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278 lines
13 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 198/13
  5. Verkündet am:
  6. 8. Januar 2015
  7. Preuß
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. InsO § 133 Abs. 1
  19. Weiß der Gläubiger bei Durchsetzung eines Anspruchs auf Rückzahlung einer Anlage, dass der Schuldner ein Schneeballsystem betreibt, liegt darin ein wesentliches
  20. Beweisanzeichen für seine Kenntnis von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz
  21. des Schuldners.
  22. BGH, Urteil vom 8. Januar 2015 - IX ZR 198/13 - OLG Hamburg
  23. LG Hamburg
  24. -2-
  25. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  26. vom 8. Januar 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin Möhring
  27. für Recht erkannt:
  28. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des
  29. Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 24. Juli 2013
  30. aufgehoben.
  31. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  32. über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  33. Von Rechts wegen
  34. Tatbestand:
  35. 1
  36. Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 19. Juni 2006 am
  37. 1. September 2006 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der
  38. W.
  39. AG (fortan: Schuldnerin). Die Schuld-
  40. nerin war im Jahre 1926 als Wohnungsbaugesellschaft gegründet worden. Seit
  41. 1999 hatte sie in großem Umfang Inhaber-Teilschuldverschreibungen ausgegeben. Die Rechtsvorgängerin des Beklagten erwarb Anleihen in Höhe von
  42. 50.000 DM, die am 1. Dezember 2005 zur Rückzahlung fällig waren. Die
  43. Schuldnerin zahlte zunächst nicht. Anfang Januar zahlte sie einen Betrag von
  44. 617,57 € auf die Zinsforderung. Der Beklagte beauftragte am 1. Februar 2006
  45. -3-
  46. einen Anwalt. Dieser mahnte die Rückzahlung mit Schreiben vom 7. Februar
  47. 2006 an. Am 15. Februar 2006 zahlte die Schuldnerin weitere 25.564,59 €; am
  48. 5. April zahlte sie 1.430,05 €.
  49. 2
  50. Der Kläger verlangt die Rückgewähr der beiden letztgenannten Zahlungen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision will der Kläger weiterhin die Verurteilung des Beklagten
  51. zur Zahlung von 25.564,59 € und 1.430,05 €, insgesamt also 26.994,64 € nebst
  52. Zinsen erreichen.
  53. Entscheidungsgründe:
  54. 3
  55. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  56. I.
  57. 4
  58. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Zahlung vom 5. April 2006 in
  59. Höhe von 1.430,05 € sei nicht nach § 130 InsO anfechtbar, weil der Beklagte
  60. nach dem eigenen Vorbringen des Klägers keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gehabt habe. Eine Kenntnis seiner anwaltlichen Bevollmächtigten, die er sich nach § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen müsse, sei
  61. nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen. Die subjektiven Voraussetzungen eines beide Zahlungen umfassenden Rückgewähranspruchs aus § 133
  62. Abs. 1, § 143 Abs. 1 InsO seien aus den zu § 130 Abs. 1 InsO ausgeführten
  63. Gründen ebenfalls nicht erfüllt.
  64. -4-
  65. II.
  66. 5
  67. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Nach
  68. § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ist eine in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag vorgenommene Rechtshandlung, die eine kongruente Sicherung
  69. oder Befriedigung gewährt, dann anfechtbar, wenn der Schuldner zur Zeit der
  70. Handlung zahlungsunfähig war und der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit
  71. kannte. Die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO greift demgegenüber bereits dann ein, wenn der Anfechtungsgegner wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit drohte und dass die Rechtshandlung des Schuldners die Gläubiger benachteiligte. Anders als in § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO wird weder die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners noch eine Kenntnis des Anfechtungsgegners
  72. hiervon vorausgesetzt. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte und
  73. seine Bevollmächtigten hätten am 15. Februar 2006 und am 5. April 2006 keine
  74. positive Kenntnis von Umständen gehabt, die einen sicheren Schluss auf die
  75. Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zuließen, schließt nicht aus, dass ihnen
  76. Umstände bekannt waren, aus denen eine drohende Zahlungsunfähigkeit und
  77. eine Benachteiligung der Gläubiger folgten.
