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403 lines
22 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. RiZ(R) 5/12
  5. Verkündet am:
  6. 14. Oktober 2013
  7. Justizamtsinspektor
  8. als Urkundsbeamter
  9. der Geschäftsstelle
  10. Nachschlagewerk:
  11. ja
  12. BGHZ:
  13. ja
  14. BGHR:
  15. ja
  16. DRiG §§ 83, 66 Abs. 1 Satz 1
  17. Die gem. §§ 83, 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG angeordnete sinngemäße Geltung der Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung für das Prüfungsverfahren (§ 62 Abs. 1 Nr.
  18. 3 und 4 DRiG) erfasst die Bestimmung des § 84 VwGO über die Entscheidung ohne
  19. mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nicht.
  20. BGH, Urteil vom 14. Oktober 2013 – RiZ (R) 5/12 – Dienstgericht für Richter bei dem
  21. Landgericht Leipzig
  22. -2-
  23. in dem Prüfungsverfahren
  24. des Richters am Arbeitsgericht
  25. Antragsteller und Revisionskläger,
  26. - Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte
  27. -
  28. gegen
  29. Antragsgegner und Revisionsbeklagter,
  30. wegen Feststellung und Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht
  31. -3-
  32. Der Bundesgerichtshof - Dienstgericht des Bundes - hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juli 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Bergmann, die Richterin am Bundesgerichtshof Safari
  33. Chabestari, den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Drescher sowie die Richter
  34. am Bundesarbeitsgericht Reinfelder und Dr. Spinner
  35. für Recht erkannt:
  36. Auf die Revision des Antragstellers wird der Gerichtsbescheid des
  37. Dienstgerichts für Richter bei dem Landgericht Leipzig vom
  38. 19. April 2012 aufgehoben.
  39. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
  40. - auch über die Kosten der Revision - an das Dienstgericht für
  41. Richter zurückverwiesen.
  42. Von Rechts wegen
  43. Tatbestand:
  44. 1
  45. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller durch den Weihnachtsbrief des Ministerpräsidenten des Freistaats Sachsen vom Advent 2009
  46. aus dem Dienstverhältnis als Richter entlassen wurde und er in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt ist.
  47. -4-
  48. 2
  49. Der
  50. geborene Antragsteller steht seit dem 1. August 1991 im rich-
  51. terlichen Dienst des Antragsgegners. Seit dem 1. März 2000 ist er als Richter
  52. am Arbeitsgericht L.
  53. 3
  54. tätig und dort Vorsitzender einer Kammer.
  55. Am 17. Dezember 2009 wurde dem Antragsteller per E-Mail der sog.
  56. „Weihnachtsbrief des Ministerpräsidenten“ auf seinen Dienstrechner übermit-
  57. 3
  58. telt. Dieser Brief lautet:
  59. „Stanislaw Tillich
  60. Ministerpräsident des Freistaates Sachsen
  61. An die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sächsischen
  62. Landesverwaltung
  63. Dresden im Advent 2009
  64. Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
  65. ich wünsche Ihnen, Ihren Familien und Freunden eine gesegnete und frohe Weihnachtszeit. Für 2010 wünsche ich
  66. Ihnen Gesundheit, Zufriedenheit und uns gemeinsam viel
  67. Schaffenskraft für die Gestaltung unseres Freistaates
  68. Sachsen.
  69. Ein ereignisreiches Jahr geht zu Ende. Ich danke Ihnen
  70. ganz herzlich für Ihre Leistungen und Ihren Einsatz in der
  71. täglichen Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Vereine.
  72. Für mich persönlich war es ein besonderes Jahr. Die
  73. Wählerinnen und Wähler haben mir nach über einem Jahr
  74. im Amt ihr Vertrauen ausgesprochen. Wir haben die Wahlen auch deshalb gewonnen, weil Sie in der Verwaltung
  75. unsere politischen Ideen umsetzen und die Menschen
  76. spüren, dass ihr Heimatland gut geführt und verwaltet
  77. wird. Ich danke Ihnen ganz persönlich für Ihren Anteil am
  78. erfolgreichen Wahljahr 2009.
