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219 lines
11 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. LwZB 1/13
  4. vom
  5. 1. Oktober 2013
  6. in dem Rechtsstreit
  7. - 2 -
  8. Der
  9. Bundesgerichtshof,
  10. Senat
  11. für
  12. Landwirtschaftssachen,
  13. hat
  14. am
  15. 1. Oktober 2013 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann und die
  16. Richter Dr. Lemke und Dr. Czub - gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 LwVG ohne
  17. Zuziehung ehrenamtlicher Richter -
  18. beschlossen:
  19. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena - Senat für Landwirtschaftssachen - vom
  20. 19. Dezember 2012 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig
  21. verworfen.
  22. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
  23. bis zu 300 €.
  24. Gründe:
  25. I.
  26. 1
  27. Die Klägerin schloss mit D.
  28. L.
  29. , der damaligen Eigentümerin land-
  30. wirtschaftlicher Grundstücke mit einer Gesamtgröße von 10,89 ha, einen Landpachtvertrag für die Zeit vom 1. November 2002 bis zum 31. Oktober 2020 mit
  31. einem jährlichen Pachtzins von 495,90 €. Zu den verpachteten Flächen gehörte
  32. ein Flurstück mit einer Fläche von 0,5892 ha. In § 12 Abs. 2 des Pachtvertrags
  33. ist bestimmt, dass der Verpächter das Pachtverhältnis vorzeitig kündigen kann,
  34. wenn er einen landwirtschaftlichen Familienbetrieb im Haupt- oder Nebenerwerb gründet.
  35. - 3 -
  36. 2
  37. Die Verpächterin übertrug das Flurstück ihrem damaligen Ehemann, der
  38. es mit notariellem Vertrag vom 9. Oktober 2008 an den Beklagten verkaufte;
  39. dieser wurde im März 2009 als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Der
  40. Beklagte, der Landwirtschaft im Nebenerwerb betreibt, zäunte die Fläche ein
  41. und kündigte im Juni 2010 unter Bezugnahme auf § 12 Abs. 2 des Pachtvertrags das Vertragsverhältnis mit der Klägerin wegen Eigenbedarfs. Die Klägerin
  42. widersprach der Kündigung und forderte den Beklagten auf, ihr die Fläche zur
  43. Nutzung wieder zur Verfügung zu stellen.
  44. 3
  45. Die Klägerin hat Klage mit dem Antrag erhoben, den Beklagten zu verurteilen, ihr die Nutzung der Fläche zu gewähren. Der Beklagte hat im Wege
  46. der Widerklage beantragt, die Klägerin zur Herausgabe der Fläche zu verurteilen. Im Verlauf des Rechtsstreits hat der Beklagte zudem eine fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs erklärt.
  47. 4
  48. Das Amtsgericht (Landwirtschaftsgericht) hat die Klage abgewiesen und
  49. der Widerklage stattgegeben. Das Oberlandesgericht (Landwirtschaftssenat)
  50. hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin
  51. mit ihrer Rechtsbeschwerde.
  52. II.
  53. 5
  54. Das Berufungsgericht meint, die Berufung sei gemäß § 48 Abs. 1 LwVG
  55. i.V.m. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unzulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 600 € nicht übersteige. Die nach § 8 ZPO zu bemessende Beschwer der Klägerin belaufe sich angesichts einer auf die streitige
  56. Fläche entfallenden Pacht von 27,16 € jährlich und einer streitigen Pachtzeit
  57. von 9 Jahren und 4 Monaten auf lediglich 253, 49 €.
  58. - 4 -
  59. III.
  60. 6
  61. Die Rechtsbeschwerde gegen den die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1
  62. Satz 4 ZPO statthaft, aber nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht zulässig, weil die
  63. Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des
  64. Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.
  65. 7
  66. 1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht allerdings auf einem
  67. von der Rechtsbeschwerde gerügten Verfahrensfehler. Das Berufungsgericht
  68. hat die hier gebotene Nachholung der Prüfung unterlassen, ob die Berufung
  69. angesichts des von ihm angenommenen Werts der Beschwer der Klägerin aus
  70. den in § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO genannten Gründen zugelassen werden muss.
