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377 lines
20 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. V ZB 319/10
  4. vom
  5. 9. Juni 2011
  6. Nachschlagewerk:
  7. in dem Zwangsversteigerungsverfahren
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. ZVG § 100, ZPO § 765a
  14. a) Hat sich die zuständige Behörde des suizidgefährdeten Schuldners angenommen
  15. und Maßnahmen ergriffen, kann das Vollstreckungsgericht davon ausgehen, dass
  16. diese ausreichen.
  17. b) Flankierende Maßnahmen hat das Vollstreckungsgericht nur zu erwägen, wenn es
  18. konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass die von der Behörde ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichen, oder wenn sich konkrete neue Gesichtspunkte ergeben, die
  19. die Lage entscheidend verändern.
  20. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2011 - V ZB 319/10 - LG Würzburg
  21. AG Würzburg
  22. -2-
  23. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Juni 2011 durch den Vorsitzenden
  24. Richter
  25. Prof.
  26. Dr.
  27. Krüger,
  28. die
  29. Richter
  30. Dr.
  31. Lemke
  32. und
  33. Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
  34. beschlossen:
  35. Die Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen den Beschluss der
  36. 3. Zivilkammer des Landgerichts Würzburg vom 22. November
  37. 2010 wird zurückgewiesen.
  38. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
  39. für:
  40. 1.
  41. 2.
  42. 3.
  43. 4.
  44. 5.
  45. die Gerichtskosten 139.680 €,
  46. die Vertretung des Schuldners 161.801 €,
  47. die Vertretung der Gläubigerin 250.533,04 €,
  48. die Vertretung des Erstehers W. 65.001 €,
  49. die Vertretung des Erstehers U.
  50. 96.800 €.
  51. Gründe:
  52. I.
  53. 1
  54. Auf Antrag der Gläubigerin ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom
  55. 10. Juli 2007 die Zwangsversteigerung des eingangs bezeichneten, von dem
  56. Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners
  57. freigegebenen Grundbesitzes an. Grundlage der Zwangsversteigerung sind fünf
  58. vollstreckbare Briefgrundschulden, von denen vier ursprünglich der F.
  59. -3-
  60. C.
  61. Bank bestellt und eine dieser Bank abgetreten worden waren.
  62. Diese wurden zunächst der späteren B.
  63. H.
  64. und von
  65. dieser der Gläubigerin abgetreten. Ob es sich dabei um Sicherungsgrundschulden handelte, ist zwischen den Beteiligten streitig. Mit Beschluss vom 23. Oktober 2009 stellte das Amtsgericht sachverständig beraten das Verfahren auf Antrag des Schuldners für die Dauer von fünf Monaten ein, weil der Verdacht bestand, er werde sich im Fall der Versteigerung seines Grundbesitzes das Leben
  66. nehmen. Die Einstellung verband es mit den Auflagen an den Schuldner, sich
  67. deswegen stationär behandeln, danach durch den Landgerichtsarzt untersuchen und eine Betreuung einrichten zu lassen. Der Schuldner ließ sich nach
  68. dem Gutachten des Landgerichtsarztes zunächst stationär behandeln, brach
  69. die Behandlung aber ab, war mit der Einrichtung einer Betreuung nicht einverstanden und beantwortete auch die Fragen des Landgerichtsarztes zu seinem
  70. Vorbringen, sich das Leben nehmen zu wollen, nicht. Daraufhin ordnete das
  71. Amtsgericht mit Beschluss vom 27. Juli 2010 die Fortsetzung des Verfahrens
  72. an und bestimmte einen Versteigerungstermin auf den 13. Oktober 2010. Am
  73. 4. Oktober 2010 beantragte der Schuldner erneut die Einstellung des Verfahrens wegen Suizidgefahr. Am 12. Oktober 2010 erfuhr das Amtsgericht von der
  74. örtlichen Polizei, dass der Schuldner wegen Suizidgefährdung auf Anordnung
  75. des Gesundheitsamts in einem Krankenhaus untergebracht worden war. Gestützt auf einen im Termin behaupteten Suizidversuch beantragte der Vertreter
  76. des Schuldners im Versteigerungstermin am 13. Oktober 2010 erneut die Einstellung des Verfahrens.
