht ausschließlich auf dem Handeln
  141. des Voreigentümers. Der einzige Bezug zwischen Störung und Grundstück
  142. wird durch die Identität des Störers mit dem früheren Grundstückseigentümer
  143. hergestellt. Das reicht für die Begründung der Haftung des späteren Eigentümers nicht aus. Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts läuft darauf
  144. hinaus, daß der Grundstückseigentümer für jede Störungshandlung eines Voreigentümers verantwortlich ist, auch wenn sie keinen Bezug zu dem Zustand
  145. des Grundstücks aufweist. Das kann nicht richtig sein. Zur Beseitigung des
  146. eigentumsbeeinträchtigenden Zustands eines Grundstücks ist der Eigentümer
  147. des Nachbargrundstücks, der ihn weder durch positives Tun noch durch
  148. pflichtwidriges Unterlassen geschaffen hat, nur verpflichtet, wenn die Beeinträchtigung auf einen gefahrenträchtigen Zustand seines Grundstücks zurückzuführen ist.
  149. In dem vorliegenden Fall hat die zugemauerte Türöffnung in dem Miethaus der Kläger mit dem Zustand des benachbarten Grundstücks ebensowenig
  150. etwas zu tun wie der Durchbruch in der Mauer dieses Hauses. Beide Gegebenheiten beruhen nicht etwa auf Gefahren oder sonstigen Umständen, die
  151. von dem anderen Grundstück ausgehen. Nichts anderes gilt für den auf dem
  152. Grundstück der Kläger errichteten Anbau. Auch seine Existenz läßt sich nicht
  153. auf einen bestimmten Zustand des bei Klageerhebung dem Beklagten gehörenden Grundstücks zurückführen. Etwas anderes könnte allenfalls für die
  154. -8-
  155. Wanddurchbrüche auf diesem Grundstück gelten. Deren Beseitigung verlangen die Kläger indes nicht.
  156. c) Auf die vom Berufungsgericht weiter erörterte Problematik des Eigentums an dem Anbau und der Duldungspflicht nach §§ 912 Abs. 1, 1004
  157. Abs. 2 BGB kommt es somit nicht an.
  158. 3. Der Anspruch der Kläger ist auch nicht aus § 823 BGB begründet. Der
  159. Beklagte hat keine unerlaubte Handlung im Sinne des Absatzes 1 der Vorschrift begangen, weil er die baulichen Maßnahmen nicht durchgeführt hat und
  160. nicht zu ihrer Beseitigung verpflichtet ist. Ein Verstoß gegen ein Schutzgesetz
  161. (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1 BGB) kann dem Beklagten nach dem
  162. bisher Gesagten ebenfalls nicht vorgeworfen werden.
  163. 4. Auch ein Anspruch der Kläger unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses kommt nicht in Betracht. Dieses Rechtsinstitut dient nur in Extremfällen als Korrektiv nach Treu und Glauben zur einzelfallgerechten Bewältigung atypischer nachbarlicher Interessenkonflikte (vgl.
  164. Senat, BGHZ 113, 384, 389 ff). Hier liegt indes keine Situation vor, die eine
  165. solche Korrektur erfordert.
  166. 5. Ob die während des Rechtsstreits erfolgte Eigentumsänderung an
  167. dem früher dem Beklagten gehörenden Grundstück zum Verlust seiner Passivlegitimation geführt hat, bedarf somit keiner Entscheidung.
  168. Nach alledem ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben. Da die
  169. Sache nach den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil zur Endentschei-
  170. -9-
  171. dung reif ist, hat der Senat abschließend zu entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1
  172. ZPO). Dies führt zur Abweisung der Klage.
  173. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung
  174. zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 2 ZPO.
  175. Wenzel
  176. Lambert-Lang
  177. Schneider
  178. Tropf
  179. Lemke