  71. 8
  72. Hat das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen, die Berufung zuzulassen, weil es - wie hier - den Streitwert auf über 600 € festgesetzt
  73. hat, muss das Berufungsgericht die Entscheidung hierüber nachholen. Die unterschiedliche Bewertung der Beschwer darf nicht zu Lasten der Partei gehen
  74. (BGH, Urteil vom 14. November 2007 - VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218, 219
  75. Rn. 12; Beschluss vom 19. Mai 2011 - V ZB 250/10, WuM 2011, 432; Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 72/11, NJW-RR 2012, 82, 83 Rn. 7; Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 242/11, WuM 2012, 402, 403 Rn. 12 std.
  76. Rspr.). Dem ist das Berufungsgericht nicht nachgekommen, da es allein seine
  77. von dem erstinstanzlichen Gericht abweichenden Festsetzungen der Beschwer
  78. und des Streitwerts begründet hat.
  79. 9
  80. 2. Dieser Fehler des Berufungsgerichts hätte jedoch nur dann zu einer
  81. unzulässigen, weil aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Erschwerung des Zugangs zu der von dem Gesetzgeber eröffneten Berufungsinstanz
  82. - 5 -
  83. geführt, wenn die Berufung nach dem Ergebnis der im Rechtsbeschwerdeverfahren nachzuholenden Prüfung (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2007
  84. - VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218, 219 Rn. 12; Beschluss vom 21. April 2010
  85. - XII ZB 128/09, NJW-RR 2010, 934, 936 Rn. 21; Beschluss vom 10. Mai 2012
  86. - V ZB 242/11, WuM 2012, 202, 203 Rn. 12) gemäß § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
  87. ZPO hätte zugelassen werden müssen oder wenn dem Rechtsbeschwerdegericht nach den Feststellungen in dem angefochtenen Beschluss eine solche
  88. Entscheidung nicht möglich wäre (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011
  89. - V ZB 250/10, WuM 2011, 432, 433 Rn. 5). Das ist jedoch nicht der Fall.
  90. 10
  91. a) Allerdings wäre die Zulassung der Berufung geboten gewesen, wenn
  92. das Landwirtschaftsgericht seine Auffassung, dass ein Pachtverhältnis zwischen den Parteien nicht mehr besteht, nur auf die Wirksamkeit der unter Berufung auf das Sonderkündigungsrecht nach § 12 Abs. 2 des Pachtvertrags ausgesprochenen Kündigung gestützt hätte. Die Berufung hätte dann zwar - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - nicht wegen der Frage, was unter einem „landwirtschaftlichen Familienbetrieb im Haupt- oder Nebenerwerb“ im
  93. Sinne des § 12 Abs. 2 des Pachtvertrags zu verstehen ist, aber deshalb zugelassen werden müssen, weil das Erstgericht mit seiner Entscheidung von der
  94. eines höherrangigen Gerichts abgewichen ist. In solch einem Fall hat es die
  95. Berufung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 511 Abs. 4
  96. Nr. 1 Alt. 3 ZPO zuzulassen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Mai 2002
  97. - V ZB 11/02, BGHZ 151, 42, 45).
  98. 11
  99. Das Landwirtschaftsgericht ist von der Rechtsprechung des Berufungsgerichts abgewichen, nach der eine Vertragsbestimmung in einem langfristigen
  100. Pachtvertrag, mit der dem Verpächter ein Kündigungsrecht wegen Eigenbedarfs eingeräumt wird, grundsätzlich so auszulegen ist, dass das Sonderkündigungsrecht nur dem Verpächter zustehen und nicht auf den Erwerber überge-
  101. - 6 -
  102. hen soll (OLG Jena, Urteil vom 12. Mai 2011 - LwU 1019/10, Urteilsgründe auszugsweise wiedergegeben im Aufsatz von Schneider, NL-BzAR 2011, 262 im
  103. Anschluss an das OLG Naumburg, AUR 2005, 93 und RdL 2006, 220; anders
  104. allerdings OLG Dresden, AUR 2005, 23). Besondere Absprachen, die hier ein
  105. anderes Verständnis der Vertragsbestimmung nahelegen könnten, sind weder
  106. vorgetragen noch ersichtlich.