  79. Vor uns liegen schwierige Jahre. Davon lassen wir uns
  80. aber nicht beirren. Wir gehen weiter den erfolgreichen
  81. sächsischen Weg. Gerade in diesen Wochen blicken wir
  82. auf 20 Jahre friedliche Revolution und damit 20 Jahre
  83. modernen Freistaat Sachsen zurück. Wir haben vieles
  84. -5-
  85. erreicht, viele Herausforderungen bestanden und ein
  86. stabiles Fundament für einen neuen Aufbruch im neuen
  87. Jahrzehnt gelegt.
  88. Die Staatsregierung hat sich einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung verpflichtet. Bitte gestalten Sie diesen Prozess offen und fair mit. Lassen Sie uns eine moderne, bürger- und wirtschaftsfreundliche Verwaltung
  89. schaffen, die finanzierbar bleibt und die für Sie ein guter
  90. Arbeitgeber ist.
  91. Ich wünsche uns und unserem Freistaat Sachsen einen
  92. guten Start in die zweite Dekade des 21. Jahrhunderts.
  93. Mit herzlichen Grüßen, Ihr
  94. …“
  95. 4
  96. Der Antragsteller erhob mit Schreiben vom 29. Juli 2010 Widerspruch
  97. gegen den „Weihnachtsbrief“. Am 16. August 2010 teilte ihm die Sächsische
  98. Staatskanzlei mit, es werde kein Handlungsbedarf gesehen. Die Rundmail beinhalte ersichtlich keinen einem Widerspruch zugänglichen Verwaltungsakt.
  99. 5
  100. Mit seinem am 16. Dezember 2010 beim Dienstgericht für Richter eingegangenen Antrag begehrt der Antragsteller die Feststellung, dass er über den
  101. 17. Dezember 2009 hinaus zum Antragsgegner in einem Amtsverhältnis als
  102. Richter stehe sowie die Feststellung der Unzulässigkeit einzelner Formulierungen in dem Weihnachtsbrief vom Advent 2009.
  103. 6
  104. Der Antragsteller hat seinen als Statusfeststellungsantrag bezeichneten
  105. Antrag im Wesentlichen damit begründet, das E-Mailschreiben sei an ihn in
  106. seiner ausdrücklich so bezeichneten Funktion als Mitarbeiter der Sächsischen
  107. Landesverwaltung gerichtet gewesen. Angesichts der Anrede und der eindeutigen Formulierung sei ihm sein verfassungsrechtlicher Status als unabhängiger
  108. Richter durch das Schreiben des Ministerpräsidenten entzogen und ihm eine
  109. -6-
  110. Tätigkeit als „Mitarbeiter der Sächsischen Landesverwaltung“ übertragen worden. Diese Maßnahme sei mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig und verstoße
  111. gegen die Verfassung des Freistaats Sachsen. Sie beseitige die Rechtsprechung als eigenständige dritte Gewalt und gliedere das dortige „Personal“, insbesondere die Richterschaft einschließlich des Antragstellers als nunmehr weisungsgebundene Mitarbeiter in die Exekutive ein. Die dienstgerichtliche Feststellung, dass er über den 17. Dezember 2009 hinaus in einem Richterverhältnis und nicht in einem Beschäftigungsverhältnis als Mitarbeiter der Landesverwaltung stehe, sei erforderlich. Die angefochtene Verfügung gehe über bloße
  112. Weihnachtswünsche hinaus und ziele auf die vollständige Eingliederung der
  113. dritten Gewalt in die Exekutive und damit deren Beseitigung als Staatsgewalt.
