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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 60/10
  5. Verkündet am:
  6. 9. Dezember 2010
  7. Preuß
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. InsO § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1 Satz 1; BGB § 242 Cc
  19. Wird dem Anleger in einem Schneeballsystem neben Scheingewinnen auch die Einlage ausgezahlt, kann sich der anfechtende Insolvenzverwalter nicht darauf berufen,
  20. die Einlage sei durch Verluste und Verwaltungsgebühren teilweise aufgebraucht.
  21. BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 - IX ZR 60/10 - OLG Karlsruhe
  22. LG Waldshut-Tiengen
  23. -2-
  24. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  25. vom 9. Dezember 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
  26. Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die Richterin Möhring
  27. für Recht erkannt:
  28. Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 4. März 2010 wird auf Kosten des Klägers
  29. zurückgewiesen.
  30. Von Rechts wegen
  31. Tatbestand:
  32. 1
  33. Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 11. März 2005 am 1. Juli
  34. 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P.
  35. GmbH (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin bot ihren Kunden die Möglichkeit an, am Erfolg oder Misserfolg von Optionsgeschäften teilzunehmen. Sie
  36. warb mit jährlich zu erzielenden Renditen zwischen 8,7 vom Hundert und 14,07
  37. vom Hundert. Die Beklagte erklärte am 25. März 1996 ihren Beitritt zu der Anlegergemeinschaft. Tatsächlich erlitt die Schuldnerin im Zeitraum der Beteiligung
  38. der Beklagten Verluste. Um diese zu verschleiern, leitete sie den Anlegern Kontoauszüge zu, in denen frei erfundene Gewinne ausgewiesen waren. Die Gelder der Anleger wurden nur zu einem geringen Teil und später überhaupt nicht
  39. mehr in Termingeschäften angelegt. Die Einlagen von Neukunden verwendete
  40. die Schuldnerin in der Art eines "Schneeballsystems" für Aus- und Rückzahlun-
  41. -3-
  42. gen an Altkunden. Die Beklagte leistete eine Einlage von umgerechnet
  43. 76.262,59 €. Sie erhielt von der Schuldnerin am 15. August 2003 eine Auszahlung in Höhe von 103.626,01 €.
  44. 2
  45. Mit seiner auf Anfechtung gestützten Klage hat der Kläger zunächst die
  46. Rückgewähr der an die Beklagte geleisteten Auszahlung abzüglich der Einlage
  47. der Beklagten, somit 27.363,42 € sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.107,85 €, jeweils zuzüglich Zinsen verlangt. Das
  48. Landgericht hat der Klage in Höhe von 18.227,78 € zuzüglich anteiliger Rechtsanwaltskosten und Zinsen stattgegeben. Gestützt auf eine Neuberechnung des
  49. Kontostandes der Beklagten unter Berücksichtigung des "realen Handelsergebnisses", in welcher der Kläger Scheingewinne der Beklagten in Höhe von
  50. 39.686,04 € ausgewiesen hat, hat er die Klage im Berufungsverfahren auf diesen Betrag erweitert. Das Berufungsgericht hat der Klage in Höhe der ursprünglichen Klageforderung von 27.363,42 € zuzüglich entsprechender Rechtsanwaltskosten und Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
  51. Entscheidungsgründe:
  52. 3
  53. Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
  54. -4-
  55. I.
  56. 4
  57. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Insolvenzverwalter könne die
  58. Auszahlung der Schuldnerin in Höhe der Differenz zur ursprünglichen Einlage
  59. der Beklagten als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten. Dabei sei der Höhe nach auf die tatsächlich gezahlte Einlage abzustellen und nicht auf den vom Kläger im Rahmen der nachträglichen Berechnung
  60. ermittelten, nach der Verrechnung von Verlustzuweisungen und Bestandsprovisionen verbleibenden Restbetrag der Einlage. Die Bestandsprovisionen habe
  61. die Schuldnerin nicht verdient, weil sie die Anlagegelder nicht vertragsgemäß
  62. verwaltet, sondern im Rahmen des "Schneeballsystems" an Altanleger verteilt
  63. habe. Die "reale" Gewinn- und Verlustverteilung sei angesichts des von der
  64. Vertragslage gänzlich abweichenden Geschäftsmodells der Schuldnerin rein
  65. fiktiv.
  66. II.
  67. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis
  68. 5
  69. stand.