  78. III.
  79. 6
  80. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen
  81. als richtig (§ 561 ZPO). Der Kläger hat die Voraussetzungen eines Anspruchs
  82. aus § 133 Abs. 1, § 143 Abs. 1 InsO schlüssig dargelegt.
  83. -5-
  84. 7
  85. 1. Die Zahlungen, welche die Schuldnerin am 15. Februar 2006 und am
  86. 5. April 2006 an den Beklagten geleistet hat, stellen Rechtshandlungen dar,
  87. welche die Gläubiger benachteiligt haben. Eine Gläubigerbenachteiligung
  88. (§ 129 InsO) ist gegeben, wenn entweder die Schuldenmasse vermehrt oder
  89. die Aktivmasse verkürzt und dadurch der Zugriff auf das Vermögen des
  90. Schuldners vereitelt, erschwert oder verzögert worden ist, wenn sich also die
  91. Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die fragliche Handlung
  92. bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten. Diese Voraussetzung ist unproblematisch erfüllt.
  93. 8
  94. 2. Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt hat
  95. die Schuldnerin die Zahlungen mit einem vom Beklagten erkannten Gläubigerbenachteiligungsvorsatz erbracht.
  96. 9
  97. a) Bei den subjektiven Tatbestandsmerkmalen der Vorsatzanfechtung
  98. handelt es sich um innere Tatsachen, welche oft nicht unmittelbar nachgewiesen, sondern nur mittelbar aus objektiven Tatsachen hergeleitet werden können. Den für eine bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit sprechenden Beweisanzeichen kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Sind beide Teile
  99. über die Zahlungsunfähigkeit unterrichtet, kann von einem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und dessen Kenntnis beim Gläubiger ausgegangen
  100. werden, weil der Schuldner in einem solche Fall weiß, nicht sämtliche Gläubiger
  101. befriedigen zu können, und dem Gläubiger bekannt ist, dass infolge der ihm
  102. erbrachten Leistung die Befriedigungsmöglichkeit anderer Gläubiger vereitelt
  103. oder zumindest erschwert wird (BGH, Urteil vom 19. September 2013 - IX ZR
  104. 4/13, WM 2013, 2074 Rn. 14). Auch die nur drohende Zahlungsunfähigkeit
  105. (§ 18 Abs. 2 InsO) stellt nach der Rechtsprechung des Senats ein starkes Beweisanzeichen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners dar, wenn sie
  106. -6-
  107. diesem bei der Vornahme der Rechtshandlung bekannt war. In diesen Fällen
  108. handelt der Schuldner nur dann nicht mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er auf
  109. Grund konkreter Umstände, etwa der sicheren Aussicht, demnächst Kredit zu
  110. erhalten oder Forderungen realisieren zu können, mit einer baldigen Überwindung der Krise rechnen kann. Droht die Zahlungsunfähigkeit, bedarf es konkreter Umstände, die nahe legen, dass die Krise noch abgewendet werden kann
  111. (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - IX ZR 93/11, NZI 2014, 259 Rn. 9). Diese
  112. Grundsätze gelten nach gefestigter Senatsrechtsprechung auch dann, wenn
  113. eine kongruente Leistung angefochten wird (BGH, Urteil vom 5. Dezember
  114. 2013, aaO; Beschluss vom 6. Februar 2014 - IX ZR 221/11, ZInsO 2014, 496
  115. Rn. 3).
  116. 10
  117. b) Im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen war die Schuldnerin (mindestens) drohend zahlungsunfähig. Die Schuldnerin war als Wohnungsbaugesellschaft gegründet worden und verfügte über Immobilien und Unternehmensbeteiligungen. Nach dem vom Kläger vorgelegten Gutachten der H.