  114. Nach Art. 66 Satz 1 der Verfassung des Freistaats Sachsen sei der Ministerpräsident für die Entlassung der Richter und Ernennung der Beamten auch zuständig. Der Qualifizierung der E-Mail als Maßnahme der Dienstaufsicht stehe
  115. nicht entgegen, dass der Ministerpräsident zur Dienstaufsicht über Richter nicht
  116. befugt sei.
  117. 7
  118. Auch sei er nicht bereit, die unzulässigen Eingriffe in seine richterliche
  119. Unabhängigkeit durch das E-Mailschreiben hinzunehmen. Er solle „unsere politischen Ideen umzusetzen“, mithin die Vorstellungen der CDU und FDP, und
  120. seine Rechtsprechung solle nicht mehr Gesetz und Recht unterworfen sein,
  121. sondern vorrangig am Kriterium der Wirtschaftsfreundlichkeit ausgerichtet werden. Für einen Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit bedeute dies, dass er den
  122. Interessen der Arbeitgeber entgegenzukommen habe.
  123. 8
  124. 8
  125. Der Antragsteller hat beantragt
  126. festzustellen, dass er über den 17. Dezember 2009 hinaus zu dem Antragsgegner in einem Amtsverhältnis als
  127. Richter auf Lebenszeit (Richter am Arbeitsgericht) steht,
  128. -7-
  129. festzustellen, dass es sich bei den Ausführungen des Vertreters des Antragsgegners in dem Schreiben „Advent
  130. 2009“ um unzulässige Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit handelt, sofern es dort heißt:
  131. 1.
  132. „Wir haben die Wahlen auch deshalb gewonnen,
  133. weil Sie in der Verwaltung unsere politischen Ideen
  134. umsetzen.“
  135. 2.
  136. „Ich danke Ihnen ganz persönlich für Ihren Anteil am
  137. erfolgreichen Wahljahr 2009.“
  138. 3.
  139. „Lassen Sie uns eine moderne (…) wirtschaftsfreundliche Verwaltung schaffen.“
  140. 9
  141. Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
  142. 10
  143. Das Dienstgericht für Richter hat mit Gerichtsbescheid vom 19. April
  144. 2012 den Statusfeststellungsantrag als unzulässig zurückgewiesen und den
  145. Prüfungsantrag für unbegründet gehalten. Soweit es den Statusantrag betreffe,
  146. fehle dem Antragsteller das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Es sei nicht
  147. ersichtlich, dass der Antragsgegner oder eine Behörde des Antragsgegners die
  148. Rechtsstellung des Antragstellers als Richter am Arbeitsgericht und die Fortdauer seines Richterverhältnisses zum Freistaat Sachsen in Zweifel gezogen
  149. hätten. Der Antragsgegner habe im Rahmen des vorliegenden Prüfungsverfahrens mehrfach erklärt und zum Ausdruck gebracht, dass das Amtsverhältnis
  150. des Antragstellers als Richter durch den angegriffenen Weihnachtsbrief nicht
  151. berührt worden sei. Ein Feststellungsinteresse habe der Antragsteller nicht dargetan. Der zulässige Prüfungsantrag sei unbegründet. Das E-Mailschreiben
  152. stelle keine Maßnahme der Dienstaufsicht dar, die in die richterliche Unabhängigkeit des Antragstellers eingreifen könnte.
