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22 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. KZR 27/05
  5. Verkündet am:
  6. 7. Februar 2006
  7. Walz
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. -2-
  13. Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. Februar 2006 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs
  14. Prof. Dr. Hirsch und die Richter Ball, Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Raum und
  15. Dr. Strohn
  16. für Recht erkannt:
  17. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hanseatischen
  18. Oberlandesgerichts Hamburg, 5. Zivilsenat, vom 10. Februar 2005 aufgehoben.
  19. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts
  20. Hamburg, Kammer für Handelssachen 16, vom 23. Januar 2004 abgeändert.
  21. Die Klage wird abgewiesen.
  22. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  23. Von Rechts wegen
  24. -3-
  25. Tatbestand:
  26. 1
  27. Der Kläger betreibt eine LOTTO-TOTO-Annahmestelle mit Zeitschriftenverkauf in Bremen. Er wendet sich gegen eine Werbung für ein Probeabonnement,
  28. die der beklagte Verlag Anfang 2003 veröffentlichte. Die Abonnenten sollten bei
  29. einer Ersparnis von „über 40%“ zehn Ausgaben der Wochenzeitschrift „Echo der
  30. Frau“ und als „Gastleser“-Geschenk „eine CD voll mit alten Schlager-Klassikern“
  31. erhalten.
  32. 2
  33. Der Kläger beanstandet, dass der Beklagte mit dem Testabonnement den
  34. von ihm selbst vorgegebenen Einzelverkaufspreis, an den der Zeitschriftenhandel
  35. gebunden sei, um mehr als 40% unterschreite und darüber hinaus eine Zugabe
  36. gewähre, deren Wert nicht in angemessenem Verhältnis zum Erprobungsaufwand
  37. stehe. Der Kläger hat den Beklagten auf Unterlassung solcher Ankündigungen
  38. und der Gewährung der angekündigten Vorteile in Anspruch genommen. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
  39. 3
  40. Der Kläger stützt sein Begehren auf Wettbewerbsregeln, die der Verband
  41. Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) für den Vertrieb von abonnierbaren Publikumszeitschriften aufgestellt hat. In diesen Wettbewerbsregeln, die das Bundeskartellamt während des Berufungsverfahrens mit Beschluss vom 30. März 2004
  42. (B 6-22220-W-86/03) nach § 26 Abs. 1 GWB a.F. anerkannt hat, heißt es u.a.:
  43. 3. Probeabonnements
  44. Kurzabonnements zu Erprobungszwecken („Probeabonnements“) sind zulässig, wenn
  45. sie zeitlich auf maximal drei Monate begrenzt sind und nicht mehr als 35 Prozent unter
  46. dem kumulierten Einzelheftpreis liegen. Derartige Probeabonnements sind nicht beliebig oft wiederholbar; sie dürfen nur in ein reguläres Abonnement führen, wenn dies
  47. jederzeit kündbar ist.
  48. -4-
  49. 4. Werbegeschenke bei Werbeexemplaren und Probeabonnements
  50. Sachgeschenke als Belohnung für die Bereitschaft zur Erprobung („Werbegeschenke“) müssen in einem angemessenen Verhältnis zum Erprobungsaufwand stehen.
  51. 4
  52. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist
  53. in der Sache ohne Erfolg geblieben (OLG Hamburg MD 2005, 794 = WRP 2005,
  54. 635 [Ls.]). Hiergegen richtet sich die – vom Berufungsgericht zugelassene – Revision des Beklagten. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
  55. Entscheidungsgründe:
  56. 5
  57. I.
  58. Das Berufungsgericht hat das beanstandete Verhalten des Beklagten als
  59. im Verhältnis zu den gebundenen Zeitschriftenhändlern vertragswidrig und gleichzeitig als unlauter i.S. von §§ 3, 4 Nr. 10 UWG angesehen. Zur Begründung hat es
  60. ausgeführt:
  61. 6
  62. Durch den Preisbindungsrevers sei der Beklagte mit den Zeitschriftenhändlern vertraglich verbunden. Mit seiner Preisgestaltung für das Probeabonnement
  63. verstoße der Beklagte gegen die sich aus dieser vertraglichen Bindung im Rahmen von Treu und Glauben ergebenden wechselseitigen Rücksichtnahme- und
  64. Leistungstreuepflichten mit der Folge, dass seinem jeweiligen Vertragspartner aus
  65. der Preisbindungsvereinbarung der mit der Klage geltend gemachte Unterlassungsanspruch zustehe.
