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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. V ZR 308/03
  5. Verkündet am:
  6. 12. November 2004
  7. W ilms,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. -2-
  13. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom 12. November 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
  15. Dr. Wenzel und die Richter Tropf, Prof. Dr. Krüger, Dr. Lemke und Dr. SchmidtRäntsch
  16. für Recht erkannt:
  17. Die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. Oktober 2003 wird auf Kosten der
  18. Beklagten zurückgewiesen.
  19. Von Rechts wegen
  20. Tatbestand:
  21. I.
  22. Mit notariellem Vertrag vom 24. Oktober 2000 erwarb die Klägerin von
  23. der Beklagten ein mit einem Mehrfamilienhaus bebautes Grundstück in
  24. D.
  25. für 2 Mio. DM. Der Vertrag enthält einen Gewährleistungsausschluß
  26. sowie als Anlage eine Liste mit sämtlichen Mietverhältnissen und Angaben
  27. über Miethöhe, Nebenkosten und Wohnflächen. Diese Liste, so heißt es in dem
  28. Vertrag, sei zwischen den Vertragsbeteiligten verbindlich und damit Vertragsinhalt.
  29. Bestandteil der Liste sind zwei Dachgeschoßwohnungen mit Wohnflächen von 48 bzw. 38 qm, die nach Behauptung der Klägerin ohne baurechtli-
  30. -3-
  31. che Genehmigung und entgegen den öffentlich-rechtlichen Bestimmungen
  32. ausgebaut worden sind.
  33. Die Klägerin verlangt Ersatz der zur Herstellung eines genehmigungsfähigen Zustands der Dachgeschoßwohnungen erforderlichen Kosten sowie die
  34. Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet ist, den darüber hinausgehenden
  35. und noch nicht bezifferbaren Schaden zu ersetzen, der auf der Baurechtswidrigkeit beruht.
  36. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Eine Zusicherung dahin,
  37. daß sämtliche Mietwohnungen baurechtlich genehmigt seien, hat es im Wege
  38. der Auslegung des Vertrages verneint. Das Oberlandesgericht hat den Vertrag
  39. anders ausgelegt, eine Zusicherung bejaht und der Zahlungsklage dem Grunde nach wegen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft stattgegeben. Außerdem hat es die begehrte Feststellung ausgesprochen.
  40. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die
  41. Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Klägerin beantragt die
  42. Zurückweisung des Rechtsmittels.
  43. Entscheidungsgründe:
  44. I.
  45. Das Berufungsgericht hat sich bei seiner Auslegung des Vertrages nicht
  46. mit der davon abweichenden Auslegung des Landgerichts näher auseinandergesetzt, insbesondere nicht geprüft, ob diese Auslegung auf Umständen be-
  47. -4-
  48. ruht, an deren Richtigkeit oder Vollständigkeit Zweifel im Sinne des § 529
  49. Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründet sind.
  50. II.
  51. 1. Der Senat hat die Revision zur Klärung der Grundsatzfrage zugelassen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO), ob das Berufungsgericht bei der Auslegung einer Individualvereinbarung wie ein Revisionsgericht an eine vertretbare,
  52. wenn auch von ihm für nicht überzeugend erachtete Auslegung des erstinstanzlichen Gerichts gebunden ist. Diese Frage hat der VIII. Zivilsenat des
  53. Bundesgerichtshofes inzwischen mit umfassender Begründung verneint (Urt. v.
  54. 14. Juli 2004, VIII ZR 164/03, NJW 2004, 2751, zur Veröffentlichung in BGHZ
  55. vorgesehen). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Die Entscheidung
  56. fügt sich ohne Brüche in die eigene Rechtsprechung zu dem Prüfungsumfang
  57. des Berufungsgerichts ein. Einer Beschränkung unterliegt das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nur hinsichtlich der im ersten Rechtszug
  58. festgestellten Tatsachen, nicht hinsichtlich der darauf beruhenden rechtlichen
  59. Wertung (vgl. Senat, Urt. v. 12. März 2004, V ZR 257/03, NJW 2004, 1876,
  60. vorgesehen für BGHZ). Folglich ist eine in erster Instanz vorgenommene Beweiswürdigung nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der als Ergebnis der
  61. Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen begründen (Senat, aaO), nicht
  62. hingegen, wenn es um die nach §§ 133, 157 BGB, also nach Kriterien des materiellen Rechts zu beurteilende Auslegung von Individualvereinbarungen geht.