  153. 11
  154. Mit der Revision verfolgt der Antragsteller seine ursprünglichen Anträge
  155. weiter und rügt neben der Verletzung materiellen Rechts die nicht ordnungs-
  156. 11
  157. -8-
  158. gemäße Besetzung des Dienstgerichts für Richter und die Unzulässigkeit der
  159. Entscheidung durch Gerichtsbescheid. Der Antragsgegner begehrt die Zurückweisung der Revision.
  160. Entscheidungsgründe:
  161. 12
  162. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen
  163. Gerichtsbescheids und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Dienstgericht für Richter.
  164. 13
  165. I. Das Dienstgericht für Richter hat über die Anträge rechtsfehlerhaft ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 84 VwGO entschieden. Nach §§ 83, 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG und § 45 Abs. 1 Satz 1 SächsRiG gelten für das Verfahren nach § 34 Nr. 3 und 4 SächsRiG (Prüfungsverfahren) die
  166. Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend. Die angeordnete
  167. entsprechende Geltung der Verwaltungsgerichtsordnung erfasst entgegen der
  168. Auffassung des Dienstgerichts den Gerichtsbescheid nach § 84 VwGO nicht.
  169. Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheids und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung
  170. und Entscheidung an das Dienstgericht für Richter, § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG
  171. i.V.m. § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO. Auf die von der Revision geltend gemachten Besetzungs- und materiell-rechtlichen Rügen kommt es nicht an.
  172. 14
  173. 1. Die durch §§ 83, 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG und § 45 Abs. 1 Satz 1
  174. SächsRiG bestimmte sinngemäße bzw. entsprechende Geltung der Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung für das Verfahren nach § 34 Nr. 3 und 4
  175. SächsRiG (Prüfungsverfahren) erfasst den Gerichtsbescheid nach § 84 VwGO
  176. nicht.
  177. -9-
  178. 15
  179. a) Nach § 83 DRiG sind durch den Landesgesetzgeber Disziplinarverfahren, Versetzungsverfahren und Prüfungsverfahren entsprechend § 63 Abs. 2,
  180. § 64 Abs. 1, §§ 65 bis 68 DRiG zu regeln. Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG gelten
  181. für die Prüfungsverfahren die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung
  182. sinngemäß. Diese bundesrechtlichen Vorgaben setzt § 45 Abs. 1 SächsRiG
  183. um, indem es u.a. für die Prüfungsverfahren nach § 34 Nr. 3 und Nr. 4 SächsRiG die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung für entsprechend anwendbar erklärt, soweit das Sächsische Richtergesetz nichts anderes bestimmt.
  184. Die Vorschriften des II. Teiles der Verwaltungsgerichtsordnung sind demnach
  185. mit Ausnahme des 8. Abschnitts über die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sinngemäß bzw. entsprechend anwendbar (vgl. für das DRiG: SchmidtRäntsch, Deutsches Richtergesetz, 6. Aufl., § 65 Rn. 5), nicht jedoch die Bestimmung des § 84 VwGO über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
  186. durch Gerichtsbescheid.
  187. 16
  188. b) Zwar lässt der Wortlaut von § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG und § 45 Abs. 1
  189. Satz 1 SächsRiG auch eine Auslegung zu, wonach die Anordnung der sinngemäßen bzw. entsprechenden Geltung der Verwaltungsgerichtsordnung die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 84 VwGO erfasst. Die rahmenrechtlich gem.
  190. § 83 DRiG in Verbindung mit § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG vorgegebene sinngemäße Geltung der Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung bedeutet aber
  191. deren Anwendbarkeit nur, soweit diese sich mit der Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens im Deutschen Richtergesetz vereinbaren lässt (BGH, Urteil
  192. vom 29. März 2000 - RiZ(R) 4/99, BGHZ 144, 123, 130). Die Gesetzgebungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Regelung sprechen dafür, die Bestimmung über den Gerichtsbescheid als von der entsprechenden bzw. sinngemäßen Anwendung der Verwaltungsgerichtsordnung nicht erfasst anzusehen.
  193. - 10 -
  194. 17
  195. aa) Die Möglichkeit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
  196. durch Gerichtsbescheid wurde durch Art. 2 § 1 des Gesetzes zur Entlastung
  197. der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978
  198. (BGBl. I S. 446) geschaffen. Dadurch sollte der akuten Überlastung der Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie des Bundesdisziplinargerichts, und
  199. damit ganz bestimmter Gerichte, durch zeitlich begrenzte Maßnahmen entgegengewirkt werden. Es sollte insbesondere der langen Verfahrensdauer der
  200. dort anhängigen Verfahren begegnet und diesen Gerichten die Möglichkeit gegeben werden, ihre Rückstände zu erledigen (vgl. BT-Drucks. 8/842 S. 7 f.).
