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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. NotSt (Brfg) 3/02
  5. Verkündet am:
  6. 10. März 2003
  7. Freitag
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Disziplinarverfahren
  12. gegen
  13. -2-
  14. Der Bundesgerichtshof, Senat für Notarsachen, hat in der Sitzung vom
  15. 10. März 2003, an der teilgenommen haben:
  16. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Rinne
  17. als Vorsitzender,
  18. die Richter am Bundesgerichtshof Seiffert und Dr. Kurzwelly
  19. sowie die Notare Dr. Lintz und Eule
  20. als beisitzende Richter
  21. Bundesanwalt Dr. Schnarr
  22. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  23. Rechtsanwalt Lütz-Binder aus Landau/Pfalz,
  24. Rechtsanwalt Dr. Bracher aus Bonn und
  25. Rechtsanwalt Dr. Kleine-Cosack aus Freiburg
  26. als Verteidiger,
  27. Justizamtsinspektor Freitag
  28. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
  29. für Recht erkannt:
  30. 1. Auf die Berufung des Notars wird das Urteil des Notarsenats
  31. des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 10. Juni
  32. 2002 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und wie folgt gefaßt:
  33. -3-
  34. Der Notar ist eines (einheitlichen) Dienstvergehens schuldig.
  35. Gegen ihn werden ein Verweis und eine Geldbuße von
  36.   
  37. 15.000,00
  38. 2. Der Notar hat die Kosten des Disziplinarverfahrens erster Instanz einschließlich derjenigen des behördlichen Verfahrens zu
  39. tragen.
  40. 3. Die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem Notar darin
  41. entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse
  42. und dem Notar je zur Hälfte zur Last.
  43. Von Rechts wegen
  44. Gründe:
  45. I.
  46. Das Oberlandesgericht hat den Notar wegen mehrfacher Verletzung
  47. dienstlicher Pflichten eines - einheitlichen - Dienstvergehens für schuldig befunden und gegen ihn auf Entfernung aus dem Amt erkannt. Dagegen richtet sich
  48. die gemäß § 105 BNotO i.V.m. §§ 80 ff. BDO zulässige, zunächst unbeschränkt
  49. eingelegte Berufung des Notars, mit der er die Einstellung des Disziplinarverfahrens, hilfsweise einen Freispruch erstrebt hat. In der Berufungshauptver-
  50. -4-
  51. handlung hat der Notar sodann mit Zustimmung des Vertreters der Bundesanwaltschaft seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das solchermaßen beschränkte Rechtsmittel hat dahingehend Erfolg, daß nicht auf
  52. Entfernung aus dem Amt, sondern lediglich auf Verweis und Geldbuße zu erkennen ist.
  53. II.
  54. 1. Die Beschränkung der Berufung ist - was von Amts wegen zu prüfen
  55. war - wirksam. Insbesondere besteht ein zur Einstellung des Disziplinarverfahrens zwingendes Verfahrenshindernis gemäß §§ 109 BNotO, 76 Abs. 3, 64
  56. Abs. 1 Nr. 1 BDO nicht.
  57. a) Die Disziplinarklage in Verbindung mit dem Nachtragsschriftsatz vom
  58. 13. Juli 2001 genügt den an eine ordnungsgemäße Anschuldigungsschrift zu
  59. stellenden Anforderungen (§ 109 BNotO i.V.m. § 65 BDO bzw. § 61 Abs. 2
  60. LDG). Zumindest nach der Präzisierung im Nachtragsschriftsatz, der entgegen
  61. der Ansicht des Notars keine Nachtragsanklage darstellt, ist das dem Notar
  62. vorgeworfene, "in täglicher Praxis begangene Fehlverhalten" in den Ämtern
  63. G.
  64. und M.
  65. zeitlich und örtlich begrenzt und bezüglich der Art
  66. der fehlerhaften Dienstverrichtung ausreichend präzise dargelegt.
  67. b) Der strafgerichtliche Freispruch des Landgerichts F.
  68. (Urt. v.