  77. 2
  78. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen, die Versteigerung
  79. durchgeführt und nach Ablauf der Bietstunde den Grundbesitz zu a) dem Ersteher W.
  80. und den Grundbesitz zu b) dem Ersteher U.
  81. zugeschlagen. We-
  82. gen des Grundstücks zu c) hat es mangels Geboten auf Antrag der Gläubigerin
  83. -4-
  84. die Fortsetzung der Versteigerung angeordnet. Die Beschwerde des Schuldners gegen die Zurückweisung des Einstellungsantrags und gegen die Zuschlagsbeschlüsse hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich
  85. der Schuldner mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Gläubigerin beantragt.
  86. II.
  87. 3
  88. Das Beschwerdegericht meint, die Grundschulden seien der Gläubigerin
  89. mit der Vollstreckungsunterwerfung abgetreten worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setze das zwar bei Sicherungsgrundschulden
  90. auch den Eintritt in die Sicherungsabrede voraus. Die Vollstreckungsklauseln
  91. der Grundschulden, auf welche die Anordnung der Zwangsversteigerung gestützt sei, enthielten selbst aber keinerlei Hinweise auf eine treuhänderische
  92. Bindung. Ein etwa bestehender Sicherungszweck habe in den urkundlichen
  93. Erklärungen der Parteien keinen Niederschlag gefunden.
  94. 4
  95. Die Zwangsversteigerung sei auch nicht wegen Suizidgefährdung des
  96. Schuldners einzustellen. Eine solche sei zwar weder nach dem vorgelegten
  97. ärztlichen Attest noch nach dem Gutachten des Landgerichtsarztes auszuschließen. Das führe aber nicht zwangsläufig zu einer (einstweiligen) Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens. Vielmehr sei eine umfassende Abwägung erforderlich, in der auch die Mitwirkung des Schuldners selbst an der
  98. Bewältigung seiner Gefährdung und anderweitige Möglichkeiten zu berücksichtigen seien, dieses Problem zu lösen. Danach sei die Zwangsversteigerung hier
  99. nicht einzustellen. Der Schuldner habe die ihm erteilten Auflagen in wesentlichen Teilen nicht erfüllt, sich bei seiner Untersuchung durch den Landgerichts-
  100. -5-
  101. arzt sehr bedeckt gehalten und diesem die Ergebnisse anderweitiger Untersuchungen nicht zugänglich gemacht.
  102. III.
  103. 5
  104. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung im Ergebnis stand.
  105. Die nach § 96 ZVG i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und
  106. nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
  107. 6
  108. 1. Der Erteilung der Zuschläge stand nicht entgegen, dass die
  109. Zwangsversteigerung auf Grund mehrerer an die Gläubigerin abgetretener nach
  110. § 800 ZPO vollstreckbarer Grundschulden angeordnet worden war. Die von
  111. dem Schuldner im Verfahren vor dem Senat vorgelegten Unterlagen bieten
  112. zwar Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei diesen Grundschulden um Sicherungsgrundschulden im Sinne von § 1192a BGB handelt. Der Zessionar einer
  113. solchen Sicherungsgrundschuld kann auch aus der Unterwerfungserklärung nur
  114. vorgehen, wenn er in den Sicherungsvertrag eintritt (BGH, Urteil vom 30. März
  115. 2010 - XI ZR 200/09, BGHZ 185, 133, 148 Rn. 35 f.). Diesen Fragen ist aber
  116. nicht im Zwangsversteigerungsverfahren, sondern im Klauselerteilungsverfahren und mit den dort nach §§ 723, 768 ZPO gegebenen Rechtsbehelfen nachzugehen (BGH, Urteil vom 30. März 2010 - XI ZR 200/09, aaO S. 150 f.
  117. Rn. 39 f.). Solange ein solches Verfahren nicht eingeleitet und die (einstweilige)
  118. Einstellung der Zwangsversteigerung nicht angeordnet wird, darf der Zuschlag
  119. erteilt werden.
  120. 7
  121. 2. Die Vollstreckungsschutzanträge des Schuldners standen der Erteilung des Zuschlags nicht entgegen, weil sie unbegründet waren.
