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8.5 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 227/09
  5. Verkündet am:
  6. 15. Juli 2010
  7. Kluckow
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. ZPO § 114; BGB § 675
  19. Ein bei einer Sozietät angestellter Rechtsanwalt, der ein Mandat akquiriert und
  20. dabei erkennen kann, dass das Mandat unter Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe geführt werden soll, hat auf den Gleichlauf von Anwaltsmandat und
  21. Anwaltsbeiordnung hinzuwirken.
  22. BGH, Urteil vom 15. Juli 2010 - IX ZR 227/09 - AG Hamburg-Barmbek
  23. LG Hamburg
  24. -2-
  25. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  26. vom 15. Juli 2010 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, die Richter
  27. Raebel, Vill, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Pape
  28. für Recht erkannt:
  29. Die Revision gegen das Urteil der Zivilkammer 9 des Landgerichts
  30. Hamburg vom 17. November 2009 wird auf Kosten des Klägers
  31. zurückgewiesen.
  32. Von Rechts wegen
  33. Tatbestand:
  34. Am 27. August 2004 beauftragte die Beklagte die Rechtsanwaltskanzlei
  35. 1
  36. Z.
  37. GbR (fortan: Sozietät) mit der Wahrneh-
  38. mung ihrer Interessen in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Der seinerzeit bei der Sozietät angestellte Rechtsanwalt G.
  39. erhob namens und
  40. im Auftrag der Beklagten Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht und beantragte zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Mit Beschluss vom
  41. 30. Januar 2007 wurde der Beklagten Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt G.
  42. beigeordnet. Am 1. Oktober 2007 endete das Arbeitsverhältnis
  43. des Rechtsanwalts G.
  44. G.
  45. . Die Beklagte wünschte weiterhin von Rechtsanwalt
  46. vertreten zu werden und kündigte das Mandat der Sozietät.
  47. -3-
  48. Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger als Rechtsnachfolger der
  49. 2
  50. Sozietät Zahlung von Anwaltsgebühren in Höhe von insgesamt 1.029,23 €
  51. nebst Zinsen verlangt. Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von
  52. 785,28 € nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht
  53. zugelassenen Revision will der Kläger weiterhin die Zurückweisung der Berufung der Beklagten erreichen.
  54. Entscheidungsgründe:
  55. Die Revision bleibt ohne Erfolg.
  56. 3
  57. I.
  58. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Beklagte habe die Sozietät als
  59. 4
  60. die Rechtsvorgängerin des Klägers mandatiert. Nach Treu und Glauben stehe
  61. dem Kläger jedoch kein Anspruch auf Vergütung zu. Die Vorschrift des § 122
  62. Abs. 1 Nr. 3 ZPO, nach welcher der beigeordnete Anwalt gegen seine Partei
  63. Ansprüche auf Vergütung nicht geltend machen dürfe, gelte zwar nur für den
  64. beigeordneten Rechtsanwalt. Die Sozietät sei nicht beigeordnet worden. Der für
  65. sie handelnde Rechtsanwalt G.
  66. habe jedoch pflichtwidrig versäumt, für
  67. einen Gleichlauf von Mandat und Beiordnung Sorge zu tragen. Aus dem Fehler
  68. des Rechtsanwalts G.
  69. , den der Kläger sich zurechnen lassen müsse, dür-
  70. fe der Sozietät und dem Kläger als deren Rechtsnachfolger kein Vorteil entstehen.
  71. -4-
  72. II.
  73. 5
  74. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
  75. 6
  76. 1. Der Kläger hat aus dem Anwaltsvertrag, welchen der seinerzeit für
  77. seine Rechtsvorgängerin handelnde Rechtsanwalt G.
  78. mit der Beklagten
  79. geschlossen hat, Anspruch auf Vergütung entsprechend den Bestimmungen
  80. des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes. Rechtsanwalt G.
  81. hat den An-
  82. waltsvertrag nicht in eigenem Namen geschlossen, sondern namens und im
  83. Auftrag der Sozietät. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung
  84. von Rechtsanwalt G.
  85. änderte daran nichts. Die öffentlich-rechtliche Bei-
  86. ordnung lässt den zivilrechtlichen Mandatsvertrag unberührt, hat also auf den
  87. schon bestehenden Anwaltsvertrag - wenn nicht ausdrücklich etwas anderes
  88. vereinbart wird, was hier nicht der Fall war - keinen Einfluss (vgl. BGH, Urt. v.
  89. 23. September
  90. 2004
  91. - IX ZR
  92. 137/03,
  93. NJW-RR
  94. 2005,
  95. 494,
  96. 495;
  97. v.
  98. 17. September 2008 - IV ZR 343/07, ZIP 2009, 147, 148 Rn. 6).
  99. 7
  100. 2. Nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist der Kläger jedoch gehindert,
  101. den Anspruch gegen die Beklagte durchzusetzen.
  102. 8
  103. a) Der Beklagten steht wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (§ 311
  104. Abs. 2 Nr. 1 BGB) gegen den Kläger ein Anspruch auf Befreiung von dessen
  105. Vergütungsanspruch zu.
  106. 9
  107. (1) Der für die Sozietät handelnde Rechtsanwalt G.