  69. 21. Dezember 2000 - 1 KLs - 5470 Js 14560/97) stellt ebenfalls kein Prozeßhindernis für das Disziplinarverfahren dar, weil ein sog. disziplinarischer Überhang besteht (vgl. § 17 Abs. 5 BDO). Das gilt - abgesehen davon, daß das
  70. Strafurteil die Vorfälle im Amt G.
  71. schränkung auf die Vorgänge in M.
  72. aufgrund der dortigen Verfahrensbenicht betraf - für sämtliche An-
  73. -5-
  74. schuldigungen im Disziplinarverfahren, weil die danach in Betracht kommenden
  75. etwaigen Verstöße gegen § 30 Abs. 3 DONot a.F., § 25 Abs. 1 BNotO a.F. und
  76. § 44 BeurkG sich im Verhältnis zu dem Gegenstand des Strafverfahrens auf
  77. unterschiedlicher Ebene bewegen; derartige disziplinarrechtliche Verstöße begründen nicht zwangsläufig eine Strafbarkeit nach §§ 348, 267, 274, 133 StGB.
  78. 2. Infolge der wirksamen Berufungsbeschränkung sind der Schuldspruch
  79. und die diesem zugrundeliegenden - die Bindungswirkung des freisprechenden
  80. Strafurteils gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 LDG/§ 18 Abs. 1 Satz 1 BDO berücksichtigenden - Feststellungen des Urteils des Oberlandesgerichts in Rechtskraft
  81. erwachsen. Der Senat hatte daher von folgendem auszugehen:
  82. a) Nach den Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil verfuhr der Notar bei den Beurkundungen im Notariat M.
  83. in der Regel in der Weise,
  84. daß er die vorbereiteten Entwürfe der Niederschrift mit den Mandanten besprach und sie - falls notwendig - inhaltlich, stilistisch und orthographisch handschriftlich änderte, ohne aber Randvermerke über die Abänderungen anzubringen. Danach verlas er die Entwürfe und ließ die Mandanten auf einem gesonderten Blatt unterschreiben, das den Vermerk trug: "Vorgelesen vom Notar, von
  85. den Beteiligten genehmigt und eigenhändig unterschrieben". Seine eigene Unterschrift setzte er unter die Unterschriften der Mandanten, woraufhin er sie entließ. Bevor er die Entwürfe mit den Unterschriftenblättern in den Geschäftsgang
  86. gab, ließ er von den Banddiktaten der Entwürfe Reinschriften ausdrucken, die
  87. er mit den Entwürfen verglich. Es kam vor, daß er die Reinschriften abermals
  88. verbesserte und sie dann nochmals ausdrucken ließ, bis sie seine Zufriedenheit
  89. gefunden hatten. Die Entwürfe wurden mit den Ausdrucken ("Reinschriften")
  90. sowie mit den Unterschriftenblättern durch eine Büroklammer verbunden und
  91. den Sachbearbeitern übergeben, die ihre Begleitverfügungen anhefteten. Die
  92. -6-
  93. Schreibkräfte verbanden mittels Heftrücken die Ausdrucke mit den Unterschriftenblättern und legten die Entwürfe daneben in der Aktenmappe ab. Die Ausfertigungen und Abschriften wurden aus den Reinschriften und den Unterschriftenblättern gefertigt und abgesandt. Nach Anfertigung oder auch erst nach
  94. Absendung der Ausfertigungen und Abschriften wurden die Reinschriften gesiegelt und mit den Unterschriftenblättern vernäht. Die Entwürfe wurden in den
  95. Nebenakten abgelegt. In den Fällen, in denen noch Zustimmungserklärungen
  96. und Unbedenklichkeitsbescheinigungen einzuholen waren, geschah die Siegelung und Vernähung erst, wenn die Erklärungen und Bescheinigungen eingegangen waren. Wenn ausnahmsweise - wie z.B. bei kurzen Beurkundungen die Ausdrucke aus den Entwürfen schon vorlagen, bevor die Mandanten die
  97. beurkundeten Erklärungen genehmigten und unterschrieben, wurden die Entwürfe sogleich vernichtet. Das Zusammenheften der nicht vorgelesenen und
  98. genehmigten, sondern erst später erstellten Reinschriften mit den Unterschriftenblättern, das Vernähen der Reinschriften mit den Unterschriftenblättern und