  122. -6-
  123. 8
  124. a) Die Gefährdung des unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
  125. stehenden Lebens des Schuldners durch die Versteigerung ist ein im Zuschlagsbeschwerdeverfahren nach § 100 Abs. 1, 3 i.V.m. § 83 Nr. 6 ZVG von
  126. Amts wegen zu berücksichtigender Umstand (Senat, Beschluss vom 7. Oktober
  127. 2010 - V ZB 82/10, NJW-RR 2011, 421 Rn. 16). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2005 - I ZB
  128. 10/05, BGHZ 163, 66, 73; Senat, Beschlüsse vom 24. November 2005 - V ZB
  129. 99/05, NJW 2006, 505, 506 f. und vom 14. Juni 2007 - V ZB 28/07, NJW 2007,
  130. 3719, 3720) ist die Zwangsversteigerung selbst dann nicht ohne weiteres
  131. (einstweilen) einzustellen, wenn mit der Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden ist. Vielmehr ist stets
  132. eine Abwägung des Lebensinteresses des Betroffenen mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers geboten. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben,
  133. dass sich auch der Gläubiger auf Grundrechte berufen kann. Unterbleibt die
  134. Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens wegen der Annahme einer
  135. Suizidgefahr, die auch bei sorgfältiger fachlicher Prüfung nur auf der Beurteilung von Wahrscheinlichkeiten beruhen kann, wird in das Grundrecht des Gläubigers auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) eingegriffen. Die Aufgabe des Staates, das Recht zu wahren, umfasst die Pflicht, titulierte Ansprüche notfalls mit Zwang durchzusetzen und dem Gläubiger zu seinem Recht zu
  136. verhelfen (BVerfGE 49, 220, 231). Der Gläubiger hat gemäß Art. 19 Abs. 4 GG
  137. einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz
  138. (vgl. BVerfGE 49, 220, 225). Ihm dürfen nicht die Aufgaben überbürdet werden,
  139. die aufgrund des Sozialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit
  140. obliegen. Mit Blick auf die Interessen des Erstehers gilt nichts anderes (Senat,
  141. Beschluss vom 15. Juli 2010 - V ZB 1/10, NJW-RR 2010, 1649, 1650).
  142. -7-
  143. 9
  144. b) Deshalb ist auch dann, wenn bei dem Abschluss eines Versteigerungsverfahrens durch Erteilung des Zuschlags die konkrete Gefahr einer
  145. Selbsttötung des Schuldners besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr
  146. nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam
  147. begegnet werden kann. Hierzu gehören zum einen zumutbare Anstrengungen
  148. des Suizidgefährdeten selbst (vgl. etwa BVerfG NJW 1992, 1155; 2004, 49 f.;
  149. NJW-RR 1993, 463, 464), etwa die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe, ggf. unter
  150. Einbeziehung eines stationären Klinikaufenthaltes. Darüber hinaus kommen als
  151. mögliche Maßnahmen die Ingewahrsamnahme des Gefährdeten insbesondere
  152. nach polizeirechtlichen Vorschriften oder die Unterbringung nach den landesrechtlichen Vorschriften in Betracht (Senat, Beschluss vom 24. November 2005
  153. - V ZB 99/05, NJW 2006, 505, 506). Da die staatliche Aufgabe des Lebensschutzes des Schuldners nicht durch eine dauerhafte Einstellung der Vollstreckung gelöst werden kann, sind die Vollstreckungsorgane ggf. gehalten, bei den
  154. zuständigen Behörden eine Unterbringung des Schuldners oder bei dem Vormundschaftsgericht eine Betreuung anzuregen und dabei darauf hinzuweisen,
  155. dass die Vollstreckung fortzusetzen sein wird, wenn die für den Lebensschutz
  156. primär zuständigen Behörden und Vormundschaftsgerichte Maßnahmen zum
  157. Schutze des Lebens des Schuldners nicht für notwendig erachten. Wird danach
  158. eine Unterbringung zum Schutz des Lebens des Schuldners nicht für erforderlich gehalten und wird diese Entscheidung bestandskräftig, so liegt darin eine
  159. Entscheidung der für die Frage der Unterbringung unter dem Gesichtspunkt der
  160. Selbstgefährdung primär zuständigen Stelle, die es im Regelfall gestattet, die
  161. Zwangsvollstreckung fortzusetzen (Senat, Beschlüsse vom 14. Juni 2007
  162. - V ZB 28/07, NJW 2007, 3719, 3721 Rn. 15 und vom 15. Juli 2010 - V ZB 1/10,
  163. NJW-RR 2010, 1649, 1650 Rn. 11).
  164. 10
  165. c) Ein solcher Fall liegt hier vor.