  66. 7
  67. Eine Preisunterschreitung im Rahmen einer Werbeaktion für ein Probeabonnement sei nicht schlechthin unzulässig. Der Bereich der (vertraglich) noch zulässigen Abonnentenwerbung werde jedoch verlassen, wenn der mit dem Testabon-
  68. -5-
  69. nement verbundene Erprobungszweck erkennbar überschritten werde und sich
  70. das Verhalten als eine treuwidrige Umleitung von Kunden von den preisgebundenen Zeitschriftenhändlern unmittelbar auf das preisbindende Verlagsunternehmen
  71. darstelle. Einen entscheidenden Anhaltspunkt für die Frage, in welchem Umfang
  72. preisbindende Verlage besondere – zeitlich begrenzte – Vorteile für die Gewinnung neuer Abonnementkunden versprechen könnten, lieferten die „Wettbewerbsregeln für den Vertrieb von abonnierbaren Publikumszeitschriften“, die für bis zu
  73. dreimonatige Probeabonnements einen Nachlass von maximal 35% gegenüber
  74. dem Einzelverkaufspreis der Einzelhefte vorsähen. Die angegriffene Werbung
  75. überschreite diese Obergrenze und verspreche zusätzlich noch eine attraktive
  76. Gratiszugabe, die zum Erprobungsaufwand nicht mehr in einem angemessenen
  77. Verhältnis stehe. Damit verstoße sie gegen das – in den erwähnten Wettbewerbsregeln ebenfalls festgehaltene – Verbot, Prämien zu gewähren, von denen ein
  78. wettbewerbswidriger Lockeffekt ausgehe.
  79. 8
  80. Aus dem Zusammenhang der Wettbewerbsregeln ergebe sich, dass für
  81. Preisnachlässe und Zugaben ein Kumulationsverbot bestehe. Der Beklagte habe
  82. gegen das Kernstück der Preisbindung verstoßen, die er seinen Vertragspartnern
  83. auferlegt habe. Da er in dem Preisbindungsrevers keine eigenen Vertragspflichten
  84. übernommen habe, scheide zwar ein Verstoß gegen eine vertragliche Hauptleistungspflicht aus. Der Verstoß wiege aber so schwer, dass er der Verletzung einer
  85. Hauptleistungspflicht gleichstehe. Auch wenn die Besonderheiten des Pressevertriebs geringere Leistungstreue- und Rücksichtnahmepflichten zur Folge hätten,
  86. ändere dies nichts an der Treuwidrigkeit des beanstandeten Verhaltens, das zu
  87. Verschiebungen zwischen Einzel- und Abonnementvertrieb führe und damit nachhaltig die Wirtschaftlichkeit des Zeitschriftenhandels beeinträchtige, wobei es nicht
  88. darauf ankomme, ob die vom Kläger befürchteten Umsatzrückgänge bereits eingetreten seien oder nicht. Es sei davon auszugehen, dass die beanstandete Wer-
  89. -6-
  90. beaktion allein dem Abonnement- und nicht auch dem Einzelvertrieb zugute komme. Denn das Probeabonnement gehe am Ende der Erprobungsphase automatisch in ein normales Abonnement über.