  99. das Ablegen der vorgelesenen und von den Mandanten genehmigten Entwürfe
  100. in den Nebenakten geschah auf allgemeine Weisung des Notars. Am 22. April
  101. 1997 führte der Landgerichtspräsident eine Geschäftsprüfung im Notariat
  102. M.
  103. durch und beanstandete die bisherige Beurkundungspraxis des Notars
  104. dahin, daß es nicht angehe, die Unterschriftenblätter mit den "Reinschriften" zu
  105. verbinden und die handschriftlich verbesserten Entwürfe ("Urschriften") getrennt
  106. und in den Nebenakten zu verwahren. Auf Veranlassung des Notars wurden in
  107. mindestens 105 Fällen die mit den Reinschriften vernähten Unterschriftenblätter
  108. durch die Schreibkräfte von den Reinschriften wieder getrennt und statt dessen
  109. mit den Urschriften, die zu diesem Zweck aus den Nebenakten herausgenommen wurden, mitsamt den Reinschriften neu vernäht und gesiegelt. Die Reinschriften wurden mit dem eigens angefertigten Stempel "maschinelle Rein-
  110. -7-
  111. schrift" und die Urschriften mit dem ebenfalls eigens angefertigten Stempel
  112. "Urschrift" versehen.
  113. Insgesamt konnte nicht festgestellt werden, daß die mit den Unterschriftenblättern verbundenen, nicht vorgelesenen und von den Mandanten nicht genehmigten Reinschriften inhaltlich etwas anderes besagten, als die vom Notar
  114. handschriftlich verbesserten und von den Mandanten genehmigten und auf gesonderten Seiten unterschriebenen Entwürfe.
  115. b) Die Vorgehensweise des Notars bei seinen Beurkundungen im Amt
  116. M.
  117. entsprach seiner zuvor im Amt G.
  118. praktizierten Handha-
  119. bung. Auch während der Tätigkeit des Notars in G.
  120. wurde nicht nur in
  121. einzelnen Fällen, sondern in großer Zahl regelmäßig wiederkehrend die jeweilige gesiegelte und mit den gesonderten Unterschriftsblättern vernähte Reinschrift erst nach Unterschriftsleistung hergestellt, während der jeweilige tatsächlich verlesene und bei Unterzeichnung vorhandene, handschriftlich geänderte Entwurf nicht Bestandteil der gesiegelten und vernähten Urkunde wurde.
  122. Während
  123. der
  124. sog.
  125. "Container-Aktion"
  126. vor
  127. der
  128. Geschäftsprüfung
  129. vom
  130. 27. November 1996 wurden derartige in den Nebenakten abgelegten Teile der
  131. "Urschriften" mit den handschriftlichen Änderungen - sofern dies nicht zum Teil
  132. schon zuvor alsbald nach dem Vollzug der Urkunde geschehen war - vernichtet,
  133. so daß bei der anschließenden Geschäftsprüfung die Geschäftsvorgänge schon
  134. äußerlich keinen Anlaß zu Beanstandungen gaben.
  135. 3. Nach den getroffenen Feststellungen hat der Notar zumindest grob
  136. fahrlässig gegen § 30 Abs. 3 DONot a.F. (Fassung v. 20. Dezember 1984) dadurch verstoßen, daß er bei seinen Beurkundungen sowohl in M.
  137. auch in G.
  138. als
  139. in großem Umfang handschriftliche Zusätze und erhebliche
  140. -8-
  141. Änderungen vorgenommen hat, ohne diese am Ende der Urkunde vor den Unterschriften oder am Rande zu vermerken und besonders zu unterzeichnen. Er
  142. hat auch fortlaufend grob fahrlässig und leichtfertig gegen die Sollvorschrift des
  143. § 44 Satz 1 BeurkG verstoßen, indem er nicht die jeweils aus mehreren Blättern
  144. bestehende Urschrift der Niederschrift (Originaltext mit handschriftlichen Änderungen sowie Unterschriftsblatt), sondern die erst nach Unterschriftsleistung
  145. gefertigten maschinellen Reinschriften und das Originalunterschriftsblatt mit
  146. Schnur und Prägesiegel verbunden und in die Verwahrung genommen hat.
  147. Zugleich hat er dadurch gegen die ihm obliegende Verpflichtung aus § 25
  148. Abs. 1 BNotO a.F. (jetzt: § 45 Abs. 1 BeurkG) verstoßen, die Urschrift der von
  149. ihm errichteten notariellen Urkunden zu verwahren.
