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9.5 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 3 BJs 47/99 - 4 (22)
  4. StB 16/99
  5. vom
  6. 14. Januar 2000
  7. in dem Ermittlungsverfahren
  8. gegen
  9. wegen Verdachts des versuchten Mordes u.a.;
  10. hier: Beschwerde des Beschuldigten
  11. E.
  12. -2-
  13. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 14. Januar 2000 gemäß § 304
  14. Abs. 5 StPO beschlossen:
  15. Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluß des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. Dezember 1999
  16. - 1 BGs 268/99 - wird verworfen.
  17. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
  18. tragen.
  19. Gründe:
  20. Das Landgericht Neubrandenburg hat am 26. August 1999 - III Qs
  21. 78/99 - gegen den Beschwerdeführer Haftbefehl wegen versuchten Mordes in
  22. Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 211, 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und
  23. 4, 22, 23, 25 Abs. 2, 52 StGB) erlassen und die Untersuchungshaft angeordnet. Ihm wird vorgeworfen, am 22. August 1999 gegen 4.00 Uhr in Eg.
  24. in
  25. der Nähe des Festplatzes gemeinschaftlich mit anderen durch eine Handlung
  26. versucht zu haben, aus dem niederen Beweggrund ”Ausländerhaß” die vietnamesischen Staatsangehörigen
  27. N.
  28. und V.
  29. T.
  30. zu töten, und die-
  31. se vorsätzlich körperlich mißhandelt und an der Gesundheit beschädigt zu haben, wobei die Körperverletzungen mittels gefährlicher Werkzeuge und mittels
  32. einer das Leben gefährdenden Behandlung begangen worden sein sollen.
  33. -3-
  34. Nach einer mündlichen Haftprüfung hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluß vom 1. Dezember 1999 - 1 BGs 268/99 - angeordnet, daß der Haftbefehl des Landgerichts Neubrandenburg vom 26. August
  35. 1999 aufrechterhalten bleibt und weiterhin zu vollziehen ist. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Beschuldigten, mit der er die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise die Aussetzung des Vollzugs erstrebt.
  36. Das nach § 304 Abs. 5 StPO zulässige Rechtsmittel ist unbegründet. Zu
  37. Recht hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftbefehl des
  38. Landgerichts Neubrandenburg vom 26. August 1999 aufrechterhalten und dessen weiteren Vollzug angeordnet.
  39. 1. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des
  40. Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes für die Haftprüfung ergibt sich aus
  41. § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a), § 142 a Abs. 1 GVG.
  42. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des
  43. § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a) GVG bestehen nicht (so auch die Mehrheitsmeinung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, BT-Drucks.
  44. 10/6635, S. 15; vgl. Hannich in KK 4. Aufl. § 120 GVG Rdn. 3; Schnarr MDR
  45. 1988, 89 ff. und 1993, 589 ff.; vgl. auch Eisenberg NStZ 1996, 263 ff.). Das
  46. dem Beschwerdeführer und seinen Mittätern zur Last liegende Verbrechen des
  47. versuchten Mordes ist eine in dieser Vorschrift genannte Katalogtat. Zwar ist
  48. ein versuchter Mord gewöhnlich der allgemeinen Kriminalität zuzuordnen, so
  49. daß für dieses Delikt grundsätzlich die rechtsprechende Gewalt von den Gerichten der Bundesländer (Art. 92 GG) ausgeübt wird. Da aber die Tat vom
  50. 22. August 1999 "nach den Umständen bestimmt" und geeignet ist, die innere
  51. Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen, und der Gene-
  52. -4-
  53. ralbundesanwalt den unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. hierzu Eisenberg NStZ
  54. 1996, 263, 264 f. m.w.Nachw.) der besonderen Bedeutung des Falles in noch
  55. vertretbarer Weise bejaht hat, handelt es sich im Hinblick auf die Wiederholungsgefahr durch Gleichgesinnte und die im In- und Ausland hervorgerufene
  56. besondere Beachtung um eine Straftat aus dem Bereich des Staatsschutzes,
  57. für den nach Art. 96 Abs. 5 GG, § 120 Abs. 2 und 6 GVG, § 102 JGG die Strafgerichtsbarkeit des Bundes gegeben ist. Diese schließt sich an die mit menschenverachtender Brutalität durchgeführten Gewalttaten an, die aus rechtsextremistischer Gesinnung seit 1990 immer wieder gegen ausländische Mitbürger
  58. begangen wurden. Durch die sich wiederholenden Straftaten mit schwerwiegenden Folgen für die Opfer, die lediglich als Repräsentanten der von den
  59. Tätern gehaßten Gruppe der Ausländer angegriffen werden, wird zum einen
  60. das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern empfindlich
  61. gestört; zum anderen wird auch in der Öffentlichkeit, insbesondere unter den in
  62. der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländern, ein allgemeines Klima
  63. der Angst und Einschüchterung hervorgerufen, in dem die innere Sicherheit
  64. beeinträchtigende Zweifel aufkommen, ob die Sicherheitsorgane in ausreichendem Maße fähig und entschlossen sind, die ausländischen Mitbürger zu
  65. schützen. Außerdem lösen sie bei Personen mit einer rechtsextremen Gesinnung einen Nachahmungseffekt aus mit der Folge einer immer schwerer beherrschbaren Gefahr. Die Verbindung des Beschwerdeführers und seiner Mittäter zu den örtlichen rechtsextremistischen Gruppen und die Begleitumstände
  66. der ihnen vorgeworfenen Tat stellen ausreichende Anhaltspunkte dafür dar,
  67. daß den Tätern diese sich ihnen aufdrängenden Auswirkungen ihrer Straftat
  68. nicht nur bewußt waren, sondern von ihnen auch gewollt worden sind.