  107. 12
  108. b) Die Abweichung von der Rechtsprechung des Berufungsgerichts bei
  109. der Auslegung der Vertragsbestimmung über das Sonderkündigungsrecht wegen Eigenbedarfs war jedoch nicht entscheidungserheblich, weil das Landwirtschaftsgericht seine Entscheidung auf einen weiteren, selbständig tragenden
  110. Grund gestellt hat, indem es auch die im Verlauf des Rechtsstreits von dem
  111. Beklagten wegen Zahlungsverzugs ausgesprochene Kündigung als berechtigt
  112. angesehen hat. Insoweit rügt die Rechtsbeschwerde zwar eine Verletzung des
  113. Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) durch das
  114. Landwirtschaftsgericht, da dieses den unter Zeugenbeweis gestellten Vortrag
  115. der Klägerin übergangen habe, dass sie die von November 2009 an geschuldeten Pachten an die ihr bekannte Verpächterin L.
  116. weiter gezahlt habe. Da-
  117. mit hat sie aber keinen Erfolg.
  118. 13
  119. aa) Es ist bereits zweifelhaft, ob ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG
  120. überhaupt als Grund für eine Zulassung der Berufung in Betracht kommt, wenn
  121. das Berufungs- bzw. das Rechtsbeschwerdegericht (hier auf Grund einer abweichenden Wertfestsetzung auf einen Betrag unter der Berufungssumme) die
  122. Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts über die Zulassung der Berufung
  123. nach § 522 Abs. 4 ZPO nachzuholen hat. Das Erstgericht darf nämlich nicht,
  124. wenn es eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten erkennt, die Berufung
  125. nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulassen, sondern hat den Fehler selbst zu beheben (vgl. Münch-
  126. - 7 -
  127. Komm-ZPO/Rimmelspacher, 4. Aufl., § 511 Rn. 77; PG/Lemke, ZPO, 5. Aufl.,
  128. § 511 Rn. 44). Wenn das Erstgericht die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht bemerkt, hat es ebenfalls keinen Anlass, die Berufung gegen
  129. sein Urteil zuzulassen. Dem Rechtsmittelgericht dürfte, wenn es ausnahmsweise anstelle des erstinstanzlichen Gerichts über die Zulassung der Berufung zu
  130. entscheiden hat, nicht die Befugnis zukommen, die Berufung wegen der Verletzung eines Verfahrensgrundrechts dennoch zuzulassen und damit den Instanzenzug faktisch zu erweitern.
  131. 14
  132. bb) Diese Frage bedarf hier jedoch keiner Entscheidung, weil das Landwirtschaftsgericht den unter Beweis gestellten Vortrag über die Weiterzahlung
  133. der jährlich jeweils zum 15. November fälligen Pachten an die bisherige Verpächterin wegen deren fehlender Empfangszuständigkeit als unerheblich angesehen hat. Die gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG liegt danach nicht
  134. vor. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht zwar, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu
  135. ziehen (BVerfG, NJW 2009, 1584 Rn. 14), jedoch nicht dazu, der Rechtsansicht
  136. einer Partei zu folgen. Soweit dem Gericht insoweit Rechtsfehler unterlaufen
  137. sein sollten, bewirkt dies allein nicht die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG
  138. (BVerfG, NJW 2005, 3345, 3346 mwN).
  139. 15
  140. 3. Die Berufung war auch nicht als Wertberufung nach § 511 Abs. 2 Nr. 1
  141. ZPO statthaft. Die Festsetzung des Werts der Beschwer auf einen 600 € nicht
  142. übersteigenden Betrag kann von dem Rechtsbeschwerdegericht nur darauf
  143. überprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen (§ 3 ZPO)
  144. einen ungesetzlichen Gebrauch gemacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom
  145. 14. Oktober 1993 - LwZB 6/93, NJW-RR 1994, 256). Das ist hier nicht der Fall.
  146. Die auf § 8 ZPO gestützte Bemessung des Streitwerts nach dem auf die gesamte streitige Zeit entfallenden Pachtzins entspricht der Rechtsprechung des
  147. - 8 -
  148. Senats (vgl. Beschluss vom 14. Oktober 1993 - LwZB 6/93, aaO). Die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit auch keine Einwendungen.
  149. IV.
  150. 16
  151. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und die Bemessung
  152. des Werts auf § 41 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. § 34 Abs. 1 GKG.
  153. Stresemann
  154. RiBGH Dr. Lemke ist infolge
  155. Urlaubs an der Unterschrift gehindert.
  156. Karlsruhe, den 11. Oktober 2013
  157. Die Vorsitzende
  158. Stresemann
  159. Vorinstanzen:
  160. AG Erfurt, Entscheidung vom 25.05.2012 - Lw 11/11 OLG Jena, Entscheidung vom 19.12.2012 - Lw U 548/12 -
  161. Czub