  150. Der Notar hat auch schuldhaft gehandelt. Wenn er etwa unzutreffend
  151. subsumiert oder sich aufgrund unzureichender Auseinandersetzung mit den
  152. seine Amtspflichten regelnden Vorschriften zu seiner Handlungsweise für berechtigt gehalten haben sollte, so würde das sein Verschulden nicht entfallen
  153. lassen. Bei gehörigem Nachdenken oder auch der gebotenen Nachfrage bei
  154. der zuständigen Notarkammer hätte er ohne weiteres zu der Erkenntnis gelangen können und müssen, daß er durch seine Handlungsweise die ihm gemäß
  155. § 30 DONot a.F., § 44 BeurkG und § 25 BNotO a.F. obliegenden Amtspflichten
  156. verletzte.
  157. III.
  158. Zu den persönlichen Verhältnissen und zum beruflichen Werdegang des
  159. Notars sowie zum bisherigen Verfahrensablauf - insbesondere auch hinsichtlich
  160. der seit dem 24. Juni 1997 andauernden vorläufigen Amtsenthebung des Notars - und zu dem gegen ihn geführten, mit einem Freispruch rechtskräftig ab-
  161. -9-
  162. geschlossenen Strafverfahren hat die Berufungshauptverhandlung im wesentlichen zu denselben Feststellungen wie in erster Instanz geführt; auf die Darstellung unter I. der Gründe des angefochtenen Urteils wird daher Bezug genommen. Ergänzend hat die Anhörung des Notars in der Berufungshauptverhandlung ergeben, daß er während der Dauer der vorläufigen Amtsenthebung
  163. einen monatlichen Unterhaltsbeitrag (80 % des Richtergehalts der Besoldungsstufe R 1) von der Notarkasse erhalten hat; ansonsten haben ihm und seiner
  164. Ehefrau lediglich noch das von dieser als Lehrerin verdiente Gehalt für die Lebensführung zur Verfügung gestanden. Sie wohnen in einer ihnen zu Eigentum
  165. gehörenden Wohnung und haben - trotz hoher Anwaltskosten - bislang keine
  166. Schulden.
  167. IV.
  168. Die festgestellten Dienstpflichtverletzungen des Notars sind als einheitliches Dienstvergehen zu ahnden (§ 95 BNotO).
  169. Nachdem der Notar wegen der ihm angelasteten Beurkundungspraktiken
  170. im Strafverfahren von dem Vorwurf der Falschbeurkundung im Amt gemäß
  171. § 348 StGB - und damit zugleich von den ebenfalls in Betracht kommenden
  172. Vorwürfen der Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB und der Urkundenvernichtung gemäß § 274 StGB - freigesprochen worden ist, hält der Senat zur
  173. Ahndung des verbliebenen disziplinarischen Überhangs in Form schuldhafter
  174. Verstöße gegen § 30 Abs. 3 DONot a.F., § 44 BeurkG und § 25 BNotO a.F.
  175. unter Berücksichtigung der Gesamtumstände - anders als das Oberlandesgericht - die Entfernung des Notars aus dem Amt als schwerste Disziplinarmaßnahme gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1, 3. Variante BNotO nicht für geboten.
  176. - 10 -
  177. Allerdings ist die aufgezeigte Beurkundungspraxis des Notars als
  178. schwerwiegendes Dienstvergehen zu bewerten. Sie ist nicht lediglich ein "formaler" Rechtsverstoß, sondern betrifft einen Bereich, der wegen der Bedeutung
  179. für die vorsorgende Rechtspflege die uneingeschränkte Korrektheit der Amtsführung, insbesondere die strikte Beachtung der für das Beurkundungswesen
  180. geltenden Vorschriften erfordert. Durch das vom Notar praktizierte Verfahren
  181. wird zwar nicht die Wirksamkeit der errichteten Urkunden, wohl aber deren Beweiskraft in Frage gestellt. Hinsichtlich des Amtes in G.