  91. Bei dem vom Beklagten begangenen Vertragsverstoß handele es sich nicht
  92. 9
  93. nur um eine Obliegenheitsverletzung, die lediglich dazu führe, dass der Beklagte
  94. sich gegenüber den Zeitschriftenhändlern nicht mehr auf die Preisbindung berufen
  95. könne. Der Beklagte trete vielmehr mit seinem Verhalten in direkte Konkurrenz zu
  96. den Einzelhändlern und verschaffe sich durch das beanstandete Verhalten einen
  97. treuwidrigen Wettbewerbsvorteil. Den Zeitschriftenhändlern stehe gegenüber dem
  98. Beklagten ein vertraglicher Anspruch zu, das vertragswidrige Verhalten zu unterlassen. Die Verletzung vertraglicher Pflichten begründe zugleich einen Verstoß
  99. gegen § 3 UWG i.V. mit den VDZ-Wettbewerbsregeln. Ein solcher Vertragsverstoß
  100. könne ausnahmsweise auch deliktische Ansprüche begründen, wenn – wie im
  101. Streitfall – der Verletzer das vertragswidrige Verhalten gezielt zur Förderung des
  102. eigenen Wettbewerbs einsetze und dadurch nachhaltig in den Wettbewerb eingreife.
  103. 10
  104. II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage.
  105. 11
  106. 1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass dem Kläger
  107. gegen den Beklagten ein lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsanspruch zusteht.
  108. 12
  109. a) Mit Recht weist die Revision darauf hin, dass der Kläger nicht mit Hilfe
  110. des Lauterkeitsrechts die Unterlassung einer missbräuchlichen Handhabung der
  111. Preisbindung i.S. von § 30 Abs. 3 Nr. 1 GWB 2005 (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 GWB 1999)
  112. beanspruchen könne. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen enthält
  113. -7-
  114. – dies wird in der seit dem 1. Juli 2005 geltenden Fassung besonders deutlich –
  115. eine abschließende Regelung der zivilrechtlichen Ansprüche, die Mitbewerber und
  116. Wettbewerbsverbände im Falle von Verstößen gegen kartellrechtliche Verbote geltend machen können (Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht,
  117. 24. Aufl., § 4 UWG Rdn. 11.12 m.w.N.; K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 1977,
  118. S. 412 ff.; Wrage, UWG-Sanktionen bei GWB-Verstößen?, 1984, S. 62; vgl. ferner
  119. W.-H. Roth in Frankfurter Kommentar, Stand: Nov. 2001, § 33 GWB Rdn. 200;
  120. a.A. Harte/Henning/v. Jagow, UWG, § 4 Nr. 11 Rdn. 132 f.; wohl auch Schricker,
  121. Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, 1970, S. 260). Soweit der zum alten Recht
  122. ergangenen Senatsrechtsprechung entnommen werden kann, dass kartellrechtliche Verstöße unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs lauterkeitsrechtlich verfolgt werden können (vgl. BGH, Urt. v. 8.10.1958 – KZR 1/58, WuW/E BGH 251,
  123. 259 – „4711“; Urt. v. 21.2.1978 – KZR 7/76, WuW/E BGH 1519, 1520 – 4 zum
  124. Preis von 3; Urt. v. 6.10.1992 – KZR 21/91, WuW/E BGH 2819, 2820
  125. – Zinssubvention), hält der Senat an dieser Auffassung nicht fest.