  166. -8-
  167. 11
  168. aa) Dafür kommt es entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht
  169. entscheidend darauf an, ob der Schuldner vor dem Beschluss vom 27. Juli
  170. 2010, mit dem das Amtsgericht die Fortsetzung des Versteigerungsverfahrens
  171. angeordnet hat, die ihm zumutbaren eigenen Anstrengungen unternommen hat,
  172. seiner psychischen Probleme Herr zu werden. Es muss auch nicht entschieden
  173. werden, ob das Vollstreckungsgericht angesichts der Weigerung des Schuldners, die Fragen des Landgerichtsarztes zu seinen Suizidgedanken zu beantworten und ihm das vorliegende Ergebnis anderweitiger Untersuchungen zugänglich zu machen, von der an sich gebotenen (dazu Senat, Beschluss vom
  174. 30. September 2010 - V ZB 199/09, ZfIR 2011, 29, 30 Rn. 8) Prüfung der Suizidgefahr absehen durfte. Diese Vorgänge waren bei der Durchführung des
  175. Versteigerungstermins am 13. Oktober 2010 prozessual überholt. Zu diesem
  176. Zeitpunkt hatte die Suizidgefährdung des Schuldners mit dem Vorfall vom
  177. 12. Oktober 2010 eine akute Zuspitzung erfahren, die unabhängig von der Beurteilung der bisherigen Verfassung des Schuldners eine neue Prüfung der Lage erforderlich machte. Diese Zuspitzung liegt unabhängig davon vor, ob es
  178. sich, wie der Schuldner meint, um einen Suizidversuch oder „nur“ um die Äußerung von Suizidabsichten gehandelt hat. Das Verhalten des Schuldners war
  179. jedenfalls so auffällig, dass es Anlass zu Anzeigen bei dem Gesundheitsamt
  180. gab. Von der gebotenen Prüfung durfte das Amtsgericht auch nicht, wie es bis
  181. dahin gemeint hatte, deshalb absehen, weil der Landgerichtsarzt keinen Zugang zu den Untersuchungsergebnissen hatte. Vielmehr hätte es, von dem hier
  182. allerdings eingetretenen Ausnahmefall abgesehen, versuchen müssen, sich
  183. notfalls durch eine Anhörung des Schuldners in Anwesenheit des Landgerichtsarztes Aufschluss zu verschaffen (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Oktober 2010
  184. - V ZB 82/10, NJW-RR 2011, 421, 423 f. Rn. 31).
  185. -9-
  186. 12
  187. bb) Das Amtsgericht musste dem Vorfall vom 12. Oktober 2010 aber
  188. deshalb nicht nachgehen, weil sich das für seine Bewältigung in erster Linie
  189. zuständige Gesundheitsamt des Schuldners angenommen und die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hatte.
  190. 13
  191. (1) Das Amtsgericht war ausweislich eines Aktenvermerks des Rechtspflegers vom 12. Oktober 2010 durch die zuständige Polizeidienststelle darüber
  192. unterrichtet worden, dass der Schuldner Suizidabsichten geäußert hatte, deshalb auf Anzeige Dritter hin durch die Amtsärztin des Gesundheitsamts untersucht und auf Grund des Untersuchungsergebnisses in ein Krankenhaus eingewiesen worden war. Diese Nachricht zeigte dem Amtsgericht einerseits eine
  193. Zuspitzung der Situation, andererseits aber auch auf, dass die zuständige Stelle
  194. die notwendigen Maßnahmen ergriffen hatte.