  201. 18
  202. Mit Wirkung ab dem 1. Januar 1991 wurde der Gerichtsbescheid in § 84
  203. VwGO in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
  204. - 4. VwGO-ÄndG - vom 17. Dezember 1990, BGBl. I S. 2809) als Dauerrecht in
  205. die Verwaltungsgerichtsordnung übernommen (vgl. Eyermann/Geiger, VwGO,
  206. 13. Aufl., § 84 Rn. 1). Der Gesetzgeber wollte mit der Einfügung des Gerichtsbescheids in die Verwaltungsgerichtsordnung und der gleichzeitig erfolgten Einfügung in die Bundesdisziplinarordnung (vgl. § 70a BDO) der besonderen Belastungssituation dieser Gerichte dauerhaft begegnen. Der Gerichtsbescheid
  207. nach Art. 2 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungsund Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 (BGBl. I S. 446) habe sich bewährt und als besonders wirkungsvolle Entlastungsmaßnahme für die Verwaltungsgerichte erwiesen (BR-Drucks. 135/90 S. 77 f). Es ist aber nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber damit zugleich den Dienstgerichten für Richter, für
  208. die er ein solches Entlastungsbedürfnis ersichtlich nicht geprüft hat, diese Entscheidungsform zur Verfügung stellen wollte.
  209. - 11 -
  210. 19
  211. bb) Der Gesamtzusammenhang sowie der Sinn und Zweck der Regelungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG und des § 45 Abs. 1 SächsRiG sprechen
  212. dafür, den Gerichtsbescheid nach § 84 VwGO als von der entsprechenden
  213. bzw. sinngemäßen Anwendung nicht erfasst anzusehen. Das dienstgerichtliche
  214. Prüfungsverfahren dient der Sicherung der Unabhängigkeit der Richter. Der
  215. Gesetzgeber hat diesem in Art. 97 GG verfassungsrechtlich verankerten Prinzip
  216. besondere Bedeutung beigemessen und das dienstgerichtliche Verfahren im
  217. Deutschen Richtergesetz gesondert geregelt. Der Besonderheit des Prüfungsverfahrens als eigenständiges, durch die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 Abs. 1 GG) bestimmtes Verfahren ist bei der
  218. Festlegung des Umfangs, in dem die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung (sinngemäß) anzuwenden sind, Rechnung zu tragen (vgl. BGH, Urteil
  219. vom 31. Januar 1984 - RiZ(R) 4/83, BGHZ 90, 34, 36). Dabei ist für die hier
  220. maßgebliche Frage, ob im Prüfungsverfahren durch Gerichtsbescheid entschieden werden kann, weiter zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber das
  221. Prüfungsverfahren wie auch das Versetzungsverfahren dadurch gegenüber den
  222. sonstigen dienstgerichtlichen Verfahren hervorgehoben hat, dass nach § 80
  223. Abs. 2 DRiG in Versetzungs- und Prüfungsverfahren stets eine Zulassung der
  224. Revision zum Dienstgericht des Bundes vorgesehen ist. Demgegenüber ist in
  225. Disziplinarverfahren nach § 81 DRiG der Zugang zur Revisionsinstanz - vorbehaltlich der grundsätzlichen landesrechtlichen Eröffnung der Revision in Disziplinarsachen (vgl. § 79 Abs. 3 DRiG) - auf die Fälle grundsätzlicher Bedeutung
  226. und Divergenz begrenzt (§ 81 Abs. 1 Nr. 1 und 2 DRiG) und der Rechtsbehelf
  227. der Nichtzulassungsbeschwerde vorgesehen (§ 81 Abs. 2 DRiG). Der stetigen
  228. Zulassung der Revision zum Dienstgericht des Bundes lässt sich die Wertung
  229. des Gesetzgebers entnehmen, dass die Versetzungs- und Prüfungsverfahren
  230. aus seiner Sicht grundsätzlich sehr bedeutsam sind (vgl. schon Schmidt-
  231. - 12 -
  232. Räntsch, Deutsches Richtergesetz, 1. Aufl. 1962, § 80 Rn. 4) und er die Bildung einer bundeseinheitlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung außerhalb
  233. der jeweiligen Bundesländer für geboten hält (vgl. Schmidt-Räntsch, Deutsches
  234. Richtergesetz, 6. Aufl., Einleitung Rn. 41a). Die Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist dagegen nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur für Streitfälle vorgesehen, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einfach gelagert sind. Die
  235. Bestimmung des § 84 VwGO steht daher schon von ihrem grundsätzlichen Anwendungsbereich her in Widerspruch zur Besonderheit und Bedeutung des
  236. dienstgerichtlichen Prüfungsverfahrens.