  126. 13
  127. Im Zuge der 7. GWB-Novelle hat der Gesetzgeber die Anspruchsberechtigung in § 33 Abs. 1 GWB deutlich erweitert: Während der Regierungsentwurf noch
  128. an dem von der Rechtsprechung in der Vergangenheit teilweise restriktiv ausgelegten Schutzgesetzerfordernis festgehalten hatte (BT-Drucksache 15/3640,
  129. S. 11), hat der Gesetzgeber aufgrund der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Wirtschaft (BT-Drucksache 15/5049, S. 16) auf die weitergehende, generell jeden betroffenen Mitbewerber oder sonstigen Marktteilnehmer
  130. einschließende Fassung der Anspruchsberechtigung zurückgegriffen, die bereits
  131. im Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit vom
  132. 17. Dezember 2003 enthalten war (vgl. den Gesetzesbeschluss des Deutschen
  133. Bundestages v. 11.3.2005, BR-Drucksache 210/05, S. 6). Diese Regelung ist zwar
  134. in manchem der lauterkeitsrechtlichen Regelung der Anspruchsberechtigung in
  135. -8-
  136. § 8 Abs. 3 UWG nachgebildet, geht aber über diese insofern hinaus, als sie eine
  137. Anspruchsberechtigung nicht nur der Mitbewerber, sondern auch der Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite vorsieht. Andererseits bleibt die kartellrechtliche
  138. hinter der lauterkeitsrechtlichen Regelung zurück, als sie keine Anspruchsberechtigung der Verbraucherverbände vorsieht. Der Gesetzgeber hat damit in der Erweiterung wie in der Beschränkung eine Regelung getroffen, die bewusst von dem
  139. lauterkeitsrechtlichen Modell abweicht. Er hat damit deutlich gemacht, dass es
  140. sich um eine abschließende Regelung für die zivilrechtliche Durchsetzung kartellrechtlicher Bestimmungen handelt.
  141. 14
  142. Die kartellrechtliche Regelung unterscheidet ferner klar zwischen kartellrechtlichen Verboten, die nach § 33 Abs. 1 GWB auch zivilrechtlich durchgesetzt werden können (z.B. §§ 1, 19 Abs. 1, §§ 20, 21 GWB), und (Missbrauchs-)Tatbeständen, die – wie § 30 Abs. 3 GWB – lediglich ein Eingreifen der Kartellbehörde ermöglichen. So gewährt das Gesetz dem preisgebundenen Unternehmen
  143. – abgesehen von vertraglichen Ansprüchen, die sich im Falle einer diskriminierenden Handhabung der Preisbindungsvereinbarung ergeben können – im Falle einer
  144. missbräuchlichen Handhabung der Preisbindung keinen (gesetzlichen) Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruch, sondern räumt allein dem Bundeskartellamt die Befugnis ein, in einem solchen Falle einzuschreiten (§ 30 Abs. 3 GWB
  145. 2005, § 15 Abs. 3 GWB 1999).
  146. 15
  147. Diese differenzierte gesetzliche Regelung würde konterkariert, wenn kartellrechtliche Missbrauchstatbestände, die nicht als Verbote ausgestaltet sind,
  148. gleichwohl mit Hilfe des Lauterkeitsrechts durchgesetzt werden könnten oder
  149. wenn – ungeachtet der bewussten Beschränkung der Anspruchsberechtigung in
  150. § 33 GWB – bei Zuwiderhandlungen gegen kartellrechtliche Verbote stets auch
  151. -9-
  152. ein lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des
  153. Rechtsbruchs (§§ 3, 4 Nr. 11 UWG) bejaht würde.
  154. 16
  155. b) Der klare Vorrang der in §§ 33, 34a GWB geregelten zivilrechtlichen Ansprüche beschränkt sich allerdings auf die Fälle, in denen sich der Vorwurf der Unlauterkeit allein aus dem kartellrechtlichen Verstoß speist. Gründet sich die Unlauterkeit dagegen – wie etwa in Fällen des Boykotts oder der unbilligen Behinderung – auf einen eigenständigen lauterkeitsrechtlichen Tatbestand (z.B. auf eine
  156. gezielte Behinderung nach § 4 Nr. 10 UWG), stehen die zivilrechtlichen Ansprüche, die sich aus dem Kartellrecht und aus dem Lauterkeitsrecht ergeben, gleichberechtigt nebeneinander. Aber auch im Rahmen einer eigenständigen lauterkeitsrechtlichen Beurteilung erweist sich das beanstandete Verhalten des Beklagten
  157. nicht als wettbewerbswidrig.