  182. läßt sich nicht
  183. sicher ohne weiteres feststellen, ob die gesiegelten und vernähten Texte in der
  184. Urkundensammlung die vorgelesenen und unterschriebenen Niederschriften,
  185. also die Urschriften, darstellen oder ob es sich um eine nachträglich erstellte
  186. Reinschrift, nur verbunden mit dem Original des Unterschriftsblattes handelt. Im
  187. letztgenannten Fall ist zudem ein Vergleich mit den eigentlichen Urschriften
  188. nicht mehr möglich, da diese zumindest zum überwiegenden Teil aus den Nebenakten entfernt worden sind. Ähnliches gilt aber auch für die Amtsführung
  189. des Notars in M.
  190. . Insoweit hat er zwar versucht, durch die Herstellung
  191. der sog. Doppelpacks seinen Fehler zu korrigieren. Das ist ihm im Ergebnis
  192. jedoch nicht vollständig gelungen, weil nach seiner eigenen zuletzt vorgebrachten Darstellung auch in manchen Fällen die Reinschrift bereits vor der
  193. Unterzeichnung durch die Beteiligten erstellt gewesen sein soll. Demzufolge
  194. mußten sich in den Nebenakten zwangsläufig nur die Konzepte neben solchen
  195. Niederschriften befunden haben, die den Beteiligten zur Unterschrift vorgelegt
  196. worden waren. Beide Arten sind äußerlich nicht voneinander zu unterscheiden.
  197. Es ist daher nicht auszuschließen, daß bei der Herstellung der sog. Doppelpacks auch Urkunden erfaßt worden sind, bei denen in Wahrheit die Reinschrift
  198. bereits vor der Unterzeichnung vorlag. Danach hat der Notar in solchen Fällen
  199. Urschriften aufgelöst und zu "maschinellen" Reinschriften gemacht. Berücksichtigt man zudem, daß die Vorschrift des § 30 Abs. 3 DONot a.F. nicht be-
  200. - 11 -
  201. achtet wurde, so hat die Herstellung der Doppelpacks keineswegs dazu geführt,
  202. die volle Beweiskraft der Urkunden wieder herzustellen; vielmehr sind auch
  203. ordnungsgemäß zustande gekommene Urkunden nachträglich hinsichtlich der
  204. Beweiskraft in Frage gestellt worden. Durch seine Art der Behandlung der von
  205. ihm errichteten Urkunden hat der Notar zwar nicht gegen § 13 Abs. 1 BeurkG
  206. verstoßen, jedoch ist als verschuldete Auswirkung seiner Handlungsweise
  207. durch Anheften der gesonderten Unterschriftsblätter an die maschinellen Reinschriften der Anschein erweckt worden, daß den Beteiligten diese Niederschrift
  208. (nämlich die Reinschrift) als körperliches Schriftstück vorgelesen, von ihnen
  209. genehmigt und eigenhändig unterschrieben worden sei, obwohl nicht diese
  210. Reinschrift, sondern der handschriftlich geänderte Entwurf hierzu den Beteiligten in der Regel vorgelesen worden war und bei Genehmigung und Unterzeichnung körperlich vorgelegen hat. Durch das vom Notar gewählte Verfahren sind
  211. daher die Unterschrift der Beteiligten und der Beweiswert der Niederschrift
  212. nachträglich in einer ganz erheblichen Anzahl von Einzelfällen - selbst wenn der
  213. Senat auf der Grundlage des Zweifelssatzes nur von einer geschätzten Mindestzahl von ¼ aller Beurkundungen ausgeht - beeinträchtigt worden. Die berechtigte Erwartung der Urkundsbeteiligten, daß die ihnen vorgelegten, von ihnen genehmigten und unterschriebenen Schriftstücke vom Notar aufbewahrt
  214. und zur Sammlung genommen werden, - mithin das Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit der Amtsführung des Notars - ist in erheblicher Weise beeinträchtigt worden.