  195. 14
  196. (2) Das Tätigwerden der zuständigen Behörde hat zur Folge, dass das
  197. Vollstreckungsgericht keine zusätzlichen Maßnahmen zum Schutz des Lebens
  198. des Betroffenen ergreifen muss, sondern das Versteigerungsverfahren fortsetzen kann. Der Lebensschutz ist, wie der Senat stets betont hat, weder Aufgabe
  199. des Gläubigers noch des Vollstreckungsgerichts. Er ist vielmehr Aufgabe der
  200. zuständigen Ordnungsbehörden der Länder und, wenn eine Betreuung Abhilfe
  201. schaffen oder die staatlichen Maßnahmen unterstützen kann, auch des Vormundschaftsgerichts. Das Vollstreckungsgericht muss den Lebensschutz des
  202. Schuldners oder anderer Betroffener nur gewährleisten, wenn er durch die Versteigerung (oder den Vollzug des Zuschlagsbeschlusses) gefährdet ist und die
  203. zuständigen Behörden nicht tätig werden. Werden die zuständigen Behörden
  204. hingegen tätig, muss das Vollstreckungsgericht keine zusätzlichen Maßnahmen
  205. zum Lebensschutz ergreifen. Es kann sich vielmehr darauf verlassen, dass die
  206. Behörden alles Notwendige veranlassen und das Verfahren ohne weiteres fort-
  207. - 10 -
  208. setzen. Das hat der Senat für den Fall ausgesprochen, dass die zuständige Behörden von Schutzmaßnahmen absehen, weil sie solche nicht für erforderlich
  209. halten (Beschlüsse vom 14. Juni 2007 - V ZB 28/07, NJW 2007, 3719, 3721
  210. Rn. 16 und vom 15. Juli 2010 - V ZB 1/10, NJW-RR 2010, 1649, 1650 Rn. 11).
  211. Nichts anderes gilt, wenn die zuständigen Behörden - wie hier - tätig werden
  212. und die aus ihrer Sicht gebotenen Schutzmaßnahmen ergreifen.
  213. 15
  214. (3) Das Amtsgericht war auch nicht gehalten, begleitende Maßnahmen
  215. zum Schutz des Lebens des Schuldners zu ergreifen. Zu einer entsprechenden
  216. Prüfung war es allerdings verpflichtet. Eine solche Prüfung ist in erster Linie
  217. geboten, wenn die zuständigen Behörden nichts weiter unternehmen (Senat,
  218. Beschluss vom 14. Juni 2007 - V ZB 28/07, NJW 2007, 3719, 3721 Rn. 16 aE),
  219. kann aber auch bei einem Tätigwerden nicht von vornherein ausgeschlossen
  220. werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Vollstreckungsgericht
  221. konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass die ergriffenen Maßnahmen etwa wegen einer weiteren Zuspitzung der Lage unzureichend sein könnten. Solche
  222. Anzeichen hatte das Amtsgericht nicht. Nach der Auskunft der Polizeidienststelle war der Schuldner wegen Suizidabsichten durch das Gesundheitsamt untersucht und als Ergebnis der Untersuchung in ein Krankenhaus eingewiesen
  223. worden. Diese Maßnahme versprach eine nach den Umständen gebotene Betreuung und Überwachung des Schuldners. Einen greifbaren Anhaltspunkt, zusätzliche Maßnahmen zu erwägen, hatte das Amtsgericht nicht. Einen Anlass
  224. dazu bot auch der Verlauf des Versteigerungstermins nicht. In dem Termin hatte der Sohn des Schuldners zwar behauptet, sein Vater habe versucht, sich das
  225. Leben zu nehmen. Er hatte aber auch vorgetragen, sein Vater lasse vom Krankenbett aus ausrichten, es gehe ihm wieder besser. Daraus konnte das Amtsgericht nur den Schluss ziehen, dass die veranlassten Maßnahmen sachge-