  158. 17
  159. aa) Mit Recht hat das Berufungsgericht nicht darauf abgestellt, dass sich die
  160. lauterkeitsrechtliche Unzulässigkeit der angegriffenen Abonnementwerbung des
  161. Beklagten bereits aus den VDZ-Wettbewerbsregeln ergebe.
  162. 18
  163. (1) Für die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten als unlauter zu beurteilen ist,
  164. haben Wettbewerbsregeln heute nur mehr eine begrenzte Bedeutung. Während in
  165. der Vergangenheit für die Frage der Unlauterkeit maßgeblich auf das Anstandsgefühl des verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden (vgl. BGHZ 23, 365, 373
  166. – Suwa; 37, 30, 32 – Selbstbedienungsgroßhandel; 34, 264, 274 – EinpfennigSüßwaren; 43, 359, 364 – Warnschild; 81, 291, 296 – Bäckerfachzeitschrift) sowie
  167. auf die Verkehrssitte und damit auf die im Verkehr herrschende tatsächliche
  168. Übung (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.1956 – I ZR 4/55, GRUR 1957, 23, 24 = WRP 1956,
  169. 244 – Bünder Glas; Urt. v. 4.12.1964 – Ib ZR 38/63, GRUR 1965, 315, 316 = WRP
  170. 1965, 95 – Werbewagen) abgestellt wurde, besteht heute Einigkeit darüber, dass
  171. - 10 -
  172. der Wettbewerb in bedenklicher Weise beschränkt würde, wenn das Übliche zur
  173. Norm erhoben würde (vgl. Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm aaO § 3 UWG
  174. Rdn. 39; Harte/Henning/Schünemann aaO § 3 Rdn. 99 ff.). Wettbewerbsregeln
  175. können daher allenfalls eine indizielle Bedeutung für die Frage der Unlauterkeit
  176. haben (vgl. BGH, Urt. v. 8.11.1990 – I ZR 48/89, GRUR 1991, 462, 463
  177. – Wettbewerbsrichtlinie
  178. der
  179. Privatwirtschaft;
  180. Köhler
  181. in
  182. Hefermehl/Köhler/
  183. Bornkamm aaO § 4 UWG Rdn. 11.30; Harte/Henning/Schünemann aaO § 3
  184. Rdn. 101; Kellermann in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 26 Rdn. 49 f.;
  185. anders Fezer/Fezer, UWG, § 3 Rdn. 78).
  186. 19
  187. (2) Auch der Umstand, dass Wettbewerbsregeln von der Kartellbehörde anerkannt werden, verleiht ihnen keine Rechtsnormqualität. Zwar wird die Kartellbehörde in der Regel Wettbewerbsregeln die Anerkennung versagen, die ein lauterkeitsrechtlich unbedenkliches Verhalten als unzulässig bezeichnen. Dies bedeutet
  188. indessen nicht, dass dem Richter, der in einem Zivilrechtsstreit über die lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit eines Verhaltens zu entscheiden hat, die Entscheidung
  189. dadurch abgenommen wäre, dass die Kartellbehörde Wettbewerbsregeln nach
  190. § 24 Abs. 3, § 26 Abs. 1 GWB anerkannt hat, die von der lauterkeitsrechtlichen
  191. Unzulässigkeit des fraglichen Verhaltens ausgehen. Vielmehr beschränkt sich die
  192. rechtliche Bedeutung der Anerkennung auf eine Selbstbindung der Kartellbehörde,
  193. die bei unveränderter Sachlage die Verabschiedung dieser Wettbewerbsregeln
  194. nicht mehr als Kartellverstoß nach § 1 GWB verfolgen kann (vgl. § 26 Abs. 1
  195. Satz 2 GWB).
  196. 20
  197. (3) Schließlich würde es verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, wenn
  198. Wettbewerbsregeln zur Ausfüllung der lauterkeitsrechtlichen Generalklauseln und
  199. zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe herangezogen würden. Das
  200. Bundesverfassungsgericht hat zu den Standesrichtlinien der Rechtsanwälte ent-
  201. - 11 -
  202. schieden, dass – wenn ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 GG
  203. in Rede steht – derartige, ohne gesetzliche Grundlage festgelegte Richtlinien nicht
  204. als Hilfsmittel zur Auslegung und Konkretisierung der Generalklausel des § 43
  205. BRAO herangezogen werden dürfen (BVerfGE 76, 171, 188 f.; 76, 196). Diese
  206. Grundsätze beanspruchen auch dann Geltung, wenn zur Ausfüllung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 3 UWG Wettbewerbsregeln herangezogen
  207. würden, denen ebenfalls keine Gesetzesqualität zukommt.