  63. Daß die revisionsrechtliche Überprüfbarkeit einer solchen Auslegung auch in
  64. der rechtlichen Bewertung, nämlich auf Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze und Erfahrungssätze, beschränkt ist, beruht auf den
  65. spezifischen Aufgaben des Revisionsgerichts und ist auf das Berufungsgericht
  66. -5-
  67. nicht übertragbar, dem auch nach der Reform des Zivilprozesses durch das
  68. Gesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) die Aufgabe übertragen ist, das
  69. Interesse der Parteien an einer in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht
  70. überzeugenden Entscheidung ihres Einzelfalls zu befriedigen (BGH, Urt. v.
  71. 14. Juli 2004, VIII ZR 164/03, NJW 2004, 2751, 2753, vorgesehen für BGHZ).
  72. 2. Die Auslegung des Berufungsurteils selbst hält den Angriffen der Revision stand. Diese möchte lediglich ihr eigenes - in der Sache fernliegendes Verständnis an die Stelle der Würdigung des Berufungsgerichts setzen, zeigt
  73. aber keine Rechtsfehler auf, die dem Berufungsgericht unterlaufen wären. Seine Entscheidung liegt auf der Linie der Senatsrechtsprechung (vgl. Urt. v.
  74. 22. Juni 1990, V ZR 126/89, NJW-RR 1990, 1161; Urt. v. 2. Dezember 1988,
  75. V ZR 91/87, NJW 1989, 1795).
  76. Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe in rechtsfehlerhafter Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO Vorbringen der Beklagten nicht
  77. berücksichtigt, verkennt sie, daß das Berufungsgericht gerade offengelassen
  78. hat, ob das Vorbringen der Beklagten in einem erst am Tage der mündlichen
  79. Verhandlung überreichten Schriftsatz zuzulassen war. Es hat auch bei Berücksichtigung dieses Vorbringens keine Umstände gesehen, die der Annahme, die
  80. Beklagte habe die baurechtliche Zulässigkeit der Vermietung zugesichert, entgegenstünden. Die Rüge, das Berufungsgericht habe gegen seine Verpflichtung verstoßen, das gesamte in die Berufungsinstanz gelangte tatsächliche
  81. Vorbringen der Parteien zu berücksichtigen, entbehrt daher der Grundlage,
  82. ebenso die Annahme, Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt worden.
  83. Dasselbe gilt für die Rüge, das Berufungsgericht habe Vorbringen zur
  84. Bedeutung des Verweises in dem Vertrag auf die II. Berechnungsverordnung
  85. übergangen. Das Berufungsgericht hat nichts übergangen, sondern die Um-
  86. -6-
  87. stände nur anders bewertet, als es die Beklagte für richtig erachtet. Im übrigen
  88. sind die Ausführungen zur Bedeutung des Hinweises auf die II. Berechnungsverordnung auch nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht erblickt
  89. darin eine ausdrückliche Vereinbarung einer Zusicherung. Selbst wenn dies
  90. nicht zuträfe, bliebe es bei der vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei durch
  91. Auslegung ermittelten Zusicherung.
  92. Schließlich kann der Revision auch nicht gefolgt werden, wenn sie
  93. meint, das Fehlen einer Baugenehmigung und darauf beruhender Mietausfälle
  94. stellten keinen Schaden dar. Der Schaden besteht, wie das Berufungsgericht
  95. zutreffend dargelegt hat, darin, daß dem Kaufgegenstand die zugesicherte Eigenschaft fehlt. Ein Mietshaus, in dem zwei Wohnungen entgegen der Zusicherung nicht vermietet werden dürfen, ist, verglichen mit dem angestrebten vertraglichen Zustand, weniger wert. Auf die späteren Verwendungsabsichten des
  96. Käufers kommt es dabei nicht an. Sie ändern nichts an der bestehenden Wertdifferenz. Daß der Schaden häufig nach den Kosten für die Herrichtung des
  97. vertragsgerechten Zustands berechnet wird, stellt lediglich eine von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebilligte vereinfachte Berechnungsweise
  98. dar (siehe nur Senat, BGHZ 108, 156, 160 m.w.N.).