  226. - 11 -
  227. recht und ausreichend waren. Das bestätigte auch die Rückfrage, die das
  228. Amtsgericht am Schluss des Termins bei der Polizeibehörde gehalten hat.
  229. 16
  230. cc) Auch das Beschwerdegericht durfte davon ausgehen, dass die von
  231. dem Gesundheitsamt als der fachlich zuständigen Behörde ergriffenen Maßnahmen sachgerecht waren und ausreichten. Flankierende Maßnahmen hat es
  232. nur zu erwägen, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass die von der
  233. Behörde ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichen oder wenn sich konkrete
  234. neue Gesichtspunkte ergeben, die die Lage entscheidend verändern. An beidem fehlt es hier. Der Schuldner ist bis zum 2. November 2010 in stationärer
  235. Behandlung in der Klinik verblieben. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass
  236. sich die Situation nach der Entlassung aus dem Krankenhaus verändert haben
  237. könnte, hatte das Beschwerdegericht nicht. Solche Anhaltspunkte hat der
  238. Schuldner nicht vorgetragen. Er hat sich allein auf die mit dem Einstellungsantrag vom 4. Oktober 2010 vorgelegten Unterlagen und auf die Feststellungen
  239. des Arztes des Gesundheitsamts gestützt, der die Einweisung des Schuldners
  240. in das Krankenhaus angeordnet hatte. Vortrag dazu, dass und aus welchen
  241. Gründen seine Einweisung in das Krankenhaus und sein Verbleib dort bis zum
  242. 2. November 2010 nicht ausgereicht haben, die Situation zu beherrschen, hat
  243. der Schuldner nicht gehalten. Das Beschwerdegericht konnte daher davon ausgehen, dass die behandelnden Ärzte das Gesundheitsamt, das die Einweisung
  244. angeordnet hatte, unterrichtet hätten, wenn ernstlich zu befürchten gewesen
  245. wäre, dass sich der Schuldner nach der Entlassung aus dem Krankenhaus das
  246. Leben nehmen würde. Den Entlassungsbericht des Krankenhauses hat der
  247. Schuldner dem Beschwerdegericht trotz entsprechender Aufforderung hierzu
  248. nicht zugänglich gemacht. Deshalb ist auch nicht festzustellen, ob sich aus diesem Bericht Anhaltspunkte für eine Veränderung der Lage ergeben. Das geht
  249. zu Lasten des Schuldners, der diesen Bericht vorlegen oder freigeben konnte.
  250. - 12 -
  251. 17
  252. dd) Nach dem im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgelegten Gutachten
  253. hat der Schuldner die Versteigerung seines Grundbesitzes zwar noch nicht verarbeitet. Eine Gefährdung des Schuldners ist danach aber nicht mehr von der
  254. Versteigerung, sondern von der bevorstehenden Räumung zu erwarten. Dieser
  255. Gefährdung kann und muss nicht im Verfahren über die Zuschlagsbeschwerde,
  256. sondern nur im Zusammenhang mit der Durchsetzung des Beschlusses über
  257. den Zuschlag des Grundbesitzes zu a) Rechnung getragen werden (vgl. Senat,
  258. Beschlüsse vom 24. November 2005 - V ZB 99/05, NJW 2006, 505 und vom
  259. 19. Juni 2008 - V ZB 129/07, NJW-RR 2008, 1741, 1742 Rn. 15).
  260. IV.
  261. 18
  262. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da sich die Beteiligten in
  263. einem durchgeführten Zwangsversteigerungsverfahren nicht kontradiktorisch
  264. gegenüber stehen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2007 - V ZB 125/05,
  265. BGHZ 170, 378, 381 Rn. 7). Die Festsetzung der Gegenstandswerte beruht auf
  266. § 54 Abs. 2 GKG und § 26 RVG. Dabei war dem Bargebot des Erstehers U.
  267. der Wert der bestehenden Rechte hinzuzurechnen. Die Zurückweisung der
  268. - 13 -
  269. Einstellungsanträge hat keinen über den Wert der Zuschlagsbeschwerden hinausgehenden Wert.
  270. Krüger
  271. Brückner
  272. RiBGH Dr. Lemke ist infolge
  273. Urlaubs an der Unterschrift
  274. gehindert.
  275. Karlsruhe, den 10. Juni 2011
  276. Der Vorsitzende
  277. Krüger
  278. Schmidt-Räntsch
  279. Weinland
  280. Vorinstanzen:
  281. AG Würzburg, Entscheidung vom 13.10.2010 - 3 K 95/07 LG Würzburg, Entscheidung vom 22.11.2010 - 3 T 2286/10, 2423/10, 2424/10