  70. 6
  71. 1. Bei der Beurteilung, in welchem Umfang der Kläger die Leistungen der
  72. Schuldnerin als unentgeltliche Leistungen nach § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1 InsO
  73. zurückverlangen kann, hat das Berufungsgericht den richtigen Ausgangspunkt
  74. gewählt. Der Insolvenzverwalter kann die Auszahlung von in "Schneeballsystemen" erzielten Scheingewinnen durch den späteren Insolvenzschuldner als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten (BGH, Urteil
  75. vom 11. Dezember 2008 - IX ZR 195/07, BGHZ 179, 137 Rn. 6; vom 22. April
  76. -5-
  77. 2010 - IX ZR 163/09, ZIP 2010, 1253 Rn. 6; jeweils mwN). Auszahlungen, mit
  78. denen - etwa nach einer Kündigung der Mitgliedschaft in der Anlegergemeinschaft - vom Anleger erbrachte Einlagen zurückgewährt worden sind, sind dagegen als entgeltliche Leistungen nicht anfechtbar (BGH, Urteil vom 22. April
  79. 2010 - IX ZR 225/09, ZIP 2010, 1455 Rn. 11).
  80. 7
  81. 2. Im Streitfall wurde innerhalb des Anfechtungszeitraums (vier Jahre vor
  82. dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 134 Abs. 1 InsO) das gesamte ausgewiesene Guthaben der Beklagten ausgezahlt und ihr Konto aufgelöst. Das Guthaben setzte sich aus der geleisteten Einlage und den der Beklagten zugeschriebenen fiktiven Gewinnanteilen zusammen. Die bei Teilauszahlungen zu beantwortende Frage, ob und in welchem Umfang von der Schuldnerin auf Scheingewinne oder auf die Einlage gezahlt wurde, stellt sich hier nicht.
  83. 8
  84. a) In dem über den Betrag der Einzahlung hinausgehenden Umfang
  85. handelte es sich um die Auszahlung von Scheingewinnen, die als unentgeltliche
  86. Leistung der Anfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO unterliegt.
  87. 9
  88. b) Soweit die Auszahlung auf die ungeschmälerte Einlage erfolgte, sind
  89. die Voraussetzungen einer Schenkungsanfechtung hingegen nicht gegeben.
  90. Auf eine teilweise Unentgeltlichkeit auch dieses Teils der Auszahlung kann sich
  91. der Kläger nicht berufen.
  92. 10
  93. aa) Eine unentgeltliche Verfügung liegt vor, wenn der Schuldner einen
  94. Vermögenswert zugunsten einer anderen Person aufgibt, ohne dass ihm ein
  95. entsprechender Gegenwert zufließen soll. Entgeltlich ist dagegen eine Verfügung, wenn der Schuldner für seine Leistung etwas erhalten hat, was objektiv
  96. ein Ausgleich für seine Leistung war oder jedenfalls subjektiv nach dem Willen
  97. -6-
  98. der Beteiligten sein sollte (BGH, Urteil vom 29. November 1990 - IX ZR 29/90,
  99. BGHZ 113, 98, 101 f; vom 18. März 2010 - IX ZR 57/09, ZInsO 2010, 807 f
  100. Rn. 9). Erbringt der Schuldner eine Leistung im Rahmen eines entgeltlichen
  101. Vertrags, ist seine Leistung entgeltlich, soweit durch sie eine bestehende Verbindlichkeit erfüllt wird. Gegenleistung ist dann die vom Schuldner erlangte Befreiung von seiner Schuld (MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 134 Rn. 17a,
  102. 26; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl. § 134 Rn. 11). Die Rückzahlung der Einlage der Beklagten war daher grundsätzlich nur insoweit entgeltlich, als die Schuldnerin
  103. nach den vertraglichen Vereinbarungen verpflichtet war, die Einlage an die Beklagte zurückzuzahlen.
  104. 11
  105. bb) Der Vertrag zwischen der Schuldnerin und der Beklagten war nicht
  106. nach § 138 BGB nichtig. Sittenwidrig war lediglich das von der Schuldnerin tatsächlich betriebene, nicht aber das mit der gutgläubigen Beklagten vereinbarte