  118. GmbH stellt die etwa im Jahre 1999 begonnene Emission von
  119. Inhaber-Teilschuldverschreibungen jedoch einen erheblichen Teil ihrer geschäftlichen Aktivitäten dar. Verwendungszweck der zu Zinssätzen von
  120. 5,25 v.H. bis 7 v.H. jährlich, also recht hoch verzinsten Anleihen war die Förderung des Geschäftszwecks der Anleihen. Bereits bei der erstmaligen Fälligkeit
  121. einer Anleihe wurde zur Aufbringung des Rückzahlungsbetrages eine neue Anleihe aufgenommen. Weder die Zinsen noch die Rückzahlungen konnten also
  122. aus dem sonstigen Geschäftsbetrieb der Schuldnerin erwirtschaftet werden; sie
  123. wurden vielmehr vom Geld der neu geworbenen Anleger bezahlt. Die Rückzahlung fälliger Inhaber-Teilschuldverschreibungen wurde durch die Aufnahme
  124. neuer Anleihen in den Monaten zuvor vorbereitet. Dem genannten Gutachten
  125. zufolge überstieg bis einschließlich 2004 die Summe der neu aufgenommenen
  126. -7-
  127. Anleihen die zur Rückzahlung fälligen Anleihen. Bis zum 1. Oktober 2005 traten
  128. zeitweilig Liquiditätslücken auf, die jedoch innerhalb von drei Wochen durch
  129. Neuemission von Inhaber-Teilschuldverschreibungen geschlossen werden
  130. konnten. Von diesem Zeitpunkt an gelang es der Schuldnerin nicht mehr dauerhaft, die Liquiditätslücken durch Neuemissionen zu schließen. Vom 1. Dezember 2005 war die Schuldnerin nicht mehr in der Lage, auch nur 90 v.H. der jeweils fälligen Forderungen zu befriedigen. Anfang Januar 2006 teilte sie den
  131. Gläubigern mit, aufgrund technischer Probleme könnten Zahlungen vorerst
  132. nicht geleistet werden, und zahlte nur noch an diejenigen Gläubigern, die sich
  133. anwaltlich vertreten ließen oder mit Strafanzeigen und Medienkampagnen drohten. Die am 11. Januar 2006 fälligen Anlagen wurden ebenfalls nicht zurückgezahlt.
  134. 11
  135. c) Der Beklagte, dem die Kenntnisse seiner Bevollmächtigten zugerechnet werden (§ 166 Abs. 1 BGB), kannte die mindestens drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin.
  136. 12
  137. aa) Die Bevollmächtigten des Beklagten haben 120 Anleger gegenüber
  138. der Schuldnerin vertreten. Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden
  139. Vortrag des Klägers war ihre Kanzlei derart organisiert, dass Rechtsanwalt
  140. R.
  141. in Verbraucherschutzorganisationen und in der Verbraucherzen-
  142. trale B.
  143. einschlägige Mandate akquirierte, die dann von anderen An-
  144. wälten der Kanzlei bearbeitet wurden. Auf der Webseite der Kanzlei befand sich
  145. ein Artikel der Financial Times Deutschland vom 23. Januar 2006, in welchem
  146. unter Darlegung von Einzelheiten über den Zahlungsverzug der Schuldnerin
  147. berichtet und Rechtsanwalt
  148. R.
  149. mit der Äußerung zitiert wurde, die
  150. Anleger seien nicht darauf hingewiesen worden, dass die Gewinne aus der Geschäftstätigkeit der Schuldnerin zur Bedienung der Bonds nicht ausreichten und
  151. -8-
  152. die Liquidität nur durch den Vertrieb weiterer Bonds aufrechterhalten werden
  153. könne.
  154. 13
  155. bb) Der Kläger hat darüber hinaus zwei von Rechtsanwalt M.