  208. 21
  209. bb) Das Berufungsgericht hat den VDZ-Wettbewerbsregeln aber dennoch
  210. eine entscheidende Bedeutung beigemessen. Denn es hat diesen Regeln entnommen, dass sich der Beklagte gegenüber dem preisgebundenen Zeitschriftenhandel vertragsuntreu verhalten habe, und hat darin gleichzeitig einen Wettbewerbsverstoß nach §§ 3, 4 Nr. 10 UWG gesehen, weil der Beklagte die Vertragsverletzung als Mittel des Wettbewerbs zum Nachteil der gebundenen Händler eingesetzt habe. Dem kann nicht beigetreten werden. Die den Preisbinder gegenüber
  211. dem preisgebundenen Händler treffenden Rücksichtnahmepflichten führen nicht
  212. dazu, dass der Beklagte gehindert wäre, ein Probeabonnement in der beanstandeten Weise anzubieten.
  213. 22
  214. (1) Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass das
  215. preisbindende Unternehmen gegenüber dem preisgebundenen Händler auch
  216. dann vertragliche Pflichten treffen, wenn sich der Preisbinder nicht ebenfalls dazu
  217. verpflichtet hat, sämtliche anderen Händler in derselben Weise zu binden. Denn
  218. auch in diesem Fall darf der preisbindende Verleger nichts tun, was die Bindung
  219. der Endverkaufspreise untergräbt und dem vertragstreuen gebundenen Händler
  220. Schwierigkeiten bereiten kann (vgl. BGHZ 38, 90, 94 – Grote Revers; 40, 135, 139
  221. – Trockenrasierer; 53, 76, 86 – Schallplatten II). Unabhängig davon ist der Preis-
  222. - 12 -
  223. binder Normadressat des Diskriminierungs- und Behinderungsverbots des § 20
  224. Abs. 1 GWB.
  225. 23
  226. (2) Aus dem Umstand, dass der Beklagte den Einzelverkauf seiner Zeitschrift einer Preisbindung unterwirft, kann jedoch nicht geschlossen werden, dass
  227. es ihm verwehrt wäre, den aus seiner Sicht vorzugswürdigen Absatz über Abonnements mit besonders attraktiven Angeboten zu fördern.
  228. 24
  229. Es liegt auf der Hand, dass für den Zeitschriftenverlag der Abonnent, der sich
  230. zur regelmäßigen Abnahme der Zeitschrift verpflichtet, ein wesentlich attraktiverer
  231. Leser ist als derjenige, der die Zeitschrift gelegentlich im Handel erwirbt. Mit dem
  232. Abonnenten kann der Verlag auf längere Zeit rechnen, während der Erwerber
  233. eines Einzelheftes keine Gewähr dafür bietet, dass er das nächste und übernächste Heft ebenfalls erwirbt. Es ist deswegen wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Verlag für ein Abonnement deutlich günstigere Konditionen anbietet als für den (preisgebundenen) Einzelverkauf.