  107. System der Kapitalanlage (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2005 - II ZR 140/03,
  108. ZIP 2005, 753, 756; vom 23. November 2010 - XI ZR 26/10, z.V.b.; Bitter/Heim,
  109. ZIP 2010, 1569, 1570). Soweit der Senat in seinem Urteil vom 22. April 2010
  110. (IX ZR 163/09, ZIP 2010, 1253 Rn. 8, 12) in nicht entscheidungserheblicher
  111. Weise eine andere Beurteilung anklingen ließ, wird daran nicht festgehalten.
  112. 12
  113. cc) Die Beklagte war von Anfang an berechtigt, den vertragsgemäß eingezahlten Betrag zurückzuverlangen (§ 675 Abs. 1, § 667 Fall 1 BGB). Nach
  114. den vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin sollten
  115. allerdings Verluste aus den Anlagegeschäften mit den Beiträgen des Anlegers
  116. verrechnet werden (AGB Nr. 1.2, 5.2, 5.3) und die Schuldnerin als Vergütung
  117. eine monatliche Verwaltungsgebühr von 0,5 v.H. vom jeweiligen Vermögensstand erhalten (AGB Nr. 10.2). Diese Klauseln berücksichtigt die vom Kläger
  118. nachträglich erstellte "Verteilung des realen Handelsergebnisses und Neube-
  119. -7-
  120. rechnung der Gebühren" in Verbindung mit der auf das Guthaben der Beklagten
  121. bezogenen "Realen Gewinn- und Verlustverteilung", in welcher der Kläger die
  122. Entwicklung des Kontos der Beklagten abweichend von den tatsächlich übersandten Kontoauszügen unter Verrechnung von in den Jahren 2000 bis 2003
  123. eingetretenen Verlusten und angefallenen Verwaltungsgebühren darzustellen
  124. versucht.
  125. 13
  126. dd) Entgegen der Ansicht der Revision kann sich der Kläger auf diese
  127. Nachberechnung nicht stützen. Eine Verrechnung der anteiligen Verluste aus
  128. den in geringem Umfang noch getätigten Anlagegeschäften und der Verwaltungsgebühr mit der Einzahlung der Beklagten verstößt unter den gegebenen
  129. Umständen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).
  130. 14
  131. (1) Den Anspruch auf die Verwaltungsgebühr hat die Schuldnerin verwirkt. Nach gefestigter Rechtsprechung kann ein an sich begründeter Vergütungsanspruch nach dem Rechtsgedanken des § 654 BGB verwirkt sein, wenn
  132. ein Dienstverhältnis eine besondere Treuepflicht begründet und der Dienstleistende in schwerwiegender Weise diese Treuepflicht verletzt und sich dadurch
  133. als seines Lohnes unwürdig erweist. Das ist der Fall, wenn die Treuepflicht vorsätzlich, wenn nicht gar arglistig, mindestens aber in einer grob leichtfertigen
  134. Weise verletzt wird, die dem Vorsatz nahekommt (BGH, Beschluss vom 6. Mai
  135. 2004 - IX ZB 349/02, BGHZ 159, 122, 131 f; Urteil vom 19. Mai 2005 - III ZR
  136. 322/04, WM 2005, 1480, 1481; Beschluss vom 23. September 2009 - V ZB
  137. 90/09, NZI 2009, 820 Rn. 8 f, 15; jeweils mwN.). Diese Voraussetzungen liegen
  138. hier vor. Unstreitig hat die Schuldnerin die schon in den Jahren vor dem Beitritt
  139. der Beklagten eingetretenen hohen Verluste zu verschleiern versucht, indem
  140. sie zunächst Buchungen manipulierte, später fiktive gewinnbringende Anlagegeschäfte über ein nicht existierendes Konto vortäuschte und die Einzahlungen
  141. -8-
  142. der Anleger entgegen der vertraglichen Vereinbarung weit überwiegend nicht
  143. mehr für neue Anlagen, sondern für Auszahlungen an Altkunden und für die
  144. laufenden Kosten verwendete.
  145. 15
  146. (2) Das dargestellte Vorgehen der Schuldnerin, die in betrügerischer
  147. Weise neue Anleger warb und ihre vertraglichen Verpflichtungen entsprechend
  148. ihrer vorgefassten Absicht grob verletzte, verbietet es auch, die Beklagte in der
  149. Weise am Vertrag festzuhalten, dass ihr Anspruch auf Rückzahlung der Einlage
  150. um die Verluste aus den wenigen noch getätigten Anlagegeschäften zu vermindern wäre.
  151. Kayser
  152. Gehrlein
  153. Grupp
  154. Fischer
  155. Möhring
  156. Vorinstanzen:
  157. LG
  158. Waldshut-Tiengen, Entscheidung vom 15.08.2008 - 2 O 56/08 -
  159. OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 04.03.2010 - 4 U 133/08 -