  69. -5-
  70. 2. Der Beschwerdeführer ist bei dem derzeitigen Stand der Ermittlungen
  71. der mittäterschaftlichen Beteiligung an dem rechtlich zutreffend als versuchter
  72. Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewerteten Angriff vom
  73. 22. August 1999 auf die vietnamesischen Staatsangehörigen dringend verdächtig. Er hat selbst eingeräumt, gegen eines der Tatopfer zwei Faustschläge
  74. geführt zu haben. Im übrigen ergibt sich der dringende Tatverdacht insbesondere aus den Einlassungen der Mitbeschuldigten
  75. K.
  76. sowie des anderweitig verfolgten
  77. der unbeteiligten Zeugin
  78. M.
  79. S.
  80. L.
  81. und
  82. , die durch die Aussagen
  83. und des Geschädigten
  84. N.
  85. in wesentlichen Punkten bestätigt werden. Auch der anderweitig verfolgte
  86. R.
  87. hat den Beschwerdeführer in seinen ersten, tatnahen Ver-
  88. nehmungen schwer belastet. Entgegen seiner Einlassung soll der Beschwerdeführer von Beginn der Mißhandlungen an bis zu deren Ende selbst auf die
  89. Vietnamesen mit den Füßen eingetreten haben. Die entlastende Aussage des
  90. Mitbeschuldigten
  91. Sch.
  92. steht in Widerspruch zu dem übrigen bisheri-
  93. gen Beweisergebnis, so daß der Verdacht besteht, der Beschwerdeführer und
  94. Sch.
  95. haben während der gemeinsamen Untersuchungshaft verein-
  96. bart, sich gegenseitig zu entlasten.
  97. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand haben der Beschwerdeführer und
  98. seine Mittätern aus ”Ausländerhaß” die vietnamesischen Staatsangehörigen
  99. verfolgt, sie zu Fall gebracht, um die am Boden liegenden Opfer einen Kreis
  100. zur Verhinderung ihrer Flucht gebildet und wuchtig mit den Fäusten sowie mit
  101. - teilweise schweren, festen - Schuhen auf Kopf, Bauch und Rücken der Geschädigten eingetreten, was zu gravierenden Verletzungen geführt hat, und
  102. dabei Parolen wie ”Ausländer verrecke” und ”Ausländersau” geschrien. Ein Teil
  103. der Mittäter trug schweres Schuhwerk, was dem Beschwerdeführer bekannt
  104. -6-
  105. war. Obwohl er die mit großer Brutalität gegen Kopf, Bauch und Rücken der
  106. Opfer geführten Tritte wahrnahm, hat er sich weiterhin an der Tat beteiligt und
  107. sich vom Verhalten seiner Mittäter nicht distanziert. Es besteht daher der dringende Verdacht, daß er mit den gemeinsam ausgeführten Schlägen und Tritten
  108. im Bewußtsein von deren Lebensgefährlichkeit einverstanden war und den für
  109. möglich gehaltenen Tod der vietnamesischen Staatsbürger in Kauf genommen
  110. hat. Eine Tötung aus ”Ausländerhaß” ist als niederer Beweggrund im Sinne des
  111. § 211 StGB zu werten. Der Beschwerdeführer muß sich im Rahmen des gemeinsamen Tatentschlusses auch die Tatbeiträge seiner Mittäter zurechnen
  112. lassen (§ 25 Abs. 2 StGB). Ob ein ihm nicht zurechenbarer Exzeß einzelner
  113. Mittäter vorliegt, für den derzeit keine ausreichenden Anhaltspunkte vorhanden
  114. sind, muß dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.
  115. 3. Es bestehen die Haftgründe der Verdunkelungs- und Fluchtgefahr
  116. (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO) sowie der Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO.
  117. Der Beschwerdeführer muß mit einer erheblichen Jugendstrafe rechnen, was
  118. für ihn einen beträchtlichen Fluchtanreiz darstellt. Trotz der inzwischen abgeschlossenen Ermittlungen besteht vor allem die große Gefahr, daß er mit den
  119. anderen Tatbeteiligten verdunkelnde Absprachen trifft oder in unlauterer Weise
  120. auf andere Personen aus dem rechtsextremen Umfeld einzuwirken versucht,
  121. um diese zu einer für ihn günstigen Zeugenaussage zu veranlassen. Bereits
  122. unmittelbar nach der Tat hat der Beschwerdeführer verdunkelnde Absprachen
  123. mit Mitbeschuldigten getroffen. Insoweit wird auf den Beschluß des OLG
  124. Rostock vom 17. September 1999 verwiesen.
  125. -7-
  126. Der Zweck der Untersuchungshaft kann durch vorläufige Erziehungsanordnungen, insbesondere durch eine einstweilige Unterbringung des Beschwerdeführers in einem Heim nicht erreicht werden (§ 72 JGG). Durch solche
  127. Maßnahmen kann vor allem der erheblichen Verdunkelungsgefahr nicht ausreichend entgegengewirkt werden, weil Einrichtungen der Sozialfürsorge die zu
  128. befürchtenden Kontaktaufnahmen mit anderen Tatbeteiligten oder Zeugen
  129. nicht effektiv verhindern können. Da zur Verhinderung der Verdunkelungsgefahr geeignete Auflagen nicht erkennbar sind, kann der Haftbefehl auch nicht
  130. außer Vollzug gesetzt werden. Angesichts der Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten und den gegebenen Umständen ist auch
  131. unter Berücksichtigung der besonderen Belastungen für einen Jugendlichen
  132. der weitere Vollzug des Haftbefehls nicht unverhältnismäßig.
  133. Kutzer
  134. Rissing-van Saan
  135. von Lienen