  234. 25
  235. Die Rücksichtnahmepflichten, die den preisbindenden Verleger dazu verpflichten, verschiedene miteinander im Wettbewerb stehende Zeitschriftenhändler
  236. gleich zu behandeln, hindern ihn grundsätzlich nicht daran, Probeabonnements zu
  237. besonders günstigen Konditionen anzubieten und auf diese Weise den Abonnementabsatz gegenüber dem Einzelverkauf zu fördern. Im Übrigen hat das Berufungsgericht zwar vermutet, dass die Attraktivität des Probeabonnements – wie
  238. vom Kläger unterstellt – zu Lasten des Einzelverkaufs gehe. Es hat aber hierzu
  239. keine Feststellungen getroffen. Bei seiner Vermutung hat das Berufungsgericht
  240. außer Acht gelassen, dass zwar der Dauerabonnent, nicht aber derjenige, der nur
  241. das Probeabonnement in Anspruch nimmt (vom Berufungsgericht als „PrämienShopper“ bezeichnet), für den Einzelhändler als Kunde verloren ist. Je preisgüns-
  242. - 13 -
  243. tiger das Probeabonnement und je attraktiver die versprochene Zugabe ist, desto
  244. höher wird der Anteil der Probeabonnenten sein, die sich zur Abnahme des Probeabonnements um seiner selbst willen verpflichten, die also nach Ablauf der Probezeit durch eine entsprechende Erklärung gegenüber dem Verlag verhindern, dass
  245. das Probeabonnement in ein reguläres Abonnement übergeht. Es ist ohne weiteres denkbar, dass dieser Personenkreis – wie der Beklagte vorgetragen hat –
  246. durch das Probeabonnement stärker an die Zeitschrift gebunden wird und die
  247. Zeitschrift in Zukunft regelmäßiger im Handel erwirbt. Dem Vortrag des Klägers ist
  248. auch nicht zu entnehmen, dass der Absatz der Zeitschrift „Echo der Frau“ über
  249. den Zeitschriftenhandel in Folge von attraktiven Probeabonnements in nennenswertem Umfang zurückgegangen wäre.
  250. 26
  251. cc) Das Bundeskartellamt ist in seinem Anerkennungsbescheid vom
  252. 30. März 2004 offenbar davon ausgegangen, dass die VDZ-Wettbewerbsregeln
  253. ungeachtet der besonderen Pflichten, denen der Beklagte als Preisbinder unterworfen ist, in etwa die Grenzen des ohnehin lauterkeitsrechtlich Zulässigen beschreiben, weil in den besonders attraktiven Probeabonnements ein übertriebenes
  254. Anlocken liege. Dabei hat das Bundeskartellamt die ältere Rechtsprechung
  255. zugrunde gelegt, die jedoch seit den – vom Bundeskartellamt in seinem Beschluss
  256. zitierten – Entscheidungen „Kopplungsangebot I und II“ des Bundesgerichtshofs
  257. (BGHZ 151, 84 und BGH, Urt. v. 13.6.2002 – I ZR 71/01, GRUR 2002, 979 = WRP
  258. 2002, 1259) nicht mehr uneingeschränkt herangezogen werden kann. Danach bestehen keine durchgreifenden lauterkeitsrechtlichen Bedenken dagegen, dass
  259. Produkte, die nicht in einem Funktionszusammenhang stehen, zu einem gekoppelten Angebot zusammengefasst werden. Auch mit Blick auf den Wert der Zugabe stellt das beworbene Probeabonnement kein missbräuchliches Kopplungsangebot dar. Weder der günstige Preis noch die attraktive Zugabe kann den Vorwurf
  260. einer unsachlichen Beeinflussung der Verbraucher rechtfertigen.
  261. - 14 -
  262. 27
  263. 2. Dem Kläger steht – wie sich aus den Ausführungen oben unter II.1.b)bb)
  264. ergibt – auch kein vertraglicher Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten zu.
  265. 28
  266. III. Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben. Im Hinblick auf die getroffenen Feststellungen ist der Senat in der Lage,
  267. abschließend zu entscheiden. Da dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche
  268. nicht zustehen, ist die Klage abzuweisen.
  269. 29
  270. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
  271. Hirsch
  272. Ball
  273. Raum
  274. Bornkamm
  275. Strohn
  276. Vorinstanzen:
  277. LG Hamburg, Entscheidung vom 23.01.2004 - 416 O 141/03 OLG Hamburg, Entscheidung vom 10.02.2005 - 5 U 39/04 -