  237. 20
  238. cc) Weiter ist zu beachten, dass den Dienstgerichten und - soweit landesrechtlich in Prüfungsverfahren vorgesehen - den Dienstgerichtshöfen die
  239. tatrichterliche Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts obliegt,
  240. die vom Dienstgericht des Bundes als Revisionsgericht nur in einem eingeschränkten Umfang überprüft werden kann (vgl. etwa BGH, Urteil vom
  241. 16. Dezember 2010 - RiZ(R) 2/10, BGHZ 188, 20 Rn. 32 ff.). Das Dienstgericht
  242. des Bundes ist an die vom Tatrichter getroffenen tatsächlichen Feststellungen
  243. gebunden, es sei denn, dass zulässige und begründete Revisionsgründe gegen
  244. diese Feststellungen vorgebracht werden, § 82 Abs. 2 DRiG. Die Revision kann
  245. nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm beruht, § 80 Abs. 3 DRiG.
  246. Will die Revision beispielsweise beanstanden, wie das Dienstgericht eine Maßnahme der Dienstaufsicht i.S.v. § 26 Abs. 3 DRiG in tatsächlicher Hinsicht gewürdigt, etwa eine bestimmte Formulierung in einer dienstlichen Beurteilung
  247. oder einem Schreiben einer dienstaufsichtführenden Stelle verstanden hat,
  248. muss sie einen Rechtsfehler des Tatrichters aufzeigen und darf nicht ausschließlich das aus ihrer Sicht zutreffende Verständnis der Maßnahme an die
  249. Stelle der Würdigung des Tatrichters setzen (vgl. dazu nur BGH, Urteil vom
  250. - 13 -
  251. 14. April 1997 - RiZ(R) 1/96, DRiZ 1997, 467, 469). Auch wegen dieses eingeschränkten Überprüfungsmaßstabs in der Revisionsinstanz ist es geboten, dem
  252. Antragsteller eines Prüfungsverfahrens die Möglichkeit einer mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu eröffnen, damit er dort durch seinen
  253. mündlichen Vortrag und das Rechtsgespräch mit dem Dienstgericht und dem
  254. Antragsgegner seine Sichtweise mündlich erläutern kann. Soweit nach § 84
  255. Abs. 2 Nr. 2, 4 und 5 VwGO die Beteiligten nach einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid unter bestimmten Voraussetzungen mündliche Verhandlung beantragen können, sind die Voraussetzungen dieser Bestimmungen wegen der
  256. uneingeschränkten Eröffnung der Revision in Prüfungsverfahren nicht gegeben.
  257. 21
  258. 2. Danach konnte das Dienstgericht für Richter das vorliegende Prüfungsverfahren nicht durch Gerichtsbescheid nach § 84 VwGO entscheiden.
  259. Der Gerichtsbescheid ist von der Verweisung in §§ 83, 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG
  260. bzw. § 45 Abs. 1 Satz 1 SächsRiG nicht erfasst. Das Dienstgericht hat für die
  261. angefochtene Entscheidung mit dem Gerichtsbescheid folglich eine Entscheidungsform gewählt, die das dienstgerichtliche Verfahrensrecht nicht vorsieht.