  108. war verpflichtet,
  109. der Beklagten vor Übernahme des Mandats die gebührenrechtlichen Folgen
  110. einer Beauftragung der Sozietät einerseits, nur desjenigen Mitglieds der (oder
  111. -5-
  112. Angestellten) der Sozietät, das schließlich im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet werden würde, andererseits zu erläutern. Nach dem revisionsrechtlich
  113. maßgeblichen Sachverhalt stand bereits im Zeitpunkt der Auftragserteilung fest,
  114. dass Prozesskostenhilfe beantragt und das Mandat entsprechend abgerechnet
  115. werden sollte. Gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kann der beigeordnete Rechtsanwalt Ansprüche auf Vergütung gegen seine Partei nicht geltend machen. Bei
  116. der Beauftragung der Sozietät - nicht nur des Rechtsanwalts G.
  117. - stellte
  118. sich jedoch das Problem, dass es bis zur Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. September 2008 (aaO S. 147) gängiger Praxis der Gerichte entsprach, keine Anwaltssozietäten, sondern nur einzelne Anwälte beizuordnen (vgl. Ganter AnwBl. 2007, 847 mit Nachweisen in Fn. 8, Schultz, Festschrift
  119. für Günter Hirsch S. 525, 533 f mit Nachweisen in Fn. 43). Der Gebührenanspruch der nicht beigeordneten Sozietät unterfiel nicht § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.
  120. Der für die Sozietät handelnde Rechtsanwalt G.
  121. hätte die Beklagte darauf
  122. hinweisen müssen, dass sie trotz der Bewilligung von Prozesskostenhilfe weitergehenden Gebührensansprüchen der Sozietät ausgesetzt sein konnte.
  123. 10
  124. Nach der Vermutung beratungsgerechten Verhaltens (BGHZ 123, 311,
  125. 314 ff; vgl. Ganter aaO S. 848) hätte die Beklagte dann, wenn sie auf diesen
  126. Umstand hingewiesen worden wäre, nur Rechtsanwalt G.
  127. als denjenigen
  128. Rechtsanwalt beauftragt, dessen Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe
  129. bei Gericht beantragt werden sollte. Ein Anspruch der Sozietät gegen sie persönlich wäre nicht entstanden. Ob Rechtsanwalt G.
  130. im Verhältnis zur So-
  131. zietät, seiner damaligen Arbeitgeberin, arbeitsvertraglich befugt war, Verträge
  132. im eigenen Namen abzuschließen, ist für die Entscheidung unerheblich. Der
  133. Arbeitsvertrag eines Rechtsanwalts kann diesen nicht wirksam zu einem Verhalten verpflichten, das den Interessen der Mandanten zuwiderläuft (vgl. Ganter
  134. aaO S. 848).
  135. -6-
  136. 11
  137. (2) Der Kläger zieht dies im Grundsatz nicht in Zweifel. Er meint jedoch,
  138. der Anspruch der Beklagten auf Befreiung von dem streitgegenständlichen Honoraranspruch richte sich ausschließlich gegen Rechtsanwalt G.
  139. als den-
  140. jenigen Rechtsanwalt, der die Beklagte beraten habe und schließlich allein beigeordnet worden sei. Diese Ansicht trifft nicht zu. Die Pflicht, die Beklagte auf
  141. die für sie nachteiligen Folgen eines Vertragsschlusses mit der Sozietät hinzuweisen und auf eine Beauftragung nur desjenigen Anwalts hinzuwirken, der
  142. schließlich beigeordnet werden würde, traf die Sozietät als die Vertragspartnerin der Beklagten. Das Verschulden ihres Angestellten, welcher das Mandat im
  143. Einverständnis der Beklagten für sie bearbeitete, ist ihr gemäß § 278 BGB zuzurechnen (vgl. BGH, Urt. v. 23. September 2004, aaO). Gegenteiliges ergibt
  144. sich auch nicht aus dem Urteil des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom
  145. 17. September 2008 (aaO).
  146. 12
  147. (3) Rechtsfolge der vorvertraglichen Pflichtverletzung ist die Verpflichtung zum Schadensersatz. Der Kläger als Rechtsnachfolger der Sozietät ist
  148. verpflichtet, denjenigen Zustand wieder herzustellen, der bestünde, wenn kein
  149. Vertrag zwischen der Sozietät und der Beklagten geschlossen worden wäre
  150. (§ 249 Abs. 1 BGB).
  151. 13
  152. b) Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verbietet die
  153. Durchsetzung eines Anspruchs, wenn der Gläubiger das Erlangte wieder an
  154. den Schuldner herauszugeben hätte (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus
  155. est). Gleiches gilt, wenn der Schuldner vom Gläubiger Befreiung von der Verbindlichkeit verlangen kann (§ 257 BGB). Zahlt der Befreiungsgläubiger die
  156. Schuld, von der er freizustellen ist, erwirbt er einen Erstattungsanspruch gegen
  157. den Befreiungsschuldner; sind Hauptgläubiger und Befreiungsschuldner iden-
  158. -7-
  159. tisch, heißt das, dass der Hauptgläubiger den erlangten Betrag ohne weiteres
  160. wieder an den Schuldner zurückzuzahlen hätte.
  161. Ganter
  162. Raebel
  163. Lohmann
  164. Vill
  165. Pape
  166. Vorinstanzen:
  167. AG Hamburg-Barmbek, Entscheidung vom 24.04.2009 - 811A C 494/08 LG Hamburg, Entscheidung vom 17.11.2009 - 309 S 69/09 -