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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. V ZR 222/10
  5. Verkündet am:
  6. 10. Juni 2011
  7. Langendörfer-Kunz
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. -2-
  13. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom 10. Juni 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter
  15. Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und
  16. Weinland
  17. für Recht erkannt:
  18. Die Revision gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 5. Oktober 2010 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
  19. Von Rechts wegen
  20. Tatbestand:
  21. 1
  22. Die Parteien, jeweils Eheleute, sind die Mitglieder einer aus vier Wohnungen bestehenden Wohnungseigentümergemeinschaft. Ein Verwalter ist
  23. nicht bestellt. Ende 2008/Anfang 2009 einigten sie sich schriftlich, dass am
  24. 28. Januar 2009 in den Kanzleiräumen des Anwalts der Kläger eine
  25. "Voll/Universalversammlung ... unter Verzicht auf die formellen Einberufungsvoraussetzungen" stattfinden solle. Eine von den Klägern vorgeschlagene Tagesordnung wurde von den Beklagten mit Schreiben vom 20. Januar 2009 um wesentliche Punkte erweitert. Auch auf die Person des Versammlungsleiters konnten sich die Parteien nicht einigen. Am 26. Januar 2009 sagten die Kläger die
  26. vereinbarte Eigentümerversammlung wieder ab, da sie zu kurzfristig über die
  27. Wünsche der Beklagten informiert worden seien, und baten darum, dass Eigen-
  28. -3-
  29. tümerversammlungen in Zukunft unter Beachtung der formellen Voraussetzungen einberufen werden. Daraufhin teilten die Beklagten dem Anwalt der Kläger
  30. mit, dass die Eigentümerversammlung dennoch durchgeführt werde und sie
  31. diese in die Kanzlei des Beklagten zu 2 verlegen würden, wenn der vereinbarte
  32. Versammlungsraum nicht zur Verfügung gestellt werde. Da am 28. Januar 2009
  33. weder die Kläger noch ihr Anwalt am Versammlungsort anwesend waren und
  34. den Beklagten der Zutritt zum Versammlungsraum verwehrt wurde, verlegten
  35. die Beklagten - unter Hinterlassung einer entsprechenden Mitteilung an die Kläger - die Eigentümerversammlung in die einige Kilometer entfernten Kanzleiräume des Beklagten zu 2. Dort fand eine halbe Stunde später eine Versammlung in Abwesenheit der Kläger statt. Auf Antrag der Kläger hat das Amtsgericht
  36. die von ihnen angegriffenen auf dieser Versammlung gefassten Beschlüsse für
  37. ungültig erklärt. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie
  38. eine Klageabweisung erreichen möchten. Die Kläger beantragen die Zurückweisung der Revision.
  39. Entscheidungsgründe:
  40. I.
  41. 2
  42. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die angegriffenen Beschlüsse
  43. seien auf einer nicht ordnungsgemäß einberufenen Versammlung gefasst worden. Die Versammlung sei als Vollversammlung gedacht gewesen, zu der es
  44. nach der Absage der Kläger nicht mehr habe kommen können. Im Übrigen habe spätestens die Verlegung der Versammlung in die Kanzleiräume des Beklagten zu 2 zu einer allseitigen Aufhebung der Versammlung geführt. Bei der
  45. Versammlung am neuen Versammlungsort habe es sich nicht um eine Fortset-
  46. -4-
  47. zung der vereinbarten, sondern um eine neue Versammlung gehandelt. Die
  48. einseitige Verlegung zum neuen Ort und zu veränderter Zeit verstoße gegen die
  49. vorgeschriebenen Einberufungsformalien. Eine solche Änderung könne nur
  50. durch den Berechtigten erfolgen. Daher hätten die Beklagten entweder auf eine
  51. neue Vereinbarung hinwirken oder sich vom Gericht zur Einberufung ermächtigen lassen müssen.
  52. II.
  53. 3
  54. Rechtlich zutreffend kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass
  55. die angegriffenen Beschlüsse für ungültig zu erklären waren, da sie auf einer
  56. nicht ordnungsgemäß einberufenen Eigentümerversammlung gefasst worden
  57. sind.