  156. R.
  157. , dem für den Beklagten zuständigen Sachbearbeiter, stammende
  158. Schreiben vom 7. Februar 2006 und vom 8. Februar 2006 vorgelegt, mit welchen dieser die Inhaberschuldverschreibungen anderer Mandanten mit der Begründung kündigte, die versprochenen Zinsen könnten nicht aus den Erträgen
  159. des Unternehmens gezahlt werden, sondern nur aus immer neu aufgelegten
  160. Anleihen. Wörtlich heißt es hier: "Auf diese Risiken, die aufgrund der vorsätzlichen Geschäftspolitik der W.
  161. von vornherein feststanden und
  162. die für den Anleger ein erhebliches Verlustrisiko bis zum Totalverlust seiner Einlage bedeuten können, ist nicht hinreichend aufgeklärt worden." Kenntnisse aus
  163. anderen Mandaten werden dem Mandanten im Hinblick auf die Verschwiegenheitspflicht des Anwalts zwar grundsätzlich nicht zugerechnet. Anderes gilt jedoch, wenn der Anwalt seine Kenntnisse nicht aus diesen anderen Mandaten
  164. bezogen hat, sondern aus allgemein zugänglichen Quellen. Hat der Anwalt die
  165. fraglichen Kenntnisse sogar auf seiner Internetseite oder gegenüber einer Zeitung öffentlich bekanntgegeben, kann der Mandant einer Wissenszurechnung
  166. ebenfalls nicht mehr durch Hinweis auf die anwaltliche Schweigepflicht entgegentreten (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 - IX ZR 13/12, NZI 2013, 133;
  167. vom 10. Januar 2013 - IX ZR 28/12, NZI 2013, 253; kritisch etwa Fölsing,
  168. KSI 2013, 126). Die vom Kläger vorgelegten Schreiben lassen den Schluss darauf zu, dass den Bevollmächtigten des Beklagten bereits im Februar 2006 das
  169. von der Schuldnerin betriebene "Schneeballsystem" bekannt war.
  170. 14
  171. cc) Wussten die Bevollmächtigten des Beklagten Anfang Februar 2006,
  172. dass die Schuldnerin ein nur durch neue Anleihen zu finanzierendes "Schnee-
  173. -9-
  174. ballsystem" betrieb, kannten sie auch die der Schuldnerin mindestens drohende
  175. Zahlungsunfähigkeit. Ein derartiges Finanzierungsmodell ist nicht stabil. Reichen die neu eingeworbenen Gelder nicht mehr zur Begleichung der Zins- und
  176. Rückzahlungsverpflichtungen, bricht es zusammen. Wer weiß, dass ein
  177. Schuldner seine Gläubiger nur befriedigen kann, wenn er Anleger in immer
  178. größerer Anzahl findet, weiß auch, dass dies früher oder später nicht mehr
  179. möglich sein wird. Im Rahmen eines derartigen Systems geleistete Zahlungen
  180. stammen jeweils aus dem Geld der später geworbenen Anleger, deren Befriedigung immer unsicherer wird. Der Schuldner, der so verfährt, handelt regelmäßig im Bewusstsein seiner mindestens drohenden Zahlungsunfähigkeit. Hatte
  181. der Anfechtungsgegner Kenntnis hiervon, liegt darin ein sicheres Beweisanzeichen für die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners.
  182. IV.
  183. 15
  184. Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist,
  185. wird sie zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
  186. zurückverwiesen (§ 563 Abs. 1 ZPO), welches den Sachvortrag beider Parteien
  187. - 10 -
  188. unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats neu zu würdigen haben wird.
  189. Kayser
  190. Vill
  191. Pape
  192. Lohmann
  193. Möhring
  194. Vorinstanzen:
  195. LG Hamburg, Entscheidung vom 01.03.2013 - 318 O 185/12 OLG Hamburg, Entscheidung vom 24.07.2013 - 4 U 39/13 -