  215. Trotz dieses beträchtlichen Verschuldens sprechen andererseits gewichtige - und letztlich durchgreifende - Umstände dafür, von der Entfernung des
  216. Notars aus dem Amt als schwerstwiegender Disziplinarmaßnahme abzusehen.
  217. - 12 -
  218. Der Notar hat - formal gesehen - nur gegen eine Mußvorschrift (§ 25
  219. BNotO a.F.) verstoßen, während es sich bei den Tatbeständen der §§ 30
  220. DONot a.F. und 44 BeurkG "lediglich" um Sollvorschriften handelt. Demgegenüber liegt - wie ausgeführt - ein Verstoß gegen die zentrale Beurkundungsvorschrift des § 13 BeurkG nicht vor; die Vorschrift ist durch die Handlungsweise
  221. des Notars lediglich in bezug auf ihren Abs. 1 Satz 2 mittelbar im Sinne verschuldeter Auswirkungen der Tat betroffen. Auch konnte letztlich keine vorsätzliche, sondern nur eine grobfahrlässige, leichtfertige Dienstpflichtverletzung
  222. festgestellt werden. Zudem wird die Vielzahl der von dem Notar begangenen
  223. Einzelverstöße dadurch relativiert, daß sie im Sinne eines Dauerdelikts
  224. zwangsläufig durch die einmal getroffene Fehlbewertung des Notars hinsichtlich
  225. der Zulässigkeit seiner Vorgehensweise faktisch vorgezeichnet war. Sein Fehlverhalten beruht auch nicht auf einer Gleichgültigkeit gegenüber den Anforderungen seines Amtes, sondern auf einer - wenn auch gravierenden - Fehleinschätzung des Umfangs und der Grenzen der Zulässigkeit der Amtsführung in
  226. bezug auf die Behandlung der von ihm errichteten Urkunden. Zu seinen Gunsten ist zudem zu berücksichtigen, daß - soweit ersichtlich - ein meßbarer Schaden für die Urkundsbeteiligten zumindest bislang nicht entstanden ist, da bisher
  227. kein Fall bekannt geworden ist, in dem Beteiligte über den materiellen Inhalt der
  228. vor dem Notar errichteten Urkunde streiten. Der Notar hat auch sogleich, nachdem anläßlich der Geschäftsprüfung in M.
  229. seine Verfah-
  230. rensweise von der Dienstaufsicht beanstandet worden war, sich einsichtig gezeigt und erklärt, sich selbstverständlich künftig nach der von der Dienstaufsicht
  231. als korrekt angesehenen Behandlungsweise der Urkunden zu richten. Unter
  232. diesem Blickwinkel ist die von ihm sogleich in die Wege geleitete sog. Nähaktion zu sehen. Es handelte sich nicht etwa - wie offenbar die Einleitungsbehörde
  233. ausweislich der Disziplinarklage gemeint hat - um einen Vertuschungsversuch,
  234. sondern um das im Schreiben vom 28. April 1997 an die Dienstaufsicht offen
  235. - 13 -
  236. angekündigte Bemühen, die Fehler nachträglich zu beheben; daß dies letztlich
  237. nur unvollkommen gelungen ist, steht einer grundsätzlich positiven Bewertung
  238. seines Bemühens um Schadensbegrenzung nicht entgegen. Auch die sog.
  239. Container-Aktion in G.
  240. konnte dem Notar - unabhängig davon, ob er
  241. letztlich die Anordnung dazu gegeben hat - nicht im Sinne einer bewußten Vernichtung von Beweismitteln angelastet werden; gegen eine derartige Absicht
  242. spricht bereits der - im bisherigen Verfahren - offenbar nur unvollkommen in
  243. Betracht gezogene Umstand, daß der Notar seine langjährige Beurkundungspraxis auch in M.
  244. - selbst gegen die Bedenken des dortigen Per-
  245. sonals - fortgesetzt hat. Hätte er seinerzeit bereits das Fehlverhalten erkannt
  246. und deshalb Bedarf für die sog. Container-Aktion gesehen, so hätte er sicherlich nicht seine bisherige Beurkundungspraxis in M.