  58. 4
  59. 1. Der Ordnungsmäßigkeit der Einberufung steht zwar nicht entgegen,
  60. dass die Eigentümerversammlung durch die Wohnungseigentümer selbst einberufen wurde. Grundsätzlich obliegt das Recht zur Einberufung der Eigentümerversammlung gem. § 24 Abs. 1 und 2 WEG dem Verwalter oder in den Fällen des § 24 Abs. 3 WEG dem Vorsitzenden des Verwaltungsbeirats. Ausnahmsweise sind aber auch die Eigentümer berechtigt, eine Eigentümerversammlung einzuberufen, sofern die Einberufung einvernehmlich durch alle
  61. Wohnungseigentümer erfolgt (OLG Celle, MDR 2000, 1428, 1429; Merle in
  62. Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 24 Rn. 24; Elzer in Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 24
  63. Rn. 30). So liegt es hier. Die Eigentümerversammlung wurde mit schriftlichem
  64. Einvernehmen aller Wohnungseigentümer einberufen.
  65. -5-
  66. 5
  67. 2. Die Einberufung der Eigentümerversammlung ist nicht dadurch unwirksam geworden, dass die Kläger die einberufene Versammlung abgesagt
  68. haben.
  69. 6
  70. a) Zwar kann eine anberaumte Wohnungseigentümerversammlung vom
  71. jeweilig Einladenden wieder abgesetzt werden. Dies ist im Wohnungseigentumsgesetz nicht ausdrücklich geregelt. Für die Kapitalgesellschaften des Handelsrechts und für den bürgerlichrechtlichen rechtsfähigen Verein ist jedoch anerkannt, dass derjenige, der die Versammlung der Gesellschafter berufen hat,
  72. auch zur Absage befugt ist (Merle, ZMR 1980, 225 mwN; OLG Hamm, MDR
  73. 1980, 1022, 1023, juris, Rn. 72). Der hierin zum Ausdruck kommende allgemeine verbandsrechtliche Grundsatz gilt auch im Recht des Wohnungseigentums
  74. (Merle, ZMR 1980, 225; Bärmann/Pick, WEG, 19. Aufl., § 24 Rn. 11; Elzer in
  75. Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 24 Rn. 39; Palandt/Bassenge, BGB, 70. Aufl., § 24
  76. WEG, Rn. 12; OLG Hamm, aaO). Die Kläger waren daher nicht befugt, die von
  77. allen Wohnungseigentümern einvernehmlich einberufene Eigentümerversammlung abzusetzen. Für eine wirksame Absetzung hätte es einer einvernehmlichen Vorgehensweise durch alle Wohnungseigentümer bedurft.
  78. 7
  79. b) Ein anderes Ergebnis folgt nicht daraus, dass sich die Wohnungseigentümer über ihre Rechtsanwälte auf die Durchführung einer "Voll-/Universalversammlung" geeinigt hatten. Dies kann nicht dahingehend verstanden
  80. werden, dass nach dem Willen der Parteien die Wohnungseigentümerversammlung nur durchgeführt werden durfte, wenn alle Eigentümer zur Versammlung erscheinen, und dass der einzelne Eigentümer berechtigt sein sollte, die
  81. Versammlung abzusagen. Die rechtliche Besonderheit einer Vollversammlung,
  82. bei welcher alle Wohnungseigentümer einer Gemeinschaft bei einer Eigentümerversammlung anwesend sind, besteht darin, dass die Anwesenheit sämtlicher Wohnungseigentümer entsprechend § 51 Abs. 3 GmbHG unter bestimm-
  83. -6-
  84. ten Voraussetzungen alle Einberufungsmängel heilt (Elzer in Jennißen, WEG,
  85. 2. Aufl., § 23 Rn. 28; Merle in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 23 Rn. 87). Sagt ein
  86. Wohnungseigentümer seine Teilnahme an einer als "Vollversammlung" einberufenen Wohnungseigentümerversammlung ab, darf die Versammlung gleichwohl durchgeführt werden. Allerdings tritt bei Fernbleiben eines Eigentümers in
  87. der Versammlung die Heilungswirkung hinsichtlich etwaiger Einberufungsmängel nicht ein (Elzer in Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 23 Rn. 28).
  88. 8
  89. 3. Ein Einberufungsmangel liegt aber darin, dass die Eigentümerversammlung nicht an dem Versammlungsort durchgeführt wurde, den die Wohnungseigentümer bei der Einberufung der Eigentümerversammlung einvernehmlich festgelegt hatten, sondern durch die Beklagten ohne Einverständnis
  90. der Kläger in die Kanzlei des Beklagten zu 2 verlegt wurde.
  91. 9
  92. a) Es kann dahin gestellt bleiben, ob es sich bei der Zusammenkunft in
  93. den Kanzleiräumen des Beklagten zu 2 um eine neue Versammlung handelte,
  94. zu der eine erneute Einladung erforderlich gewesen wäre, oder ob es sich um
  95. die Durchführung der bereits einberufenen Versammlung lediglich an einem
  96. anderen Versammlungsort handelte. Denn auch zu einer Änderung des Versammlungsortes waren die Beklagten nicht befugt. Ebenso wie die Auswahl des
  97. Versammlungsortes der zur Einberufung zuständigen Person obliegt (OLG
  98. Köln, NJW-RR 2006, 520, 521; Merle in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 24 Rn. 48;
  99. Elzer in Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 24 Rn. 73), kann die Verlegung des Versammlungsortes nur durch den Einberufungsberechtigten erfolgen. Da die Parteien die Eigentümerversammlung gemeinsam einberufen hatten, konnten sie
  100. den festgelegten Versammlungsort auch nur im gegenseitigen Einvernehmen
  101. ändern.