  262. Dieser Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheids und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung
  263. und Entscheidung, § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
  264. VwGO.
  265. 22
  266. II. Für das weitere Verfahren vor dem Dienstgericht weist der Senat darauf hin, dass die Annahme des Dienstgerichts, hinsichtlich des Statusantrags
  267. sei das erforderliche Vorverfahren durchgeführt, der Antrag jedoch mangels
  268. Rechtsschutzinteresse unzulässig, nicht fernliegend ist und Rechtsfehler nicht
  269. erkennen lässt. Darüber hinaus wird das Dienstgericht ggf. zu prüfen haben, ob
  270. - 14 -
  271. der Antragsteller für ein Prüfungsverfahren nach § 34 Nr. 3 Buchst. c SächsRiG
  272. überhaupt antragsbefugt ist (vgl. § 48 SächsRiG).
  273. 23
  274. Soweit es die Prüfungsanträge nach § 34 Nr. 4 SächsRiG betrifft, weist
  275. der Senat darauf hin, dass ein Prüfungsantrag nur dann zulässig ist, wenn eine
  276. Maßnahme der Dienstaufsicht i.S.v. § 26 Abs. 3 DRiG vorliegt (vgl. BGH, Urteil
  277. vom 15. November 2007 - RiZ(R) 4/07, NJW 2008, 1448 Rn. 24) und nachvollziehbar dargelegt ist, dass diese Maßnahme die richterliche Unabhängigkeit
  278. beeinträchtigt (BGH, Urteil vom 20. Januar 2011 - RiZ(R) 1/10, NJW-RR 2011,
  279. 700 Rn. 22; Urteil vom 3. November 2004 - RiZ(R) 2/03, DRiZ 2005, 83). Nach
  280. ständiger Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes genügt dazu die
  281. schlichte - nachvollziehbare - Behauptung einer Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit (vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Februar 2013 - RiZ 3/12
  282. Rn. 16, juris; Urteil vom 3. Dezember 2009 - RiZ(R) 1/09 Rn. 44, juris; Urteil
  283. vom 24. November 1994 - RiZ(R) 4/94, NJW 1995, 731, 732). Die Frage, ob die
  284. beanstandeten Maßnahmen tatsächlich so wie behauptet vorgenommen worden sind und die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen, ist eine Frage der
  285. Begründetheit des Prüfungsantrags. Das Dienstgericht für Richter wird deshalb
  286. insbesondere zu prüfen haben, ob in dem Weihnachtsbrief des Ministerpräsidenten an alle Mitarbeiter des Freistaats überhaupt eine Maßnahme der
  287. Dienstaufsicht erblickt werden kann und diese einen Bezug zur spruchrichterlichen Tätigkeit des Antragstellers hat.
  288. 24
  289. III. Das Dienstgericht für Richter wird auch über die Kosten der Revision
  290. zu entscheiden haben. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
  291. 78.510,58 Euro festgesetzt. Der Antragsteller hat mit dem Statusantrag ein Verfahren über das Bestehen eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnisses auf Lebenszeit anhängig gemacht. Für den Streitwert sind insoweit nach
  292. - 15 -
  293. § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG der 13fache Betrag des Endgrundgehalts i.H.v.
  294. 5.654,66 Euro und damit 73.510,58 Euro anzusetzen. Für den Antrag zu 2 sind
  295. 5.000,00 Euro gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG festzusetzen. Die
  296. Werte sind nach § 39 Abs. 1 GKG zusammenzurechnen.
  297. Bergmann
  298. Safari Chabestari
  299. Reinfelder
  300. Drescher
  301. Spinner
  302. Vorinstanzen:
  303. Dienstgericht für Richter beim LG Leipzig, Entscheidung vom 19.04.2012
  304. - 66 DG 10/10 -