  247. fortgeführt. Soweit
  248. sich der Notar im Verlaufe des Verfahrens "prozeßtaktisch" verhalten, insbesondere sich zur Rechtfertigung seines Verhaltens auf angebliche Irrtümer usw.
  249. berufen hat, und soweit er sich gute Leumundszeugnisse von Urkundsbeteiligten hat ausstellen lassen, kann ihm dies im Rahmen der Maßnahmenzumessung nicht zum Nachteil gereichen. Für den Notar steht in dem vorliegenden
  250. Disziplinarverfahren seine berufliche Existenz auf dem Spiel. Gerade deshalb
  251. darf er sich gegen die erhobenen Vorwürfe mit allen (erlaubten) Mitteln energisch verteidigen. Es kann nicht festgestellt werden, daß der Notar die Grenzen
  252. zulässiger Verteidigung überschritten hätte, selbst wenn sein Verhalten gegenüber früheren Mitarbeitern - insbesondere deren Befragung durch einen Anwalt
  253. und ihre Veranlassung zur Abgabe notarieller eidesstattlicher Versicherungen nicht gerade von Zurückhaltung geprägt gewesen sein mag. Zugunsten des
  254. Notars konnte vor allem nicht unberücksichtigt bleiben, daß er durch das Strafverfahren - auch wenn es mit einem Freispruch beendet wurde - und die lange
  255. Dauer der Vorermittlungen und des förmlichen Disziplinarverfahrens bereits
  256. erheblich belastet worden ist. Dabei konnten insbesondere die Auswirkungen
  257. - 14 -
  258. der seit dem 24. Juni 1997 - also nahezu sechs Jahre - andauernden vorläufigen Amtsenthebung im förmlichen Disziplinarverfahren bei der Bemessung der
  259. Disziplinarmaßnahme nicht außer Betracht gelassen werden. Gerade vor dem
  260. Hintergrund dieser Belastungen hat der Senat aufgrund der Berufungsverhandlung den Eindruck gewonnen, daß der Notar, selbst wenn er sich über die
  261. lange Dauer des Disziplinarverfahrens hinweg in permanenter Verteidigungshaltung befunden hat, letztlich das Unrecht seines Verhaltens einsieht - wie er
  262. nochmals vor dem Senat glaubhaft bekundet hat - und künftig zu einer beanstandungsfreien Amtsführung zurückkehren wird. Unter Berücksichtigung dieser
  263. Umstände ist dem Pflichtenverstoß kein derartiges Gewicht beizumessen, daß
  264. das Verbleiben des Notars im Amt untragbar wäre.
  265. Von den danach in Betracht kommenden Disziplinarmaßnahmen ist ein
  266. bloßer Verweis als geringste nach § 97 Abs. 1 BNotO überhaupt zulässige Disziplinarmaßnahme nicht hinreichend, weil er allein der Schwere der von dem
  267. Notar begangenen Pflichtwidrigkeit und dem Maß seines Verschuldens nicht
  268. gerecht würde; ein Verweis allein würde auch nicht genügend dazu beitragen,
  269. ihn vor weiteren Verfehlungen nachhaltig zu warnen. Es ist vielmehr geboten,
  270. neben dem Verweis zugleich auch eine Geldbuße zu verhängen (§ 97 Abs. 1
  271. Satz 2 BNotO). Dabei darf die Geldbuße nicht gering bemessen werden, weil
  272. dies mit Rücksicht auf das Ausmaß der Pflichtwidrigkeit und die Höhe des Verschuldens nicht angemessen wäre.
  273. - 15 -
  274. Der Senat hält deshalb - auch unter Berücksichtigung der derzeitigen finanziellen Situation des Notars - innerhalb des zur Verfügung stehenden Rahmens gemäß § 97 Abs. 4 BNotO neben dem Verweis eine Geldbuße von
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  279. Rinne
  280. Seiffert
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  282. Kurzwelly
  283. Eule