  102. 10
  103. b) Eine Befugnis der Beklagten zur Verlegung des Versammlungsortes
  104. folgt auch nicht daraus, dass die Kläger den Wohnungseigentümern unberech-
  105. -7-
  106. tigt den Zutritt zum vereinbarten Versammlungsort hatten verwehren lassen und
  107. deshalb die einberufene Versammlung dort nicht durchgeführt werden konnte.
  108. Das Verhalten der Kläger mag unter Umständen zu Schadensersatzansprüchen
  109. der vergeblich angereisten Wohnungseigentümer führen; es begründet aber
  110. nicht die Berechtigung nicht zur Einberufung berechtigter Personen, den Versammlungsort zu verlegen. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Beklagten die Kläger einen Tag vor der Versammlung darauf hingewiesen hatten, die
  111. Versammlung werde in den Büroräumen des Beklagten zu 2 stattfinden, wenn
  112. sie den Zutritt zum vereinbarten Versammlungsort verweigerten. Auch eine vorherige Information der übrigen Wohnungseigentümer über die beabsichtigte
  113. Vorgehensweise begründet kein Selbsthilferecht einzelner Wohnungseigentümer (vgl. Merle in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 24 Rn. 24; Elzer in Jennißen,
  114. WEG, 2. Aufl., § 24 Rn. 31). Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin,
  115. dass die Beklagten entweder auf eine neue Vereinbarung hätten hinwirken oder
  116. sich vom Gericht - ggf. im Wege einer einstweiligen Verfügung (vgl. Elzer in
  117. Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 24 Rn. 34) - zur Einberufung einer Eigentümerversammlung hätten ermächtigen lassen müssen.
  118. 11
  119. 4. Die Kläger müssen sich im Hinblick auf ihr eigenes, zum Scheitern der
  120. Eigentümerversammlung am vereinbarten Ort führende Verhalten nicht nach
  121. Treu und Glauben (§ 242 BGB) so behandeln lassen, als liege kein Einberufungsmangel vor. Ihre Vorgehensweise war von sachlichen Gründen getragen.
  122. Der Zustimmung der Kläger zur Durchführung einer Eigentümerversammlung
  123. unter Verzicht auf die formellen Einberufungsvoraussetzungen lag unausgesprochen die Erwartung zugrunde, dass man sich vorher auf eine Tagesordnung einigt. Zu einer solchen Einigung ist es jedoch nicht gekommen, nachdem
  124. die Beklagten eine Woche vor dem Versammlungstermin die Tagesordnung um
  125. substantielle Punkte wie etwa die Beschlussfassung über die Erhebung einer
  126. Sonderumlage in Höhe von 20.000 € und über eine gerichtliche Beitreibung von
  127. -8-
  128. Hausgeldrückständen erweiterten. Hinzu kommt, dass auch über die Person
  129. des Versammlungsleiters keine Einigung erzielt werden konnte. Hierbei handelte es sich nicht lediglich um einen unwesentlichen Nebenaspekt. In Anbetracht
  130. des angespannten Verhältnisses zwischen den Parteien kam der Frage, ob die
  131. Leitung der Versammlung - den Vorstellungen der Beklagten entsprechend durch den Beklagten zu 2 erfolgen oder ob dies ein Dritter übernehmen sollte,
  132. erhebliche Bedeutung zu. Angesichts dieser veränderten Umstände kann den
  133. Klägern nicht der Vorwurf eines treuwidrigen Verhaltens gemacht werden, wenn
  134. sie nun doch auf der Einberufung einer Eigentümerversammlung unter Beachtung der formellen Voraussetzungen bestanden und die Durchführung der vereinbarten Eigentümerversammlung zu verhindern suchten.
  135. 12
  136. 5. Gegen die rechtlich zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts, dass der Einberufungsmangel für die Beschlussfassung kausal war, erhebt die Revision keine Einwendungen.
  137. -9-
  138. III.
  139. 13
  140. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
  141. Krüger
  142. Schmidt-Räntsch
  143. Brückner
  144. Roth
  145. Weinland
  146. Vorinstanzen:
  147. AG Karlsruhe, Entscheidung vom 01.07.2009 - 9 C 68/09 LG Karlsruhe, Entscheidung vom 05.10.2010 - 11 S 143/09 -