  99. 3. Unbegründet ist auch die Rüge der Revision, das Berufungsgericht
  100. habe nicht durch Grundurteil entscheiden dürfen.
  101. Der Erlaß eines Grundurteils setzt voraus, daß ein Anspruch mit hoher
  102. Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe besteht (BGHZ 53, 17, 23; BGH, Urt. v.
  103. 2. Oktober 2000, II ZR 54/99, NJW 2001, 224, 225, st. Rspr.). Daß diese Voraussetzung hier gegeben ist, ist offensichtlich und vom Berufungsgericht zu
  104. Recht angenommen worden. Es war dabei nicht an die Schadenspositionen
  105. gebunden, die die Klägerin zur Begründung vorgetragen hat. Es kommt daher
  106. -7-
  107. nicht darauf an, ob jede dieser Positionen, was die Revision in Abrede stellt,
  108. einen ersatzfähigen Schaden darstellt. Diese Fragen sind im Betragsverfahren
  109. zu klären.
  110. 4. Schließlich leidet das angefochtene Urteil auch hinsichtlich der Feststellung einer Ersatzpflicht wegen weitergehender Schäden an keinem Rechtsfehler.
  111. Allerdings hat das Berufungsgericht nicht im einzelnen dargelegt, woraus sich die - für die Begründetheit des Feststellungsantrags erforderliche (vgl.
  112. BGH, Urt. v. 15. Oktober 1992, IX ZR 43/92, NJW 1993, 648, 654 m.w.N.) hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadens ergibt, der über das hinausgeht, was Gegenstand des Zahlungsantrags ist. Insoweit kann aber auf das
  113. Vorbringen in der Klageschrift zurückgegriffen werden. Danach handelt es sich
  114. bei den damals noch nicht bezifferbaren Schäden zum einen um Kosten für
  115. Architektenleistungen und zum anderen um Mietausfälle. Beide Positionen stellen ersatzfähige Schäden dar. Die Architektenleistungen dienten der Genehmigungsplanung, die zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands erforderlich
  116. war. Die Mietausfälle stellen Folgeschäden dar.
  117. Daß die Klägerin - wie die Revision anmerkt - ohnehin einen Umbau geplant haben mag, für den Architektenleistungen erforderlich gewesen sein mögen, in denen die isolierte Genehmigungsplanung aufgegangen sein kann, ist
  118. ohne Belang. Es geht - wie bereits dargelegt - bei der Ermittlung der zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands erforderlichen Kosten lediglich um
  119. eine vereinfachte Ermittlung des Minderwerts des Kaufgegenstands. Dieser
  120. Minderwert ist nicht davon abhängig, ob die Herrichtungskosten wirklich angefallen sind oder nicht.
  121. -8-
  122. Soweit die Revision gegenüber den geltend gemachten Mietausfällen
  123. rügt, es sei nicht ersichtlich, wieso die Dachgeschoßwohnungen nicht bis zum
  124. - ohnehin geplanten - Umbau hätten vermietet werden können, übersieht sie,
  125. daß es sich um nicht genehmigten und daher auch nicht zulässigerweise nutzbaren Wohnraum gehandelt hat (Senat, Urt. v. 22. Juni 1990, V ZR 126/89,
  126. NJW-RR 1990, 1161). Ob eine Genehmigung hätte herbeigeführt werden können, spielt dabei keine Rolle.
  127. III.
  128. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
  129. Wenzel
  130. Tropf
  131. Lemke
  132. Krüger
  133. Schmidt-Räntsch